Sandra Pfister: Nach dem Doppeljahrgang ist das wieder die erste normale Abiturprüfung in Nordrhein-Westfalen. Ab jetzt ist G8 Standard. Nur 13 von mehr als 620 Gymnasien in NRW sind freiwillig zurückgegangen zum Abitur nach neun Jahren in einem Schulversuch. Viele Lehrer, viele Schulen haben offenbar genug von Reformen. Sie wollen endlich mal Ruhe im Karton. Und so sagt auch die nordrhein-westfälische Schulministerin: Wir bleiben jetzt bei G8, wir satteln nicht ständig die Pferde neu. Guten Tag, Frau Löhrmann!
Sylvia Löhrmann: Ja, guten Tag, Frau Pfister!
Sandra Pfister: Frau Löhrmann, inzwischen sind viele Bundesländer dabei, das verkürzte Abitur wieder in Frage zu stellen. Niedersachsen ist da ganz weit vorn, wir wissen das. Da wird ab Sommer wieder das lange Abi eingeführt. Selbst Bayern rückt von G8 um jeden Preis ab. Sie wollen aber keine Kehrtwende – die meisten Eltern schon. In NRW wurde heute eine Forsa-Umfrage vorgestellt, nach der dreiviertel der Bürgerinnen zurück zu G9 wollen, zum langen Abi. Bundesweit sind es laut einer Forsa-Umfrage nur knapp weniger. Sind Ihnen die Eltern egal?
Sylvia Löhrmann: Die Eltern sind mir nicht egal, aber die Situation ist ja etwas differenzierter und wir müssen die Sachen uns genau anschauen und genau überlegen. Die Situation in NRW ist eine andere als in anderen Bundesländern. Wir haben nämlich acht- und neunjährige Bildungsgänge zum Abitur. Das Abitur ist ja identisch. Die Abiturprüfung dauert ja nicht länger, sondern der Weg dahin. Das muss man, finde ich, auch immer auseinanderhalten. Wir haben in Nordrhein-Westfalen flächendeckend neunjährige Bildungsgänge zum Abitur, über Gesamtschulen, aber auch über die Kombination Sekundarschule plus gymnasiale Oberstufe an den Gymnasien, plus Berufskollegs, an denen man in Nordrhein-Westfalen nach neun Jahren das Abitur machen kann. Und wir haben G8-Bildungsgänge, und bisher war die Linie in Nordrhein-Westfalen, dass die relevanten Verbände, wenn sie konkret in ihren Schulen gefragt werden, sagen, wir möchten jetzt nicht erneut eine Umstellungsphase, und deswegen habe ich ja zu einem runden Tisch eingeladen, natürlich mit Elternbeteiligung, auch mit der Bürgerinitiative, weil bei uns gute Tradition ist, mit allen Beteiligten zu sprechen und dann zu schauen: Wie ist der Stand, wo müssen wir weiter dran arbeiten, was ist hier Wille der wesentlichen Akteure.
Nur 14 von 630 Schulen wollten 2010 zurück
Sandra Pfister: Ein bisschen befreiter kann Ihre Kollegin im Bund aufschlagen, Johanna Wanka, die hat ja jetzt gesagt, die Kultusminister sollen auch nicht den Eltern nach dem Mund reden, keine Politik nach Umfragen machen, sich nicht dem Druck der Eltern beugen, sondern unpopuläre Entscheidungen treffen. Hätten Sie das auch so gesagt?
Sylvia Löhrmann: Frau Wanka hat auch gesagt, und das ist richtig, dass Schulentwicklung Zeit braucht, und dass Schulen, das Gift für Schulentwicklung ist, wenn nach jeder Wahl wieder alles umgekrempelt wird. Ich habe ja 2010 jedes Gymnasium in Nordrhein-Westfalen gefragt, wollt ihr zurück, ja oder nein. Damals wollten nur 14, und 13 sind es geworden, die es gemacht haben.
Sandra Pfister: Von 620 ungefähr.
Sylvia Löhrmann: Von 630. Also die fast hundertprozentige Gruppe hat gesagt, nein, wir wollen den Optimierungsweg gehen. Wir haben inzwischen viel mehr Ganztagsgymnasien, wir haben, ein Drittel unserer Gymnasien ein Programm, individuell fördern am Gymnasium, wo Hausaufgaben in die Schule integriert werden, wo neue Stundenrhythmen entstanden sind. Wo wir Jugendliche erleben, die auch kulturelle Angebote oder Sportangebote außerhalb der Schule tun. Also all das, was Eltern sich für ihre Kinder wünschen. Insofern ist meine Linie, lasst uns alles vernünftig besprechen, was ist unser Weg. Und Frau Wanka hat ja nicht gesagt, basta, Augen zu und durch. Das wäre nicht meine Politik. Die Eltern sind mir nicht egal, und die Unruhe, dass es noch immer nicht rund läuft, dass es Problemlagen gibt, die nehme ich ernst, die werden besprochen, und da wird sich vernünftig mit auseinandergesetzt. Mein runder Tisch ist keine Alibi-Veranstaltung.
Gemeinsamer Aufgabenpool
Sandra Pfister: Der runde Tisch kommt. Bleiben wir beim Abitur, ändern wir aber kurz das Themenfeld. Frau Löhrmann, warum machen Sie, warum macht Nordrhein-Westfalen eigentlich nicht mit bei den Abi-Prüfungen, an denen sich jetzt mehrere Bundesländer beteiligen, bei denen bis zu einem Viertel der Aufgaben identisch sind. Scheuen Sie da den Vergleich?
Sylvia Löhrmann: Weil ich für eins plädiere. Was sich jetzt rächt bei G8, G9 – weil ich mich an vernünftige Vorbereitungsprozesse halte. Die KMK hat besprochen, wir machen das 2017 mit den Bundesländern. Das ist das, was die KMK entwickelt hat.
Sandra Pfister: Da gibt es einen gemeinsamen Aufgabenpool dann.
Sylvia Löhrmann: Ganz genau. Da gibt es den gemeinsamen Aufgabenpool. Einige Länder wollten sich profilieren. Wir machen es schneller, wir können es besser. Das rächt sich oft, wie man zum Beispiel an dem vielfach überhasteten G8 merkt. Wir haben diese Pool-Variante besprochen, daran beteiligen wir uns. Das hatte die Vorgängerregierung so entschieden, und hier habe ich eben nicht aktionistisch irgendwas anders gemacht, sondern bleibe in der Formation der meisten Bundesländer.
Sandra Pfister: Also Sie sagen, die sechs Bundesländer, die da jetzt vorpreschen, opfern quasi die ordentliche Vorbereitung, nur um einen Prestigegewinn einzuheimsen?
Sylvia Löhrmann: Das war zum Teil politisch motiviert. Das hatte dieses Hase-und-Igel-Spiel, was zum Teil dem Föderalismus auch nicht gut tut, nämlich Konkurrenz. Und wir zeigen, wir können irgendetwas besser. Schulentwicklung braucht Zeit und braucht gute Vorbereitung. Das waren unterschiedliche Motive, und deswegen war NRW da von Anfang an nicht dabei, und deswegen habe ich es auch nicht für nötig befunden, jetzt hier einen zusätzlichen Stressfaktor einzuführen für unsere Schulen.
Sandra Pfister: Zusätzlicher Stress ist das eine, und zusätzlicher Stress, sagen viele Eltern, wird auch ausgelöst durch G8. Dazu unter anderem haben wir Sylvia Löhrmann befragt. Die Schulministerin von Nordrhein-Westfalen. Vielen herzlichen Dank, Frau Löhrmann!
Sylvia Löhrmann: Gerne, und schöne Grüße!
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