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Abgetrennte Gliedmaßen wieder annähen

Meist sind es Unfälle am Arbeitsplatz, in der Freizeit - zum Beispiel beim Rasenmähen - aber auch Verkehrsunfälle, die zum Verlust eines Körperteils führen. Damit wieder zusammenwächst, was zusammengehört, müssen die Chirurgen Blutgefäße, Nerven, Sehnen und Knochen wieder miteinander verbinden. Viel Erfahrung mit solchen "Replantationen" besitzt die Klinik für Plastische, Hand- und Wiederherstellungschirurgie der Medizinischen Hochschule in Hannover. Nach über 1000 Eingriffen in 25 Jahren haben die Mediziner jetzt Bilanz gezogen.

Michael Engel |
    Mir ist ein Blechteil auf meinen Vorderfuß gefallen, und er ist dadurch abgetrennt. Ich bin dann erst wieder hier in Hannover aufgewacht.

    Mit einem Hubschrauber wurde Thomas Hippe von Dessau zur Medizinischen Hochschule Hannover gebracht. Um den abgetrennten Vorderfuß wieder anzunähen, mussten die Fußwurzelknochen miteinander verbunden, Blutgefäße und Sehnen zusammengenäht werden. Besonderes Problem dabei: der Flügel des Windkraftwerkes zerquetschte in einer vier Zentimeter breiten Zone alles Gewebe, so dass der Fuß nur in verkürzter Form rekonstruiert werden konnte. Die Verbindung mit den Nerven musste warten, sagt Dr. Kay Busch, der die Operation durchführte:

    Bei Herrn Hippe waren in erster Linie die Herausforderungen, die Nerven überhaupt zu finden. Der eine Nerv war relativ weit zurückgerutscht zwischen zwei Scheiden. Man nennt das Ganze Tarsaltunnel. Und man musste in erster Linie die Nerven auffinden, und operativ stellte es sich so dar, dass eine relativ große Defektzone von vier Zentimetern vorhanden war, so dass bei der ersten Operation die Möglichkeit nicht bestand, die Nerven aneinander zu nähen, und es sich auch nicht anbot, aufgrund der Verletzungssituation sofort eine Transplantation zu machen.

    Sechs Monate später erfolgte die zweite Operation. Ärzte verpflanzten einen Nervenstrang aus dem Bein, damit das taube Gefühl im Fuß verschwindet. Auch Thorsten Pannicke aus Alfeld wurde Opfer eines Arbeitsunfalls.

    Ja, ich bin mit meiner linken Hand, die hatte einen Handschuh, in eine Bohrmaschine gekommen und habe mir den Daumen ausgerissen. Der Handschuh hat sich in der Bohrmaschine verzwirbelt und hat meinen Daumen praktisch mitgenommen.

    Zwei Alternativen standen zur Wahl: entweder den Zeigefinger zum Daumen zu machen oder aber den zweiten Zeh zu amputieren und an die Stelle des abgerissenen Daumens zu setzen. Der Schlosser entschied sich für letztere Variante, um in den Beruf zurückkehren zu können. Doch mit dem Zeh allein waren nicht alle Probleme gelöst. Prof. Peter Vogt über die chirurgischen Herausforderungen in diesem Fall:

    Bei ihm lag die Situation vor, dass der Daumen ausgerissen war, und der Daumenausriss dann zusätzlich zu einem Weichteilausriss am Daumenstumpf geführt hat. Und somit nicht nur die eigentliche Daumenlänge fehlte, sondern ein zusätzlicher Weichteilmantel an der Hand. Um überhaupt eine Weichteilverpflanzung an der Zehe durchführen zu können, musste die Manschette, die dort fehlte, ersetzt werden. Das haben wird zunächst mit der Bauchhautverpflanzung bzw. der Leistenlappenanlage gemacht: Formung eines Hautschlauches aus der Leiste, dann wird dort zunächst die Hand eingenäht mit dem freiliegenden Knochen. Und wenn der Hautschlauch dann Anschluss an die Hand gefunden hat, wird dieser dort abgetrennt und in den Hautschlauch hinein die übrige Daumenrekonstruktion mit der freien Zehe vorgenommen.

    Wichtigster Schritt bei allen Replantationen ist das Verbinden der Blutgefäße, um das abgetrennte Gewebe schnellstmöglich mit Leben zu füllen. Unter 20-facher Vergrößerung können Blutgefäße mit einem Durchmesser von nur einem Millimeter mit Nadel und Faden verbunden werden. Kleinere Gefäße – die sogenannten "Kapillaren" – müssen immer noch durch Selbstheilungskräfte entstehen. Dass dies nicht immer wunschgemäß abläuft, kann Torsten Pannicke nur bestätigen. Der Zeh, der jetzt sein Daumen ist, macht im Winter Probleme:

    Ich habe gewisse Handicaps bei Kälte. Die Kälte zieht stark rein. Der Daumen wird blau und die Durchblutung ist eben noch nicht so optimal.

    Auch bei Thomas Hippe lief nicht alles nach Plan. Vor zwei Jahren wurde der Fuß angenäht, und noch immer gibt es "nervöse Störungen":

    Also man hat im Nahtbereich, an der Trennungsstelle Schmerzen, und vorne in den Zehen ist das Gefühl noch nicht so stark wie in einem normale Fuß.

    Abgetrennte Gliedmaßen müssen kühl, vor allem aber trocken transportiert werden. Denn nur so besteht eine Chance, dass sie wieder anwachsen. Zwei Plastikbeutel eignen sich übrigens am besten für den Transport. Und so wird’s gemacht: In den ersten Beutel kommen die abgetrennten Gliedmaßen hinein. Der zweite wird mit Eiswasser gefüllt , um den ersten Beutel mitsamt seinem Inhalt zu kühlen. Auf diese Weise können zum Beispiel abgerissene Finger stundenlang aufbewahrt werden.

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