Archiv

Abschaffung des §175
Meilenstein für Rechte von Schwulen

Schwul sein und das öffentlich leben konnte in Deutschland lange bestraft werden. Vor 25 Jahren schaffte der Bundestag das entsprechende Gesetz endgültig ab. Aber erst 2017 wurden die betroffenen Männer endgültig rehabilitiert.

Von Dagmar Pepping | 11.06.2019
Ein schwules Paar tanzt
Schwul sein war lange ein Tabu in Deutschland (picture-alliance/ ZB/Robert Schlesinger)
Volker Beck erinnert sich gerne an den 11. Juni 1994. "Da war für uns eine große Erleichterung. Es war ein endlos langer Kampf, den Paragraf 175 aus dem deutschen Recht zu bekommen." Nach 123 Jahren, denn der §175 - im Volksmund "Schwulen-Paragraf" genannt - galt seit der Kaiserzeit.
Die Nationalsozialisten verschärften ihn deutlich. Männern, die bei sexuellen Handlungen mit dem gleichen Geschlecht entdeckt wurden, drohten lange Gefängnisstrafen.
Während die Bundesrepublik den Paragraf aus der Nazizeit übernahm, kehrte die DDR zur alten Fassung zurück und schaffte ihn 1968 ab. "Ohne den Fall der Mauer, ohne die Bürgerbewegung in der DDR weiß ich nicht, ob wir 1994 schon die Streichung des §175 gesehen hätten", sagt Volker Beck, ehemaliger Bundestagsabgeordneter der Grünen.
Volker Beck (Grüne) spricht am 03.06.2016 im Deutschen Bundestag in Berlin.
Grünen-Politiker Volker Beck (dpa)
Betroffene wurden erst 2017 rehabilitiert
Die Politik sah lange keinen Handlungsbedarf. Vor allem die CDU und die Kirchen hätten vor dem Laster und der Sünde gewarnt, sagt Markus Ulrich vom Lesben- und Schwulenverband Deutschlands. "Da brauchte man den §175 als Damm dafür. Bis 1969 war der sittliche Verfall des ganzen Volkes die Drohgebärde, die das alles legitimierte", so Ulrich.
1969 beschloss die Große Koalition eine Strafrechtsreform. Homosexualität war keine Straftat mehr, wenn die Männer älter als 21 Jahre waren. Die Zahl der Verfahren ging deutlich zurück. 1973 senkt der Gesetzgeber das Schutzalter auf 18 Jahre. Im Jahr 1980 war die FDP die erste Partei, die forderte, den §175 zu streichen. Die Grünen brachten diese Forderung 1985 erstmals als Antrag in den Bundestag ein.
Bis 1994 gab es nach Schätzungen des Bundesjustizministeriums rund 64.000 Verurteilungen. Es vergingen noch einmal 23 Jahre, bis der Bundestag 2017 die betroffenen Männer einstimmig rehabilitiert. Die Urteile wurden aufgehoben. Mögliche Entschädigungssumme: 3.000 Euro pro Urteil, 1.500 Euro für jedes Jahr in Haft.
Nur wenige melden sich
Bis Anfang dieses Monats sind 145 Anträge auf Entschädigung eingegangen. 122 Betroffene haben bislang Geld erhalten, insgesamt rund eine halbe Million Euro, teilt das Bundesjustizministerium mit. Dass sich nur so wenige melden, überrascht Volker Beck nicht. "Die meisten sind gestorben. Viele wollen an diesem Kapitel auch nicht mehr rühren. Dafür muss man auch Verständnis haben", sagt Beck.
Seit März können auch nicht verurteilte Homosexuelle eine Entschädigung beantragen. 1.500 Euro für jedes angefangene Jahr Untersuchungshaft, 500 Euro pro Ermittlungsverfahren. Das sei richtig so, sagt Markus Ulrich vom Lesben- und Schwulenverband, die Folgen seien für die Betroffenen schließlich die gleichen gewesen. Der Verlust der beruflichen Existenz beispielsweise. "Es ist gut, dass der Kreis da erweitert wurde", betont Ulrich. Beim Bundesamt für Justiz sind bislang 56 Anträge auf Entschädigung eingegangen.