Ein Mann sitzt im Zug auf der Fahrt in die kleine Stadt im Westen Österreichs, in der er seine Kindheit und Jugend verbracht hat. Er will dem Abriss seines Elternhauses beiwohnen. Die Erinnerungen, die ihn bereits während der Fahrt überfallen, sind quälend. Diese Kindheit im Österreich der 50er-Jahre, die da vor dem inneren Auge des Protagonisten ersteht, ist an Kälte, Einsamkeit und Angst kaum zu überbieten. Der Mutter war er lästig; früh lernte er zu lügen, wenn er unfreiwillig Zeuge geworden war, wie sie sich mit einem ihrer Liebhaber traf. Der Vater, vom Erzähler der "Matrosenkappenmann" genannt, brachte ihm noch auf seinem Sterbebett nur Hass und Verachtung entgegen. Nur wenn der nicht namentlich benannte Protagonist sich an die Großmutter und an seine erste Liebe erinnert, klingen versöhnlichere Töne an. Es ist eine traumatische Kindheit, von der da berichtet wird, die Selbstzweifel und Angst in den Heranwachsenden pflanzte. Er fühlt sich als Versager, als Verlierer, ein Nichtsnutz, "ein elendiger Mensch. Ein Schatten im Gesang seines Niedergangs. Hinabgestürzt ins Leben".
"Der Impuls, genau das zu schreiben, ist auch daher gekommen, aus den Geheimarchiven der Vertrautheit heraus zu schreiben, einfach sich gut auszukennen in diesem Bereich, im Familienbereich; auf Grund dessen, dass man ein Einzelkind war, kennt man natürlich die Hölle des Einzelkindes, und kennt man dieses Wechselspiel aus Verzweiflung und Hass, das in einem hochkommen kann. Das war ein guter Grund, einen Roman in dieser Richtung zu erarbeiten, da es mir auch wichtig ist, sehr verständlich zu sein, beim Leser ein Gefühl hervorzurufen, der sagt, ach das kenne ich, das tut weh und das tut gut."
Tatsächlich löst dieser Blick zurück in Zorn und Hass beim Leser eine starke Empathie aus. Man meint, mit dem kleinen Jungen zu frieren, der im Auto vor dem Heim für Schwererziehbare sitzen gelassen wird, während die Eltern mit der Heimleitung verhandeln, um ihn dort abzuliefern. Man meint, die knatternden Motorräder und das Knirschen der vor der Brauerei des Onkels auf dem Kies entlang rollenden vollen Bierfässer zu hören. Man meint, mit an den schweren Holztischen im Gasthaus zu sitzen, in das der Erzähler nach seiner Ankunft in der Stadt als erstes seine Schritte lenkt. Früher trafen sich hier die Einheimischen, die "Kleinhäusler", wie der Erzähler sie nennt, und die deutschen Touristen, die "Angereisten" , die in den 50er-Jahren von Scharnowreisen aus allen Teilen Westdeutschlands herangekarrt wurden.
Dreckiges Gelächter: Das dringt aus der Gaststube des "Schwarzen Adlers", dem einzig noch offenen Wirtshaus in der Straße, durch welche er zu gehen hat. Wörter verderben auf den Lippen. Die Luft dort drinnen ist roh und verraucht. An den Wirtshaustischen die Menschenfüllung. Wirtshausinwendig kracht eine Wortgröße vor den Augen der anderen auf den Wirtshausholztisch.
Ausgestopfte Rotwildköpfe: Die glasäugig von den Wirtshauswänden stieren. Ausgebleichte, vergilbte Fotografien in leicht windschiefen Rahmen. Holzstimmen. Ein Löffelscharren in zerkratzen Steinguttellern.
Einen Jodeljackpot nach dem anderen sät man über die fleckigen Tischbänke. Gevögel unterm Fittich der Kellnerin. Hier ein Griff. Dort ein Klatschen. Die einladenden Gesäßbacken; Dirndlverhüllt, aber gespannt von der Wölbung des augenscheinlich hervortretenden Hinterteils. Und wenn die sich erst einmal bückt, mein lieber Schwan, dann ruckt das rot geäderte Augenspalier in die möglichst günstige Ausblickslage. Die Worthaut abwerfen. Sprechend sich häuten. Das Menschenkraut im Wirtshauskessel: Stimmvieh für die Partei-Nations-Genossen. Diese österreichische Seele, eine Massenzunge, jederzeit vorauskalkulierbar. Das alles kennt er nur zu genau. Hat solches sein ganzes Kinderleben mit anhören müssen.
Es handelt sich bei diesem stark autobiographisch gefärbten Roman nicht nur um eine Abrechnung mit den Eltern, sondern auch mit der kleinbürgerlichen Spießigkeit der Nachkriegszeit. In atmosphärisch dichten Bildern zeichnet der Autor Szenen der miefigen 50er-Jahre-Tristesse in der Provinz. Seine Sprache ist von sinnlicher, unmittelbarer Kraft.
"Die Worthaut abwerfen. Sprechend sich häuten" könnte als poetologisches Prinzip über dem Roman stehen. Sprache ist hier nicht Medium, sondern unmittelbarer Ausdruck der in der Kindheit erlittenen Wunden und Traumata. Als versuche der Autor, die verhassten Erinnerungen durch literarische Anverwandlung zu verwandeln, zu bannen.
Am Ende aber stellt sich statt des Gefühls einer Genugtuung Traurigkeit und Leere ein. Obwohl der Erzähler den Vater, den er bei der Rückfahrt im Zug erneut imaginiert, besiegt zu haben scheint.
Dort stand er also. Der Matrosenkappenmann. Und er war nicht, wie in den vorangegangenen Traumsequenzen, von jener abscheulichen Ungeduldigkeit gewesen, von der sein ganzes Leben geprägt war. Nein..... Und auch nicht herrisch..... Nein.... Verschüchtert hatte er gewirkt. Ja..... nichts als verschüchtert. Verschüchtert hatte er im Türrahmen gestanden; die eine Hand auf dem Schiebegriff. Und dann (in seine Richtung blickend) gefragt (mit einer derart leisen Stimme, dass er nochmals hatte nachfragen müssen): "Wo soll ich jetzt bleiben...?" "Wo....?"
Als Heisl im Jahr 2002 auf Einladung von Robert Schindel beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt las, wie einer dem Roman vorangestellten, nicht unironischen Dankadresse zu entnehmen ist, erfuhr er ein zwiespältiges Echo. Für den Autor war das eine umso größere Herausforderung, den Roman zu Ende zu schreiben, wobei er ihn nach eigener Aussage wieder und wieder gekürzt hat.
Die nun vorliegende, komprimierte Fassung ist ebenso verstörend wie eindringlich in ihrer nervösen Erregtheit und Atemlosigkeit. Es gibt keine linearen Handlungsabläufe, keine Dramaturgie. Stattdessen spontan aneinander gereihte Sequenzen, rasch aufeinander folgende abgebrochene Sätze, Dialogfetzen, abrupte Schnitte, unerwartete Zeit- und Perspektivwechsel, die von der Verfasstheit des Erzählers bei der Niederschrift zeugen.
Für Heisl, der zunächst Musik interpretiert und komponiert hat, ist Schreiben auch eine Form zu komponieren.
"Das ist sehr, sehr ähnlich. Ich hab ja einige Bücher Lyrik veröffentlicht, also daran gearbeitet, und hab dann zunehmend bemerkt, dass die Musik, die ich sehr vehement abgelegt habe, sehr plötzlich abgelegt hab', das heißt von einem Tag zum anderen, dass diese Musik mir nachschleicht, und sich wieder in mich hineingeschlichen hat und jetzt beim Schreiben wieder sehr präsent ist, natürlich auch im Zusammenhang des Verstehens von Fehlern im Manuskript, das heißt, ich lese es immer laut und merke ganz genau, wo etwas weg gehört, meistens ist es ein Wegstreichen."
Der Roman hat etwas von einem Rohling, einem ungeschliffenen, aber funkelnden Edelstein, der sich noch im Zustand eines "Work in Progress" befindet. Seine Wortgewalt und Melodik, aber auch die Tatsache, dass der Autor als ein begnadeter Rezitator und "Darsteller" der eigenen Texte gilt, legt es nahe, seine Texte als Hörbuch zu publizieren. Was den Verlag allerdings nicht von seiner Verpflichtung entbindet, gewissenhaft zu lektorieren. Leider wimmelt es in dem Roman von grammatikalischen und orthographischen Fehlern.
Heinz D. Heisl, Abriss. Roman.
Dittrich Verlag, Berlin 2008. 267 Seiten, 19,80 Euro.
"Der Impuls, genau das zu schreiben, ist auch daher gekommen, aus den Geheimarchiven der Vertrautheit heraus zu schreiben, einfach sich gut auszukennen in diesem Bereich, im Familienbereich; auf Grund dessen, dass man ein Einzelkind war, kennt man natürlich die Hölle des Einzelkindes, und kennt man dieses Wechselspiel aus Verzweiflung und Hass, das in einem hochkommen kann. Das war ein guter Grund, einen Roman in dieser Richtung zu erarbeiten, da es mir auch wichtig ist, sehr verständlich zu sein, beim Leser ein Gefühl hervorzurufen, der sagt, ach das kenne ich, das tut weh und das tut gut."
Tatsächlich löst dieser Blick zurück in Zorn und Hass beim Leser eine starke Empathie aus. Man meint, mit dem kleinen Jungen zu frieren, der im Auto vor dem Heim für Schwererziehbare sitzen gelassen wird, während die Eltern mit der Heimleitung verhandeln, um ihn dort abzuliefern. Man meint, die knatternden Motorräder und das Knirschen der vor der Brauerei des Onkels auf dem Kies entlang rollenden vollen Bierfässer zu hören. Man meint, mit an den schweren Holztischen im Gasthaus zu sitzen, in das der Erzähler nach seiner Ankunft in der Stadt als erstes seine Schritte lenkt. Früher trafen sich hier die Einheimischen, die "Kleinhäusler", wie der Erzähler sie nennt, und die deutschen Touristen, die "Angereisten" , die in den 50er-Jahren von Scharnowreisen aus allen Teilen Westdeutschlands herangekarrt wurden.
Dreckiges Gelächter: Das dringt aus der Gaststube des "Schwarzen Adlers", dem einzig noch offenen Wirtshaus in der Straße, durch welche er zu gehen hat. Wörter verderben auf den Lippen. Die Luft dort drinnen ist roh und verraucht. An den Wirtshaustischen die Menschenfüllung. Wirtshausinwendig kracht eine Wortgröße vor den Augen der anderen auf den Wirtshausholztisch.
Ausgestopfte Rotwildköpfe: Die glasäugig von den Wirtshauswänden stieren. Ausgebleichte, vergilbte Fotografien in leicht windschiefen Rahmen. Holzstimmen. Ein Löffelscharren in zerkratzen Steinguttellern.
Einen Jodeljackpot nach dem anderen sät man über die fleckigen Tischbänke. Gevögel unterm Fittich der Kellnerin. Hier ein Griff. Dort ein Klatschen. Die einladenden Gesäßbacken; Dirndlverhüllt, aber gespannt von der Wölbung des augenscheinlich hervortretenden Hinterteils. Und wenn die sich erst einmal bückt, mein lieber Schwan, dann ruckt das rot geäderte Augenspalier in die möglichst günstige Ausblickslage. Die Worthaut abwerfen. Sprechend sich häuten. Das Menschenkraut im Wirtshauskessel: Stimmvieh für die Partei-Nations-Genossen. Diese österreichische Seele, eine Massenzunge, jederzeit vorauskalkulierbar. Das alles kennt er nur zu genau. Hat solches sein ganzes Kinderleben mit anhören müssen.
Es handelt sich bei diesem stark autobiographisch gefärbten Roman nicht nur um eine Abrechnung mit den Eltern, sondern auch mit der kleinbürgerlichen Spießigkeit der Nachkriegszeit. In atmosphärisch dichten Bildern zeichnet der Autor Szenen der miefigen 50er-Jahre-Tristesse in der Provinz. Seine Sprache ist von sinnlicher, unmittelbarer Kraft.
"Die Worthaut abwerfen. Sprechend sich häuten" könnte als poetologisches Prinzip über dem Roman stehen. Sprache ist hier nicht Medium, sondern unmittelbarer Ausdruck der in der Kindheit erlittenen Wunden und Traumata. Als versuche der Autor, die verhassten Erinnerungen durch literarische Anverwandlung zu verwandeln, zu bannen.
Am Ende aber stellt sich statt des Gefühls einer Genugtuung Traurigkeit und Leere ein. Obwohl der Erzähler den Vater, den er bei der Rückfahrt im Zug erneut imaginiert, besiegt zu haben scheint.
Dort stand er also. Der Matrosenkappenmann. Und er war nicht, wie in den vorangegangenen Traumsequenzen, von jener abscheulichen Ungeduldigkeit gewesen, von der sein ganzes Leben geprägt war. Nein..... Und auch nicht herrisch..... Nein.... Verschüchtert hatte er gewirkt. Ja..... nichts als verschüchtert. Verschüchtert hatte er im Türrahmen gestanden; die eine Hand auf dem Schiebegriff. Und dann (in seine Richtung blickend) gefragt (mit einer derart leisen Stimme, dass er nochmals hatte nachfragen müssen): "Wo soll ich jetzt bleiben...?" "Wo....?"
Als Heisl im Jahr 2002 auf Einladung von Robert Schindel beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt las, wie einer dem Roman vorangestellten, nicht unironischen Dankadresse zu entnehmen ist, erfuhr er ein zwiespältiges Echo. Für den Autor war das eine umso größere Herausforderung, den Roman zu Ende zu schreiben, wobei er ihn nach eigener Aussage wieder und wieder gekürzt hat.
Die nun vorliegende, komprimierte Fassung ist ebenso verstörend wie eindringlich in ihrer nervösen Erregtheit und Atemlosigkeit. Es gibt keine linearen Handlungsabläufe, keine Dramaturgie. Stattdessen spontan aneinander gereihte Sequenzen, rasch aufeinander folgende abgebrochene Sätze, Dialogfetzen, abrupte Schnitte, unerwartete Zeit- und Perspektivwechsel, die von der Verfasstheit des Erzählers bei der Niederschrift zeugen.
Für Heisl, der zunächst Musik interpretiert und komponiert hat, ist Schreiben auch eine Form zu komponieren.
"Das ist sehr, sehr ähnlich. Ich hab ja einige Bücher Lyrik veröffentlicht, also daran gearbeitet, und hab dann zunehmend bemerkt, dass die Musik, die ich sehr vehement abgelegt habe, sehr plötzlich abgelegt hab', das heißt von einem Tag zum anderen, dass diese Musik mir nachschleicht, und sich wieder in mich hineingeschlichen hat und jetzt beim Schreiben wieder sehr präsent ist, natürlich auch im Zusammenhang des Verstehens von Fehlern im Manuskript, das heißt, ich lese es immer laut und merke ganz genau, wo etwas weg gehört, meistens ist es ein Wegstreichen."
Der Roman hat etwas von einem Rohling, einem ungeschliffenen, aber funkelnden Edelstein, der sich noch im Zustand eines "Work in Progress" befindet. Seine Wortgewalt und Melodik, aber auch die Tatsache, dass der Autor als ein begnadeter Rezitator und "Darsteller" der eigenen Texte gilt, legt es nahe, seine Texte als Hörbuch zu publizieren. Was den Verlag allerdings nicht von seiner Verpflichtung entbindet, gewissenhaft zu lektorieren. Leider wimmelt es in dem Roman von grammatikalischen und orthographischen Fehlern.
Heinz D. Heisl, Abriss. Roman.
Dittrich Verlag, Berlin 2008. 267 Seiten, 19,80 Euro.