Der Deckel eines Pappkartons wird geöffnet. Zum Vorschein kommen ein alter Personalausweis, kleine Plastiktüten mit Arbeitsbescheinigungen und einige Familienfotos. Es sind die persönlichen Dinge, die dem 27 Jahre alten Niederländer Joost de Snoo am 9.September 1944 abgenommen wurden, als er im Hamburger Konzentrationslager Neuengamme ankam. 71 Jahre später holt sein Sohn, der wie der Vater Joost des Snoo heißt, gemeinsam mit seiner Frau Trus die Habseligkeiten im nordhessischen Bad Arolsen ab, wo sie aufbewahrt wurden. Joost de Snoo ist von seinen Gefühlen überwältigt:
"Ich bin sehr glücklich, dass ich sie empfangen darf. Es hat keinen materiellen Wert, aber einen emotionalen Wert. Das sind Dinge, die er selbst in der Hand gehabt hat und bei sich gehabt hat."
Großer Bogen um Deutschland
Vor allem die Fotos sind wichtig für Joost de Snow. Bisher besaß er keine Bilder, auf denen seine Eltern gemeinsam zu sehen sind. Seit er im Herbst 2015 erfahren hat, dass seinem Vater im KZ Neuengamme Bilder abgenommen worden waren, auf denen seine Eltern gemeinsam mit ihm als Kleinkind zu sehen sind, war sein Entschluss klar. Er wird nach Deutschland fahren und die Habseligkeiten des Vaters abholen. Obwohl der heute 75 Jahre alte Joost de Snoo jahrzehntelang nicht in das Land reisen wollte, das seinen Vater auf dem Gewissen hat:
"Ich muss bekennen, when I was young, I never came to Germany. I go round Germany, with Holidays. Now I am older und ich kann verstehen, dass die Kinder der Nazis dieselben wie ich sind. Sie können nichts dafür, das verstehe ich sehr gut."
Reporter: "Das hat sich mit den Jahren geändert?"
Joost de Snoo: "Ja, das ist so."
Reporter: "Aber früher ist man drum rum gefahren?"
Joost de Snoo: "Ja, ja, ich beschloss - nicht nach Deutschland! Ich habe meinen Vater nicht gekannt, aber ich habe eine Antipathie gegen die Deutschen. Nur, die Kinder der Nazis sind dieselben wie ich. Die Kinder können da nichts dran machen."
Ein Pappkarton voller Erinnerungen
Nun hält Joost de Snoo den Pappkarton mit den sogenannten "Effekten" in der Hand, die bisher beim "Internationalen Suchdienst" - kurz ITS - im nordhessischen Bad Arolsen aufbewahrt waren. Der Suchdienst wurde direkt nach dem Krieg von allen vier Alliierten gegründet, um Vermisste zu finden und durch den Krieg auseinandergerissene Familien zusammenzuführen. Heute ist er eines der weltweit wichtigsten Archive zum Nationalsozialismus.
Rund 30 Millionen Dokumente lagern in Bad Arolsen. Die Karteikarten, die die Täter in den KZs zu ihren Opfer anlegten, sind UNESCO-Weltdokumentenerbe. Joost und Trus de Snoo lassen sich vom Arolser Archivleiter Christian Groh den Raum zeigen, in denen bisher die Habseligkeiten des Anfang 1945 in Neuengamme ermordeten Vaters aufbewahrt wurden:
"Mein Team und ich sind dafür verantwortlich, dass diese Dokumente möglichst langfristig lagern und das sie so erschlossen sind, dass sie möglichst schnell wieder findbar sind. Ich würde ihnen jetzt vielleicht kurz die Schränke zeigen, in denen die Effekten verwahrt werden. Jetzt minus der Effekte ihres Vaters."
De Snoo: "Minus der Effekte meines Vaters. Die sind da nicht mehr."
Gefühl der Befreiung
Mit dem Pappkarton unter dem Arm geht Joost de Snoo gemeinsam mit seiner Frau Trus wenig später zurück zum Hotel. Noch am Abend will das Paar nach Rotterdam zurückfahren, wo es in einer ruhigen Vorstadtsiedlung lebt. Eine anstrengende Reise geht zu Ende. Denn bevor die beiden Niederländer nach Bad Arolsen kamen, waren sie zum ersten Mal auch im Hamburger Konzentrationslager Neuengamme. Haben dort am Krematorium Blumen niedergelegt und sich vom Vater verabschiedet. Auf der Hotelterrasse im Arolsen zieht Joost de Snoo eine erste Bilanz der Reise. Er spricht von einem Gefühl der Befreiung, das er empfindet:
"Sehr befreit. Tut mir gut. Dass ich das mitgemacht habe und das ich die Dokumente geholt habe. Das freut mich sehr. Für meinen Vater, den ich nicht gekannt habe. Was mein Vater in der Hand gehabt hat, habe ich nun in meiner Hand."