"Oh, Jeremy Corbyn!" Vor allem die Jungen feierten ihn wie einen Popstar. Wenn nur sie in Großbritannien hätten wählen dürfen, Jeremy Corbyn wäre jetzt Premierminister. Seine Botschaft war klar und eindeutig:
"Wir dürfen nicht in einer grotesk ungleichen Welt leben. Wir dürfen nicht in einer Welt leben, die sich selbst zerstört und sich nicht um die Schwächsten kümmert."
"Yez we can" war die britische Variante des "Yes we can" Barack Obamas. "Yez" ist der Spitzname für Jeremy, wie überhaupt viele ihn nur beim Vornamen nannten.
Das hätte im September 2015 niemand für möglich gehalten, als die Basis von Labour einen linken Hinterbänkler zu ihrem neuen Vorsitzenden wählte. Zuvor war Corbyn 30 Jahre lang ein linker Politrebell bei Labour gewesen. Jetzt wurde er als Hoffnungsträger nach oben katapultiert. Sein größtes Kapital war seine Authentizität. "Ich bin jemand, der an das glaubt, was er tut, und der dafür einsteht."
Schon 2017 gab es Aufruhr in der Partei
2017 erreichte Corbyn bei der Unterhaus-Wahl einen Achtungserfolg gegen Theresa May, die aber weiter regieren konnte. Das relativ gute Abschneiden überdeckte kurz, dass Labour längst in Aufruhr war. Zu Dutzenden gab es Rücktritte und den Vorwurf, dass Corbyns Getreue die Partei regelrecht von gemäßigten Kräften zu säubern versuchten.
"Wir müssen innerparteilich eine Kultur der Toleranz stärken", versprach Corbyn. "Persönliche Attacken müssen aufhören."
Es wurde noch schlimmer: war Labour einst die Partei der Wahl für viele Juden, so gab es jetzt den schweren Vorwurf, dass linke Israel-Kritiker eine antisemitische Hetze veranstalteten. Corbyn versuchte zu beschwichtigen:
"Der Streit um Antisemitismus hat immens viel Schmerz und Angst in den jüdischen Gemeinden hervorgerufen und große Betroffenheit in der Labour-Partei."
2019 kam die entscheidende Niederlage
Und auch unter den Jungen wuchs der Unmut. Corbyn weigerte sich lange, ein zweites EU-Referendum zu fordern. Im Dezember 2019 bekamen Jeremy Corbyn und Labour die Quittung für eine wankelmütige Brexit-Politik.
Labour erlitt eine historische Niederlage. Vor allem in Nord-England verließen die Wählerinnen und Wähler Labour in Scharen. Ihnen galt Corbyn schon immer als zu London-zentriert, zu intellektuell, zu weltfremd und zu wenig patriotisch.
Wieviel bleibt jetzt vom Corbynismus übrig? Keir Starmer, der Corbyn vermutlich beerbt, will an der Linkspolitik festhalten – ob eher aus taktischen Gründen, wird sich zeigen.
Jeremy Corbyn selbst, der weiter Abgeordneter bleibt, ist von seinen Konzepten jedenfalls – Verstaatlichungen, hohe Ausgabenprogramme - weiter felsenfest überzeugt. Die Coronakrise zeige doch, dass ein starker und gut finanzierter Staat wichtiger denn je sei. Sollte Jeremy Corbyn als Redner bei Kundgebungen auch künftig auftreten, dürfte ihm – trotz der Wahlniederlagen – Applaus ziemlich sicher sein.