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Abraham und die Verbindung von Religion und Politik im Islam

Anders als das Christentum und der Islam, braucht das Judentum nicht den Anspruch der letztgültigen Wahrheit, beschreibt die jüdische Religionshistorikerin Edna Brocke.

Rüdiger Achenbach im Gespräch mit der jüdischen Religionshistorikerin Dr. Edna Brocke |
    Rüdiger Achenbach: Werfen wir jetzt mal einen Blick auf den Koran. Abraham, arabisch Ibrahim, kommt auch im Koran vor, aber mit einer völlig anderen Geschichte als wir sie aus der hebräischen Bibel oder christlich dem Alten Testament kennen. Abraham ist dort der erste Moslem und sein Sohn – wir haben schon darüber gesprochen – Ismael sozusagen der Stammvater für die Araber oder das arabische Volk. In dem Zusammenhang man kennt aus dem Koran zum Beispiel die Geschichte: Abraham und Ismael bauen auch die Kaaba auf. So wird es jedenfalls dort berichtet. Eine Geschichte, die vollkommen von dem abweicht, was man in der hebräischen Bibel findet. Die Abstammungslinie Abraham, Ismael und Araber führt dann auch zu dem Begriff der Umma – ursprünglich gemeint als die Gemeinschaft der muslimischen Araber, mit seiner Bedeutung Volk oder Nation übertragbar. Und diese Konstruktion – auch wenn sie so ganz anders ausschaut als in der hebräischen Bibel – erinnert dennoch an eine Konstruktion, die sowohl theologisch und politisch ist.

    Edna Brocke: Absolut ja. Der einzige Punkt, der theologisch gesprochen – oder sagen wir mal literar-kritisch gesprochen – relevant ist: In dieser Tradition haben die Araber oder Muslime – ich sag dann immer – eine Bypass-Operation gemacht, indem sie die Verheißungslinie, die in der jüdischen Bibel rein historisch älter ist als die arabischen Schriften, umgelenkt haben: von Abraham nicht mehr auf Isaak, sondern auf Ismael. Und insofern haben sie mit dieser Bypass-Operation die Konstruktion so übernommen. Ich stimme Ihnen vollkommen zu, die Konstruktion ist eine parallele Konstruktion zum Judentum. So, wie wir sagen das Volk Israel, sagen die arabischen Muslime Umma. Das ist beides ein Versuch, eine politische Größe zu formen und zu bestimmen. Der Punkt, wo es anfängt, auch wirklich auseinanderzugehen, ist ein späterer. Denn diese Konstruktion haben die ersten arabischen Muslime wirklich abgeguckt und insofern sind sie uns sehr viel näher als die Christen.

    Achenbach: Und es war regional eingegrenzt, das muss man sehen.

    Brocke: So ist es. Der ursprüngliche Islam, nämlich der arabische Islam, der war genau wie das Judentum eine vergleichbare Konstruktion von ontischer und theologischer Ebene. In dem Moment, wo der Islam begonnen hat, zu missionieren, kamen lauter andere Gruppen von Menschen hinzu, die keine Araber sind. Darin liegt aus meiner Sicht das Hauptproblem des heutigen Islam. Die Mehrheit der Muslime in der Welt sind nicht-arabische Muslime. Alle in Fernost, die indonesischen, die pakistanischen, indischen und so weiter, Türkei, Persien, sind alles Muslime, aber keine Araber. Somit haben wir heute in der Welt einerseits die Arabische Liga – Staaten die arabisch-muslimisch sind – und parallel dazu die Konferenz islamische Staaten. Und das Problem ist: Warum gibt es diese zwei Verbände? Weil die arabischen Muslime sich selbst als "die wahren Muslime" verstehen.

    Achenbach: Also, es klingt immer noch etwas von der alten Vorstellung durch, die Umma auf die muslimischen Araber zu begrenzen.

    Brocke: So ist es. Aber durch die Mission, die sie bei den Christen abgeguckt haben, sind sie heute zahlenmäßig in der Minderheit. Wie kann man den Begriff der Umma auf die nicht ontisch dazugehörenden Muslime in der Welt applizieren oder sie einbeziehen? Das ist ein primär politisches, weniger ein theologisches Problem. Aber da, glaube ich, liegt der große Konflikt zwischen Judentum einerseits, Christentum andererseits und Islam dritterseits.

    Achenbach: Da kommt natürlich noch einen andere Parallele hinzu. Sie haben das gerade angesprochen, den Gedanken der Mission hat man vom Christentum übernommen - die andere Religionsgemeinschaft, die schon vorher entstanden ist, vor dem Islam. Aber an dieser Stelle hat man natürlich auch das Verständnis des Islams so ausgeformt, dass man zu der Vorstellung gekommen ist, dass der Islam eigentlich die Urreligion der Menschheit ist, dass alle wieder zu dieser Urreligion zurückkehren müssen, so wie Abraham der erste Moslem gewesen ist – nach der Vorstellung im Islam. Wenn man nun die Urreligion verkörpert und Mohammed durch die erhaltene Offenbarung wieder dahin zurückführen soll, hat man in dieser Offenbarungsreligion den – ja sagen wir – Besitz der absoluten Wahrheit, die man allen anderen mitteilen muss. Man will alle anderen überzeugen, dass sie wieder zur Urreligion zurückfinden. Das heißt also, hier hat sich natürlich auch diesbezüglich im Verständnis etwas geändert – vergleichbar auch mit den Christen. Das heißt also, auch das Christentum als Offenbarungsreligion ist durch seine Offenbarung in Jesus Christus nach seinem Selbstverständnis her im Besitz einer absoluten Wahrheit, die es in die Welt hineintragen will. Mit einem Missionsbefehl, dem man sogar aus dem Evangelium übernehmen kann, in dem man sagen kann: Alle Menschen sollen letztlich Christen werden. Das gleiche Ziel hat auch der Islam. Das heißt, es sind zwei Religionen, die konkurrieren auf dem Weltmarkt der Religionen sozusagen – als Offenbarungsreligionen. Das Judentum ist auch eine Offenbarungsreligion. Dort sieht es aber ganz anders aus. Warum?

    Brocke: Ich glaube, wir haben es leichter, weil wir rein historisch, zeitlich die erste Offenbarungsreligion waren, im Gegensatz zu dem, was die jüdische Bibel Vielgötterei nennt – oder wie auch immer diese Begriffe der "Heidenvölker" genannt werden können. Und indem das Judentum als erste Offenbarungsreligion – wie Sie so schön gesagt haben – auf dem Markt der Religionen war, war das Judentum und ist es bis heute nicht in der Zwangssituation, zu beweisen, dass sie sind, was sie sind. Sondern sie sind es.

    Achenbach: Es braucht keinen letzten Propheten.

    Brocke: So ist es. Und die, die danach gekommen sind, also als erste die Christen, mussten der Welt zeigen, dass sie die nächsthöhere Stufe gegenüber dem Judentum seien. Um das beweisen zu können, muss eine theologische Formel gefunden werden, die diese absolute Wahrheit verkündet. Denn sonst würde sich ja jeder fragen, wenn die sowieso nur übernommen haben aus dem, was schon bestanden hat, warum sind sie dann ihrerseits entstanden. Das ist eigentlich so eine Art Abstufung. Wir werden im Laufe der Jahrhunderte von christlichen Kirchen meistens als lediglich eine Vorstufe betrachtet. Als später dann der Islam entstanden ist, sozusagen als eine dritte konkurrierende Religion, waren sie in der Not, beweisen zu müssen, dass sie gegenüber den beiden, die schon bestehen, ihrerseits die nächsthöhere Stufe sind. Aus diesem Hintergrund entsteht dann der Wunsch, einmal zu beweisen, dass man die oberste Stufe ist, die letztgültige ist. Um es dann an den Anfang zu verknüpfen, entsteht dann die Behauptung, es sei die originäre Offenbarungsreligion. Aber das sind Versuche, auf dem Markt der Möglichkeiten die eigene besser zu verkaufen. Wir haben einfach nur das Glück, dass wir real die ersten waren. Ich weiß nicht, wie das Judentum reagiert hätte, wenn es aus etwas anderem entstanden wäre.

    Achenbach: Man kann noch hinzufügen: Diese Vorstellung, die letzte Offenbarung erhalten zu haben für den Kontext der Offenbarungsreligionen, wären dann vom Islam abgeleitet die Bahai, die auch wieder jemanden haben, den sie benennen können als denjenigen, der nun der letzte Prophet, der allerletzte gewesen ist. Kann man in dem Fall sagen, derweil er noch einmal eine göttliche Offenbarung empfangen hat und damit noch einmal eine weitere Stufe auf den Islam draufsetzen.

    Brocke: Und das Judentum sagt, wir vertagen das in den Eschaton. Diese Partnerschaft zwischen Gott Israel und dem Volk Israel ist eine Partnerschaft, die durch die Klammer der Thora verbunden ist und die verortet ist im Land Israel. Denn vieles in dieser Verfassung bezieht sich natürlich auf Möglichkeiten im Land Israel und nicht irgendwo in der Diaspora oder in der Welt. Die Verbundenheit macht es für Juden möglich, zu sagen: Wir haben keine Antwort, die die letztgültige ist. Und wir haben auch überhaupt nicht den Anspruch einer absolut gültigen, sondern wir haben eine Antwort, die für uns gut ist. Wer dazu kommen möchte – gut, wir machen es ihm nicht leicht – aber er kann. Wir werben nicht darum und wir behaupten auch nicht, dass unser Weg für alle Menschen auf Erden gut ist. Sondern wir sagen: Für uns mit dem Gesellschaftsbild und mit dem Menschenbild und mit dem Gottesbild ist dieser Weg für uns okay. Aber ohne den Anspruch zu haben, dass er auch für Sie oder für andere Menschen der richtige ist.

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