"Ich weiß nicht so recht, was das sein soll." - "Das is lecker" - "Ich weiß nicht, was das sein soll." - "Das ist 'ne Aprikose, aber da macht man keine Butter drauf."
"Ich hoffe, dass ich helfen kann" sagt der Sohn, dessen Gesicht man sehr oft sieht. Es ist der Filmemacher selbst, David Sieveking, der hier nach Hause reist, zu seiner an Demenz erkrankten Mutter Gretel.
Ihr Verstand und ihr Gedächtnis verlöschen, und damit kombiniert der Sohn eine - leider nicht völlig von Narzissmus freie - Betrachtung, wie wenig er über die geliebte Mutter, die Person, der er sein Leben verdankt, eigentlich weiß.
In "Vergiss mein nicht" erzählt der Filmemacher von seiner Mutter und der Krankheit, vom Umgang des Vaters und der übrigen Familie mit dem Unausweichlichen.
Altersdemenz und Alzheimer sind zwar längst kein Tabuthema mehr. Sieveking ist aber ein besonderer, überaus warmherziger, berührender Film geglückt. Eine Liebeserklärung, die immer wieder sehr witzige Momente hat und gar nicht der depressive Verfallsfilm ist, den man vielleicht befürchtet.
Zudem ist dies ein Familienporträt, das man als Gegenstück zu all jenen Filmen anschauen kann, die ob Fiktion oder Dokumentation, Familien vor allem als Terrorzusammenhang - wie Alexander Kluge es einst nannte - und Schreckenskabinett zeigen. Vom Schrecken der Krankheit einmal abgesehen, ist das Bild das Sieveking zeichnet, in erster Linie beruhigend und wohltuend, auch da wo vielleicht alles etwas zu schön und positiv ist.
Denn dies sind in jeder Hinsicht recht gut ausgestattete, wohlgepolsterte und bildungsbürgerliche Verhältnisse. Man kann sich die Ärzte leisten, wie den Urlaub in der Schweiz - und dies ist keineswegs ein Vorwurf, sondern ein Glück für die betroffenen Personen.
Nur wäre dieser Film ein völlig anderer und höchstwahrscheinlich weniger angenehm zu konsumierender, handelte es sich um ärmere und ungebildetere Leute. Auch die Krankheit hat ihre eigene Klassengesellschaft.
Weil es sich aber um eine bildungsbürgerliche und überdies interessante Familie handelt, hat "Vergiss mein nicht" noch einen zweiten, ganz anderen Erzählstrang.
Er handelt nämlich auch von der Geschichte jener Generation, die in den 60er-Jahren revoltierte und 1968 zwar nicht die Welt, aber immerhin die Bundesrepublik veränderte.
"Gretel wurde Ende der 60er durch den Vietnamkrieg politisiert."
Auch dies wird ausführlich erzählt - und als Zuschauer wundert man sich manchmal, wie wenig der Sohn von den eigenen Eltern weiß. Oder ob er sich als Stellvertreter des Zuschauers in seinem Interesse künstlich dumm stellt.
Eine dritte Erzählebene des Films erschließt sich, sobald man innerlich einen Schritt zurücktritt und den Film in einen größeren Zusammenhang einordnet. Welches Bild von Krankheit und Demenz wird hier überhaupt entworfen?
Zur Kulturgeschichte der Demenz gehört nicht nur das Motiv des Verfalls, der Identitätsauflösung und unser aller Angst davor uns selber zu vergessen. Es gibt auch das Umgekehrte: Die Wohlfühlversion. Zum einen in ihrer bieder-pragmatischen Form, nach dem Motto: Lebensfreude trotz Gedächtnisverlust.
Zum anderen die ideologischere Variante. Den Topos, das die Krankheit auch ihr Gutes hat, weil sie einen Menschen und seine Umgebung auf das Eigentliche zurückwirft, auf das, worauf es "wirklich ankommt".
Nachdem zwei Generationen in Deutschland nichts vergessen durften, sich an alles erinnern mussten und noch vor ein paar Jahren Tilman Jens' Buch über seinen dementen Vater Walter vor allem mit der gewagten These Furore machte, die Krankheit sei eine unbewusste Flucht des Vaters vor der Scham der verdrängten eigenen NS-Vergangenheit ins wohlige Vergessen.
Genau dies beiden positiven Perspektiven passen auf implizite Weise perfekt in unsere Zeit.
Vieles kommt da zusammen: Postmoderne Rationalitätsfeindschaft und die Feier der neuen Übersichtlichkeit des Vergessens, mit der Wiederentdeckung des Körpers und des Irrationalen in den Kultur-Wissenschaften, die neurologische Wende der Geisteswissenschaft und der große Boom der Hirnforschung, das Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom, und das zunehmende gesellschaftliche wie politische Interesse für das Alt-Werden, für die Chancen wie die Probleme alter Menschen.
Und so wie die Tuberkulose im frühen, die Hysterie im späten 19.Jahrhundert, die Nervosität in der Zeit um den Ersten Weltkrieg und das multiple Persönlichkeitssyndrom MPS in den späten 90er Jahren zur Modekrankheit wurden, so könnte es sich jetzt auch mit der Demenz und mit Alzheimer verhalten.
So ist dies "Vergiss mein nicht" ein fröhlicher Krankheitsfilm, und ein nicht ganz unproblematischer, weil an der Oberfläche bleibender Meilenstein im sich entwickelnden Genre des Altzheimer-Films.
"Gretel, wo gehst du denn hin?" - "Keine Ahnung."
"Ich hoffe, dass ich helfen kann" sagt der Sohn, dessen Gesicht man sehr oft sieht. Es ist der Filmemacher selbst, David Sieveking, der hier nach Hause reist, zu seiner an Demenz erkrankten Mutter Gretel.
Ihr Verstand und ihr Gedächtnis verlöschen, und damit kombiniert der Sohn eine - leider nicht völlig von Narzissmus freie - Betrachtung, wie wenig er über die geliebte Mutter, die Person, der er sein Leben verdankt, eigentlich weiß.
In "Vergiss mein nicht" erzählt der Filmemacher von seiner Mutter und der Krankheit, vom Umgang des Vaters und der übrigen Familie mit dem Unausweichlichen.
Altersdemenz und Alzheimer sind zwar längst kein Tabuthema mehr. Sieveking ist aber ein besonderer, überaus warmherziger, berührender Film geglückt. Eine Liebeserklärung, die immer wieder sehr witzige Momente hat und gar nicht der depressive Verfallsfilm ist, den man vielleicht befürchtet.
Zudem ist dies ein Familienporträt, das man als Gegenstück zu all jenen Filmen anschauen kann, die ob Fiktion oder Dokumentation, Familien vor allem als Terrorzusammenhang - wie Alexander Kluge es einst nannte - und Schreckenskabinett zeigen. Vom Schrecken der Krankheit einmal abgesehen, ist das Bild das Sieveking zeichnet, in erster Linie beruhigend und wohltuend, auch da wo vielleicht alles etwas zu schön und positiv ist.
Denn dies sind in jeder Hinsicht recht gut ausgestattete, wohlgepolsterte und bildungsbürgerliche Verhältnisse. Man kann sich die Ärzte leisten, wie den Urlaub in der Schweiz - und dies ist keineswegs ein Vorwurf, sondern ein Glück für die betroffenen Personen.
Nur wäre dieser Film ein völlig anderer und höchstwahrscheinlich weniger angenehm zu konsumierender, handelte es sich um ärmere und ungebildetere Leute. Auch die Krankheit hat ihre eigene Klassengesellschaft.
Weil es sich aber um eine bildungsbürgerliche und überdies interessante Familie handelt, hat "Vergiss mein nicht" noch einen zweiten, ganz anderen Erzählstrang.
Er handelt nämlich auch von der Geschichte jener Generation, die in den 60er-Jahren revoltierte und 1968 zwar nicht die Welt, aber immerhin die Bundesrepublik veränderte.
"Gretel wurde Ende der 60er durch den Vietnamkrieg politisiert."
Auch dies wird ausführlich erzählt - und als Zuschauer wundert man sich manchmal, wie wenig der Sohn von den eigenen Eltern weiß. Oder ob er sich als Stellvertreter des Zuschauers in seinem Interesse künstlich dumm stellt.
Eine dritte Erzählebene des Films erschließt sich, sobald man innerlich einen Schritt zurücktritt und den Film in einen größeren Zusammenhang einordnet. Welches Bild von Krankheit und Demenz wird hier überhaupt entworfen?
Zur Kulturgeschichte der Demenz gehört nicht nur das Motiv des Verfalls, der Identitätsauflösung und unser aller Angst davor uns selber zu vergessen. Es gibt auch das Umgekehrte: Die Wohlfühlversion. Zum einen in ihrer bieder-pragmatischen Form, nach dem Motto: Lebensfreude trotz Gedächtnisverlust.
Zum anderen die ideologischere Variante. Den Topos, das die Krankheit auch ihr Gutes hat, weil sie einen Menschen und seine Umgebung auf das Eigentliche zurückwirft, auf das, worauf es "wirklich ankommt".
Nachdem zwei Generationen in Deutschland nichts vergessen durften, sich an alles erinnern mussten und noch vor ein paar Jahren Tilman Jens' Buch über seinen dementen Vater Walter vor allem mit der gewagten These Furore machte, die Krankheit sei eine unbewusste Flucht des Vaters vor der Scham der verdrängten eigenen NS-Vergangenheit ins wohlige Vergessen.
Genau dies beiden positiven Perspektiven passen auf implizite Weise perfekt in unsere Zeit.
Vieles kommt da zusammen: Postmoderne Rationalitätsfeindschaft und die Feier der neuen Übersichtlichkeit des Vergessens, mit der Wiederentdeckung des Körpers und des Irrationalen in den Kultur-Wissenschaften, die neurologische Wende der Geisteswissenschaft und der große Boom der Hirnforschung, das Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom, und das zunehmende gesellschaftliche wie politische Interesse für das Alt-Werden, für die Chancen wie die Probleme alter Menschen.
Und so wie die Tuberkulose im frühen, die Hysterie im späten 19.Jahrhundert, die Nervosität in der Zeit um den Ersten Weltkrieg und das multiple Persönlichkeitssyndrom MPS in den späten 90er Jahren zur Modekrankheit wurden, so könnte es sich jetzt auch mit der Demenz und mit Alzheimer verhalten.
So ist dies "Vergiss mein nicht" ein fröhlicher Krankheitsfilm, und ein nicht ganz unproblematischer, weil an der Oberfläche bleibender Meilenstein im sich entwickelnden Genre des Altzheimer-Films.
"Gretel, wo gehst du denn hin?" - "Keine Ahnung."