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Kommentar zum Abschied von Serena Williams
Eine Niederlage, die wie ein Triumph wirkte

Der hochkommerzielle Sport von heute kann im Idealfall mehr bieten als ungeheure Athletik und spannenden Wettkampf. Das habe der Abschied von Serena Williams gezeigt, kommentiert Jürgen Kalwa. Galionsfiguren können Vorbilder und Inspirationsquelle sein und können sogar ihre Auftritte in Gemeinschaftserlebnisse verwandeln.

Ein Kommentar von Jürgen Kalwa |
Serena Williams bedankt sich zum Abschied bei ihren Fans
Serena Williams bedankt sich zum Abschied bei ihren Fans (picture alliance / abaca / Dubreuil Corinne / ABACA)
Es ergibt sich bereits aus dem kleinen Einmaleins des Sports. Da nur wenige Athletinnen und Athleten jahrelang ihre Disziplin dominieren, kommt es nur selten zu solch hochemotionalen Momenten wie den vom Freitagabend in New York.
Mehr als 20.000 enthusiastische Zuschauer waren im Stadion dabei. Und mehrere Millionen verfolgten das Geschehen live im Fernsehen oder im Stream, wie Serena Williams, die beste und erfolgreichste Tennisspielerin der letzten 20 Jahre, mit einem mitreißenden Match ihre Karriere beendete. Zwischendurch sah es so aus, als könnte die Amerikanerin mit fast 41 Jahren die Zeit anhalten und den angekündigten Abschied um wenigstens ein weiteres Duell hinausdehnen. Aber das gelang nicht. Sie verlor die Begegnung. Wenn auch in drei Sätzen. Aber am Ende ziemlich klar.

Dank an die Familie

Trotzdem wirkte diese Niederlage wie ein Triumph, als Serena – aufgewachsen in ärmsten Verhältnissen – im Interview auf dem Centre Court daran erinnerte, dass ihre ungewöhnliche Erfolgsgeschichte nicht nur auf ihrer eigenen Begabung und ihrem persönlichen Ehrgeiz beruht. Sie nannte ihre Eltern, darunter Vater Richard, einst die treibende Kraft, aber inzwischen zu gebrechlich, um nach New York zu reisen. Und sie nannte Venus, die im Arthur-Ashe-Stadion in der Loge saß. Die ältere Schwester hatte wie ein Eisbrecher – selbstbewusst und stoisch – die vielen Vorbehalte platt gemacht, die den beiden Ausnahmetalenten in jungen Jahren entgegengebracht wurden. Sie verdrückte dabei ein paar Tränen.

Steffi Graf schlich sich einfach davon

Sich auf solche Weise feiern und ein enormes Publikum weltweit teilhaben zu lassen, das vermag nicht jeder. Steffi Graf etwa, ebenfalls eine der ganz großen Figuren der Tennisgeschichte, trat 1999 bei einem Turnier in Kalifornien auf verstohlene Weise ab. Ohne die Fans einzuweihen. Der Plan dazu reifte bereits bei der Anreise. Und als sie auf dem Platz stand, wusste sie: “Das war’s. Das war so klar, wie es nur sein konnte”, sagte sie Jahr später. Ihr war es klar. Und so stieg sie – angeblich verletzt – aus dem ersten Match aus und trat nicht wie eine Sportlerin von historischem Zuschnitt von der Bühne ab, sondern schlich sich einfach davon.
Umso besser, dass es Ikonen gibt, die aus solchen Momenten etwas machen. Die sich und das Publikum daran erinnern, dass selbst der hochkommerzielle Sport von heute im Idealfall mehr bieten kann als ungeheure Athletik, technisches Können und spannenden Wettkampf. Seine Galionsfiguren können Vorbilder und Inspirationsquelle sein und können sogar ihre Auftritte in Gemeinschaftserlebnisse verwandeln. Und zwar nicht nur, wenn sie gewinnen. Sondern auch dann, wenn es Zeit für sie wird, zu gehen.