"Dies war ganz offensichtlich ein Hinterhalt. Sie warteten, beobachteten und haben einen Vorwand gesucht", sagte Lawrow in Moskau zu dem Vorfall im türkisch-syrischen Grenzgebiet, wo die türkische Luftwaffe gestern einen russischen Kampfjet zum Absturz gebracht hatte. Der Darstellung aus Ankara zufolge war der Jet - trotz zehnfacher Warnung - wiederholt in den türkischen Luftraum eingedrungen.
Am Vormittag telefonierte der russische Außenminister mit seinem türkischen Kollegen Mevlüt Cavusoglu. Cavusoglu habe in dem Gespräch zwar sein Beileid zum Ausdruck gebracht, den "völlig inakzeptablen" Vorgang aber auch nicht erklären können, betonte Lawrow. Russland werde mit der Türkei keinen Krieg führen. Ohne Reaktion könne der Abschuss aber auch nicht bleiben.
Russische Flugabwehrraketen könnten türkische Kampfjets treffen
Wie diese Reaktion aussehen könnte, skizzierte Präsident Wladimir Putin. Er kündigte heute an, dass ein russischer Stützpunkt in Syrien mit Flugabwehrraketen ausgestattet werde. Die Militärbasis liegt nur 50 Kilometer von der türkischen Grenze und könnte türkische Kampfjets treffen. Regierungschef Medwedew drohte zudem damit, gemeinsame türkisch-russische Wirtschaftsprojekte abzusagen.
Ankara scheint dagegen um Entspannung bemüht. Präsident Recep Tayyip Erdogan erklärte: "Wir haben nicht die Absicht, diesen Zwischenfall hochzuspielen." Ähnlich äußerte sich Ministerpräsident Ahmet Davutoglu und fügte hinzu: "Russland ist unser Freund, unser Nachbar." Ob es in den kommenden Tagen zu einem hochrangigen Treffen der beiden Regierungen kommt, blieb unklar. Das türkische Außenministerium teilte mit, Lawrow und Cavusoglu hätten in ihrem Telefonat ein Treffen vereinbart. Die Behörden in Moskau erklärten hingegen, Lawrow habe dem bisher nicht zugestimmt.
Merkel mahnt zu Besonnenheit
Kanzlerin Angela Merkel rief Russland und die Türkei während der Generaldebatte im Bundestag zu Besonnenheit auf. Sie habe den türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu gebeten, "alles zu tun, um die Situation zu deeskalieren".
Der iranische Präsident Hassan Ruhani kritisierte den Abschuss des russischen Kampfjets. Er sagte nach einem Treffen mit dem luxemburgischen Außenminister Jean Asselborn in Teheran: "Raketen sind doch keine Spielzeuge, mit denen man so einfach in der Luft herumballert." Der Vorfall schwäche den Kampf gegen die IS-Terrormiliz in Syrien.
Ischinger: "Wie Muskelspiele unter Halbwüchsigen"
Aus Sicht des Sicherheitsexperten der Stiftung Wissenschaft und Politik, Markus Kaim, hat sich der russisch-türkische Konflikt im Norden Syriens schon länger angedeutet. Kaim sagte im Deutschlandfunk, die russische Luftwaffe habe den türkischen Luftraum schon im Oktober verletzt. Offensichtlich gehe es ihr darum, die Vorwarnzeiten der türkischen Luftabwehr zu testen.
Ähnlich äußerte sich der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger. Im Deutschlandfunk sprach er von Situationen "wie bei Muskelspielen unter Halbwüchsigen".
Der russische Kampfjet war gestern Vormittag nach dem Beschuss durch die türkische Luftwaffe auf syrischem Boden abgestürzt. Moskau bestreitet den Vorwurf aus Ankara, die Maschine habe zuvor den türkischen Luftraum verletzt. Ein Pilot überlebte nach russischer Darstellung und wurde auf einen russischen Militärstützpunkt in Syrien gebracht. Der andere wurde demnach vom Boden aus beschossen und tödlich verletzt, als er versuchte, sich mit dem Fallschirm zu retten.
In Moskau kam es zu Protesten gegen den Abschuss. Etwa 900 Demonstranten versammelten sich vor der türkischen Botschaft und beschimpften Präsident Erdogan als Mörder. Nach Angaben der Nachrichtenagentur Tass wurde das Gebäude mit Steinen, Eiern und Farbbeuteln beworfen, mehrere Fenster gingen zu Bruch.
(am/jcs)