""Wein, lebende Austern, Eisen, chinesische Seide, dicke Wollstoffe, alles wurde hier transportiert.""
Es ist schon erstaunlich, was die Menschen vor 2000 Jahren so alles über die Alpen transportiert haben. In Rieden, kurz vor Füssen, erinnert eine frisch aufgestellte Informationstafel an die einst bedeutendste Alpendurchquerung, die Via Claudia Augusta. Lässt sie sich mit ihren viereckigen Hinweisschildern in Deutschland noch gut finden, ist dies im bergigen Österreich schwieriger. Von Reutte am Lech geht es auf holprigen Schotter- und kurvigen Wanderwegen nach Lermoos. Willi Schonger vom "Hotel Lärchenhof" kennt das Problem:
"Die Via Claudia ist die alte Römerstraße. Das ist eine schwierige Sache, die zu finden, das stimmt. Ich selber bin sie noch nie gefahren, aber die, die was sich dafür interessieren, das sind immer mehr. Vielleicht muss man eine bessere Routenplanung machen, aber sonst ist das sicherlich okay."
Lermoos liegt etwa 900 Meter hoch. Dahinter geht es dann richtig in die Berge, auf den Fernpass mit seinen 1200 Höhenmetern. Wem das zu steil ist, für den gibt es allerdings - wie auch für den Reschenpass - Shuttle-Busse, die den Radfahrer mitsamt seinem Drahtesel bequem nach oben bringen. Wir aber wollen es selbst schaffen.
In schier endlosen Serpentinen zieht sich die zweispurige Strasse hinauf, auf knapp 10 Kilometern sind dreihundert Höhenmeter zu bewältigen. Wer nicht auf der normalen Straße fahren will, der muss auf eine Biker-Strecke durch den Wald ausweichen und braucht vor allem zwei Dinge: Kraft und gute Nerven.
An ein Fahren ist uns mit unseren Tourenrädern und den etwa 20 Kilo Gepäck nicht zu denken. Wir schieben:
"Steiniger, holpriger ansteigender Weg, immer wieder mit kleinen flachen Etappen, das war’s. Begleitet von einer wunderschönen Natur ringsherum."
Oben angekommen, liegt tief unter uns die Straße. Jetzt heißt es, die Abfahrt genießen, natürlich mit angezogenen Bremsen. Im Tal geht es weiter durch Wälder, Wiesen und Felder, immer am oberen Inn entlang bis nach Prutz, einem Ort im Schatten des über ihm gelegenen Ski-Ortes Serfaus.
Prutz, mit seinen 2000 Einwohnern, war früher eine Poststation und ist heute im Sommer auch nicht viel mehr. Franz Dankow, der unter der schönen Adresse "Am Ballhausplatz" zuhause ist, vermietet Fremdenzimmer und informiert die Gäste beim Frühstück, warum es auf den nächsten 40 Kilometern bis zum Fuße des Reschenpasses immer rauf und runter gehen wird:
"Die Orte liegen auf den Murenkegeln. Sie müssen den Murenkegeln hinauffahren, oben der Bach und auf der anderen Seite wieder hinunter und so quälen sie sich hoch bis Pfunds, das sind von Prutz weg ungefähr 100 Höhenmeter und von Pfunds weg geht’s dann hinauf zum Reschenpass mit 500 Höhenmeter in 34, 35 Kilometer."
Auf einen Fahrradweg über den Reschenpass darf der Radler nicht hoffen. Österreich ist in dieser Gegend auf solche Touristen nicht vorbereitet:
"Das Problem mit den Fahrradwegen ist ein großes. Früher haben sich die Gäste auf den Landstraßen, Hauptstraßen herumquälen müssen und dann müssen wir Fahrradwege bauen. Dann geht’s los mit dem Grundbesitzer, wer ist Grundbesitzer, wer kann irgend ein Paar Meter zur Verfügung stellen oder abtreten, wer finanziert des und so geht es quer durchs Land. Opfer bringen ist immer schwer."
Die nächsten Kilometer geht es durch kleine Orte neben der großen Straße. In Pfunds muss der Radler sich entscheiden: Entweder er nimmt die stark befahrene, stetig nach oben ziehende B 315-Reschenpass-Fahrstraße durch enge Straßentunnel vorbei an der alten römischen Zollstation am Finstermünzpass direkt nach Nauders.
Oder aber er fährt über die Kajetansbrücke nach Martina und die Schweiz hinüber, mit einem allerdings zuletzt sehr starken Anstieg, auf der es insgesamt aber ruhiger zugeht. In Nauders auf 1394 Metern, der letzten Station vor dem Pass, ist fast alles geschafft. Zeit für eine Rast.
Dann sind wir an der Spitze. Der Reschen, italienisch Passo di Resia, 1507 Meter. Das Wetter ist schlecht. Zwar soll der vorhergesagte Wetterumsturz mit Regen und Schnee - und das im Sommer! - erst morgen kommen, doch ein anderer Feind des Radfahrers hat sein Gesicht gezeigt:
"Ja, also ich freu mich, dass ich ganz oben bin, wobei ich es nicht ganz fassen kann, weil eins ist so nervig gewesen, nicht nur, dass wir die Steigung hatten, sondern die ganze Zeit auch richtig harten Gegenwind und das schlägt total aufs Gemüt. Man kämpft, obwohl es leicht bergab geht, man kämpft wie berghoch fahren."
Jetzt geht es hinter, vorbei am 1950 gefluteten Reschenstausee und der stumm mahnenden Kirche von Graun, die direkt aus dem Wasser ragt, in den schönen oberen Vinschgau. In Burgeis, 15 Kilometer hinter dem Reschen, wird unsere Fahrt jäh gestoppt.
Der Marktplatz ist voll von Blasmusikern und anderen Menschen und kaum passierbar. Ohne Weinverkostung kommt hier niemand durch. Das besondere Vinschgauer Brot mit Anis-Geschmack, Tiroler Speck, der gute Gebirgskäse, roter Wein aus der Gegend und weißer Riesling aus der Rheinpfalz – alles wird freihaus angeboten - und da sagt selbst ein eiliger Radler nicht nein.
Gefeiert wird eine Städtepartnerschaft besonderer Art. Alle fünf Jahre machen sich etwa drei Dutzend rheinländische Radfahrer aus der Gegend von Mainz auf, um in nur vier Tagen mit den Rennrad nach Burgeis zu fahren, dem Besuch erfolgt der Gegenbesuch. Toni Pund, der frühere Ortsvorsteher, ist einer der Väter dieser Dorfpartnerschaft:
"Hier ist heute ein Empfang gewesen. 25 Jahre Radtour-Guntersblom-Burgeis. Das ist 1982 entstanden. Man kann sagen: aus einer Weinlaune heraus. Die waren hier bei uns in Burgeis, im Januar, glaube ich, war es, 1982 zu einem Skiurlaub und dann abends im ‚Weißen Kreuz’ bei einem Gläschen Wein, Williams und so weiter. Sagt der Albrecht Langenbrecht: ‚Oh, wir könnten mal mit dem Rad nach Burgeis kommen.’ Und dann waren von uns auch einige dabei, dann haben die gesagt: ‚Ja, wenn ihr zu uns kommt, dann kommen wir zu Euch.’ Und ist es entstanden. Alle fünf Jähre wird die Fahrt gemacht und sie kommt immer gut an, nicht? Prost! – Prost!"
Der Vinschgau war immer Durchgangsland. Fremde sind hier nichts besonderes. Wir übernachten in Burgeis, dessen Dorfanlage mit den schmalen Gassen, Erkern, Freitreppen und Torbögen fast unverändert aus dem 17. Jahrhundert stammt. Über den Ort liegt auf dem Marienberg das höchst gelegene Benediktinerkloster der Welt – in ihm gibt es noch etwa ein Dutzend Mönche.
Im Zentrum am Brunnen steht seit 300 Jahren der Gasthof "Zum Mohren". Der jetzt 85 Jahre alte Sepp Theiner hat ihn, bis zur Übergabe an seinen Sohn, in elfter Generation geleitet und weiß alles über eine Spezialität des Hauses, den Tiroler Speckknödel:
"Und unsere Vorfahren haben schon 1665 die Tiroler Speckknödel gekocht, denn hier gab es eigenes Brot, es gab hier Roggen, hat man gebaut, hat man auch die Schweine gehabt, hat auch Hühner gehabt und das sind die Hauptingredienten der Tiroler Speckknödel. Und nach diesem 300-jährigen Rezept haben sie die Knödel gehabt."
Der obere Vinschgau ist eine ganz eigene Landschaft. Nicht ganz Österreich und nicht ganz Italien, hat sie viel gemeinsam mit dem benachbarten Graubünden aus der Schweiz:
"Die Bischöfe von Chur haben hier residiert und man sprach hier nicht Deutsch Anfang 1800, man sprach Rätoromanisch. Wie der Kanton Graubünden. Wenn Sie da zwölf Kilometer über die Schweizer Grenze gehen, grüßt man sich nicht mehr wie hier mit ‚Grüß Gott’, sondern mit ‚Allegra’. ‚Allegra’, sei froh gestimmt, ‚Allegra’, das ist der Gruß."
Nun geht es nur noch bergab. Die Fahrradwege sind gut ausgeschildert: Je tiefer wir kommen, desto größer werden die Orte: Mals, Laatsch, Glurns. Ganz besonders ist das Vinschger Museum in Schluderns.
Dort weiß Gaby Obwegesser vieles über die alten Bewässerungskanäle des Vinschgaus, die hölzernen Waale. Der Vinschgau sei die niederschlagärmste Gegend Italiens, hier falle nur so viel Regen wie auf Sizilien. Das Wort Waal stamme aus dem Latein-Rätoromanischen "Aquale". Durch die Waale wurde und wird zum Teil noch heute das Wasser von den Gletschern auf Wiesen und Felder geleitet. An ihnen könne der Tourist schön entlang wandern:
"Ursprünglich war der Waal nur ein Steig für den Waaler. Der Waaler war die Aufsichtsperson des Tragwaales, denn er hatte die Aufgabe, diesen Hauptwaal immer zu säubern und zu schauen, dass das Wasser fließt. Und natürlich laden die Waale unsere Gäste recht herzlich ein, spazieren zu gehen und zu wandern."
Im Vinschgau muss keine Langeweile aufkommen. Das Gebiet hat sich touristisch in den letzten Jahren fein herausgemacht. So gibt es einen speziellen Service der Vinschgauer Bahn. Sie bringt den Touristen bis ins 1000 Meter hoch gelegene Mals und stellt das Fahrrad zur Verfügung, mit dem er, wenn er möchte, bequem die 60 Kilometer – überwiegend durch Apfelplantagen - bis Meran rollen kann, immer leicht bergab.
Auch für den Wanderer gibt es zahlreiche Touren. Gleich hinter Schluderns beginnt ein Waal-Rundweg zur erst kürzlich freigelegten urgeschichtlichen Siedlung Ganglegg, die auch Römern als Stützpunkte diente. Einiges von dem, was die römischen Händler vor 2000 Jahren an ihren Rastplätzen an der Via Claudia zurückgelassen haben, wurde hier gefunden und kann nun in Schluderns besichtigt werden:
"Das Ganglegg oberhalb von Schluderns zeugt auch von einem römischen Stützpunkt und es wurden auch sensationelle römische Funde gefunden und die liegen auch hier: der römische Löwenkopf und Römermünzen, Fibeln, Nadeln, alles haben wir auch hier."
Die Via Claudia geht hinter Meran weiter nach Bozen und Trento. Bis heute ist nicht ganz entschieden, wo sie endete: am Po in Ostiglia oder an der Lagune von Venedig. Wir sind nach 450 Kilometern in sieben Tagen froh, in Riva am Gardasee baden zu können.
Es ist schon erstaunlich, was die Menschen vor 2000 Jahren so alles über die Alpen transportiert haben. In Rieden, kurz vor Füssen, erinnert eine frisch aufgestellte Informationstafel an die einst bedeutendste Alpendurchquerung, die Via Claudia Augusta. Lässt sie sich mit ihren viereckigen Hinweisschildern in Deutschland noch gut finden, ist dies im bergigen Österreich schwieriger. Von Reutte am Lech geht es auf holprigen Schotter- und kurvigen Wanderwegen nach Lermoos. Willi Schonger vom "Hotel Lärchenhof" kennt das Problem:
"Die Via Claudia ist die alte Römerstraße. Das ist eine schwierige Sache, die zu finden, das stimmt. Ich selber bin sie noch nie gefahren, aber die, die was sich dafür interessieren, das sind immer mehr. Vielleicht muss man eine bessere Routenplanung machen, aber sonst ist das sicherlich okay."
Lermoos liegt etwa 900 Meter hoch. Dahinter geht es dann richtig in die Berge, auf den Fernpass mit seinen 1200 Höhenmetern. Wem das zu steil ist, für den gibt es allerdings - wie auch für den Reschenpass - Shuttle-Busse, die den Radfahrer mitsamt seinem Drahtesel bequem nach oben bringen. Wir aber wollen es selbst schaffen.
In schier endlosen Serpentinen zieht sich die zweispurige Strasse hinauf, auf knapp 10 Kilometern sind dreihundert Höhenmeter zu bewältigen. Wer nicht auf der normalen Straße fahren will, der muss auf eine Biker-Strecke durch den Wald ausweichen und braucht vor allem zwei Dinge: Kraft und gute Nerven.
An ein Fahren ist uns mit unseren Tourenrädern und den etwa 20 Kilo Gepäck nicht zu denken. Wir schieben:
"Steiniger, holpriger ansteigender Weg, immer wieder mit kleinen flachen Etappen, das war’s. Begleitet von einer wunderschönen Natur ringsherum."
Oben angekommen, liegt tief unter uns die Straße. Jetzt heißt es, die Abfahrt genießen, natürlich mit angezogenen Bremsen. Im Tal geht es weiter durch Wälder, Wiesen und Felder, immer am oberen Inn entlang bis nach Prutz, einem Ort im Schatten des über ihm gelegenen Ski-Ortes Serfaus.
Prutz, mit seinen 2000 Einwohnern, war früher eine Poststation und ist heute im Sommer auch nicht viel mehr. Franz Dankow, der unter der schönen Adresse "Am Ballhausplatz" zuhause ist, vermietet Fremdenzimmer und informiert die Gäste beim Frühstück, warum es auf den nächsten 40 Kilometern bis zum Fuße des Reschenpasses immer rauf und runter gehen wird:
"Die Orte liegen auf den Murenkegeln. Sie müssen den Murenkegeln hinauffahren, oben der Bach und auf der anderen Seite wieder hinunter und so quälen sie sich hoch bis Pfunds, das sind von Prutz weg ungefähr 100 Höhenmeter und von Pfunds weg geht’s dann hinauf zum Reschenpass mit 500 Höhenmeter in 34, 35 Kilometer."
Auf einen Fahrradweg über den Reschenpass darf der Radler nicht hoffen. Österreich ist in dieser Gegend auf solche Touristen nicht vorbereitet:
"Das Problem mit den Fahrradwegen ist ein großes. Früher haben sich die Gäste auf den Landstraßen, Hauptstraßen herumquälen müssen und dann müssen wir Fahrradwege bauen. Dann geht’s los mit dem Grundbesitzer, wer ist Grundbesitzer, wer kann irgend ein Paar Meter zur Verfügung stellen oder abtreten, wer finanziert des und so geht es quer durchs Land. Opfer bringen ist immer schwer."
Die nächsten Kilometer geht es durch kleine Orte neben der großen Straße. In Pfunds muss der Radler sich entscheiden: Entweder er nimmt die stark befahrene, stetig nach oben ziehende B 315-Reschenpass-Fahrstraße durch enge Straßentunnel vorbei an der alten römischen Zollstation am Finstermünzpass direkt nach Nauders.
Oder aber er fährt über die Kajetansbrücke nach Martina und die Schweiz hinüber, mit einem allerdings zuletzt sehr starken Anstieg, auf der es insgesamt aber ruhiger zugeht. In Nauders auf 1394 Metern, der letzten Station vor dem Pass, ist fast alles geschafft. Zeit für eine Rast.
Dann sind wir an der Spitze. Der Reschen, italienisch Passo di Resia, 1507 Meter. Das Wetter ist schlecht. Zwar soll der vorhergesagte Wetterumsturz mit Regen und Schnee - und das im Sommer! - erst morgen kommen, doch ein anderer Feind des Radfahrers hat sein Gesicht gezeigt:
"Ja, also ich freu mich, dass ich ganz oben bin, wobei ich es nicht ganz fassen kann, weil eins ist so nervig gewesen, nicht nur, dass wir die Steigung hatten, sondern die ganze Zeit auch richtig harten Gegenwind und das schlägt total aufs Gemüt. Man kämpft, obwohl es leicht bergab geht, man kämpft wie berghoch fahren."
Jetzt geht es hinter, vorbei am 1950 gefluteten Reschenstausee und der stumm mahnenden Kirche von Graun, die direkt aus dem Wasser ragt, in den schönen oberen Vinschgau. In Burgeis, 15 Kilometer hinter dem Reschen, wird unsere Fahrt jäh gestoppt.
Der Marktplatz ist voll von Blasmusikern und anderen Menschen und kaum passierbar. Ohne Weinverkostung kommt hier niemand durch. Das besondere Vinschgauer Brot mit Anis-Geschmack, Tiroler Speck, der gute Gebirgskäse, roter Wein aus der Gegend und weißer Riesling aus der Rheinpfalz – alles wird freihaus angeboten - und da sagt selbst ein eiliger Radler nicht nein.
Gefeiert wird eine Städtepartnerschaft besonderer Art. Alle fünf Jahre machen sich etwa drei Dutzend rheinländische Radfahrer aus der Gegend von Mainz auf, um in nur vier Tagen mit den Rennrad nach Burgeis zu fahren, dem Besuch erfolgt der Gegenbesuch. Toni Pund, der frühere Ortsvorsteher, ist einer der Väter dieser Dorfpartnerschaft:
"Hier ist heute ein Empfang gewesen. 25 Jahre Radtour-Guntersblom-Burgeis. Das ist 1982 entstanden. Man kann sagen: aus einer Weinlaune heraus. Die waren hier bei uns in Burgeis, im Januar, glaube ich, war es, 1982 zu einem Skiurlaub und dann abends im ‚Weißen Kreuz’ bei einem Gläschen Wein, Williams und so weiter. Sagt der Albrecht Langenbrecht: ‚Oh, wir könnten mal mit dem Rad nach Burgeis kommen.’ Und dann waren von uns auch einige dabei, dann haben die gesagt: ‚Ja, wenn ihr zu uns kommt, dann kommen wir zu Euch.’ Und ist es entstanden. Alle fünf Jähre wird die Fahrt gemacht und sie kommt immer gut an, nicht? Prost! – Prost!"
Der Vinschgau war immer Durchgangsland. Fremde sind hier nichts besonderes. Wir übernachten in Burgeis, dessen Dorfanlage mit den schmalen Gassen, Erkern, Freitreppen und Torbögen fast unverändert aus dem 17. Jahrhundert stammt. Über den Ort liegt auf dem Marienberg das höchst gelegene Benediktinerkloster der Welt – in ihm gibt es noch etwa ein Dutzend Mönche.
Im Zentrum am Brunnen steht seit 300 Jahren der Gasthof "Zum Mohren". Der jetzt 85 Jahre alte Sepp Theiner hat ihn, bis zur Übergabe an seinen Sohn, in elfter Generation geleitet und weiß alles über eine Spezialität des Hauses, den Tiroler Speckknödel:
"Und unsere Vorfahren haben schon 1665 die Tiroler Speckknödel gekocht, denn hier gab es eigenes Brot, es gab hier Roggen, hat man gebaut, hat man auch die Schweine gehabt, hat auch Hühner gehabt und das sind die Hauptingredienten der Tiroler Speckknödel. Und nach diesem 300-jährigen Rezept haben sie die Knödel gehabt."
Der obere Vinschgau ist eine ganz eigene Landschaft. Nicht ganz Österreich und nicht ganz Italien, hat sie viel gemeinsam mit dem benachbarten Graubünden aus der Schweiz:
"Die Bischöfe von Chur haben hier residiert und man sprach hier nicht Deutsch Anfang 1800, man sprach Rätoromanisch. Wie der Kanton Graubünden. Wenn Sie da zwölf Kilometer über die Schweizer Grenze gehen, grüßt man sich nicht mehr wie hier mit ‚Grüß Gott’, sondern mit ‚Allegra’. ‚Allegra’, sei froh gestimmt, ‚Allegra’, das ist der Gruß."
Nun geht es nur noch bergab. Die Fahrradwege sind gut ausgeschildert: Je tiefer wir kommen, desto größer werden die Orte: Mals, Laatsch, Glurns. Ganz besonders ist das Vinschger Museum in Schluderns.
Dort weiß Gaby Obwegesser vieles über die alten Bewässerungskanäle des Vinschgaus, die hölzernen Waale. Der Vinschgau sei die niederschlagärmste Gegend Italiens, hier falle nur so viel Regen wie auf Sizilien. Das Wort Waal stamme aus dem Latein-Rätoromanischen "Aquale". Durch die Waale wurde und wird zum Teil noch heute das Wasser von den Gletschern auf Wiesen und Felder geleitet. An ihnen könne der Tourist schön entlang wandern:
"Ursprünglich war der Waal nur ein Steig für den Waaler. Der Waaler war die Aufsichtsperson des Tragwaales, denn er hatte die Aufgabe, diesen Hauptwaal immer zu säubern und zu schauen, dass das Wasser fließt. Und natürlich laden die Waale unsere Gäste recht herzlich ein, spazieren zu gehen und zu wandern."
Im Vinschgau muss keine Langeweile aufkommen. Das Gebiet hat sich touristisch in den letzten Jahren fein herausgemacht. So gibt es einen speziellen Service der Vinschgauer Bahn. Sie bringt den Touristen bis ins 1000 Meter hoch gelegene Mals und stellt das Fahrrad zur Verfügung, mit dem er, wenn er möchte, bequem die 60 Kilometer – überwiegend durch Apfelplantagen - bis Meran rollen kann, immer leicht bergab.
Auch für den Wanderer gibt es zahlreiche Touren. Gleich hinter Schluderns beginnt ein Waal-Rundweg zur erst kürzlich freigelegten urgeschichtlichen Siedlung Ganglegg, die auch Römern als Stützpunkte diente. Einiges von dem, was die römischen Händler vor 2000 Jahren an ihren Rastplätzen an der Via Claudia zurückgelassen haben, wurde hier gefunden und kann nun in Schluderns besichtigt werden:
"Das Ganglegg oberhalb von Schluderns zeugt auch von einem römischen Stützpunkt und es wurden auch sensationelle römische Funde gefunden und die liegen auch hier: der römische Löwenkopf und Römermünzen, Fibeln, Nadeln, alles haben wir auch hier."
Die Via Claudia geht hinter Meran weiter nach Bozen und Trento. Bis heute ist nicht ganz entschieden, wo sie endete: am Po in Ostiglia oder an der Lagune von Venedig. Wir sind nach 450 Kilometern in sieben Tagen froh, in Riva am Gardasee baden zu können.