Amir steht an einem der ungemütlichsten Orte, die die Freie und Hansestadt Hamburg zu bieten hat. Vor der Ausländerbehörde fädeln sich die Ausfallstraßen nach Norden und Osten auf, der Verkehr dröhnt über den Asphalt, der Regen ist noch kälter als der scharfe Wind, der um die Häuser weht. Fast zwei Jahre lang war Amir untergetaucht.
"Ich habe bei der Kirche um Hilfe gebeten. Und dort haben sie mir gesagt. OK, du darfst hier bleiben. Und in einer sicheren Wohnung wohnen."
Jetzt taucht Amir wieder auf. Mit brauner Steppjacke, weißem Hemd und Krawatte, mit seinen Unterlagen unterm Arm geht er rein in die Ausländerbehörde und hofft auf einen deutschen Pass. Im "Kirchenkreis Hamburg-Ost" war Hannah Hosseini für Amirs Fall zuständig. Eigentlich, erzählt die junge Frau, sollte der Iraner vor zwei Jahren nach Italien abgeschoben werden, in das europäische Land, dessen Boden er auf seiner Flucht als erstes betreten hatte. So sieht es die Dublin-Verordnung vor. Doch in Italien hat Amir Erfahrungen gemacht, über die er nicht gerne spricht und die auch Hannah Hosseini nicht erwähnt.
"Das heißt, er hat mit dieser Anspannung gelebt, dass jeden Morgen die Polizei kommen kann. Und dann hat er sich dazu entschlossen, die Unterkunft zu verlassen, um dieser Abschiebung zu entgehen. Und hat dann ein paar Tage bei Freunden geschlafen. Er ist dann zu uns, zum Kirchenkreis Hamburg-Ost gekommen und hat uns um Unterstützung gebeten, uns seine Situation geschildert. Und aufgrund seiner Erlebnisse in Italien haben wir dann entschieden, ihn bei uns aufzunehmen in einer unserer Gästewohnungen."
18 Monate musste er dort warten. 18 Monate lang musste er verhindern, nach Italien abgeschoben zu werden. Denn nach 18 Monaten war nach den Dublin-Regelungen sein Asylantrag in Italien hinfällig. Jetzt darf er einen Asylantrag in Deutschland stellen.
Kirchenasyl als Rettung vor Abschiebung
26 Wohnungen für dieses Kirchenasyl stehen in Hamburg zur Verfügung. Derzeit wohnen dort 37 Männer und Frauen und 19 Kinder. Ein Bruchteil derer, die insgesamt in Hamburg ohne Papiere leben und sich so ihrer Abschiebung entziehen. Wie viele es genau sind, darüber gibt es, wen wundert's, keine verlässlichen Daten. Zwischen 6.000 und 22.000 Menschen könnten es allein in der Hansestadt sein - das war das Ergebnis einer Studie von 2009. Gesicherte Zahlen gibt es zu den Abschiebungen aus Deutschland: 21.000 Menschen wurden mit Bussen, Bahnen oder im Flugzeug außer Landes gebracht. Und diese Zahl soll steigen. Zum Beispiel durch ein neues Gebäude für den sogenannten "Abschiebegewahrsam" am Hamburger Flughafen. Die Idee dazu stammt vom Ersten Bürgermeister der Freien und Hansestadt, von Olaf Scholz:
"Da die Zahl derjenigen, die zurückgeführt werden müssen mit der Zahl der Flüchtlinge auch zunehmen wird, ist es jetzt notwendig, dass wir praktisch dafür sorgen, dass das einfacher geht. Und dazu gehört eben auch die Möglichkeit eines Abschiebegewahrsams, einer Abschiebeeinrichtung am Flughafen Hamburg. Da kann man dann wenige Tage vor der anstehenden Abschiebung sicherstellen, dass die Betreffenden auch zur Abreise bereitstehen."
2015 mussten in Hamburg - bei rund 3.200 geplanten Abschiebungen - über 1.000 abgeblasen werden. Weil die ausreisepflichtigen Personen entweder nicht zuhause waren, die Härtefallkommission der Bürgerschaft um Hilfe gebeten oder Widerstand geleistet haben, weil sie untergetaucht waren oder ein ärztliches Attest vorlegen konnten, dass ihnen bescheinigt nicht reisefähig zu sein. Die erfolgreichste Methode, Menschen loszuwerden, sie zur Ausreise zu bewegen, ist ohnehin eine andere: das Beratungsgespräch und die freiwillige Ausreise:
"Im Prinzip wird nur eine Busfahrt organisiert. Und eine kleine Reisebeihilfe, die es ermöglicht, von der jeweiligen Hauptstadt im Heimatland weiter zu kommen in das Heimatdorf."
Aus Hamburg sind im Jahr 2015 1.500 Menschen freiwillig zurückgereist
Michael Drews hat für das Hamburger Flüchtlingszentrum schon Hunderte Flüchtlinge beraten. Vor allem jene, die kaum Aussicht auf einen Aufenthaltstitel oder einen Arbeitsplatz haben. In Hamburg haben sich im letzten Jahr 1.500 Menschen für eine freiwillige Rückkehr entschieden, deutschlandweit sind es über 37.000. Bezahlt werden nicht nur Bahn-, Bus- und Flugticket, sondern es gibt auch Geld für den Neustart im Heimatland. Aus den Töpfen der "Internationalen Organisation für Migration" und aus den Landeshaushalten. Der Flüchtlingsberater Michael Drews nennt ein Beispiel:
"Hier kann man das zum Beispiel sehen. Tunesien ist hier als Land aufgeführt, für das Starthilfe gewährt wird. Die liegen bei 300 Euro pro Erwachsenen und Jugendlichen und eben bei der Hälfte, also 150 Euro pro Kind unter 12 Jahren."
Wie viele Menschen in diesem Jahr ausreisen müssen und wie viele es freiwillig tun, steht noch nicht fest. Dass die Zahlen steigen werden, ist aber sicher. Beim BAMF, dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, so Amtsleiter Frank-Jürgen Weise am Montag, stapeln sich immerhin zwischen 670.000 und 770.000 unbearbeitete Fälle. Genauere Zahlen gibt es auch beim BAMF nicht.