Im Geschwister-Scholl-Gymnasium in Düsseldorf stapeln sich die Abiturklausuren in einem kleinen Kellerraum bis unter die Decke. Die ältesten Exemplare stammen vom Abiturjahrgang 1976. Lehrer Michael Kaysers ist seit mehr als 20 Jahren dafür zuständig, das Archiv zu verwalten. Zehn bis 30 ehemalige Schüler kommen pro Jahr, um sich ihre alten Klausuren abzuholen, erzählt er. Kommenden Dienstag hat sich dafür sogar Besuch aus den USA angekündigt.
"Eine Dame, die hat Englisch-Abitur gemacht im Grundkurs, ist interessiert an ihrer Englisch-Arbeit, die damals nicht ganz so gut war, auch nicht ganz so schlecht. Die ist stellvertretende Bezirksstaatsanwältin in Kalifornien geworden."
Zehn Jahre warten auf Klausureinsicht
In Nordrhein-Westfalen müssen Abiturienten auf ihre Klausuren am längsten warten. Zehn Jahre beträgt die Aufbewahrungsfrist. Und innerhalb dieser Zeit gewähren die meisten Schulen keinen Einblick in ihr Archiv. Viele künftige Abiturienten sind überrascht über diese Regelung - wie hier am Geschwister-Scholl-Gymnasium in Düsseldorf.
"Ich dachte auch, die bekommt man vielleicht so, nachdem man die geschrieben hat mit den Noten, ne. Dass wir die jetzt erst nach zehn Jahren abholen können, das ist mir komplett fremd. / Ich finde es eigentlich ein bisschen unnötig, um ehrlich zu sein. Man könnte wenigstens Kopien austeilen oder das nach zwei Jahren geben. / Ich finde nach zehn Jahren ist es wahrscheinlich so, dass man es einfach nicht mehr sehen will, weil es einen nicht mehr so interessiert. So nach zwei Jahren würde man es sich vielleicht noch angucken, aber nach zehn Jahren."
In anderen Bundesländern ist die Wartezeit tatsächlich sehr viel kürzer. In Baden-Württemberg können Abiturienten schon nach drei Jahren ihre Klausur abholen. In Niedersachen, Berlin und Rheinland-Pfalz darf man sich schon ein Jahr danach die Klausuren wenigstens in der Schule anschauen. In Thüringen geht das wiederum nur in den ersten sechs Monaten. Mitnehmen kann man die Klausuren in diesen Bundesländern dann aber auch erst nach Ablauf der Aufbewahrungsfrist von zehn Jahren. Für Ungeduldige gibt es aber auch eine Möglichkeit direkt nach dem Abitur wenigstens einen Blick hineinzuwerfen, verrät Stefan Avenarius, Justitiar beim Philologenverband in Nordrhein-Westfalen und zwar indem man auf juristischem Wege Akteneinsicht beantragt.
Langes Warten kann sich lohnen
Das Verwaltungsverfahren als solches ist kostenlos. Nur wenn ein Anwalt damit beauftragt wird, muss dieser natürlich bezahlt werden. Bisher sind solche Verfahren aber eher selten und kommen vor allem dann vor, wenn Schüler mit ihrer Note unzufrieden sind. Michael Kayser vom Geschwister-Scholl-Gymnasium:
"Die Abitur-Arbeiten sind manchmal nur von sekundärer Bedeutung. Das Leben ist die Schule danach."
In Nordrhein-Westfalen liegt es - wie auch in den meisten anderen Bundesländern - im Ermessen der Schule, ob sie den Schülern noch während der Aufbewahrungsfrist einen Blick in die Klausuren gestattet. Doch in den meistens Schulen wird das Archiv von einem Lehrer neben seinem Unterricht verwaltet. Dies dürfte wohl der Hauptgrund sein, warum die meisten Schulen erst nach Ablauf der Frist auf Nachfrage die Klausuren aus dem Keller holen: Es wäre sonst einfach zu arbeitsintensiv. Die Meinungen der künftigen Abiturienten gehen dann auch auseinander, ob sie ihre Klausur jemals wiedersehen wollen.