Silvia Engels: Wir haben es eben gehört: Schon gestern war ein Zwischenergebnis der Gespräche von Union und SPD nach außen gedrungen. Der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Armin Laschet von der CDU, hatte wissen lassen, dass eine neue Große Koalition wohl von dem nationalen Klimaziel, wie es bisher steht, abrücken werde. Das besagt, bis 2020 den Ausstoß von Kohlendioxid im Vergleich zu 1990 um 40 Prozent zu senken.
Die SPD reagierte entrüstet. Sie sprach von noch nicht gültigen Zwischenergebnissen. Dementiert hat sie es aber auch nicht.
"Ein ganz schlechtes Signal - auch für die internationale Klimapolitik"
Vor der Sendung habe ich mit Dirk Messner gesprochen. Er ist Direktor des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik. Außerdem ist er Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung für globale Umweltveränderung. Erste Frage an ihn: Wie überrascht sind Sie, dass das bisherige nationale Klimaziel bis 2020 womöglich fällt?
Dirk Messner: Ja, das hat mich irritiert, dass man mit dieser Meldung so schnell rausgekommen ist. Ich hätte mir da mehr Ambitionen gewünscht im Klimaschutz. Deutschland gilt ja international auch immer als Vorreiter in diesem Feld. Und wenn wir jetzt selbst anfangen, von unseren Zielen abzurücken, ist das ein ganz schlechtes Signal, auch für die internationale Klimapolitik.
Engels: Aber dass es diese Einigung gibt, überrascht Sie nicht so sehr, oder?
Messner: Wir haben ja seit ein paar Monaten eine sehr kritische Diskussion um dieses Ziel, und die macht mich sehr besorgt, weil was wir insgesamt ja wissen ist: Um das Klimaziel bis 2050 zu erreichen, das wir uns in Deutschland vorgenommen haben, nämlich auf null zu kommen, müssen wir jetzt eine ernsthafte, ambitionierte Strategie umsetzen, die das auch noch möglich macht. Und dadurch, dass man Ziele vor sich herschiebt und sie verschiebt, macht man die Anforderungen, die notwendig sind, ja immer komplizierter, die in der Zukunft umgesetzt werden müssen, und das ist keine plausible Strategie.
Was wäre eine plausible Kompensation?
Engels: Dem Vernehmen nach soll das Ziel aber nicht komplett aufgegeben werden, sondern man wolle ein Paket von Maßnahmen beschließen, um dem Ziel so nah wie möglich zu kommen. Ein Thema könnte da sein, dass man in dieser Legislaturperiode ein Enddatum für den Kohleausstieg festschreibt. Wäre das eine gute Kompensation dafür, dass das feste Ziel wegfällt?
Messner: Für mich wäre eine plausible Kompensation die Kombination von zwei Dingen, nämlich dass man einerseits festschreibt, wir steigen aus der Kohle aus, sagen wir mal, bis 2030, und das verbindet gleich zu Beginn der Legislaturperiode mit einem Mindestpreis für den Ausstoß von Treibhausgasen, sagen wir mal, von 30 bis 40 Euro pro Tonne. Wenn man diese beiden Elemente miteinander verknüpfte, dann hätte man ein gutes Paket geknüpft, um sich schnell in die richtige Richtung zu bewegen.
Reformprozesse beim komplizierten Emissionshandel
Engels: Das heißt, Sie verlangen als konkrete Maßnahmen, dass man den Emissionshandel deutlicher wieder in Funktion bringt?
Messner: Es gibt ja Reformprozesse zum Emissionshandel, der auf der europäischen Ebene organisiert ist. Das ist sehr kompliziert und da müssen wir uns dran beteiligen und versuchen, dass der Emissionshandel auf eine Art und Weise reformiert wird, so dass die Schäden, die durch Treibhausgasemissionen ausgelöst werden, auch tatsächlich kompensiert werden durch einen Preis, der für Treibhausgaszertifikate bezahlt werden muss.
Parallel dazu haben wir aber die Möglichkeit und wir sollten es in diese Richtung bewegen, mit Partnern in Europa haben wir die Möglichkeit, einen Mindestpreis für Treibhausgasemissionen zu vereinbaren, um den Emissionshandel zu unterstützen, und das hielte ich für eine vernünftige Maßnahme.
Treibhausgaszertifikate "zu billig"
Engels: Das heißt, das Problem, das man bisher hatte, dass einfach diese Zertifikate, um CO2 auszustoßen, zu billig waren, wollen Sie dadurch nicht mehr haben, indem Sie sagen, unter eine gewisse Marke darf es nicht fallen?
Messner: Ganz genau, weil wir haben zu viele Zertifikate im Markt. Da gibt es eigentlich keinen Widerspruch zu dieser Aussage. Deswegen ist der Preis viel zu billig und deswegen gibt es keinen entsprechenden finanziellen Anreiz, sich in Richtung auf Dekarbonisierung, also starke Reduzierung von Treibhausgasemissionen hinzubewegen. Mit einem Mindestpreis für CO2-Emissionen könnte man das ausbremsen. Wenn man einen solchen Mindestpreis vereinbarte, plus ein konkretes Ausstiegsdatum für die Kohleverstromung und für die fossil basierte Energieerzeugung, dann könnten wir uns vernünftig in die richtige Richtung bewegen.
Deutschland darf Vorreiterrolle nicht aufgeben
Engels: Kritiker sagen zu solchen Vorschlägen immer mal wieder, das ist zu teuer, das würde die Energiewende, die ja jetzt gerade in Deutschland auch schon sehr teuer ist, noch weiter verteuern. Das ist wirtschaftlich nicht zu leisten.
Messner: Vielleicht zwei Punkte dazu. Der erste Punkt ist: Deutschland steht wirtschaftlich gesehen hervorragend da. Wir werden beneidet von aller Welt in Bezug auf unsere wirtschaftliche Performance, und das völlig zurecht. Wenn wir in dieser Situation nicht in der Lage sind, wirksamen Klimaschutz zu organisieren, wie wollen wir Länder wie Indien, Indonesien und Südafrika dazu bewegen, Dekarbonisierung voranzutreiben und gefährlichen Klimawandel zu vermeiden. Das ist Punkt eins.
Wir können das leisten. Es geht in der Lausitz zum Beispiel um 15.000 Arbeitsplätze, das ist eine sehr ernste Angelegenheit. Aber wir können Transformationsprogramme auflegen, um diese 15.000 Arbeitsplätze, die gefährdet sind, durch Investitionen in anderen Bereichen wieder aufzufangen.
Der zweite Punkt ist in Bezug auf die Kosten: Der Klimawandel erzeugt Kosten, national und global. Der Internationale Währungsfonds, eine Wirtschaftsorganisation, hat ausgerechnet, dass wir Jahr für Jahr 5,2 Billionen US-Dollar finanzieren durch die Schäden, die durch den Klimawandel erzeugt werden, aber in unseren Preisen nicht auftauchen. Da sagen die Preise nicht die Wahrheit. Wir externalisieren die Kosten des Klimawandels, die Kostendimension wird falsch geführt.
"Konkretes Ausstiegsdatum für die Kohle"
Engels: Zwischen SPD und Union wird möglicherweise ein neues nationales Klimaziel gesetzt werden. Das war auch etwas, was jetzt in Medien berichtet wurde. Statt 2020 40 Prozent runter mit CO2, sollten es vielleicht bis 2030 55 Prozent weniger sein. Würde Sie das beruhigen?
Messner: Das beruhigt mich nur, wenn wir den Zeitrahmen dazwischen wirklich nutzen. Von 2018 bis 2030, das ist noch eine Reihe von Jahren hin. Deswegen habe ich eben diese beiden Punkte gemacht. Wir brauchten ein konkretes Ausstiegsdatum dann für die Kohle und wir brauchen einen Mindestpreis für CO2-Emissionen. Wenn wir diese beiden zentralen Weichenstellungen hinbekommen, dann wäre eine Kombination mit einem Langfristziel 2030 plausibel. Wenn wir das Problem nur vor uns herschieben, ohne konkrete Maßnahmen dazwischen zu organisieren, dann wäre ich nicht sehr optimistisch, dass wir einen ernsthaften Beitrag zum globalen Klimaschutz leisten können.
"Erneuerbare Energien können den industriellen Fortschritt in unserem Land voranbringen"
Engels: Das heißt, wenn es bei diesen beiden, von mir skizzierten Maßnahmen bleibt, dann ist für Sie die Glaubwürdigkeit der Großen Koalition in Sachen Klima dahin?
Messner: Ja. Dann verlieren wir unsere Pionierrolle im Klimaschutz. Die Bundesrepublik Deutschland hat einen herausragenden Beitrag geleistet zur Voranbringung der erneuerbaren Energien, und zwar weltweit. Dadurch, dass wir in Deutschland gezeigt haben, dass erneuerbare Energien auch einen Beitrag leisten können, um den industriellen Fortschritt in unserem Land voranzubringen, haben wir international einen Prozess der Umstellung der Energiesysteme auf Erneuerbare enorm vorangetrieben. Da haben wir eine tolle Rolle gespielt. Jetzt geht es um den geordneten Ausstieg aus der fossilen Energieerzeugung und ich würde mir wünschen, dass die Bundesregierung da wieder vorneweg läuft und nicht hinterher.
Sondierungspapier "hoffentlich mit Korrekturen"
Engels: Hand aufs Herz: Wäre eine Jamaika-Regierung mit Grünen-Beteiligung zustande gekommen, dann müssten Sie diesen Kampf jetzt nicht führen, oder?
Messner: Wir haben gesehen, dass in den Jamaika-Verhandlungen dieser Punkt auch sehr schwierig gewesen ist. Die Grünen haben sich da natürlich mit stärkerer Vehemenz in diese Richtung eingesetzt. Die DNA der Grünen ist natürlich in dem Bereich stark verankert. Es gibt aber auch in der CDU und in der SPD sehr starke Klimapolitiker und sehr starke Fraktionen in beiden Parteien, dazu gehört ja auch die Kanzlerin am Ende des Tages, die in diese Richtung klare Position bezogen haben in der Vergangenheit. Ich hoffe, dass bei dem Sondierungspapier, das wir dann am Donnerstag oder Freitag als Endprodukt sehen, Korrekturen vorgenommen werden.
Engels: Und das sagen ja auch die Sondierer, es sei noch nichts endgültig beschlossen, bis alles beschlossen sei. Wie sehen Sie die Chance, dass Union und SPD hier noch mal umdenken?
Messner: Ich hoffe, dass, auch wenn die beiden Vorsitzenden der beiden großen Parteien, Frau Merkel und Herr Schulz, auf das Papier gucken, noch eine Korrektur möglich ist. Beide haben sich ganz klar positioniert im Wahlkampf und auch im Nachwahlkampf. Frau Merkel, die Bundeskanzlerin, hat klare Position zum 2020-Ziel bezogen im Kontext des Wahlkampfes. Herr Schulz hat bei seinem letzten Auftritt während des Bundesparteitages der SPD klare Position in Bezug auf Dekarbonisierung und Einhaltung der Klimaschutzziele bezogen. Ich erhoffe mir von den beiden Vorsitzenden, dass sie hier entsprechend die Entscheidungen in die richtige Richtung wenden.
Engels: Dirk Messner war das, Direktor des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik. Außerdem ist er Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung für globale Umweltveränderung. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Messner.
Messner: Bitte sehr.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.