Durch den Corona-Lockdown im März seien die weltweit 160 Goethe-Institute regelrecht "abgestürzt", erzählt der Präsident. Inzwischen habe die Hälfte wieder geöffnet: "Wir haben sehr schnell den Umstieg in die digitale Welt geschafft." Mit einem Corona-Hilfsfonds, den das Auswärtige Amt finanziert hat, konnte kurzfristig vor Ort geholfen werden. Ziel war es, die Arbeitsfähigkeit der Institute und also jene Infrastruktur zu erhalten, die die erfolgreiche Goethe-Projektarbeit erst ermöglicht.
"Zivilgesellschaftliches Engagement ist die große Stärke"
Die Nähe zu den Menschen vor Ort ist ebenso charakteristisch für die Aktivitäten der Goethe-Institute wie deren zivilgesellschaftliches Engagement. Die populistischen Entwicklungen in Polen und Ungarn beispielsweise beantwortete das Goethe-Institut mit dem Projekt "Ortsgespräche": In angemieteten Ladenlokalen in kleineren Städten wurde mit lokalen Kultur-Akteuren gearbeitet. Und man hat Kulturmanager ausgebildet, die diese Arbeit später weiterführen können.
Ein anderes Projekt: "In der Türkei haben wir Orte der Kulturen geschaffen, weil wir auf der Ebene der Ministerien nicht weiterkamen", so Klaus-Dieter Lehmann. Auf lokaler Ebene sei man damit sehr erfolgreich gewesen: Unter Einbindung anderer europäischen Kulturinstitutionen seien "Orte entstanden, wo jeder sich frei aussprechen kann. So kann das Goethe-Institut die offene, freiheitliche Gesellschaft fördern. Das ist keine Mission, aber das ist seine große Stärke."
"Afrika und Europa müssen eine gemeinsame Zukunft gestalten"
Lehmann war immer unermüdlich zur Kultur hin unterwegs, auch auf zahllosen Reisen. Zu Beginn seiner Präsidentschaft hat eine Reise durch Afrika ihn besonders geprägt. Er habe das Potential und die Erwartung der Menschen gesehen und zu einem Schwerpunkt seiner Arbeit gemacht, so Lehmann: "In diesen zwölf Jahren habe ich allein acht oder neun Institute in Afrika eröffnen können. Das war wunderbar, weil jeder dieser Orte eine eigene Geschichte hat. Kinshasa, die vibrierenden Hauptstadt des Kongo, lebt von Design und Mode, aber es gab keine Infrastruktur. Wir haben dann einen Wettbewerb gemacht für die Frauen, die hier aktiv waren, und die Besten haben eine Ausstellung gekriegt. Womit sie nicht nur eine künstlerische, sondern auch eine ökonomische Perspektive hatten. Eine großartige Geschichte!"
Ein Herzensprojekt und ein voller Erfolg sind für Klaus-Dieter Lehmann auch die "Museumsgespräche" in Namibia: "Wir konnten die afrikanischen Stimmen für eine eigene Museumspolitik motivieren und beleben." Für die Dekolonisierung unseres Denkens und unserer Köpfe sei es wichtig, die Stimmen der Herkunftsländer einzubinden: "Die afrikanische Seite muss adäquat vertreten sein." Es sei nicht nur eine Frage der Objekte, die – wenn sie geraubt sind – zurückgegeben werden müssten: "Die Frage der Rückgabe ist der Beginn einer Entwicklung, die Afrika und Europa zusammen ausgestalten müssen. Wir müssen eine gemeinsame Zukunft gestalten. Die 'Museumsgespräche' oder das Projekt 'Burden of Memory' waren ganz entscheidende Punkte, um die afrikanische Haltung formuliert zu sehen. Die Museen, die jetzt in Afrika entstehen, sind keine Museen der Aufklärung, sondern Museen der Emanzipation. Orte, die deren Kultur bis hin zur Kultur der Straße ins Museum bringt und so auch eine Selbstfindung ermöglicht."
"Bei Kolonialgeschichte auch die Gegenwart beachten"
Das will Lehmann auch aufs Humboldt-Forum im Berliner Schloss angewandt wissen, über dessen ursprüngliche Idee inzwischen viel "Gedanken-Schutt gekippt" worden sei:
"Die Idee war von Anfang an der Austausch mit den Weltkulturen." Auf der Museumsinsel – die ja das Werden Europas über die Kultur darstelle – bestehe die Chance, die Fehlstelle zu bemerken, die Amerikas, die asiatischen, pazifischen und afrikanischen Kulturen darstellen. Und die Chance, sie in einen direkten Dialog zu bringen. Das sei richtig. "Entscheidend ist aber: Man darf sich nicht nur rückwärtsgewandt an die Kolonialgeschichte erinnern. Man muss auch die heutigen Gesellschaften in den Blick nehmen und das heutige Gespräch führen." Zu Beginn sei die Kolonialgeschichte zu wenig herausgestellt worden. "Jetzt macht man wieder einen Fehler, wenn man die Gegenwart vernachlässigt. Das muss verändert werden."
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