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Abrechnung mit E.ON

Die Nichtregierungsorganisation Urgewald erhebt schwere Vorwürfe gegen den Energiekonzern E.ON. Machtmissbrauch zur Verbraucherabzocke ist nur ein Punkt im Urgewald-Schattenbericht, der anlässlich der Hauptversammlung von E.ON erstellt wurde

Von Dietmar Reiche |
    Die Vorwürfe wiegen schwer: Machtmissbrauch, Verbraucherabzocke und Panikmache. Mit diesen Schlagworten kritisiert die Nichtregierungsorganisation Urgewald den Energieversorger E.ON, wirft dem Düsseldorfer Konzern massiven Lobbyismus vor. Pünktlich zur E.ON-Hauptversammlung präsentiert die Organisation einen eigenen - Zitat - "kritischen" Geschäftsbericht für E.ON. Farbgebung, Layout und Design sind dem Original ähnlich. Doch der Inhalt unterscheidet sich komplett von der offiziellen Kommunikationsstrategie, ist eine offene Abrechnung mit der umstrittenen Unternehmenspolitik des Energieriesen.

    E.ON sei der größte Atommüllproduzent Europas, habe den Trend für Erneuerbare Energien verschlafen und täusche die Verbraucher mit seiner Umwelt-Werbekampagne, schreibt die Organisation Urgewald. Der Energieriese setze vor allem mit der Kohleenergie falsche Prioritäten. Alexandra Scheper:

    "E.ON und Co. drohen immer wieder mit Engpässen und Blackouts, wenn keine neuen Kohlekraftwerke gebaut werden. Der Strom wird also angeblich knapp. Doch komischerweise haben wir in Deutschland einen Exportüberschuss von 19 Terawattstunden. Das entspricht ungefähr der Leistung von fünf großen Kohlekraftwerksblöcken. Kritiker sagen, dass sei nur eine gewollte und interessengeleitete Kampagne. Es gebe keinen Grund für diese Befürchtungen."

    E.ON-Sprecher Christian Drepper wollte gestern auf Anfrage des Deutschlandfunks keine Stellung zu den Vorwürfen nehmen und begründete dies mit den zeitintensiven Vorbereitungen für die heutige Hauptversammlung. Unbeantwortet blieben damit auch Fragen, ob E.ON seine Marktmacht an der Strombörse in Leipzig tatsächlich missbrauche, um die Großhandelspreise nach oben zu treiben. Das zumindest erklärt die Organisation Urgewald unter Berufung auf detaillierte und vertrauliche Dokumente des Bundeskartellamtes.

    So habe E.ON Kraftwerkskapazitäten zurückgehalten, um das Stromangebot an der Leipziger Börse zu verknappen, behauptet Alexandra Scheper. Nach den Spielregeln des Marktes von Angebot und Nachfrage steigt damit der Preis:

    "Als dann im Mai 2006 die EU-Kommission mit Hilfe des Kartellamtes tatsächlich die Zentrale von E.ON durchsucht hat und dort Beweismaterial gefunden hat, seitdem ist klar, dass es tatsächlich Beweise gibt, dass E.ON Einfluss auf die Preise genommen hat. Sie müssen sich das so vorstellen: An der Strombörse werden nur 20 Prozent des gesamten Strombedarfs Deutschlands gehandelt, aber die übrigen 80 Prozent orientieren sich in der Höhe genau an diesem Börsenpreis."

    E.ON habe sich zudem mit den drei anderen großen Energieversorgern wie RWE, Vattenfall und ENBW über Netz-Nutzungsentgelte und CO2-Zertifikate ausgetauscht. Besonders eng sei das Verhältnis zum Konkurrenten RWE gewesen:

    "Das Bundeskartellamt zeigt mehrere Beispiele, bei denen E.ON und RWE sich regelmäßig getroffen haben und sich auf vertraulicher Ebene abgesprochen haben. Nicht nur die Strategien, sondern ganz konkrete Projekte im In- und Ausland. Zum Teil schustern sich die beiden Aufträge zu, um ihre Duopol-Stellung zu festigen. Und diese Informationen, die sie austauschen, würden im normalen Umgang zwischen Wettbewerbern Geschäftsgeheimnisse darstellen. So betitelt es auch das Bundeskartellamt. Und damit ist auch ganz klar: Ein Wettbewerb zwischen diesen beiden liegt nicht vor."

    E.ON hatte die Vorwürfe bereits im November per Presseerklärung dementiert, um wenig später den Verkauf seines Hochspannungsnetzes und die Abgabe von 4800 Megawatt Kraftwerkskapazität bekanntzugeben.

    Die von E.ON forcierte Auslandsexpansion geht für die Nichtregierungsorganisation Urgewald in die falsche Richtung, denn E.ON versuche, jenseits der deutschen Grenzen neue Atomkraftwerke zu bauen, so zum Beispiel in Finnland, wenn möglich in Großbritannien und vielleicht sogar am umstrittenen Standort Belene in Bulgarien. Das derzeit größte Atomenergieprojekt in der Europäischen Union ist die Eintrittskarte für weitere Neubauprojekte in Osteuropa:

    "Es ist unbegreiflich, warum E.ON sich an dem Neubau eines Atomkraftwerkes beteiligen will, das mitten in einem Erdbebengebiet liegt. In Belene starben noch 1977 über 100 Menschen, und genau dort soll ein veralteter russischer Reaktortyp gebaut werden, und E.ON will sich mit 49 Prozent daran beteiligen. Also wenn E.ON sagt, Atomkraft sei sicher, und gleichzeitig in solche vom Sicherheitsstandard niedrigen Atomkraftwerke investiert, dann sieht man, wie doppelzüngig dieser Konzern arbeitet."

    Obwohl der bulgarische Energieversorger NEK die RWE und die belgische Elektabel in die engere Auswahl als strategischen Investor für das 5 Milliarden Euro teure Kernkraftwerk nimmt, sieht die Organisation Urgewald E.ON als potenziellen Kooperationspartner.