Dirk-Oliver Heckmann: Am Telefon ist jetzt Thomas Jäger, Politikwissenschaftler an der Universität Bonn. Schönen guten Tag, Herr Jäger!
Thomas Jäger: Guten Tag, Herr Heckmann.
Heckmann: Herr Jäger, Obama sagte ja vor Beginn seiner Reise, Angela Merkel sei seine wichtigste internationale Verbündete. Sind das Formulierungen, die man so wählt aus Höflichkeit vor einem Staatsbesuch, oder entspricht das der Realität?
Nicht Großbritannien, sondern Deutschland ist wichtigster Ansprechpartner der USA
Jäger: Da ist wohl von beidem ein wenig drin. Zum einen ist Frau Merkel diejenige, die schon im Amt war, als Barack Obama ins Amt kam, und jetzt scheidet er aus und sie ist immer noch da. Und wenn wir in Europa und in anderen Staaten außer Russland schauen, dann gab es da doch eine Reihe von Personalwechseln.
Zum anderen ist es so, dass Deutschland in dieser Phase der wichtigste Staat in Europa wurde, weil die Wirtschaft anders als in anderen europäischen Gesellschaften kräftig gewachsen ist und deshalb nicht mehr Großbritannien, sondern zunehmend Deutschland der Ansprechpartner war, den der amerikanische Präsident in Europa wählen musste.
"Es kommt nicht so sehr auf persönliche Beziehungen an"
Heckmann: Das bilaterale Verhältnis, das galt trotzdem ja als sehr angespannt, nicht zuletzt wegen der NSA-Abhöraffäre, die ja auch vor dem Handy der Kanzlerin sogar nicht Halt machte. Das ist Geschichte?
Jäger: Das ist nicht Geschichte, sondern das blieb immer angespannt. Das begann ja damit, dass Frau Merkel verhindert hat, dass Herr Obama, der ein Händchen für schöne Orte hat, an denen er spricht, vor dem Brandenburger Tor sprechen durfte. Das hat er scheinbar persönlich übel genommen und ihr war auch dieser ganze Obama-Hype völlig rätselhaft und unverständlich. Die zwei haben auf persönlicher Ebene ein Verhältnis dann gefunden, weil einfach die Zusammenarbeit das erfordert hat, und dieses Verhältnis ist mehrfach unter Druck gekommen. Die Handy-Affäre haben Sie erwähnt, das Abhören des Handys der Kanzlerin, aber auch in Fragen der Austeritätspolitik gegen Konjunkturpolitik haben sie ganz unterschiedliche Interessen verfolgt. Das hat aber beide nicht gehindert, auf der Basis der Interessen ihrer Staaten ein gutes Verhältnis miteinander zu finden. Wahrscheinlich aus einem paradoxen Grund, weil beide davon überzeugt sind, dass es nicht so sehr auf persönliche Beziehungen ankommt.
Heckmann: Auf persönliche Beziehungen wird es in Zukunft möglicherweise verstärkt hinauslaufen, denn auf Obama folgt Donald Trump. Im Wahlkampf hat Obama ja noch gesagt, Trump sei völlig ungeeignet für das Amt. Jetzt spricht man plötzlich in den besten Tönen übereinander zumindest. Trump sei ein Pragmatiker, sagte Obama. Welche Aussagen sind ernster zu nehmen, die vor oder die nach den Wahlen?
Jäger: Vorher war Wahlkampf und nachher muss man miteinander auskommen. Auch hier wahrscheinlich von beidem ein bisschen. Man weiß, wie Donald Trump in seiner Geschäftszeit Entscheidungen gefällt hat, dass er doch nicht jemand ist, der die Akten wälzt, der sich tief in Themen einarbeitet, dass er nicht sehr gut zuhören kann, knappe Sätze mag, um komplizierte Probleme zu beschreiben. Das ist vom Arbeitsstil das Gegenteil von Obama und das ist das Gegenteil von Merkel.
Man weiß, dass er einer ist, der auf Berater dann hört, wenn sie relativ zum Schluss mit ihm reden, dass er die Dinge nicht sehr kompliziert machen will. Auch in dieser Hinsicht ein ganz anderer Arbeitsstil, als ihn sowohl Präsident Obama als auch Bundeskanzlerin Merkel pflegen. Welche Rolle das am Ende spielen wird in der Kooperation, das ist eine ganz andere Frage. Da wird es jetzt darauf ankommen, ob der zukünftige amerikanische Präsident die amerikanischen Interessen genauso sieht wie der bisherige, und da deutet einiges darauf hin, dass sich da was ändern wird. Es deutet aber auch vieles darauf hin, dass das im Trump-Team noch nicht zu Ende gedacht ist.
Europa müsse künftig mehr für die eigene Sicherheit tun
Heckmann: Noch nicht zu Ende gedacht ist möglicherweise auch das transatlantische Verhältnis. Da wurde ja jetzt viel darüber spekuliert, ob sich die USA beispielsweise aus der NATO zurückziehen werden. Obama hat jetzt vor seinem Flug nach Europa gesagt, Trump habe ihm versichert, dass er die transatlantischen Beziehungen für wesentlich hält. Ist diese ganze Diskussion, die hier in Europa geführt wurde, Rückzug der USA aus Europa, aus der NATO, völlig verzerrt gewesen, weil es Trump eigentlich nur um burden sharing geht?
Jäger: Nein, und da müssen wir auch über Trump zurückgreifen. Schon unter der Präsidentschaft von Barack Obama waren die Europäer aufgefordert, viel mehr für die Sicherung ihres Territoriums und der Umgebung um Europa zu leisten. Wenn Sie jetzt sehen, dass in den letzten 15 Jahren der Gürtel stabiler Staaten, der um die Europäische Union gelegen hat, zum Teil im wahren Wortsinn zerschossen wurde, dass wir es dort mit parastaatlichen Gebieten zu tun haben, in denen nicht mehr wirklich regiert wird, in denen man keine Ansprechpartner mehr hat, in denen sich organisierte Kriminalität ausbreitet, dann leben wir derzeit in einer Phase des transatlantischen Verhältnisses, in der sich die Vereinigten Staaten um dieses Problem überhaupt nicht kümmern.
Es ist ein Problem der Europäer und die Europäer sind nicht in der Lage, haben nicht die Fähigkeiten, hier irgendetwas zu machen. Die Frage stellt sich schon seit vielen Jahren, nicht erst mit Trump. Mit Trump wird sie verschärft gestellt, und zwar deshalb, weil er möglicherweise, so wie sich das andeutet, innerhalb der NATO politische Konflikte aufwerfen würde. Nehmen Sie das Beispiel Syrien-Konflikt, wo er den Kampf gegen den IS betont und die entsprechende Antwort von Assad aus Syrien ja schon erhalten hat. Das bringt tiefe Konflikte mit der Türkei, die im Kampf gegen die Kurden ihr Hauptinteresse erkennt. Solche Konflikte, die könnten durch eine zu wenig durchdachte Politik der zukünftigen US-Administration stark befördert werden.
Obamas Erfolge: Gesundheitsreform und gute Beziehungen zu China
Heckmann: Blicken wir jetzt noch mal auf Obama, der mit seine Abschiedstour in Europa gestartet ist. Es bleiben ja nur noch wenige Wochen im Amt. Wie fällt denn seine Bilanz aus aus Ihrer Sicht? Ist da mehr Licht oder mehr Schatten?
Jäger: Gegenüber den Ankündigungen, die er gemacht hat, ist ganz viel Schatten. Wenn man dann betrachtet, was realistisch möglich gewesen ist, ist nur noch ein bisschen Schatten. Ihm geht es jetzt darum, in den letzten Wochen dafür zu sorgen, dass das Licht, das unter seiner Führung entzündet wurde, auch wirklich brennen bleibt und dass nicht all das, was er auf den Weg gebracht hat, innerhalb weniger Wochen zurück-, abgewickelt wird und damit verschwunden ist. Er kämpft, wenn man so will, auch um sein eigenes Erbe, wenn er jetzt als eine Art Botschafter oder Mediator für den zukünftigen amerikanischen Präsidenten auftritt und ihn interpretiert.
Was hat er geleistet? Das ist im Innern vor allem die Gesundheitsreform. Woran ist er gescheitert? An einem Einwanderungsgesetz, an neuen Steuergesetzen und an großen Konjunkturprogrammen. In der Außenpolitik ist es ähnlich. Was hat er geleistet? Das Verhältnis zu China im Pazifik wurde in dieser Spannung, in einer spannungsreichen Kooperation weitergeführt. Aber der gesamte Prozess des Arabischen Frühlings wurde nicht politisch aufgegriffen, verstanden, bearbeitet. Und in Syrien hat der amerikanische Präsident dann wirklich gezeigt, dass ihn diese Konflikte nicht mehr interessieren, dass er sich raushalten will, dass er das für die Welt von gestern hält, in der eine neue internationale Ordnung nicht entsteht.
Heckmann: Ein sehr vielschichtiges Bild, was sich da eröffnet - Thomas Jäger war das, Politikwissenschaftler an der Universität Bonn. Herr Jäger, ich danke Ihnen für Ihre Zeit.
Jäger: Sehr gerne, Herr Heckmann.
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