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Abschiebung von Sami A.
"Vertrauen in den Rechtsstaat darf nicht angekratzt werden"

Ein Problem im Fall des Islamisten Sami A. sei, dass daran zu viele unterschiedliche Akteure beteiligt gewesen seien, sagte Konstantin Kuhle im Dlf. Die Zuständigkeiten bei Abschiebungen sollten künftig klarer geregelt werden, sagte der FDP-Politiker.

Konstantin Kuhle im Gespräch mit Christiane Kaess |
    Konstantin Kuhle, Bundesvorsitzender der FDP-nahen Jugendorganisation Junge Liberale (JuLis).
    Konstantin Kuhle, Innenpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion (picture alliance / dpa / Monika Skolimowska)
    Christiane Kaess: War die Abschiebung des sogenannten Gefährders Sami A. illegal? Jetzt soll das Oberverwaltungsgericht Münster diese Frage klären. Das Ausländeramt Bochum wehrt sich mit allen Mitteln dagegen, den als Gefährder eingestuften Mann aus Tunesien zurückholen zu müssen. Mittlerweile hat die Stadt gegen zwei Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen Beschwerden eingelegt, gegen das Abschiebeverbot, als Sami A. bereits im Flugzeug saß, und dagegen, ihn auf Staatskosten aus Tunesien zurückzuholen. Moritz Küpper fasst das juristische Tauziehen zusammen.
    Moritz Küpper berichtete, und darüber wollen wir jetzt sprechen mit Konstantin Kuhle. Er ist Innenpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion im Bundestag. Guten Tag, Herr Kuhle!
    Konstantin Kuhle: Schönen guten Tag, hallo!
    Kaess: Die Frist läuft also aus für die Stadt Bochum, aber die Ausländerbehörde unternimmt eigentlich gar nichts, Sami A. zurückzuholen. Bedeutet das, dass die Zuständigen bei der Behörde glauben, gerichtliche Urteile muss man gar nicht vollstrecken?
    Kuhle: Nein. Es steht fest, gerichtliche Anordnungen sind in einem Rechtsstaat auch immer dann zu akzeptieren, wenn sie einem persönlich nicht in den Kram passen oder wenn man eine andere Auffassung vertritt als das Gericht. Insofern interpretiert Wolfgang Kubicki die zweite Entscheidung des VG Gelsenkirchen, eine Androhung hier gegenüber der Ausländerbehörde vorzunehmen, auch in richtiger Weise.
    Allerdings bezieht er sich ja auf die zweite Anordnung. Die erste Anordnung ist in der Tat zum Zeitpunkt der Abschiebung nicht wirksam gewesen, und deswegen hat auch Minister Joachim Stamp hier richtig gehandelt. Im Übrigen liegt ja derzeit in Tunesien eine Ausreisesperre gegen Sami A. vor, das heißt, er hat überhaupt keine gültigen Ausreisepapiere, und diese Aufforderung läuft damit ins Leere.
    Kaess: Herr Kuhle, das müssen wir noch mal runterbrechen. Müsste Bochum sich jetzt um die Rückholung bemühen, so lange, bis wir rechtlich eine andere Lage haben?
    Kuhle: Das Bemühen um dir Rückholung läuft ja ins Leere, solange eine Ausreisesperre …
    Kaess: Aber es geht ja darum, dass die Bemühung noch gar nicht da ist. Lassen Sie uns dabei noch mal bleiben. Müsste die Stadt Bochum darum sich zumindest bemühen?
    Kuhle: Diese Entscheidung des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen gilt, aber am Ende erwarten wir Befriedungswirkung durch die Entscheidung des OVG Münster, und das ist, worauf es jetzt ankommt.
    16.07.2018, Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf: Joachim Stamp (FDP), Flüchtlingsminister von Nordrhein-Westfalen, äußert sich vor der Presse zur Abschiebung von Sami A.. 
    Joachim Stamp, NRW-Integrationsminister (dpa / picture / Marius Becker)
    Kaess: Das, was ich gerade meinte. Noch haben wir diese rechtliche Lage, dass die Stadt Bochum eigentlich sich anstrengen müsste, da in Tunesien zu erreichen, und wie finden Sie das, das die das gar nicht tun?
    Kuhle: Das wird die Stadt Bochum ja nicht selber tun, sondern das wird sie vor allen Dingen über die Kooperation mit der Bundesregierung tun. Und daran können wir ein grundsätzliches Problem beim Thema der Abschiebung erkennen, nämlich, dass zu viele Akteure an diesen Verfahren beteiligt sind, die teilweise auch auf sehr unterschiedliche Art und Weise miteinander kommunizieren.
    Das ist ja auch einer der Gründe, warum es am Ende beim ersten Beschluss des VG Gelsenkirchen zu diesem Problem gekommen ist. Und deswegen habe ich meine Zweifel, ob das jetzt erfolgreich sein wird.
    Kaess: Also so wie ich das verstanden habe, ist die Stadt Bochum immer noch die erste Stelle, die jetzt mal in Bewegung kommen müsste, um diesen Gerichtsbeschluss umzusetzen, denn sonst würde es ja auch dieses Zwangsgeld von 10.000 Euro nicht gegen die Stadt geben. Untergräbt die Stadt Bochum die Autorität des Landgerichts Gelsenkirchen?
    Kuhle: Diese Entscheidung des VG Gelsenkirchen gilt, aber es ist genauso richtig, dass zwei Verfahren anhängig sind vor dem OVG in Münster, und bei den unterschiedlichen Rechtsauffassungen ist es wichtig, sich diese Entscheidung genau anzuschauen, wenn sie denn vorliegt.
    Kaess: Da drehen wir uns jetzt ein bisschen im Kreis, Herr Kuhle. Ich fasse es mal so zusammen: Es bleibt ja so ein bisschen der Eindruck hängen, wenn man einen sogenannten Gefährder loswerden will, dann kann man auch schnell mal ein Schlupfloch nutzen, das sich zum Beispiel ergibt, weil eben der entsprechende Gerichtsbeschluss noch nicht vorliegt.
    "Es gab ein kurzes Zeitfenster, in dem die Abschiebeverhinderung weggefallen war"
    Kuhle: Es ist sehr eindrücklich, sich die Schilderung auf der Internetseite des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen einmal vorzunehmen, weil es ja nicht den Eindruck geben darf und auch tatsächlich nicht so sein darf, dass wir in einem Rechtsstaat wie Deutschland in irgendeiner Weise ein Zusammenwirken von Behörden erleben, um Gerichte auszutricksen. Das wollen wir nicht, und das darf in einem Rechtsstaat tatsächlich nicht sein.
    Wenn man sich die Chronologie der Ereignisse genau anschaut, dann gab es ein kurzes Zeitfenster, in dem die Abschiebeverhinderung weggefallen war, im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Und die Anwälte von Sami A. eben noch keine einstweilige Anordnung gegen die dann wieder mögliche Abschiebung beantragt hatten. Hier hat der zuständige Landesminister die Gunst der Stunde genutzt und dieses Fenster benutzt, um einen islamistischen Gefährder nach Tunesien abzuschieben. Und da muss ich sagen, habe ich großen Respekt vor, denn das ist genau das, was er zu Beginn seiner Amtszeit gesagt hat. Und anders als andere redet er nicht nur, sondern handelt tatsächlich. Und das würde ich mir eigentlich viel mehr wünschen.
    Kaess: Das, was Sie jetzt als Zeitfenster bezeichnet haben, meinte ich, wenn ich den Begriff Schlupfloch benutzt habe. Aber unterm Strich bleibt es doch dabei, das ist ein Vorgang, den es so noch nicht gegeben hat, dass sich ein Gericht von einer Behörde hintergangen fühlt. Und da stellt sich jetzt schon die Frage, warum sollte das in anderen Fällen nicht wieder passieren, und inwiefern ist da auch das Vertrauen in den Rechtsstaat angekratzt?
    Kuhle: Das Vertrauen in den Rechtsstaat darf nicht angekratzt werden. In der Tat ist es ja hier so, dass der entscheidende Konflikt besteht zwischen einer Bundesbehörde, also dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, die eine entsprechende Zusicherung gegenüber dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen abgegeben haben. Und die Abschiebung, für die stand letztendlich die Ausländerbehörde und die Landesbehörde, also das Landesministerium zuständig. Das heißt, hier ist es auch schwierig, die Nichtinformation durch das Bundesamt einfach dem Landesminister zuzurechnen.
    Aber anhand dieser Schwierigkeiten können wir beobachten, wenn zu viele Akteure zuständig sind, wenn es dazu kommt, dass der Bürger oder die beteiligten Behörden gar nicht mehr erkennen können, bei wem jetzt der Ball liegt, dann kann darunter am Ende das Vertrauen in die Effizienz des Rechtsstaats leiden. Und deswegen gehört zu effizienteren Abschiebungen auch, dass wir weniger Zuständigkeiten haben, dass wir klarere Zuständigkeiten haben und dass wir erkennen können, wer denn nun eigentlich verantwortlich ist.
    Der Stellvertretende FDP - Bundesvorsitzende Wolfgang Kubicki trifft sich zum Thema Innere Sicherheit mit Lokalpolitikern in Mülheim / Ruhr Wolfgang Kubicki ( FDP ) am 11.05.2017 in Mülheim an der Ruhr. Foto: Revierfoto Foto: Revierfoto/Revierfoto/dpa | Verwendung weltweit
    Der Stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende Wolfgang Kubicki (Revierfoto)
    Kaess: Ja, Herr Kuhle, es fragt sich ja auch, warum Gerichtsurteile so unterschiedlich interpretiert werden, zum Beispiel von Leuten, die es eigentlich wissen müssten. Da gehe ich mal natürlich noch mal in Ihre eigene Partei. Sie haben das schon kurz angerissen. FDP-Vize Wolfgang Kubicki kam in dem Beitrag schon vor, er hat außerdem auch noch gesagt, ich zitiere ihn da mal: "Wenn wir dazu übergehen, dass Politiker statt Gerichte darüber entscheiden, wie Recht und Gesetz ausgelegt werden sollen, dann Gnade uns Gott", Zitat Ende, und der nordrhein-westfälische Integrationsminister Joachim Stamp von der FDP haben wir gehört im Beitrag, der sagt nach wie vor, ich bin unverändert überzeugt, dass wir rechtmäßig gehandelt haben. Können Sie erklären, warum Ihre beiden Parteikollegen so unterschiedliche Auffassungen über einen Rechtsstaat haben?
    Kuhle: Ich interpretiere das so, dass die Interpretation von Joachim Stamp sich auf den Zeitpunkt bezieht, da eine erste Entscheidung des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen noch nicht in der Welt war. Es lagen also alle formellen und materiellen Voraussetzungen für eine Abschiebung vor. Ich interpretiere die Aussage von Wolfgang Kubicki so, dass er richtigerweise auf die zweite Entscheidung des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen rekurriert, die nach der erfolgten Abschiebung ergangen ist, zu einem Zeitpunkt, in dem wir jetzt eine Ausreisesperre haben. Also, der Widerspruch ist tatsächlich nicht so groß. Wer Joachim Stamp kennt, weiß, dass auch er den Wert eines funktionierenden Rechtsstaats hoch hängt und ihm auch hier kein Vorwurf zu machen ist. In der Tat ist da kein Widerspruch zwischen beiden zu erkennen.
    "Der Rechtsstaat muss es aushalten, dass man bis an die Grenze des Zulässigen geht, um islamistische Gefährder abzuschieben"
    Kaess: Herr Kuhle, jetzt wissen wir nicht, wie es weitergeht im Fall Sami A. Er ist im Moment auf freiem Fuß in Tunesien, er darf aber im Moment auch nicht ausreisen. Aber falls das passieren sollte, muss der Rechtsstaat das aushalten, dass ein sogenannter Gefährder auf Kosten der Steuerzahler zurückgeholt wird?
    Kuhle: Wenn das das Ergebnis der Entscheidung des OVG Münster ist, dann ausdrücklich ja, das muss der Rechtsstaat aushalten. Aber der Rechtsstaat muss es auch aushalten, dass man bis an die Grenze des Zulässigen geht, um islamistische Gefährder abzuschieben. Das haben die Bürgerinnen und Bürger auch verdient, dass man sich da um die Sicherheit bemüht.
    Kaess: Sollte es dazu kommen, wie wollen Sie das als Politiker vermitteln? Oder ist da einfach gesellschaftlich überhaupt keine Akzeptanz mehr da, wenn Sami A. jetzt tatsächlich zurückgebracht werden würde?
    Kuhle: Ich habe große Zweifel, ob das am Ende wirklich das Ergebnis ist. Wir haben ja eine Entscheidung einer anderen Kammer des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen, die hier auch eine Prognose angestellt haben über ein mögliches Abschiebeverbot. Deswegen gibt es bestimmte Indizien, die darauf hindeuten, dass das Oberverwaltungsgericht Münster das möglicherweise auch so sieht. Wenn es am Ende zu einer anderen Entscheidung kommt, muss man das tatsächlich aushalten als Politik.
    Wir haben alle als Bürgerinnen und Bürger auch die Erwartung, falls wir selbst einmal Gegenstand eines Verfahrens sind, dass am Ende nach Recht und Gesetz und nicht nach politischer Opportunität entschieden wird. Das ist ein ganz entscheidendes Argument, das man bei der Verteidigung des Rechtsstaats auch vorbringen muss. Nur, ich bleibe dabei, von einem Flüchtlings- und Integrationsminister wird zu Recht erwartet, dass er sich mehr und intensiver um die Abschiebung islamistischer gewaltgeneigter Personen kümmert. Das hat Joachim Stamp gemacht, und dafür hat er jeden Respekt verdient.
    Kaess: Die Meinung von Konstantin Kuhle, Innenpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion im Bundestag. Herr Kuhle, Danke für das Gespräch!
    Kuhle: Sehr gern!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.