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Abrechnungsbetrug in der Pflege
Laumann: Unangemeldete Kontrollen schwierig

Als Reaktion auf massiven Abrechnungsbetrug in der Pflegebranche werden unangemeldete Kontrollen gefordert. Das sei aber nicht so einfach, sagte der Pflegebeauftragte der Bundesregierung, Karl-Josef Laumann (CDU), im DLF. Denn ohne Zustimmung dürfe ein Sozialdienst nicht die Wohnung eines Pflegebedürftigen betreten.

Karl-Josef Laumann im Gespräch mit Christiane Kaess |
    Der Pflegebeauftragte der Bundesregierung, Karl Josef Laumann (CDU).
    Der Pflegebeauftragte der Bundesregierung, Karl-Josef Laumann (CDU). (imago/IPON)
    Laumann sagte, er habe einen Abrechnungsbetrug in dem Maße nicht erwartet. Es sei ein starkes Stück, die schwierige Situation von Pflegebedürftigen so auszunutzen. Man müsse aber aufpassen, dass nun nicht die ganze Branche wegen einer "russischen Mafia" in Verruf gerate.
    Der Pflegebeautragte sagte weiter, der Schlüssel zur Lösung des Problems liege bei den Kassen, nicht bei der Politik. Sie müssten sehr genau prüfen, was abgerechnet werde. Auch bei der häuslichen Krankenpflege müsse es - wie bereits bei der Pflegeversicherung - eine Qualitätsprüfung vor Ort geben.
    Am Wochenende waren Einschätzungen des Bundeskriminalamts bekannt geworden, wonach Pflegedienste systematisch bei den Abrechnungen betrogen haben. Den deutschen Sozialkassen soll dadurch ein Schaden in Milliardenhöhe entstanden sein.

    Das Interview in voller Länge:
    Christiane Kaess: Es ist ein Betrug, der offenbar systematisch und bundesweit seit Jahren im Pflegebereich stattfindet. Russische Pflegedienste und andere osteuropäische Gruppen betrügen nach Einschätzung des Bundeskriminalamtes die deutschen Sozialkassen um Summen in Milliardenhöhe. Gestern sprachen Experten wie der SPD-Politiker Karl Lauterbach vom größten Skandal im Gesundheitssystem.
    Darüber sprechen möchte ich jetzt mit dem Pflegebeauftragten der Bundesregierung, Karl-Josef Laumann von der CDU. Guten Morgen!
    Karl-Josef Laumann: Schönen guten Morgen.
    Kaess: Organisierte Kriminalität im Pflegesystem - Herr Laumann, hätten Sie sich das vorstellen können?
    Laumann: In diesem Umfang auf jeden Fall nicht, denn ich sage mal so: Die schwierige Situation von Pflegebedürftigen so auszunutzen und darauf eine richtige organisierte Kriminalität aufzubauen, das ist schon ein starkes Stück. Bloß das Problem, was ich sehe, ist: Es ist ja kein sozialrechtliches Problem, sondern es ist ein strafrechtliches Problem. Sie kennen ja auch alle die engen Grenzen, die der Staat hat, in Wohnungen zu gehen, und es hat ja auch seinen Grund, dass die Privatwohnung von Menschen geschützt ist und dass man nicht wahllos in diesen Wohnungen unangemeldet reingehen kann. Auch die Privatwohnung eines Pflegebedürftigen ist genauso für die Privatsphäre geschützt wie Ihre Wohnung oder wie meine Wohnung auch. Deswegen haben wir da einfach ein grundsätzliches Problem.
    Kaess: Aber, Herr Laumann, auf der anderen Seite ist ja jetzt wirklich so offensichtlich geworden, wie anfällig dieses System ist, und da muss man sich schon fragen, warum da nicht vorher schon genauer hingesehen wurde.
    Laumann: Ja ich wunder mich vor allen Dingen darüber, und das muss ich auch mal ganz klar Richtung der Sozialversicherung und der Krankenkassen sagen und vor allen Dingen ihres Spitzenverbandes. Wir haben vor einem halben Jahr eine Gesetzgebung für die Pflegeversicherung gemacht, dass unangemeldete Kontrollen dort möglich sind. Bei dieser Beratung ist kein Wort von den Krankenkassen gesagt worden, dass sie das für die häusliche Krankenpflege brauchen. Mir ist auf jeden Fall seit dem Wochenende klar, dass die Möglichkeiten, die im Bereich der Pflegeversicherung zur Verfügung stehen, auch natürlich im Bereich der Krankenkassen zur Verfügung stehen müssen, weil es ja so ist, dass in der Regel sowohl Leistungen der Pflegeversicherung wie der Krankenkassen gebraucht werden, um einen Menschen gut zu versorgen.
    "Ohne Wenn und Aber aufräumen"
    Aber wir müssen auch auf eine andere Sache in dieser Diskussion jetzt sehr aufpassen. Es gibt Tausende von Pflegediensten und Hunderttausende von Beschäftigten, die sich jeden Tag sehr anstrengen, mit einer hohen Fachlichkeit, mit einer guten ethischen Einstellung unsere Menschen zu versorgen, und wir müssen jetzt aufpassen, dass nicht die ganze Branche in Verruf gerät. Da wird schon gesagt, es wird schlecht gepflegt. Wenn jetzt noch "kriminell" dazukommt, ich sage mal, wer will dann überhaupt noch einen Pflegeberuf ergreifen. Deswegen muss hier ohne Wenn und Aber aufgeräumt werden. Aber der Schlüssel liegt natürlich nicht bei einem Ministerium, sondern der Schlüssel liegt bei den Versicherungen, wo abgerechnet wird, und die haben auch die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass das Geld der Versichertengemeinschaft nach Recht und Gesetz ausgegeben wird.
    Kaess: Herr Laumann, da haben Sie jetzt ein bisschen die Schuld auf die andere Seite geschoben. Da hätte die Politik ja auch drauf kommen können. Warum waren denn unangemeldete Kontrollen in der ambulanten Pflege bisher nicht erlaubt?
    Laumann: Weil man schlicht und ergreifend sich vorstellen muss: Da ist jemand, der wird von seiner Familie liebevoll versorgt, und auf einmal steht eine Sozialbehörde vor der Tür, ohne sich anzumelden, um in diese Wohnung zu gehen.
    Kaess: Aber den Angehörigen bringt es ja noch viel weniger, wenn da Missbrauch im großen Maßstab stattfindet.
    Laumann: Ja gut. Aber ich sage Ihnen noch einmal: Es ist auch in anderen Bereichen nicht möglich, einfach in eine Wohnung zu gehen, sondern da müssen Sie eine Anzeige bei der Staatsanwaltschaft stellen. Wenn es einen hinreichend begründeten Verdacht gibt, dann entscheidet ein Richter, dass man eine Hausdurchsuchung machen darf. Und wir können doch nicht einfach jetzt eine Gesetzesgrundlage schaffen, wo Hunderttausende von Familien in Deutschland nun wirklich fair pflegen, ihren Verwandten liebevoll versorgen, dass wir die alle unter einen Generalverdacht stellen, dass da rund 24 Stunden um die Uhr eine Sozialbehörde in die Wohnungen eindringen kann.
    Kaess: Es geht ja nicht um Hausdurchsuchungen. Was wollen Sie denn jetzt konkret tun, um dieser Forderung der Kranken- und Pflegekassen nachzukommen? Die fordern ja mehr Recht auf Einsicht.
    Laumann: Ich glaube, dass wir das gleiche Recht, was wir in der Pflegeversicherung geschaffen haben, auch in der Krankenversicherung schaffen müssen.
    Kaess: Das heißt, auch für die ambulante Pflege dann?
    Laumann: Das heißt für die ambulante Krankenkassenpflege, dass das möglich ist. Und der zweite Punkt ist: Ich glaube schon, dass auch die Pflegekassen - es sind ja sehr viele unterschiedliche Pflegekassen bei uns in Deutschland - sehr genau gucken müssen, was wird abgerechnet, und die unangemeldeten Kontrollen von Pflegediensten, das ist eine ganz andere Sache. Die ist heute möglich und ich finde, davon muss auch mehr Gebrauch gemacht werden.
    "Starke Kontrollen und knallharte Strafverfolgung"
    Kaess: Wenn ich Sie jetzt richtig verstanden habe, Herr Laumann, dann wollen Sie doch Kontrollen zuhause zulassen, obwohl Sie gerade gesagt haben, das geht eigentlich nicht.
    Laumann: Nein. Ich habe gesagt, das was bei der Pflegeversicherung möglich ist, dass es in Einzelfällen geht. Wenn es bei der Pflegeversicherung geht, kann man es ja auch in der häuslichen Krankenpflege machen. Aber wie gesagt: Das Thema, unangemeldet in eine Wohnung zu gehen, ist ein sehr sensibles, und Sie wissen ja auch, dass die Privatsphäre der Wohnung bei uns in der Bundesrepublik Deutschland grundgesetzlich geschützt ist. Das Sozialrecht kann nicht das Strafrecht beugen und erst recht nicht das Grundgesetz.
    Kaess: Es stellen sich ja darüber hinaus noch ganz andere Schwierigkeiten. Es ist ja offenbar auch so, dass Ärzte und Apotheker oder Sanitätshäuser da mitmachen, und offenbar waren sogar teilweise Patienten involviert. Wie will man das eigentlich vermeiden?
    Laumann: Durch starke Kontrollen und knallharte Strafverfolgung, und ich finde, es muss auch vollkommen klar sein, dass wir Pflegedienste, die uns betrogen haben, aus den Versorgungsverträgen ausschließen können. Wir sind ja auch zurzeit dabei, im Deutschen Bundestag ein Gesetz zu erlassen über das Thema Korruption im Gesundheitswesen. Auch das spielt ja vielleicht da mit rein, dass man da noch mal gucken muss, was kann man da auch in dem Bereich der Beteiligten rund um die Pflege machen.
    Aber sehen wir doch jetzt auch einfach mal das Gute an dieser ganzen Geschichte. Dass das Bundeskriminalamt jetzt sagt, wir haben da einen begründeten Verdacht, wir sind diesen Leuten auf der Spur, wir müssen jetzt mit den Landesbehörden dieses zu einem Schwerpunkt der inneren Sicherheit in der Bundesrepublik Deutschland machen, ist ja genau die Entwicklung, die wir brauchen, um diesen Menschen das Handwerk zu legen.
    Kaess: Das dürfte wahrscheinlich Angehörige von Pflegebedürftigen nicht unbedingt beruhigen im Moment. Was würden Sie denen denn in der jetzigen Situation raten, was die tun können?
    Laumann: Ich würde ganz einfach raten: Nehmen Sie einen regionalen, örtlich gebundenen Pflegedienst, wovon wir Tausende haben. Wenn die in der Nachbarschaft sehr gut gepflegt haben, einen Menschen, den man gekannt hat, oder eine Familie, die man gekannt hat, dann kann man, glaube ich, sehr beruhigt auch einen solchen Pflegedienst beauftragen. Und ich sage noch einmal: Die vielen ambulanten Pflegedienste bei uns in der Bundesrepublik Deutschland dürfen nicht alle unter einen Generalverdacht gestellt werden wegen einer russischen Mafia.
    Rente: Gesamtversorgungsniveau muss vor Altersarmut schützen
    Kaess: Herr Laumann, ich möchte mit Ihnen noch kurz zum Schluss über das Thema Rente sprechen. Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung", die meldet heute, die CDU sei nun auch bereit zu einer Rentenreform. Sie sind zusammen mit Ihrem Parteikollegen Jens Spahn beauftragt, mit der CSU gemeinsame Positionen zu entwickeln. Was streben Sie an?
    Laumann: Es ist ja so, dass wir 2001 die letzte große Rentenreform hatten. Die war bezogen auf 2030. Die halbe Zeit ist um und man muss sagen, die gesetzliche Rente hat sich in den letzten 15 Jahren besser entwickelt, wie wir 2001 angenommen haben, und die private Vorsorge hat sich schlechter entwickelt, wie wir 2001 angenommen haben. Ziel der Gespräche über Rente zwischen den Parteien und den Politikern muss ja sein, dass wir jetzt die Erfahrungen, die wir in den ersten 15 Jahren der Riester-Rente zum Beispiel gesammelt haben, dass wir die nutzen, dass wir das System so verändern, dass die Menschen am Ende ein Gesamtversorgungsniveau haben, womit sie nicht in die Altersarmut kommen. Deswegen muss man die gesetzliche Rente ganz klar als die wichtigste Säule sehen. Sie ist die starke Säule der deutschen Altersabsicherung. Und wir müssen uns vor allen Dingen darum kümmern, dass auch die 40 Prozent der Arbeitnehmer, die heute keine Betriebsrentenansprüche haben, stärker zu Betriebsrentenansprüchen kommen, denn die Betriebsrenten haben sich wesentlich besser entwickelt wie die private Riester-Vorsorge.
    Kaess: … sagt Karl-Josef Laumann von der CDU. Er ist auch Pflegebeauftragter der Bundesregierung. Wir haben gesprochen über den massiven Betrug im Pflegesystem. Danke schön, Herr Laumann.
    Laumann: Danke schön! Auf Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.