Abgelehnte Asylbewerberinnen und -bewerber sowie andere ausreisepflichtige Menschen sollen schneller aus Deutschland abgeschoben werden. Anfang August hat das Bundesinnenministerium einen Diskussionsentwurf zur „Verbesserung der Rückführung“ veröffentlicht, wie es im Titel des 35-seitigen Papiers heißt. Welche konkreten Änderungen sind bei Abschiebungen geplant – und welche Kritik gibt es an den Vorschlägen?
Überblick
- Welche Änderungen bei Abschiebungen werden diskutiert?
- Welche Kritik gibt es an dem Vorhaben für eine Verschärfung der Abschieberegeln?
- Welchen Status haben die Pläne zu den Änderungen bei Abschiebungen?
- Wie viele Abschiebungen gibt es in Deutschland? Wie viele Menschen in Deutschland sind ausreisepflichtig?
Welche Änderungen bei Abschiebungen werden derzeit diskutiert?
Im Diskussionspapier des Bundesinnenministeriums werden zahlreiche Änderungen vorgeschlagen, die die Abschiebepraxis betreffen: So soll etwa der Ausreisegewahrsam von bisher maximal zehn Tagen auf vier Wochen verlängert werden. Menschen, deren Abschiebung unmittelbar bevorsteht, können nach richterlicher Anordnung in Gewahrsam genommen werden, falls erwartet werden kann, dass die Betroffenen ihre Abschiebung erschweren oder verhindern.
Außerdem soll die Polizei mehr Befugnisse bei der Suche nach Ausreisepflichtigen erhalten. Treffen die Beamten etwa eine Person nicht in ihrem Zimmer in einer Gemeinschaftsunterkunft an, sollen sie auch weitere Räume betreten dürfen.
Laut dem Diskussionspapier soll jemand künftig seinen Aufenthaltstitel verlieren und damit abgeschoben werden können, falls nachgewiesen werden kann, dass diese Person einer kriminellen Vereinigung angehört oder angehört hat. Eine strafrechtliche Verurteilung soll dafür nicht nötig sein.
Auch könnten Menschen, die bereits lange geduldet in Deutschland leben, in Zukunft ohne erneute Ankündigung abgeschoben werden. Wer länger als ein Jahr geduldet wird, wurde bisher in der Regel mindestens einen Monat zuvor über die bevorstehende Abschiebung informiert.
Welche Kritik gibt es an dem Vorhaben für eine Verschärfung der Abschieberegeln?
Insbesondere der Plan einer leichteren Ausweisung von Mitgliedern krimineller Vereinigungen hat für Diskussionen gesorgt: Eine Sprecherin des SPD-geführten Innenministeriums hatte zunächst gesagt, der Vorschlag ziele darauf ab, Mitglieder von sogenannten Clan-Strukturen leichter abschieben zu können. Das ließ den Schluss zu, es gehe darum, Menschen aufgrund ihrer Verwandtschaft mit bestimmten Personen auszuweisen.
Daraufhin gab es Kritik von den Koalitionspartnern Grünen und FDP und auch aus der SPD selbst, wo Parteifreunde von „Sippenhaft“ sprachen. Ein Sprecher des Innenministeriums ruderte in Folge zurück, dass es für eine Ausweisung einen Bezug zu kriminellen Aktivitäten geben müsse – und Familienzugehörigkeit sei keine kriminelle Aktivität.
Auch das geplante Streichen der Vorwarnung vor einer Abschiebung hat Kritik auf sich gezogen. Durch diese haben geduldete Menschen bislang Zeit, persönliche Angelegenheiten zu regeln und sich rechtlich beraten zu lassen. „Häufig suchen sie die Beratung erst auf, wenn eine Abschiebung ansteht. Und dann ist es aber so, dass häufig auch ein Aufenthaltsstatus erteilt wird“, sagte Clara Bünger, rechts- und fluchtpolitische Sprecherin der Linken im Bundestag.
Auch Anwältinnen und Anwälte kritisierten, dass Geduldete so Angst haben müssten, jederzeit plötzlich abgeschoben zu werden. Darauf angesprochen, wich Innenministerin Nancy Faeser aus und sprach von verkürzten Fristen statt einer Streichung der Vorwarnung.
An der Ausweitung des Ausreisegewahrsams gab es zudem von verschiedenen Seiten Kritik, sowohl aus der SPD selbst und von den Grünen, als auch von der Linken und anderen Akteuren: So sprach etwa der stellvertretende Bundesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft Heiko Teggatz von einer „Mogelpackung“. Es fehle an Plätzen, um Ausreisepflichtige in Gewahrsam zu nehmen. Die Flüchtlingshilfsorganisation Pro Asyl wiederum äußerte rechtliche Bedenken, da beim Ausreisegewahrsam nun für einen noch längeren Zeitraum Menschen eingesperrt würden, die nichts verbrochen haben.
Welchen Status haben die Pläne zu den Änderungen bei Abschiebungen?
Bislang handelt es sich bei den vom Bundesinnenministerium lancierten Plänen für schärfere Abschieberegeln noch um Vorschläge. Ende August gehen diese noch einmal in die Abstimmung mit den Bundesländern, anschließend ins Kabinett und in den Bundestag.
Schon im Koalitionsvertrag hatten die Ampel-Parteien angekündigt, „eine Rückführungsoffensive“ zu starten, „um Ausreisen konsequenter umzusetzen, insbesondere die Abschiebung von Straftätern und Gefährdern“. Der Anfang August veröffentlichte Diskussionsentwurf geht auf eine Einigung der Bundesländer mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im Mai zurück, das Innenministerium hat diese ausformuliert. Das Papier war vor Veröffentlichung jedoch weder noch einmal mit den Ländern noch innerhalb der Ampel-Koalition abgestimmt – ein ungewöhnliches Vorgehen.
Scholz hat allerdings bereits signalisiert, dass die Pläne schnell in einen Gesetzentwurf münden und umgesetzt werden sollen. In der Koalition herrscht jedoch bislang kein Konsens, den Entwurf des Innenministeriums 1:1 umzusetzen: So sind etwa die Grünen mit den Vorschlägen nicht in allen Punkten einverstanden (siehe Frage 2).
Wie viele Abschiebungen gibt es in Deutschland? Wie viele Menschen sind ausreisepflichtig?
2022 wurden fast 13.000 Menschen aus Deutschland abgeschoben. Im ersten Halbjahr 2023 gab es außerdem gut ein Viertel mehr Abschiebungen als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Vor Ausbruch der Corona-Pandemie wurden deutlich mehr Personen abgeschoben als in den vergangen drei Jahren: 2019 gab es etwa 22.000 Abschiebungen, 2018 waren es mehr als 23.000.
Die Zahl ausreisepflichtiger Menschen ist wesentlich höher. Am 30. Juni 2023 lebten laut Ministerium mehr als 279.000 ausreisepflichtige Personen in Deutschland. Die meisten von ihnen, knapp 225.000 Menschen, besaßen jedoch eine Duldung. Das bedeutet, dass sie trotz der Ausreispflicht zunächst nicht abgeschoben werden. Geduldet werden Menschen etwa, wenn sie keine Ausweispapiere haben, sehr krank und deshalb nicht reisefähig sind, oder auch wenn wegen der Sicherheitslage in ihrem Herkunftsland ein Abschiebestopp besteht.
In der Praxis scheitern zwei von drei Abschiebungen. Gründe dafür sind beispielsweise, dass die Betroffenen nicht auffindbar sind oder Widerstand leisten – oder auch, dass ein Pilot oder eine Fluggesellschaft sich weigert, die abgeschobene Person zu transportieren.
jfr, Katharina Hamberger, Philipp Eckstein, Gudula Geuther, dpa, AFP, KNA