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Abrahampfad
Pilgerweg von Nablus bis Hebron

Wandern ist Spurensuche und die älteste Art zu reisen. Auch im Westjordanland gibt es einen Pilgerweg: dem Abrahampfad - benannt nach dem Vater von drei Weltreligionen.

Von Alexander Davydov und Martin Franke |
    Sonnenaufgang über Bethlehem im Westjordanland. Die Luft ist noch kühl, ein paar Autos rollen über die Straßen und Hügel. Das Heilige Land ist Ursprung von drei Weltreligionen - und es ist ein Paradies für Wanderer. Dass hier der wohl älteste Pilgerweg entlangführt, ist vielen noch unbekannt: Es ist der Weg von Abraham - Jahrtausende alt.
    Mohaned Banura ist Reiseführer auf dem sogenannten Abrahampfad. Der christliche Palästinenser begleitet Touristen auf Spurensuche nach dem Patriarchen. Sein Pfad im Westjordanland führt vom Norden bis nach Südwesten, von Nablus bis Hebron. Abseits einer asphaltierten Straße in der Nähe eines kleinen Dorfes mit dem Namen Tequoa beginnt unsere mehrtätige Wandertour. Durch karge Schluchten schlängelt sich der staubige Pfad. Aus dem trockenen Boden sprießen Dornensträucher und wilder Thymian. Immer wieder kreuzen Hirten mit ihren Schafherden den Weg, Kinder sitzen in der Wintersonne und grüßen verwundert. Denn Wanderer gibt es hier bisher selten.
    "Wir befinden uns gerade in einem Tal, an einem steinigen Ort. Links von uns sind einige Ziegen unterwegs mit ihrem Schäfer. Er hat seinen Sohn dabei, der vom Vater für die Zukunft lernen soll, wie es ist, die Herden zu hüten. Aber es gibt hier auch grünere Gegenden. Wir werden einige Pflanzen und ein wenig Ackerbau sehen. Hier rechts von uns, da hat jemand sein Land bestellt, Weizen oder Gerste."
    Mohaned ist ein sportlicher Typ, er trägt Jeans beim Wandern, auf den Rücken hat er einen kleinen Turnbeutel geschnallt. 2005 entschloss er sich, aufgrund der wirtschaftlichen Situation im Land, zu seinem Onkel in die USA zu ziehen. Nach drei Jahren kehrte der heute 37-Jährige ins Westjordanland zurück. Die Verbindung zu seiner Heimat sei zu stark gewesen, sagt er. Etwas später erfuhr er dann vom Abrahampfad - für ihn ist der Weg mittlerweile ein Symbol für Vielfalt.
    "Ich mag die Idee des Abrahampfads sehr, denn es zeigt ein anderes Bild der palästinensischen Gesellschaft. Palästina besteht nicht nur aus Städten, Palästina ist nicht nur der Konflikt mit Israel. Es gibt auch dieses andere Bild: Unsere Natur, unsere Kultur, die Beduinen. In den Dörfern ist es möglich, mehr über uns zu erfahren, das ist auch für Palästinenser ein wichtiger Lernprozess."
    Als Touristenführer ist er diese Strecke schon mehr als 30 Mal marschiert. Dort findet er immer wieder etwas Neues: Eine Beduinenfamilie ist auf dem Weg nach Hause. Die Mutter hütet zusammen mit ihren beiden Töchtern das Heim, macht Feuer und kocht, während Vater und Sohn die Ziegen durch die Berge treiben. Für Mohaned eine ganz besondere Begegnung.
    "Es gibt immer etwas Neues zu entdecken. Diese Menschen leben in einer Höhle. Das ist faszinierend zu erleben. Nicht einmal in einem Zelt, sondern in einer Höhle. Dass sie ihr ganzes Leben so verbringen, ist wirklich beeindruckend. Sie leben dort im Sommer wie im Winter."
    Die Beduinen wahren ihre Traditionen. Sie leben so wie einst Abraham. Jener habe damals sein Land verlassen, im Auftrag Gottes soll er durch den Nahen Osten gewandert sein - vom heutigen Irak bis nach Palästina. Er besaß ein Zelt, das Eingänge zu allen vier Himmelsrichtungen hatte, heißt es im Alten Testament. Dieses Bild meint Offenheit, denn niemand sollte auf verschlossene Türen stoßen.
    Auch bei Ismael sind Fremde willkommen, in seiner Heimat Wüste. Dort kennt er jeden Weg, kann Spuren lesen und überall sein Zelt aufschlagen. Der Fortschritt macht dennoch nicht Halt vor ihm: Das beweist das Smartphone in seiner Tasche, aus der arabische Musik tönt. Seine Großeltern kannten weder Elektrizität noch Telefon. Mit seiner Generation hat sich das grundlegend geändert. Ob der Beduine sich ein Leben in der Stadt irgendwann vorstellen könne, wollen wir wissen. Mohaned fragt auf Arabisch nach, denn Englisch versteht Ismael nicht.
    "In der Stadt, in einem Haus zu leben, kommt wohl nicht in Frage für mich. Da gibt es zu viele Leute und es fehlt die Natur ... die Natur, wie sie in der Wüste ist."
    Von Bethlehem aus koordiniert die Abrahampfad-Initiative Masar Ibrahim die Reisen zu Fuß. Wandern sei die urtümlichste Art, ein Land kennenzulernen, glaubt ihr Geschäftsführer George Rishmawi. Für das vielfältige Angebot eines alternativen Tourismus ist Masar Ibrahim international mehrfach ausgezeichnet worden.
    "Unsere Idee des Abrahampfads besteht aus einem Tourismus, der auf die Bevölkerung setzt. Wir möchten Einheimische mit Touristen verbinden. Denn auch Abraham kam als Reisender, das ist seine Geschichte."
    Rishmawi betont, dass Masar Ibrahim in erster Linie den Tourismus im Land stärken möchte und nicht politisch sei. Auch wenn es kein explizites Friedensprojekt ist, die Initiative birgt viel Potential für mehr Verständigung zwischen Völkern, Kulturen und Religionen. Aus Deutschland, Frankreich oder gar den USA kommen Touristen - oftmals tausende Kilometer - angereist.
    "Wir organisieren während der Hochsaison, also im Frühling und Herbst, jede Woche mehrere Wandertouren. Und dabei wächst die Anzahl der Teilnehmer immer mehr."
    Rund 1.200 Reisende waren seit 2010 auf dem Abrahampfad unterwegs. Tendenz steigend. Auch der Pilgerweg führt seit geraumer Zeit nur noch bergauf. Die Terrakotta gefärbten Hügelriesen des Wadi fordern immer wieder heraus. Ein feiner Film aus Staub und Sand legt sich auf die Zunge und klebt am trockenen Gaumen fest. Drei bis vier Liter Wasser sollten Wanderer mitnehmen, nur gegen die Myriaden gehässiger Fliegen gibt es bisher kein Rezept. Der Reiseführer Mohaned hat sich mittlerweile seine Jacke um die Stirn gebunden, unter der heißen Mittagssonne findet er keinen Schatten.
    Auf dem Abrahampfad zu wandern, bedeutet weite Teile auf vertrocknetem Boden zu gehen - doch es ist ebenso ein Pfad, der Relikte aus vergangenen Zeiten beheimatet. Ein alter Brunnen römischer Baukunst ist immer noch funktionstüchtig. Dieser dient heutzutage den Ziegen und Schafen, ihren Durst zu löschen.
    "Das ist ein Brunnen in der Wüste. Davon gibt es hier einige. Die Beduinen nutzen sie für sich und ihre Ziegen. Dieser hier ist ein großer Brunnen - er liegt zwischen Bani Naim und Arugot Na'im, einem Beduinendorf. Ich schätze, dass er vor rund 2.000 Jahren zu Römerzeiten gebaut wurde."
    Von hier führt der Weg aus der Wüste. Wie mit einer Schere abgeschnitten, beginnt am Wegesrand das Weideland. Der Übergang von unwirtschaftlicher Ödnis zum fruchtbaren Agrarboden ist nur unweit entfernt von Bani Na'im, einem alten Knotenpunkt. Als die kleine Stadt noch ein Dorf war, hielten die Karawanen auf dem Weg von Kairo nach Damaskus. Und auch in der Bibel findet sich eine Stelle wieder: Lot, der Neffe Abrahams, soll hier seine letzte Ruhestätte gefunden haben.
    "Bani Na'im ist eines der Dörfer um Hebron herum. Man kann sehen, wie sich das Land von der Wüstenlandschaft unterscheidet. Auf der einen Seite Wüste, auf der anderen Landwirtschaft. Die Gegend ist berühmt für Weintrauben, aber es wächst auch Weizen und Gerste, Auberginen, Tomaten und vieles andere."
    In Bani Na'im machen wir eine Pause. Mehrere Familien gibt es in der Stadt, die Zimmer für Pilgerreisende eingerichtet haben und sie bewirten. Es wird Tee serviert, mit den Einheimischen lässt sich über Gott und die Welt reden. Auch Köstliches gibt es: Selbst gebackenes Brot mit Humus, diversen Salaten und Oliven. Als Hauptspeise folgen Hähnchen mit Kartoffeln, und selbst für Vegetarier gibt es reichlich Auswahl.
    Die Gastfreundschaft der Palästinenser spürt man entlang des gesamten Abrahampfads. Dass die Wirtschaft von dem Pilgerweg langfristig profitieren kann, hoffen und glauben die Menschen hier einstimmig. Zwar steckt die touristische Erschließung noch in den Kinderschuhen, doch es herrscht viel Optimismus. Den teilt auch Rula Ma'aya, die Ministerin für Tourismus in den Palästinensischen Autonomiegebieten.
    "Trotz der politischen Probleme, trotz der Tatsache, dass wir immer noch ein besetztes Land sind, hoffen wir auf mehr Touristen in Palästina. Wir sind kein Industrieland, wir haben kein Öl. Unser Öl ist der Tourismus. Masar Ibrahim ist ein sehr wichtiges Projekt, weil es Menschen erlaubt, hierhin zu kommen und eine andere Art des Tourismus zu erleben, einen Tourismus, der auf den Gemeinden basiert. Hier zu wandern, bedeutet dieselben Orte zu erkunden, die schon Abraham vor Tausenden von Jahren besucht hat."
    Die letzte Etappe auf der Spurensuche führt nach Hebron. Hier soll er und seine Frau Sara begraben liegen. Durch den orientalischen Markt in der Altstadt bringt uns Mohaned zur Machpela, der Ruhestätte des Patriarchen.
    Es gibt zwei Eingänge zum Heiligtum, ein muslimischer zur Moschee und ein jüdischer zur Synagoge. In der Machpela wird getrennt, was eigentlich zusammengehört. Das hätte sich Abraham wahrscheinlich anders vorgestellt.
    "Abraham ist Vater für Juden, Christen und Muslime. Deswegen sind wir alle miteinander verwandt. Wir sollten Freunde sein, eine Familie, und nicht uns gegenseitig umbringen, wegen Religion, wegen ethnischer Herkunft oder wegen unserer Nationalität. Für Abraham gehören wir alle zusammen."
    Zusammen feiert eine Gruppe im jüdischen Teil der Machpela eine Bar Mitzwa. Es ist mittlerweile Abend geworden, als wir den jungen Männern begegnen. Voller Freude und tiefem Glauben singen sie an einem Ort, an dem der Abrahampfad endet. Auch das ist ein Teil seines lebendigen Erbes, dessen Legende auf dem Weg des religiösen Urvaters begonnen hat und nun zugänglich ist - 4000 Jahren nach Abraham.