Ein verdunkelter, mit Blumen geschmückter Kleintransporter fährt auf den Hinterhof des Patriarchats der Äthiopisch-Orthodoxen Kirche. Männer und Frauen in weißen Umhängen stehen umher und weinen. Viele haben die Augen rot. Fast alle halten brennende, orange Wachskerzen in den Händen. Als der Wagen anhält, stürzen die Menschen sich auf den Kofferraum. Ein Dutzend langbärtiger, schwarz gekleideter orthodoxer Priester drängt sich dazwischen, öffnet den Kofferraum und zieht daraus einen Sarg aus Glas hervor. In dem liegt aufgebahrt und gut sichtbar das Oberhaupt der Äthiopisch-Orthodoxen Kirche, der Abune Paulos.
Die Menschen fassen nach dem Sarg und klagen. Das Gesicht des Abunes ist matt geschminkt. Unverkennbar die schwarzen Altersflecken auf den Wangen. Er hat die Lider geschlossen, die Hände gefaltet. Auf dem Kopf trägt er eine Krone aus Gold. Einer der Gläubigen fasst seine Trauer in Worte:
"Er war mein Vater, ein großer Mann. Ganz Äthiopien und die Orthodoxe Kirche trauern. Das ist sehr traurig."
Die Priester tragen den Sarg in ein flaches Gebäude, dessen Kupferdach schon vor langer Zeit grün angelaufen ist. Der Gemeindesaal. Die Polizei hat Mühe, die Menge geordnet durch den Eingang zu lassen. Die Priester tragen den Sarg auf eine Bühne, die Menschentraube folgt. Weißbärtige Bischöfe schluchzen und werfen die Hände in die Höhe. Überall aus der Menge ragen an Stöcken ihre silbernen Kreuze empor.
Plötzlich macht es ein lautes "Krach". Das Podest, auf dem der Abune aufgebahrt ist, sackt unter dem Gewicht der Menschen zusammen. Doch wird keiner verletzt und es dauert nicht lange, da stehen die Menschen schon wieder um den Sarg und schreien.
Die Aufbahrung des Abune ist nur der Auftakt der Feierlichkeiten. In den nächsten 24 Stunden wird das Kirchenoberhaupt noch in Addis Abebas zwei wichtigsten Kirchen aufgebahrt und dann durch das Zentrum getragen werden, um schließlich mit einem Staatsakt beerdigt zu werden.
Fantahun Muche ist der Organisator der Zeremonie und Leiter der Gemeinderatsabteilung der Kirche. Er hat lange in Wien gelebt und dort seinen Doktor gemacht. Deshalb spricht er Deutsch. Für ihn ist der Tod des Abunes ein herber Verlust.
"Er war alles für uns, er war alles für uns. Er hat 20 Jahre die Kirche geleitet. Er war Vater, er war Bruder, er war Verständnis, er war ein weiser Mann. Er war alles, sozusagen. Es gibt kein kleines Wort, um ihn zu erklären."
Rund die Hälfte der 80 Millionen Menschen Äthiopiens, dem zweitgrößten Land Afrikas, bekennt sich zum orthodoxen Glauben. Die Geschichte von Kirche und Staat ist seit Jahrhunderten eng verwoben. Das Oberhaupt der Kirche, Abune, genannt, ist somit einer der mächtigsten Männer im Land.
Erst seit 1959 stellt Äthiopien seine eigenen Patriarchen. Bis dahin unterstand die Kirche den verbrüderten Kopten in Ägypten. Paulos war der fünfte Patriarch Äthiopiens und war seit 1992 im Amt. Er wurde in der für Äthiopien so wichtigen Stadt Adwa geboren, wo Äthiopien 1896 Italien entscheidend schlug. Das einzige Mal, das eine afrikanische Armee einen Sieg über eine europäische Kolonialmacht errang. Paulos studierte an der amerikanischen Eliteuniversität Princeton, kam in den 80er-Jahren nach Äthiopien zurück und wurde dort vom damaligen Patriarchen zum Bischof ernannt, doch dann vom kommunistischen Derg-Regime eingesperrt.
Merkeb Mekuria ist der stellvertretende Kurator des Instituts für Äthiopische Studien an der Universität von Addis Abeba, eine der wichtigsten akademischen Einrichtungen Äthiopiens. Merkeb war vor seinem Studium Leiter der Auswärtigen Beziehungen der Orthodoxen Kirche und kannte seither den Abune Paulos. In der Geschichte Äthiopiens hatte der Abune für ihn überragende Bedeutung.
"In seiner Amtszeit hat er einen großartigen Job für das Wohlergehen der Kirche und Äthiopien insgesamt gemacht. Sei es, was das Geistliche, die Kultur oder das Wirtschaftliche betrifft. Der Beitrag, den er geleistet hat, war wirklich enorm."
Zu den größten Verdiensten des Abune Paulos wird seine vermittelnde Rolle im Konflikt mit dem Nachbarn Eritrea gezählt, wo auch die Hälfte aller Menschen orthodox ist. Paulos führte zudem groß angelegte Programme gegen HIV/Aids durch. Auch schreibt man ihm zu, dass er es war, der erfolgreich die neue Regierung Äthiopiens dazu bewegte, der Kirche ihre großen Ländereien zurückzugeben, die ihr die kommunistischen Diktatoren abgenommen hatten. Seit dem Heiligen Bund mit dem Staat um 1268 gehörten der Äthiopisch-Orthodoxen Kirche ein Drittel des Staatslandes.
Das alles kann man auch in Äthiopiens stark zensierter Presse lesen. Von Kritik am Abune ist dort jedoch nichts zu finden.
Auf der Bole-Straße, sozusagen Addis Abebas Champs-Elysées, arbeitet der 24-jährige Ermias Teklus mit seinen Brüdern im Glas- und Rahmengeschäft des Vaters, wo sie vor allem Bilder von der Jesus-Geschichte und der Mutter Gottes verkaufen. Für Ermias war der Abune kein Vorbild.
"Weltweit ist er berühmt. Doch in meiner Religion und für mich persönlich ist er das nicht. Ich glaube an Gott und die Mutter Gottes. Aber nicht an ihn."
Ermias steht mit seiner Kritik nicht alleine da. Der Abune hat in der Bevölkerung einen schlechten Ruf. Das wollen jedoch nur wenige ins Mikro sagen, weil man mit Kritik an Führungskräften in Äthiopien vorsichtig sein muss.
Vor allem drei Dinge kreiden die Menschen dem Abune an. Erstens: Als 2007 die amerikanische Popsängerin Beyoncé Knowles für ein Konzert nach Äthiopien kam, zeigte ihr der Abune einige Heiligtümer, die für Äthiopier nur einmal jährlich zugänglich sind. Zweitens: 2010 ließ der Abune von sich mit Kirchengeld eine lebensgroße Statue bauen und vor die Medhane Alem Kathedrale stellen. Ein neuer, gigantischer Prachttempel mitten im Stadtzentrum von Addis Abeba.
Vor dieser Kirche sitzt abends ein junger Mann auf einem Mäuerchen. Für ihn und andere hat der Abune nichts geleistet, was eine solche Statue rechtfertigte. Es ist schon dunkel und der Mann sitzt alleine. Und so ist er zu sprechen bereit. Doch guckt er sich beim Interview mehrmals um. Das schlimmste für ihn und Kritikpunkt Nummer Drei: Der Abune sei ein Instrument der Regierung.
"Er ist ein Unterstützer der Regierungspartei. Ich akzeptiere ihn nicht als Priester. Er ist kein guter Priester. Er hat unserer Kirche so viel Schaden bereitet."
Nach den Regeln der Kirche wechselt das äthiopische Kirchenoberhaupt nur nach Tod oder wenn es die Geschäfte nicht mehr ausführen kann. 1991 musste allerdings der damalige Abune Mekorios aus bis heute ungeklärten Gründen seine Amtszeit vorzeitig beenden und das Land verlassen. Im Exil in Amerika gründete er eine neue Kirche. Auf Mekorios folgte Paulos. Er steht im Verdacht, von der neuen Regierung des diese Woche verstorbenen Premierministers Meles Zenawi durchgesetzt worden zu sein.
Zenawis Regierung habe sich Mekorios, der unter den Kommunisten gedient hatte, entledigen wollen. Der anonyme Mann wirft Paulos vor, ein Diktator zu sein, die Orthodoxe Kirche in den Dienst des Staates gestellt zu haben und alle Ämter mit seinen Leuten besetzt zu haben. Er glaubt nicht, dass sich die Lage unter dem nächsten Abune ändern wird. Bis zur Neuwahl leitet der Erzbischof von Arsi vorübergehend die Geschäfte.
"Nein, das glaube ich nicht. Die Regierung wird wieder jemanden ernennen, wie sie das schon bei Abune Paulos getan hat. Einen Wandel bekommen wir nur mit Gottes Hilfe."
Die Menschen fassen nach dem Sarg und klagen. Das Gesicht des Abunes ist matt geschminkt. Unverkennbar die schwarzen Altersflecken auf den Wangen. Er hat die Lider geschlossen, die Hände gefaltet. Auf dem Kopf trägt er eine Krone aus Gold. Einer der Gläubigen fasst seine Trauer in Worte:
"Er war mein Vater, ein großer Mann. Ganz Äthiopien und die Orthodoxe Kirche trauern. Das ist sehr traurig."
Die Priester tragen den Sarg in ein flaches Gebäude, dessen Kupferdach schon vor langer Zeit grün angelaufen ist. Der Gemeindesaal. Die Polizei hat Mühe, die Menge geordnet durch den Eingang zu lassen. Die Priester tragen den Sarg auf eine Bühne, die Menschentraube folgt. Weißbärtige Bischöfe schluchzen und werfen die Hände in die Höhe. Überall aus der Menge ragen an Stöcken ihre silbernen Kreuze empor.
Plötzlich macht es ein lautes "Krach". Das Podest, auf dem der Abune aufgebahrt ist, sackt unter dem Gewicht der Menschen zusammen. Doch wird keiner verletzt und es dauert nicht lange, da stehen die Menschen schon wieder um den Sarg und schreien.
Die Aufbahrung des Abune ist nur der Auftakt der Feierlichkeiten. In den nächsten 24 Stunden wird das Kirchenoberhaupt noch in Addis Abebas zwei wichtigsten Kirchen aufgebahrt und dann durch das Zentrum getragen werden, um schließlich mit einem Staatsakt beerdigt zu werden.
Fantahun Muche ist der Organisator der Zeremonie und Leiter der Gemeinderatsabteilung der Kirche. Er hat lange in Wien gelebt und dort seinen Doktor gemacht. Deshalb spricht er Deutsch. Für ihn ist der Tod des Abunes ein herber Verlust.
"Er war alles für uns, er war alles für uns. Er hat 20 Jahre die Kirche geleitet. Er war Vater, er war Bruder, er war Verständnis, er war ein weiser Mann. Er war alles, sozusagen. Es gibt kein kleines Wort, um ihn zu erklären."
Rund die Hälfte der 80 Millionen Menschen Äthiopiens, dem zweitgrößten Land Afrikas, bekennt sich zum orthodoxen Glauben. Die Geschichte von Kirche und Staat ist seit Jahrhunderten eng verwoben. Das Oberhaupt der Kirche, Abune, genannt, ist somit einer der mächtigsten Männer im Land.
Erst seit 1959 stellt Äthiopien seine eigenen Patriarchen. Bis dahin unterstand die Kirche den verbrüderten Kopten in Ägypten. Paulos war der fünfte Patriarch Äthiopiens und war seit 1992 im Amt. Er wurde in der für Äthiopien so wichtigen Stadt Adwa geboren, wo Äthiopien 1896 Italien entscheidend schlug. Das einzige Mal, das eine afrikanische Armee einen Sieg über eine europäische Kolonialmacht errang. Paulos studierte an der amerikanischen Eliteuniversität Princeton, kam in den 80er-Jahren nach Äthiopien zurück und wurde dort vom damaligen Patriarchen zum Bischof ernannt, doch dann vom kommunistischen Derg-Regime eingesperrt.
Merkeb Mekuria ist der stellvertretende Kurator des Instituts für Äthiopische Studien an der Universität von Addis Abeba, eine der wichtigsten akademischen Einrichtungen Äthiopiens. Merkeb war vor seinem Studium Leiter der Auswärtigen Beziehungen der Orthodoxen Kirche und kannte seither den Abune Paulos. In der Geschichte Äthiopiens hatte der Abune für ihn überragende Bedeutung.
"In seiner Amtszeit hat er einen großartigen Job für das Wohlergehen der Kirche und Äthiopien insgesamt gemacht. Sei es, was das Geistliche, die Kultur oder das Wirtschaftliche betrifft. Der Beitrag, den er geleistet hat, war wirklich enorm."
Zu den größten Verdiensten des Abune Paulos wird seine vermittelnde Rolle im Konflikt mit dem Nachbarn Eritrea gezählt, wo auch die Hälfte aller Menschen orthodox ist. Paulos führte zudem groß angelegte Programme gegen HIV/Aids durch. Auch schreibt man ihm zu, dass er es war, der erfolgreich die neue Regierung Äthiopiens dazu bewegte, der Kirche ihre großen Ländereien zurückzugeben, die ihr die kommunistischen Diktatoren abgenommen hatten. Seit dem Heiligen Bund mit dem Staat um 1268 gehörten der Äthiopisch-Orthodoxen Kirche ein Drittel des Staatslandes.
Das alles kann man auch in Äthiopiens stark zensierter Presse lesen. Von Kritik am Abune ist dort jedoch nichts zu finden.
Auf der Bole-Straße, sozusagen Addis Abebas Champs-Elysées, arbeitet der 24-jährige Ermias Teklus mit seinen Brüdern im Glas- und Rahmengeschäft des Vaters, wo sie vor allem Bilder von der Jesus-Geschichte und der Mutter Gottes verkaufen. Für Ermias war der Abune kein Vorbild.
"Weltweit ist er berühmt. Doch in meiner Religion und für mich persönlich ist er das nicht. Ich glaube an Gott und die Mutter Gottes. Aber nicht an ihn."
Ermias steht mit seiner Kritik nicht alleine da. Der Abune hat in der Bevölkerung einen schlechten Ruf. Das wollen jedoch nur wenige ins Mikro sagen, weil man mit Kritik an Führungskräften in Äthiopien vorsichtig sein muss.
Vor allem drei Dinge kreiden die Menschen dem Abune an. Erstens: Als 2007 die amerikanische Popsängerin Beyoncé Knowles für ein Konzert nach Äthiopien kam, zeigte ihr der Abune einige Heiligtümer, die für Äthiopier nur einmal jährlich zugänglich sind. Zweitens: 2010 ließ der Abune von sich mit Kirchengeld eine lebensgroße Statue bauen und vor die Medhane Alem Kathedrale stellen. Ein neuer, gigantischer Prachttempel mitten im Stadtzentrum von Addis Abeba.
Vor dieser Kirche sitzt abends ein junger Mann auf einem Mäuerchen. Für ihn und andere hat der Abune nichts geleistet, was eine solche Statue rechtfertigte. Es ist schon dunkel und der Mann sitzt alleine. Und so ist er zu sprechen bereit. Doch guckt er sich beim Interview mehrmals um. Das schlimmste für ihn und Kritikpunkt Nummer Drei: Der Abune sei ein Instrument der Regierung.
"Er ist ein Unterstützer der Regierungspartei. Ich akzeptiere ihn nicht als Priester. Er ist kein guter Priester. Er hat unserer Kirche so viel Schaden bereitet."
Nach den Regeln der Kirche wechselt das äthiopische Kirchenoberhaupt nur nach Tod oder wenn es die Geschäfte nicht mehr ausführen kann. 1991 musste allerdings der damalige Abune Mekorios aus bis heute ungeklärten Gründen seine Amtszeit vorzeitig beenden und das Land verlassen. Im Exil in Amerika gründete er eine neue Kirche. Auf Mekorios folgte Paulos. Er steht im Verdacht, von der neuen Regierung des diese Woche verstorbenen Premierministers Meles Zenawi durchgesetzt worden zu sein.
Zenawis Regierung habe sich Mekorios, der unter den Kommunisten gedient hatte, entledigen wollen. Der anonyme Mann wirft Paulos vor, ein Diktator zu sein, die Orthodoxe Kirche in den Dienst des Staates gestellt zu haben und alle Ämter mit seinen Leuten besetzt zu haben. Er glaubt nicht, dass sich die Lage unter dem nächsten Abune ändern wird. Bis zur Neuwahl leitet der Erzbischof von Arsi vorübergehend die Geschäfte.
"Nein, das glaube ich nicht. Die Regierung wird wieder jemanden ernennen, wie sie das schon bei Abune Paulos getan hat. Einen Wandel bekommen wir nur mit Gottes Hilfe."