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Abkommandiert, dann ausrangiert

Die Belastungen eines Einsatzes können bei Soldaten Traumata auslösen. Seit 1995 haben fast 1000 Bundeswehrsoldaten wegen Posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS) einen Antrag auf Wehrdienstbeschädigung gestellt. Anerkannt hat die Bundeswehr davon bisher nicht mal ein Drittel.

Von Ulrich Trebbin |
    1993. Krieg in Jugoslawien. Die Stadt Srebrenica ist eingekesselt und belagert. Die Amerikaner haben eine Luftbrücke für Lebensmittel und Medikamente eingerichtet. Die Bundeswehr fliegt mit einigen Transalls mit. Einer der Piloten ist Alexander Franke. Seinen richtigen Namen will er nicht im Radio hören, denn jene Nacht war für ihn der Anfang eines Leidensweges.

    "Als es dann in Frankfurt losging, hat man dann natürlich versucht, die missions nachts zu fliegen, möglichst mondlos oder bewölkt, um vom Boden aus nicht erkannt zu werden und die Gefahr des Abschusses zu verringern. Und dann haben wir unser ganzes Material empfangen, und zwo Stunden nach Italien und zwo Stunden im Einsatzgebiet und wieder zwo Stunden zurück."

    Der Pilot soll die Ladung über der Stadt abwerfen. Doch der Feind hat gedroht, jede Maschine abzuschießen, die die Belagerung durchbricht. 50 Prozent gibt sich Alexander Franke, wieder heil nach Hause zu kommen, zu seiner Frau und seinen beiden Söhnen. Vor dem Abflug hat ein Pfarrer mit der Mannschaft gebetet. Jetzt kommt die Maschine über feindliches Gebiet. Er spürt Turbulenzen und sieht Leuchtspurgeschosse: die gegnerische Flugabwehr. Franke hat Todesangst. In Panik macht er einen Fehler. Seine Maschine droht abzustürzen.

    "Ich hatte den Tod vor Augen, ich dachte 20-30 Sekunden hab ich noch bis es vorbei ist, ich wusste ja, dass ich meine Familie allein lasse, und sie mit allen Problemen da steht. Das war schon brutal. Und ich hatte das Gefühl, ich bin selbst schuld an der Geschichte. Der Kommandant hat dann eingegriffen. Wir wären sonst abgestürzt."

    In den folgenden Jahren wird Alexander Franke immer wieder krank. Er bekommt einen Tinnitus, mehrere Hörstürze und hat vegetativen Stress, massive Schlafstörungen, Depressionen und Albträume. Er braucht Psychopharmaka. Wenn er eine Transall hört oder von einem Berg ins Tal schaut wie aus einem Cockpit, dann schießt die alte Todesangst wieder ein und er bekommt Weinkrämpfe, Zittern und Schwitzen. Fliegen kann er nicht mehr – auch nicht als Passagier. Seit sechs Jahren ist er endgültig krankgeschrieben. Diagnose: PTBS - Posttraumatische Belastungsstörung. Attestiert unter anderem vom Bundeswehrkrankenhaus Hamburg.

    Doch eine Entschädigung hat Franke bis heute nicht bekommen. Denn die Bundeswehrverwaltung hat eine Gegengutachterin beauftragt, die kam zu dem Schluss, seine Erkrankung habe nichts mit seinem Einsatz als Soldat zu tun. Gesehen hat sie den Patienten nie. Nach ihrem Gutachten, das dem Deutschlandfunk vorliegt, lehnte die Bundeswehrverwaltung Frankes Antrag auf Wehrdienstbeschädigung ab.

    "Ich war vollkommen perplex, auch mein Fliegerarzt war von den Socken, ich bin dann auch krank geworden deswegen. Ich hatte nachts Angst, dass ich einen Herzinfarkt kriege, bin ins Krankenhaus gefahren und habe mich checken lassen. Das war alles so aufregend."

    Doch er ist offenbar kein Einzelfall: Allein die Selbsthilfeorganisation "Deutsche Kriegsopferfürsorge" - kurz DKOF – kennt unter ihren Klienten nach eigener Aussage mindestens 50 Soldaten, deren Fälle nach demselben Schema ablaufen: Zuerst diagnostizieren Bundeswehrpsychiater eindeutig eine einsatzbedingte PTBS und dann lässt die Bundeswehrverwaltung einen externen Gutachter noch einmal nach Aktenlage begutachten; das Ergebnis ist dann so, dass die Bundeswehr den Antrag auf Wehrdienstbeschädigung ablehnen kann, sagt Andreas Timmermann-Levanas von der DKOF:

    "Es kann doch nicht sein, dass im 1., 2., 3. Gutachten steht: Jawoll, du hast eine PTBS, sie kommt vom Einsatz, du bist nicht mehr arbeitsfähig und nicht mehr dienstfähig, du bist schwerbeschädigt und der Gegengutachter kommt zu dem Urteil: Es ist keine PTBS, hat nichts mit dem Einsatz zu tun, du bist voll arbeitsfähig und das bisschen, was dir fehlt, ist eine depressive Stimmung."

    Die Bundeswehr bestreitet, dass sie die Soldaten mit Absicht und System um ihre Entschädigung bringt. Andreas Timmermann von der DKOF ist sich seiner Sache aber sicher. Schließlich hat er das alles selbst erlebt: Der ehemalige Oberstleutnant war in Jugoslawien und Afghanistan im Einsatz und leidet bis heute unter PTBS. Und er hat den wirtschaftlichen und sozialen Abstieg miterlebt, von dem viele seiner Klienten berichten.

    "Das Arbeitslosen-Geld wird gekürzt und dann gestrichen und selbst die Hartz-IV-Leistungen werden irgendwann eingestellt, weil die Behörde sagt: "Wir sind nicht zuständig für Dich. Du musst einen Antrag nach dem Bundesversorgungsgesetz stellen." Ich kenne Kameraden, die wir betreuen, die standen mitten in Deutschland ohne ein einziges Einkommen, ohne soziale Unterstützung, ohne Hartz IV, ohne Wohngeld ohne alles da. Die hatten noch nicht mal Geld für Lebensmittel. Die sind dann in ihrem Dorf im Lebensmittelhändler beim Klauen erwischt worden von der Polizei, weil sie nichts mehr zu essen hatten."

    Seit 1995 haben fast 1000 Soldaten wegen PTBS einen Antrag auf Wehrdienstbeschädigung gestellt. Anerkannt hat die Bundeswehr davon bisher nicht mal ein Drittel.

    Der ehemalige Transall-Pilot Alexander Franke fühlt sich deshalb gezwungen, gegen die Bundesrepublik und seinen ehemaligen Arbeitgeber Bundeswehr vor Gericht zu gehen. Und er macht sich Sorgen, dass die Bundeswehr ihr Ansehen verliert und damit ihren Nachwuchs.

    "Es kann mir keiner erzählen, dass die paar tausend Euro, dass das Geld dafür nicht da sein soll, das kann ich mir nicht vorstellen. Und wenn so was publik wird, dass man die Leute denen Probleme passieren, einfach so im Regen stehen lässt, dann ist das ein Unding und man schneidet sich ins eigene Fleisch! Man hat bei der Bundeswehr und auch in der Fliegerei einfach Nachwuchsprobleme, das darf man nicht verkennen. Wer soll denn da, wer nicht wirklich doof ist, sowas machen? Das verstehe ich nicht! Das ist doch eine völlig schädliche Aktion für ein paar Euros."