Sie war die bekannteste Journalistin und Bloggerin des Landes, dann wurde sie durch eine Autobombe ermordet.
Die Art ihrer Ermordung – ihr Auto wurde durch die gewaltige Explosion weit durch die Luft geschleudert – erinnert an die Methoden der italienischen Mafia, sagt ihr Kollege Jacob Borg von der renommierten "Times of Malta".
"Große Geschäfte scheinen hier eine Rolle gespielt zu haben, Öl- und Menschenhandel aus Libyen. Drogen. Wissen Sie, Malta ist ein südeuropäisches Land, wir sind nur 200 Kilometer von den Orten entfernt, an denen Borsellino und Falcone auf dieselbe Weise ermordet wurden. Wem ist sie auf die Füße getreten, damit es so weit kam? Ich weiß es nicht ."
Borsellino und Falcone sind bis heute die berühmtesten Opfer der Mafia in Italien. Dass die organisierte Kriminalität nicht nur dort, sondern auch in Malta sehr aktiv ist, wissen die wenigsten. Daphne Caruana Galizia war nicht das erste Opfer. Seit 2010 hat es auf Malta 19 Bomben-Attentate gegeben, allein fünf davon in den vergangenen zwölf Monaten. Neu ist nur, dass es jetzt auch Journalisten trifft. Viele von ihnen haben Angst und wollen nicht mehr offen reden.
Der Inselstaat liegt weit draußen im Mittelmeer. Eine Brücke zwischen Europa und Nordafrika, erklärt Charles Coleiro, mit 68 Jahren ein journalistisches Urgestein auf Malta.
Seit Jahrtausenden ist das Land eine kulturelle Drehscheibe. Besonders eng sind die Beziehungen zu Italien. Aus Sizilien stammten die ersten Siedler, heute kommen von dort viele Gastarbeiter.
"Ich liebe diese Insel, weil sie etwas Besonderes ist. Sie ist von der Madonna geküsst worden. Sie ist sehr schön, sie hat alles, und es fehlt ihr nichts."
Ein Land, wo Milch und Honig zu fließen scheinen, ein Land, in dem die Wirtschaft seit Jahren brummt, aber auch ein Land, in dem Journalisten Angst um ihr Leben haben müssen.
Kleinster Staat der EU mit rund 430.000 Einwohnern
Malta ist ein Archipel aus einer Handvoll Inseln, die gemeinsam den kleinsten Staat der Europäischen Union bilden – mit rund 430.000 Einwohnern.
Haupteinkommensquelle ist der Tourismus. Nahezu täglich legen in Valletta gewaltige Kreuzfahrtschiffe an, die Tausende von Touristen nach Malta bringen. 300 Sonnentage im Jahr wirken wie ein Magnet auf Urlauber.
Deutsche Firmen machen hier gute Geschäfte. Die Lufthansa lässt viele ihrer Flugzeuge auf Malta warten und Playmobil hat hier ein großes Werk. 1300 Angestellte und diverse Subunternehmer, deren Mitarbeiter den Spielzeughersteller in Heimarbeit unterstützen. Obwohl Malta im Zweiten Weltkrieg heftige deutsche Luftangriffe zu verkraften hatte, ist das Verhältnis zwischen beiden Ländern gut, erzählt der prominente Fernsehmoderator Frank Psaila:
"Wir haben sehr gute Beziehungen zu Deutschland. Die Menschen schätzen deutsche Waren. Tatsächlich gibt es eine Redewendung auf Maltesisch, die besagt: 'Das ist ein deutsches Produkt, es muss sich also um etwas Gutes handeln.'"
Auf den ersten Blick erscheint Malta als europäischer Musterfall. Der frühere Finanzminister Tonio Fenech sieht den EU-Beitritt und die gemeinsame europäische Währung als großen Glücksfall für sein Land.
"Der Euro hat uns Vorteile gebracht. Unsere Wirtschaft ist ständig gewachsen. Wir sind das einzige Land Europas, wo die Euro-Einführung auch nachträglich positiv gesehen wurde. Da sind wir irgendwie besonders."
Anders als in den meisten anderen EU-Ländern war auf Malta aber auch kaum etwas von der Finanz- und Wirtschaftskrise zu spüren.
"Das ist der Vorteil, wenn man klein ist. Es ist sehr schwer für den italienischen Finanzminister, jede Fabrik in Italien zu besuchen. Wir haben uns mit allen getroffen, um zu verstehen, wie die Regierung helfen kann und so hatten wir keine größeren Schließungen und keine höhere Arbeitslosigkeit."
Das ist die offizielle Erklärung dafür, warum es Malta auch in Krisenzeiten vergleichsweise gut geht. Das ist aber nur die halbe Wahrheit.
Auf Malta florieren auch Branchen, die in jüngster Zeit keine so guten Schlagzeilen machen: Wer zum Beispiel im Internet um echtes Geld spielt, tut dies mit einiger Wahrscheinlichkeit auf maltesischen Servern. Der Zwergstaat gehört weltweit zu den ganz großen Standorten für Online-Spiele im Netz. Die sogenannte Gaming-Industrie beschert dem Land inzwischen Umsätze in Höhe von 1,2 Milliarden Euro pro Jahr. Etwa 9000 Menschen arbeiten in dieser Branche und schöpfen immerhin 12 Prozent des maltesischen Bruttosozialprodukts. Wie das zustande gekommen ist, erklärt die junge Parlamentsabgeordnete Kristy Débono:
"Alles hat 2004 begonnen, als Malta als erstes EU-Land einen rechtlichen Rahmen für Online-Spiele gesetzt hat. Inzwischen sind wir zum größten Zentrum Europas für Online-Spiele geworden."
Geldwäsche und Online-Glücksspiele
Dabei gilt es als offenes Geheimnis, dass auf diesem Weg auch schmutzige Gelder gewaschen werden. Das ist allerdings nicht der Hauptgrund, warum sich Gaming-Firmen auf Malta niederlassen. Wer als Anbieter hierher kommt, wird mit niedrigen Steuersätzen belohnt. Ein Erfolgsrezept, das Malta auf etliche Branchen übertragen hat, zum Beispiel auf Finanz-Dienstleistungen, die ebenfalls ungefähr zwölf Prozent zur maltesischen Wirtschaftsleistung beitragen. Große Zugewinne gibt es seit Jahren auch in der Luftfahrt. Aaron Micallef Piccione ist der Chef einer Flugschule im Flughafen von Malta:
"Es gibt finanzielle Anreize für die Eintragung von Flugzeugen. Dadurch wächst das Flugzeugregister rasant. Dadurch gibt es mehr Wartungsarbeiten, die Flugschulen sind deutlich gewachsen und zuletzt hat es noch einen Schub gegeben bei Wasserflugzeugen, die von Malta aus in den Mittelmeerraum starten."
Gleiches gilt für das Schiffsregister. Tausende von Handelsschiffen und Superyachten fahren unter maltesischer Flagge. Die wenigsten von ihnen fahren tatsächlich mal nach Malta. Sie wären ohnehin zu viele, um an den Häfen der Inseln anzulegen. Kein anderes EU-Land habe eine so große zivile Flotte, verkündete der maltesische Transportminister jüngst stolz. Zum Vergleich: Die gesamte maltesische Militär-Marine verfügt nur über vier hochseetaugliche Schiffe, die passen problemlos in eine kleine Ecke des Großen Hafens der maltesischen Hauptstadt, Valletta.
Anders als die großen, meist schwerfälligen Demokratien in Europa, erweist sich der kleine Inselstaat als extrem flexibel. Das hat viel mit der Geschichte Maltas zu tun – bis 1964 britische Kolonie, davor beherrscht von unterschiedlichsten Mächten: Phönizier, Römer, Araber, Staufer, Spanier und Franzosen, um nur die wichtigsten zu nennen. So eine Vergangenheit macht beweglich, erklärt der Soziologie-Professor Andrew Azzopardi von der Universität Malta.
"Die Malteser haben sich schon immer gut angepasst. Wir wurden so viele Jahrhunderte kolonisiert. Das macht es leicht, sich auf neue Herrscher einzustellen. Jeder hatte andere Vorstellungen, wie Malta regiert werden sollte. Wir haben immer das Beste aus der Realität gemacht."
Dem Winzling in der EU ist es gelungen, aus den Nachteilen anderer Länder Kapital zu schlagen. Als einstige britische Kolonie könnte Malta sogar aus dem Brexit einen Gewinn ziehen, meint die konservative Parlamentsabgeordnete Kristy Débono.
"Es könnte ein großer Vorteil sein, weil Unternehmen, die eine europäische Lizenz haben wollen, und für die London die erste Wahl gewesen wäre, sich nun Malta aussuchen, weil wir Englisch als offizielle Landessprache haben. Wenn London das Spielfeld verlässt, könnten Malta und sein Lebensstil davon profitieren."
Es ist fraglich, ob dieser Profit je in Frage gestellt werden wird, denn Malta ist Europas strategischer Vorposten im zentralen Mittelmeer. Der Flughafen von Valletta sei eine beliebte Ausgangsbasis für Aufklärungsflüge von Geheimdiensten, die von hier aus die Situation im Norden Afrikas erkunden, hört man von Einheimischen.
Europas strategischer Vorpfosten im Mittelmeer
In Malta erinnert vieles an Spionageromane und so manches geschieht unter dem Radar, zum Beispiel stellte sich vor einem Jahr erst nach dem Absturz einer kleinen Charter-Maschine heraus, dass französische Offizielle an Bord waren. Zunächst war vom Zoll die Rede, dann soll es der Geheimdienst gewesen sein.
Das gilt auch für Maltas Öl-Geschäfte. In den vergangenen Wochen haben italienische Behörden einen groß angelegten Öl-Schmuggel zwischen Libyen und Italien aufgedeckt. Malteser spielten in dem Netzwerk eine Schlüsselrolle. In maltesischen Hoheitsgewässern wurde das Öl verladen. Mit den Gewinnen soll auch islamistischer Terror finanziert worden sein, vermutet jedenfalls die italienische Staatsanwaltschaft.
Malta gehört zu keinem Militärbündnis und steht deshalb auch als EU-Mitglied irgendwie zwischen den Fronten. Das ist schon lange so. Der libysche Staatschef Muammar al-Gaddafi wurde hierzulande als guter Onkel bezeichnet, der Malta nennenswerte Investitionen brachte. Das gilt letztlich bis heute, denn nach dem Sturz des Alleinherrschers hat Malta viele reiche Libyer als neue Staatsbürger aufgenommen. Kurz nach dem Amtsantritt des aktuellen Ministerpräsidenten Joseph Muscat im Jahr 2013 beschloss das Parlament in Valletta ein entsprechendes Gesetz.
"Wer bereit ist, 650.000 Euro auf den Tisch zu legen und darüber hinaus 150.000 Euro in maltesische Staatspapiere investiert, kann auf Malta Bürger der Europäischen Union werden. Für Familienmitglieder gibt es Rabatt. Nach Angaben der Regierung haben allein im vergangenen Jahr 257 Menschen von dieser Regelung Gebrauch gemacht."
Für superreiche Migranten werden in der schicken Tourismus-Hochburg Sliema immer mehr Wohnungen gebaut.
Zugleich hat es die maltesische Regierung geschafft, dass die europäischen Rettungsschiffe schon seit Jahren keine Flüchtlinge mehr nach Malta bringen. Der Fernsehmoderator Frank Psaila, sonst um keine Antwort verlegen, hat dafür, wie viele seiner Kolleginnen und Kollegen, keine Erklärung.
"Das ist eine Frage, die ich gerne beantworten würde, wenn ich die Antwort dazu wüsste. In den letzten Jahren sind keine Flüchtlingsboote auf Malta angekommen. Der Ministerpräsident selbst hat zugegeben, dass es mit Italien Vereinbarungen gegeben hat. Wir wissen nicht welche, aber sicher ist, dass es hier keine Bootslandungen mehr gibt. Das ist ziemlich interessant."
Bootsflüchtlinge kommen nicht mehr nach Malta
Auch hier könnte das Ölgeschäft eine Rolle gespielt haben, munkeln viele Malteser hinter vorgehaltener Hand. In den Hoheitsgewässern des Landes liegen Ölfelder, die für die italienische Mineralölwirtschaft sehr interessant sein könnten.
Apropos Energiewirtschaft: Offenbar – das ergibt sich aus den sogenannten Panama-Papers – soll die Frau des Ministerpräsidenten für ein Energie-Geschäft mit Aserbaidschan ein Millionen-Schmiergeld kassiert haben. Harte Anschuldigungen gibt es auch gegen den ehemaligen Energie- und Gesundheitsminister sowie gegen den Kabinettschef des Ministerpräsidenten.
An den Enthüllungen war die ermordete Journalistin und Bloggerin Daphne Caruana Galizia maßgeblich beteiligt.
Eine Mehrheit der maltesischen Wähler hat all das aber nicht davon abgehalten, Labour-Chef Joseph Muscat erst im vergangenen Juni bei überstürzt vorgezogenen Neuwahlen erneut ins Amt zu wählen. Nach der gewonnenen Wahl feierten ihn seine Anhänger wie einen Popstar. So etwas gibt es in Deutschland allenfalls nach einer gewonnenen Fußball-WM.
"Die besten Tage für unser Land", so lautete Muscats Wahlkampfmotto. Soll heißen: Noch nie ging es uns so gut und mit "King Joseph", wie ihn manche Anhänger liebevoll nennen, wird es weiter aufwärts gehen. Daran glaubt jedenfalls die eine Hälfte der Malteser, denn die maltesische Gesellschaft ist traditionell tief gespalten – in die Anhänger der regierenden Labour-Party und die der sogenannten nationalistischen Partei, deren Programm moderat christdemokratisch geprägt ist.
Wenn es darum geht, möglichst breite politische Mehrheiten zu gewinnen, ist Muscat ein Genie. Er kämpft um Bürokratie-Abbau und unterstützt katholische Schulen. Gleichzeitig hat er die Homo-Ehe eingeführt und eine extrem liberale Gender-Gesetzgebung. Silvan Agius ist Menschenrechts- und Integrationsbeauftragter der maltesischen Regierung.
"Man kann einfach ins Standesamt gehen und sich dort für ein anderes Geschlecht entscheiden. Der Beamte vermerkt den Wunsch, notiert den neuen Namen und das neue Geschlecht dieser Person. Die Informationen werden ins Melderegister eingetragen und nach spätestens einem Monat werden die neuen Dokumente ausgestellt."
Dabei war es in Malta bis vor sechs Jahren noch verboten, sich scheiden zu lassen. Die einstmals starke katholische Kirche hat deutlich an Einfluss verloren. Die Vertreter der Schwulen- und Lesbenbewegung verstehen die Durchsetzung ihrer Ziele aber nicht als Sieg über die konservativen Kräfte im Land, sagt deren Sprecher Russel Sammut.
"Ich würde nicht sagen, dass wir stärker als die Kirche sind. Wir haben gelernt, zusammen zu leben. Als NGO haben wir jedem Thema ein Gesicht gegeben. Jeder kennt einen Homosexuellen. Und so haben die Menschen gelernt, dass wir so sind wie alle anderen auch."
Jeder kennt jeden, viele sind verwandt
Jeder kennt jeden auf Malta, damit lassen sich viele Besonderheiten erklären, meint der Moderator Frank Psaila.
"Die Menschen sind untereinander verwandt. Die Politiker sind dem Volk sehr nah. Wenn man einen Politiker sieht, den Ministerpräsidenten inklusive, ist es nicht ungewöhnlich, ganz normal mit ihm zu reden. Aber dieses Klientelsystem kann leider auch zu Bevorzugungen und zu Korruption führen."
Diese Gefahr sieht auch der Soziologe Andrew Azzopardi.
"Ich habe ein Problem damit, wenn Politiker so nah bei den Menschen sind. Das hilft nicht dabei, ein Land zu führen. Positiv sind die kurzen Wege, aber die Schattenseite ist, dass es dadurch einfach wird, jemanden zu bevorzugen. Diese Leute machen nichts umsonst. So kommst du in diesen Teufelskreis."
Das war auch das große Thema von Daphne Caruana Galizia.
Der Anschlag hat viele Menschen auf Malta wachgerüttelt. Seit Wochen demonstrieren sie zu Tausenden und stellen sehr grundsätzliche Fragen, wie der Journalist Jurgen Balzan.
"Die politischen Parteien sollen eigentlich die Verbindung herstellen zwischen den Bürgern und den staatlichen Institutionen, aber sie haben sich diese unabhängigen Institutionen einfach zu eigen gemacht. Jetzt ist es an uns Bürgern, dass wir uns die Macht zurückholen, mit der die Parteien auch weiterhin die Kontrolle über diese Institutionen ausüben wollen."
Langfristig werde sich das auszahlen, glauben die Demonstranten.
"Was in Malta passiert, hat nicht nur politische, sondern auch wirtschaftliche Auswirkungen. Glaubt nicht, es würde keine Auswirkung auf Jobs oder ausländische Investments haben. Eine starke Wirtschaft gründet auf einer starken Gesellschaft, auf einer Gesellschaft, die die Werte der Transparenz zu schätzen weiß."
Rund 50 Jahre nach dem Abzug der Briten, ist Malta noch auf der Suche nach seiner eigenen Identität – weit draußen zwischen Sizilien und Afrika. Was hier geschieht, kann Folgen für ganz Europa haben.