Jürgen Zurheide: In Deutschland fehlen Haftplätze für Menschen, die abgeschoben werden sollen. Im Bundesinnenministerium ist jetzt ein Papier gemacht worden, und dort will man offensichtlich diesem Papier zufolge die bisher bestehende strenge Trennung zwischen Abschiebehaft auf der einen Seite und normalen Haftanstalten – ich sage es mal vorsichtig – aufweichen. Da gibt es Kritik, und da gibt es möglicherweise auch Rechtshindernisse.
Wir wollen über dieses Thema reden, und ich begrüße dazu Joachim Stamp, den Integrationsminister aus Nordrhein-Westfalen. Er gehört der FDP an. Guten Morgen, Herr Stamp!
Joachim Stamp: Guten Morgen, Herr Zurheide!
Zurheide: Kurze Frage, geht das, was die da im Innenministerium planen, oder wissen Sie noch gar nicht so genau, was die planen?
Stamp: Wir müssen uns das genauer ansehen. Das, was jetzt bekannt ist, wird vielleicht teilweise möglich sein. Teilweise wird es aber auch europarechtliche Probleme geben. Sie können nicht ohne Weiteres Abschiebehäftlinge und Strafgefangene unter einem Dach inhaftieren. Das geht nicht.
Es gibt aber sehr wohl die Möglichkeit, dass man für besonders gefährliche Personen hier Sonderregelungen schaffen kann, zumindest für einen bestimmten Zeitraum. Das muss man prüfen. Fakt ist, dass wir insgesamt sicherlich in Deutschland insgesamt mehr Abschiebehaftplätze brauchen, aber da eine Differenzierung zwischen denjenigen, die sich bisher einfach nur einer Abschiebung entzogen haben, und dann auch wirklichen Gefährdern, und bei den Gefährdern kann man möglicherweise auch hier neue Wege gehen.
"Wiir müssen bei den Rückführungsabkommen besser werden"
Zurheide: Als FDP, was sagen Sie? Wir müssen diese Hinweise, nicht nur Hinweise, die Vorgaben, die der Europäische Gerichtshof gegeben hat, die müssen wir einhalten, und die sagen, Abschiebung eigentlich rechtfertigt nicht, dass man in eine normale Haftanstalt kommt? Oder ist das von mir jetzt falsch interpretiert?
Stamp: Nein, das haben Sie genau richtig wiedergegeben, und das ist auch das Problem. Ich halte nichts davon, jetzt wieder Vorschläge in den Raum zu stellen und damit auch Erwartungen innerhalb der Bevölkerung zu fördern, die dann nachher nicht umgesetzt werden können, sondern wir müssen das machen, was tatsächlich möglich ist. Das allerdings dann auch konsequent.
Ich habe ja seit einem Jahr gefordert, dass wir uns zusammensetzen sollten mit den Vertretern der demokratischen Parteien und in diesem Themenbereich uns darauf verständigen, was tatsächlich geht. Wir brauchen insgesamt Verfahrensbeschleunigung, wir müssen bei den Rückführungsabkommen besser werden. Wir brauchen aber auch bessere Bleiberechte für gut integrierte Geduldete beispielsweise, und hier müssen wir insgesamt zu einer Lösung kommen, zu einem großen Paket, damit dieses Thema in der Bevölkerung auch mal befriedet wird.
Stamp: Seehofer hat viel versprochen, aber noch nciht viel gehalten
Zurheide: Lassen Sie uns das abschichten. Wir reden gleich noch über den zweiten Teil, den Sie gerade angesprochen haben, Stichwort Integration, Zuwanderungsgesetze. Was brauchen Sie denn, um mit dem ersten Teil, Stichwort Abschiebungen, das zu regeln, was ja überwiegend - ich könnte auch sagen: viel zu viel - diskutiert wird, oder ist das falsch?
Stamp: Wir brauchen tragfähige Rücknahmeabkommen mit den Herkunftsländern. Hier hat Herr Seehofer viel versprochen, aber noch nicht viel gehalten. Wir brauchen insgesamt Verfahrensbeschleunigungen. Dazu ist es sicherlich auch sinnvoll, die Anzahl der sicheren Herkunftsländer auszuweiten. Das ist jetzt leider - oder deutet sich an, dass das möglicherweise scheitert mit den Grünen im Bundesrat. Da muss man jetzt sehen, dass man auf Länderebene guckt, ob man da vernünftige Kompromisse erreichen kann.
"Nochmal das Gespräch mit den Grünen suchen"
Zurheide: Da gehe ich sofort mal zwischen: Welche Kompromisse halten Sie denn für möglich? Sie haben ja auch mal verhandelt mit den Grünen, und ich glaube, Sie waren da schon mal weiter, oder?
Stamp: Ja, ich hatte damals während der Jamaika-Verhandlungen auch ganz gute Gespräche gehabt, auch mit Claudia Roth, die ja nun eher zum linken Flügel der Grünen gehört, wo ich vorgeschlagen habe, dass wir eine vernünftige Rechtsberatung machen für die kleine Gruppe, die aus diesen Ländern kommt, die tatsächlich diskriminiert wird, sodass wir also sehen können, dass bei sicheren Herkunftsländern diejenigen, die dennoch einen Verfolgungsgrund haben, auf jeden Fall dann auch einen Status bekommen. Das sind aber in der Regel nur zwei, drei Prozent. Und man auf der anderen Seite mit den anderen 97, 98 Prozent dann ein extrem zügiges Verfahren über die Bühne bringen kann und sie möglichst schnell zurückführen.
Das erschien mir damals als konsensfähig, und deswegen muss man jetzt nochmal das Gespräch suchen. Denn es bringt nichts, aus parteitaktischen Gründen uns jetzt gerade vor der Europawahl sich jetzt hier die ganze Zeit zu zerlegen, sondern wir brauchen tragfähige Lösungen, die in der Praxis funktionieren.
Zurheide: Nun ja, die Taktik besteht nicht nur auf einer Seite, da sind Sie dann alle wahrscheinlich beteiligt. Angesichts der Europawahl, halten Sie das für realistisch, oder konkret: Was machen Sie, denn diese große Konferenz wird es im Moment ja wahrscheinlich nicht geben? Mit Herrn Seehofer ist Ihr Verhältnis auch nicht das allerbeste.
Stamp: Nein, es muss jetzt darum gehen, dass man sieht, dass ein solches Thema in der Polarisierung, wie es auch medial geführt wird, eigentlich immer nur den Extremen wirklich hilft, und das kann nicht das Interesse sein der demokratischen Parteien.
Deswegen muss man sehen, dass man auch die Differenzen, die man teilweise in kleineren Punkten hat, überwindet und dann wirklich zu einer vernünftigen Lösung kommt. Wenn wir den nationalen Migrationsgipfel, wie ich ihn mir wünsche, jetzt nicht hinbekommen, dann müssen wir jetzt sehen, dass wir auf informeller Ebene zwischen verschiedenen Ländervertretern, auch zwischen verschiedenen Vertretern der demokratischen Parteien, die über dieses Thema im Gespräch sind, zu Kompromissen kommen, um dann auch im Bundesrat und im Bundestag dann wirklich zu tragfähigen Mehrheiten zu kommen.
Zurheide: Meine konkrete Frage: Mit wem versuchen Sie zu reden?
Stamp: Wir werden mit verschiedenen Ländern sprechen, und ich werde auch die persönlichen Kontakte, die ich habe in die verschiedenen Bundestagsfraktionen, versuchen zu nutzen, um im Vorfeld auch der Bundesratssitzung, die sich ja dann auch mit den sicheren Herkunftsländern befassen wird, dann zu gucken, ob es da eine Lösung geben kann.
"Wir brauchen mehr Ordnung im System"
Zurheide: Auf der anderen Seite – ich habe es gerade schon angedeutet –, vielleicht fokussieren wir viel zu sehr auf dieses Abschiebethema, wenngleich es wichtig ist, weil natürlich bestimmte Parteien das tun – Sie haben es angesprochen –, die eher dem rechten Rand angehören. Müssten wir die Debatte nicht insgesamt anders führen und auch den Fokus öffnen, auch Stichwort Zuwanderungsgesetz? Die Palette der notwendigen Debatten in Deutschland ist doch breiter. Ist diese These richtig?
Stamp: Diese These ist richtig. Ich glaube, dass wir insgesamt einfach mehr Ordnung im System brauchen. Es gibt in der Bevölkerung eine ganz große Akzeptanz dafür, dass denjenigen, die tatsächlich verfolgt werden, auch geholfen wird. Es gibt auch eine Akzeptanz darüber oder auch ein Wissen um die Notwendigkeit, dass wir eine qualifizierte Einwanderung brauchen, und das müssen wir jetzt in ein vernünftiges System bringen, und da müssten wir viel unaufgeregter darüber sprechen und dann auch zu den entsprechenden Lösungen kommen.
Wir brauchen Verfahrensbeschleunigungen. Um vielleicht noch mal ganz kurz einzugehen darauf, worum es bei den sicheren Herkunftsländern geht: Es geht ja nicht darum, dass die Leute, die aus diesen Ländern sich bewerben, keine Chance mehr hier im Asylverfahren haben, sondern sie haben ein abgekürztes Verfahren und eine Umkehr der Beweislast, und dadurch könnten sie gerade auch bei bestimmten problematischen Gruppen sehr viel zügiger zurückführen.
Wir haben auf der anderen Seite 2015, 2016 sehr, sehr viele Menschen in Deutschland aufgenommen. Von denen haben sich aber eine ganze Reihe wirklich exzellent integriert, und da sollten wir sehen, dass die jetzt ein zügiges Bleiberecht bekommen, damit die auch Sicherheit haben, damit man die Integration auch in den Arbeitsmarkt viel schneller voranbringen kann. Das ist ja das, was vor Ort von vielen Unternehmen, aber auch von den Kommunen beklagt wird, dass die Rechtssicherheit noch so unsicher ist. Und da müssen wir gucken, dass wir zügig vorankommen. Wir bereiten in Nordrhein-Westfalen einen umfassenden Erlass jetzt vor für unser Bundesland. Ich würde mich aber freuen, wenn wir den auch ins Bundesgesetz hieven könnten. Das hätte den Vorteil, dass wir dann bundesweit eine vernünftige Regelung hätten.
Zurheide: Was müsste denn in so einem Einwanderungsgesetz oder in solchen Regelungen denn stehen? Was erwarten Sie konkret, damit es da weitergeht? Darüber diskutieren wir ja auch schon ich weiß nicht wie lange.
Stamp: Wir brauchen klare Kriterien, nach denen diejenigen, die schon eine Weile hier bei uns im Land sind, wenn sie sich entsprechend integriert haben, dann auch bleiben können, das heißt, Sprache gelernt haben, sich straffrei verhalten haben und am Arbeitsmarkt entsprechend Fuß gefasst haben. Da kann man sich auf Fristen verständigen und denen dann ein dauerhaftes Bleiberecht geben und sich dann umgekehrt auf diejenigen konzentrieren, die sich der Integration entziehen und mit denen wir - das ist im Übrigen die deutlich geringere Anzahl, aber das sind diejenigen, die letztendlich auch das Klima für alle vergiften, die dann kriminell auffallen, randalieren und sich nicht an die Spielregeln halten. Wenn wir uns auf die konzentrieren, die dann auch zügig zurückzuführen, dann kämen wir, glaube ich, hier im Land ein großes Stück weit.
"Politik ist ja auch kein Wunschkonzert"
Zurheide: Die zugespitzte Frage: Erwarten Sie, dass Horst Seehofer das noch leisten kann?
Stamp: Das muss man sehen. Ich will es jetzt nicht immer nur an einer Person festmachen. Ich habe gesagt, ich trau ihm das eigentlich nicht mehr zu, und deswegen würde ich mir einen anderen Bundesinnenminister wünschen, aber Politik ist ja auch kein Wunschkonzert, sondern man muss mit den handelnden Personen, die da sind, natürlich zusammenarbeiten. Mir geht es um die Sache, nicht um die Auseinandersetzung mit einzelnen Personen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.