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Abschied in Hamburg

Der Volksentscheid in Hamburg und der Rücktritt Ole von Beusts prägen die Diskussion in Hamburg. Und auch für die Berliner CDU stellt sich die Frage: Bricht nun die Zeit der starken Frauen an?

Von Verena Herb, Christel Blanke und Annette Reiners |
    Am Mikrofon Peter Kapern. Guten Abend. Zuwachs für die Null-Bock-Generation. Ole von Beust will nicht mehr. Nach neun Jahren auf dem Posten des Bürgermeisters der Freien und Hansestadt Hamburg kündigte er heute seinen Rücktritt an. Und zwar für den 25. August. Das ist der Tag, an dem die Bürgerschaft zum ersten Mal wieder nach der Sommerpause zusammentreten wird. Von Beusts Ankündigung kam 15 Minuten, bevor in Hamburg die Wahllokale schlossen. Dort wurde nämlich heute in einem Volksentscheid darüber abgestimmt, ob die Grundschule im Stadtstaat weiterhin vier Jahre dauern wird oder ob sie in Primarschule umgetauft und sechs Jahre dauern wird. Längeres gemeinsames lernen. Heute aber, noch bevor eine mögliche Abstimmungsniederlage dem ersten Bürgermeister angelastet werden konnte, lehrte der die Hamburger, dass er künftig die große Freiheit der großen Verantwortung vorziehen will:

    "Die biblische Erkenntnis - alles hat seine Zeit – gilt auch für Politiker. Mit dieser Erkenntnis habe ich mich entschieden, bei den Wahlen im Jahre 2012 nicht wieder als Bürgermeisterkandidat anzutreten. Was den Zeitpunkt meines Rückzuges angeht, bin ich in den letzten Tagen zu der Überzeugung gelangt, dass dies heute, unabhängig vom Ausgang des Volksentscheids, der vernünftige Zeitpunkt ist. Das Ergebnis der Volksabstimmung wird daher auch mein Ergebnis sein. Zum anderen wollte ich während der Abstimmungswochen eine Überschattung des Themas Schulreform durch eine Personaldiskussion verhindern. Darum also heute."

    Ole von Beust vor einer Stunde im Hamburger Rathaus. Sein Abschied kam nicht überraschend. Seit Monaten kursierten Gerüchte, er sei amtsmüde. Im vergangenen Jahr habe es ihn enttäuscht, dass Angela Merkel ihm, anders als zugesagt, doch keinen Kabinettsposten in der schwarz-gelben Koalition gegeben habe. So jedenfalls stand es im Spiegel zu lesen. Nach neun Jahren schmeißt er nun also hin. Es waren erstaunliche neun Jahre. Am Anfang stand die Schmuddel-Koalition mit dem Rechtspopulisten Schill, der als Richter Gnadenlos gestartet war, als Innensenator gefeuert wurde und anschließend seine Linien durch Brasilien zog.

    Dann kam die Zeit der absoluten Mehrheit. Ole von Beust auf der Höhe seines öffentlichen Ansehens. Präsident der Hamburger, der unberührt von politischen Scharmützeln durch die Umfragen schwebte. Und schließlich das erste schwarz-grüne Bündnis auf Landesebene, als dessen Chef er sich die Schulreform des Koalitionspartners zu eigen machte, das Projekt seiner eigenen Partei überstülpte und zudem noch den immer unverschämteren Umgang der Hamburger Pfeffersäcke mit ihrem Reichtum kritisierte. Ein Mann auf dem langen Weg von einigermaßen rechts nach ganz schön links. Und was hat das mit seiner Hamburger CDU gemacht?

    "Wir haben eine gute Stimmung. Und wir haben auch einen Bürgermeister, den wir noch lange im Amt haben wollen", behauptete Frank Schira, Fraktions- und Parteichef der Hamburger CDU bis zuletzt.

    Es scheint, als ob die Parteispitze sich nicht wirklich damit auseinandersetzen wollte, dass ihre Gallionsfigur nun abtritt. Und wollte dem Bürgermeister wohl auch nicht in die Parade fahren, wo dieser doch gebetsmühlenartig betonte:

    "Es gilt das, was ich immer gesagt habe: Ob ich noch einmal antrete 2012 muss zu einem richtigen Zeitpunkt entschieden werden. Rechtzeitig vor der nächsten Wahl."

    Doch genau diese schwammige Aussage hat vor allem die Parteimitglieder verstört: Der Unmut war und ist groß. Marcus Weinberg, stellvertretender Landesvorsitzender der CDU:

    "Für uns als CDU muss nun mal wichtig sein, dass wir tatsächlich im Herbst ein klares Gerüst haben. Klare Strategie, klare Kommunikation nach außen. Und das heißt dann auch, dass Personalspekulationen beendet werden sollten. Denn wir brauchen natürlich auch eine Sicherheit als CDU."

    Viel zu lange habe Ole von Beust seine Anhänger, aber auch die Stadt, im Unklaren gelassen, wie er seine persönliche Zukunft plane, meint auch der Präses der Handelskammer Hamburg, Frank Horch:

    "Diese Situation des Hinhaltens, und dass jeden Tag andere Vermutungen, Spekulationen durch die Medien gehen, das ist nicht gut. Das schädigt die Person, das schädigt das Amt, und das ist am Ende auch von großem Nachteil für die Stadt..."

    Und für die Partei. Denn die steckt in der Krise: Die Umfragewerte sinken kontinuierlich. Kamen die Christdemokraten bei der letzten Bürgerschaftswahl 2008 noch auf 42,6 Prozent der Stimmen, liegen die Werte jetzt bei nur noch 36 Prozent. Die Partei muss wieder Vertrauen in der eigenen Wählerschaft schaffen, muss die traditionellen Kompetenzfelder der CDU – also innere Sicherheit, Wirtschaft und Finanzen – schärfen. Sonst laufen die Wähler davon. Fast täglich brennen Autos auf Hamburgs Straßen, die Haushaltslage der Stadt ist mit 500 Millionen strukturellem Haushaltsdefizit desaströs und die HSH Nordbank, die Krise um Hapag Lloyd und die Elbvertiefung – das alles wird noch weiter für Aufregung sorgen. Frank Horch, der Präses der Handelskammer Hamburg:

    "Ich vermisse hier jetzt schon seit einigen Wochen die klare Ausrichtung auf die Notwendigkeiten unserer Stadt. Es wird über vieles geredet, aber die klare Struktur, jetzt diese Dinge anzugehen und auch tatsächlich mit Personen dahinter zu stehen und zu sagen, wir gehen das Ganze jetzt mit Leidenschaft an und wollen jetzt auch zu einer Lösung kommen, das ist nicht erkennbar."

    Gerade die Debatte um die Schulreform hat viele an der CDU-Basis vergrätzt: Viele Konservative sind entrüstet, dass sich der Bürgermeister und mit ihm die gesamte Fraktion so bedingungslos hinter das grüne Projekt Primarschule gestellt haben. Die CDU überlasse dem kleinen Koalitionspartner das Agenda-Setting, meint so mancher. Und so tönt es verächtlich von der Basis: "Da wedelt der Schwanz mit dem Hunde".

    Ole von Beust hat es in den vergangenen neun Jahren geschafft, aus einem etwas spröden Altherren-Verein eine liberale, offene Großstadtpartei zu formen. Mit Start der Bürgerschaftswahl 2001 war er die Beliebtheits- und damit Wahllokomotive der Hamburger Christdemokraten. Das mag wohl auch der Grund sein, warum seine Partei ihm bei Kapriolen gerne folgte: Man erinnere sich an das Experiment mit der Schill-Partei Anfang des Jahrzehnts. Hier waren die Probleme vorprogrammiert. Dennoch schafft es von Beust, 2004 für seine Partei die absolute Mehrheit zu holen.

    Auch Schwarz-Grün – seit 2008 - wieder ein Experiment ohne Beispiel. Doch dafür bekam er Rückenwind aus Berlin. So kam das Pilotprojekt auch zustande. Mittlerweile ist die Partei vielen konservativeren Stammwählern zu offen, zu liberal. Der Politikwissenschaftler Michael Greven:

    "Ich glaube, das Grundproblem der CDU liegt darin, dass sie einerseits versucht, in der Koalition mit den Grünen eine moderne Großstadtpartei zu sein, und andererseits ein nicht unbeträchtlicher Teil ihrer Wählerschaft doch recht konservativ ist."

    Jetzt muss von Beusts Nachfolger die Wogen wieder glätten. Zwei Jahre hat die CDU Zeit, ihren Spitzenkandidaten aufzubauen. So es nicht vorher zu Neuwahlen kommt. Die fordert nämlich Olaf Scholz, ehemaliger Bundesarbeitsminister und jetziger SPD-Landeschef in Hamburg. Er läuft sich bereits warm für das Amt des Bürgermeisters. Ole von Beust habe dem Amt massiv geschadet, so Scholz:

    "Eins ist ganz klar, so darf man mit dem Amt des Hamburger Bürgermeisters nicht umgehen. Es hätte nicht zugelassen werden dürfen, auch vom Bürgermeister nicht. Schließlich ist das Amt des Hamburger Bürgermeisters nicht irgendeines."

    Olaf Scholz war das im Beitrag von Verena Herb. So viel Rücktritt und Abschied war nie. Die einen haben keine Lust mehr, im System Merkel noch auf Karriere zu hoffen, die anderen werden für die Politik der Regierung Merkel vom Wähler abgestraft. Dritte, wie Horst Köhler, werfen Kanzlerin Merkel die Brocken einfach vor die Füße. Wer es gut mit der Regierungschefin und CDU-Vorsitzenden meint, könnte ihr attestieren, den Generationenwechsel konsequent voranzutreiben. Aber kann die Union tatsächlich auf die Generation der gerade mal gut 50-Jährigen verzichten? Fest steht: Jeder weitere Abschied nährt die Debatten um Merkels Führungsstil. Christel Blanke aus unserem Hauptstadtstudio:

    Roland Koch: "Politik ist ein faszinierender Teil meines Lebens. Aber Politik ist nicht mein Leben."

    Politik ist nicht mein Leben. Diesen Schluss hat in den vergangenen Monaten nicht nur Roland Koch gezogen. Wie der scheidende hessische Ministerpräsident haben diverse seiner Amtskollegen der Politik den Rücken gekehrt. Dieter Althaus, Thüringen, ging nach einer Wahlschlappe. Ebenso wie nun Jürgen Rüttgers, Nordrhein-Westfalen. Günther Oettinger, Baden-Württemberg, ging - mehr oder weniger aus eigenem Antrieb - als EU-Kommissar nach Brüssel. Christian Wulff, Niedersachsen, wurde Bundespräsident. Sie alle sind Mitglied der CDU. Und fast alle wollten sie mehr werden, als sie waren. Wollten nach Berlin, ins Kabinett oder gar an dessen Spitze. Für ihren Rückzug gibt es trotzdem unterschiedliche Motive, meint Mariam Lau, Hauptstadtkorrespondentin der Zeit:

    "Roland Koch, der hat sich einfach verschätzt. Da sieht man, dass man mit Ressentimentpolitik in Deutschland nichts mehr werden kann. Also bei dem, glaube ich, ist das einfach das Gefühl, an ein Ende gekommen zu sein. Wulff war's leid und sieht aber in der Bundespräsidentschaft natürlich eine schöne neue Herausforderung."

    Das Hauptproblem sieht Mariam Lau, Autorin eines Buches über Angela Merkel und die Modernisierung der CDU, aber darin, dass die Partei nicht mehr so richtig wisse, wer sie sei:

    "Ich glaube, dass es Angela Merkel nicht gelungen ist, für ihre Modernisierung wirkliche Begeisterung in der Partei zu entfachen. In der Breite der Partei, habe ich das Gefühl, ist das zwar angekommen, so als eher eine Notwendigkeit, wir müssen uns öffnen, um in den Städten gerade junge Frauen zu gewinnen. Aber so eine Hoffnung und eine Begeisterung und das sind wir, so ein Gefühl hat das irgendwie nicht ausgelöst."

    Für viele Parteimitglieder ist Angela Merkel nicht zu greifen. Sie vermissen Profil. Ein Gefühl, das die Vorsitzende mit Äußerungen wie dieser durchaus befördert:

    "Mal bin ich liberal, mal bin ich konservativ, mal bin ich christlich-sozial. Und das macht die CDU aus."

    Das Resultat seien unglückliche und völlig frustrierte Mitglieder, meint Josef Schlarmann, Vorsitzender der Mittelstandsvereinigung der Union und Mitglied im CDU-Vorstand. Für ihn ist vor allem problematisch, dass sich Spitzenpolitiker aus der aktiven Politik zurückziehen, die für das konservative Profil der Partei stehen und für Sachverstand in den Bereichen Wirtschaft und Finanzen. Wie Roland Koch, Christian Wulff und seinerzeit Friedrich Merz. Merz kündigte 2007 seinen Rückzug an, nach monatelangen Querelen mit der Parteivorsitzenden. Die Forderung einiger CDU-Politiker, Merz nun zurückzuholen und Koch zum Bleiben zu überreden, hält Mariam Lau aber für absurd:

    "Was soll das für ein Signal sein? Wir haben nicht mehr genügend Leute, da sind ja genügend Leute. Da ist Röttgen, da ist Gröhe, da ist Schavan. Nur müssen die jetzt wirklich aktiv nach vorne gehen und für das kämpfen, was sie wollen."

    Ob Angela Merkel bereit ist, Macht an den einen oder anderen abzugeben, sei aber nicht klar. Beispiel Bundesumweltminister Norbert Röttgen:

    Mariam Lau: "Steht sie nun hinter dem, was er will, oder nicht. Weil sie nicht verlieren will. Und das ist natürlich klar, dann werden diese neuen Figuren, die man da hat, gleich wieder demontiert."
    Bundesbildungsministerin Annette Schavan, Parteivize wie Koch, Wulff und Rüttgers, sieht diese Probleme nicht. Der Führungsstil der Vorsitzenden habe zu vielen positiven Ergebnissen geführt. Angela Merkel sei offen für konstruktive Kritik:

    "Das ist ja das, was manche immer wieder anmerken: Wird bei euch nicht zu lange in der Sache diskutiert. Nein: Es wird Raum gegeben zum Ringen in der Sache. Angela Merkels Führungsstil ist geprägt von der Gewissenhaftigkeit in der Sache. Nicht Hauschnau, nicht Parolen, sondern sie erwartet Argumente, sie erwartet, dass wir abwägen, dass am Ende klar ist, wo ist die Priorität gesetzt."

    Eine, die kämpfen kann für ihre Sache, ist aus Sicht von Mariam Lau Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen. Ist also eine starke Frau die Zukunft der CDU statt der frustrierten Männer?

    "Ja. Wer auch immer da ist und genug Dampf in sich spürt, soll vortreten."

    Soweit der Beitrag von Christel Blanke. Und damit noch einmal zurück nach Hamburg. Wenn der eine geht, stellt sich die Frage, wer dessen Platz einnimmt. An der Spitze der Stadtstaatsregierung soll dies Innensenator Christoph Ahlhaus sein. Ein Mann, dessen Positionen aus dem Lehrbuch der guten alten CDU zu stammen scheinen. Was aber auch Probleme mit der Koalition bedeuten könnten. Annette Reiners über den Kronprinzen vor der Krönung:
    Christoph Ahlhaus ist ein Senkrechtstarter und Polit-Profi. Seit knapp neun Jahren arbeitet der 40-Jährige in Hamburg und stieg in dieser Zeit vom Landesgeschäftsführer der CDU zum Innenexperten der Bürgerschaftsfraktion, dann zum Staatsrat der Innenbehörde und schließlich zum Innensenator auf. Er gilt als Hardliner in puncto Innere Sicherheit und positioniert sich entsprechend, versucht sich gegen die harten Sparvorgaben des Finanzsenators zu stemmen:

    "Bei allem Spardruck, den wir in dieser Stadt haben: An den Polizeibeamten auf der Straße wird in Hamburg nicht gespart werden. Ein Zurückweichen vor Willkür und Gewalt ist keine Option. Ich glaube, das sind wir den Menschen in dieser Stadt und auch unseren Beamten schuldig."

    Ahlhaus stammt aus Heidelberg, dort machte er eine Banklehre und studierte Jura. Nach Hamburg kam er ganz profan über eine Zeitungsanzeige, in der die Stelle des CDU-Landesgeschäftsführers ausgeschrieben war. Die erste große Herausforderung war die Bürgerschaftswahl 2004, wo er den Posten des Wahlkampfleiters übernahm. Er organisierte einen ausgesprochen erfolgreichen Wahlkampf für Bürgermeister Ole von Beust, der bundesweit Aufmerksamkeit erregte und der CDU die absolute Mehrheit brachte. Als CDU-Abgeordneter, Innenstaatsrat und Innensenator profilierte er sich und prägte das Thema Innere Sicherheit. Zentraler Punkt dabei in jedem Jahr: die polizeiliche Kriminalstatistik.

    "0,3 Prozent weniger Gesamtkriminalität - keine besondere Sensation. Stabilität auf niedrigem Niveau. Aber genau das ist eine sehr gute Botschaft."

    Die mittlerweile sehr getrübt wird. Einige Beispiele: Die Krawalle in der Schanze zum ersten Mai, ganze Serien von Autobrandstiftungen, in der U-Bahn-Station Jungfernstieg wird ein Jugendlicher von einem Intensivtäter erstochen und im Stadtteil Neuwiedenthal greifen 30 junge Männer Polizisten an. Dass die Polizei danach beschuldigt wird, selbst zur Provokation beigetragen zu haben, ist für den Innensenator unerträglich.

    "Polizeibeamte sind Bürger in Uniform, auch da gibt's Fehler. Es ist aber durch nichts zu rechtfertigen und unerträglich, wenn Polizeibeamte mit Schlägen, Tritten und Steinwürfen attackiert und in Lebensgefahr gebracht werden."

    Als Vorsitzender der Innenministerkonferenz will er sich deshalb für härtere Strafen für Gewalttäter, die Polizisten angreifen, einsetzen. Schwierig in der Koalition mit den Grünen, denn dort ist man in puncto Innenpolitik alles andere als auf einer Linie. So glauben denn auch nicht wenige in der Union, dass mit einem Regierungschef Christoph Ahlhaus eine Neuauflage von Schwarz-Grün schwierig wird.

    Soweit Annette Reiners. Und verbunden bin ich jetzt mit Verena Herb, unserer Hamburg-Korrespondentin. Frau Herb, werden denn die Grünen, die in Hamburg GAL heißen, den Neuen Christoph Ahlhaus anstandslos mitwählen?

    Verena Herb: Anstandslos würde ich nicht sagen. Es wird da sicherlich Überlegungen oder Debatten geben im Vorfeld, aber ich gehe davon aus, dass es zumindest nicht zu Neuwahlen kommen wird, und dass Christoph Ahlhaus auch am 25.8. zum neuen Bürgermeister gewählt wird mit den Stimmen der GAL. Ich habe es anfangs gesagt, Ahlhaus ist jetzt nicht gerade der Wunschkandidat der GAL, aber man kennt sich ja auch. Ahlhaus ist ja schon seit zwei Jahren im Senat, man hat schon zwei Jahre gemeinsam gearbeitet. Was sich sicherlich ändern wird in der Koalition, ist, dass der Ton untereinander wohl etwas schärfer wird. Ahlhaus wird versuchen, der CDU ein neues, ein sehr viel konservativeres Profil zu geben. Daran hat es auch in den letzten Wochen und Monaten massiv gehapert. Und da wird er wohl weniger Rücksicht auf den kleinen Bündnispartner nehmen. Aber ich glaube auch, die GAL hätte kein Interesse, das Bündnis aufzukündigen, denn bislang ist sie ja ganz gut gefahren mit der CDU. Die werden auch erstmal abwarten.

    Peter Kapern: In diesem Moment, Frau Herb, trudelt hier eine Eilmeldung der Agenturen ein, die besagt, dass der Volksentscheid wohl gescheitert sei. Also noch unter Vorbehalt, denn noch werden ja die Stimmen ausgezählt. Was würde dies für die Zukunft des schwarz-grünen Bündnisses, wenn es denn tatsächlich so kommt, bedeuten?

    Herb: Das kommt jetzt ganz darauf an, wie das Scheitern jetzt tatsächlich aussieht. Also wenn jetzt die Politik wirklich mit Pauken und Trompeten gewonnen hat bzw. gescheitert (ist), bedeutet ja – davon gehe ich jetzt zu dieser Sekunde aus – dass das Quorum nicht erreicht wurde, weil halt eben viel zu wenige Leute abgestimmt haben, dann wird die Primarschule ja eingeführt ...
    Kapern: Wenn ich da kurz eingreifen darf, Frau Herb, es sieht im Moment, in den allerersten Meldungen, die in diesen Sekunden hier eintreffen, so aus, als hätte die Politik mit ihrem Vorhaben eine Niederlage erlitten ...

    Herb: ... dann habe ich Sie falsch verstanden. Aber dann muss ich sagen, kommt es wirklich auch darauf an, wie denn der Sieg der Schulreformgegner ausgefallen ist. Also wenn man jetzt ganz knapp verloren hat, wenn die Primarschule ganz knapp nicht eingeführt wird, dann kann Christa Goetsch immer noch ihr Gesicht wahren und sagen: Wir haben ja den Volksentscheid, dass er bindend ist, auf den Weg gebracht, und deswegen können wir jetzt auch so weitermachen, denn wir haben ja noch den Rest der Schulreform, nämlich dass das dreigliedrige Schulsystem abgeschafft wird und man jetzt auf Stadtteilschule und Gymnasium geht. Deswegen muss man halt eben das Ergebnis abwarten, dass es dann ein Problem wird für Schwarz-Grün. Anders sieht es natürlich aus, wenn es jetzt mit Pauken und Trompeten verloren geht, also wenn die Politik wirklich massiv verloren hat.

    Kapern: Würde Frau Goetsch, die Schulsenatorin, dann zurücktreten müssen?

    Herb: Na, sie hat vorher betont, sie wird nicht hinschmeißen, sie hat gesagt, das wäre verantwortungslos. Aber ich bin davon überzeugt, dass es erstmal davon abhängig ist, wie der Sieg jetzt ausgefallen ist.

    Kapern: Könnte es sein, dass irgendwie noch – und dies kurz zum Schluss - irgendwie noch im Soge dieses Volksentscheides Schwarz-Grün auf die schiefe Bahn kommt und möglicherweise zerbricht?

    Herb: Ehrlich gesagt, ich glaube es nicht. Ich glaube, dass jetzt jeder abwarten wird, und vielleicht wissen wir mehr nach 23 Uhr, wenn das vorläufige Endergebnis feststeht. Ich halte mich da noch zurück mit Prognosen, muss ich ehrlich sagen.

    Kapern: Dann halten wir uns auch zurück, warten ab, bis die endgültigen Zahlen vorliegen. Mehr zum Thema Rücktritt von Ole von Beust ab 19.05 Uhr hier in unserem Programm im Kommentar. Und das war unser heutiger Hintergrund. Am Mikrofon bis hierher war Peter Kapern. Ich wünsche einen schönen Abend und sage auf Wiederhören.