Es gebe in Deutschland künftig 21 Millionen Menschen über 60 Jahre und neun Millionen unter 30 Jahre. Die 16- bis 18-Jährigen würde 2,2 Millionen Menschen ausmachen. Dieser Gruppe gelte es mehr Gewicht zu verleihen, sagte Polenz. Dem Argument, dass unter 18-Jährigen die Geschäftsfähigkeit fehle, sie dann aber schon wählen dürften, hielt der frühere CDU-Generalsekretär entgegen, dass jungen Menschen in Deutschland bereits andere weitreichende Erlaubnisse zugestanden werden. So dürften 14-Jährige über ihre Konfession entscheiden und 16-Jährige Bier und Wein trinken.
Die Maßnahme der Absenkung sei auch eine große Chance für den Politikunterricht in den Schulen, meinte Polenz. Wer erst mit 18 Jahren wählen dürfe und die Schule dann schon verlassen habe, würde eine ganz andere Motivation im Unterricht zeigen, sagte der CDU-Politiker.
Das Interview mit Ruprecht Polenz in voller Länge.
Sandra Schulz: Sie können sich ja die Absenkung des Wahlalters auf 16 vorstellen. Warum sollte wählen, wer nicht voll geschäftsfähig ist?
Ruprecht Polenz: Ich habe meine Meinung in dieser Frage tatsächlich geändert. Ich kann mich übrigens noch gut besinnen: Vor 50 Jahren, als das Wahlalter auf 18 gesenkt wurde, war ich Vorsitzender eines bundesweiten Studentenverbandes und damals bei einer Bundestagsanhörung zu diesem Thema dabei. Das Hauptargument war: Wer zur Bundeswehr muss, weil damals gab es noch die Wehrpflicht, der soll auch wählen dürfen.
Übrigens: Sicher hat Willy Brandt und die sozialliberale Koalition das damals eingeführt. Aber die Verfassungsänderung ging auch damals nur mit der Union und das ist jetzt die gleiche Situation.
Mein Hauptpunkt ist: Wir haben eine große Verschiebung in der Bevölkerung durch die Überalterung, dass wir immer älter werden, und von den jetzigen Wahlberechtigten sind 21 Millionen über 60, neun Millionen unter 30. Wir reden jetzt über 2,2 Millionen Menschen zwischen 16 und 18, die das Gewicht der jüngeren Generation etwas stärker machen könnten, und das halte ich wegen der Zukunftsfragen, über die entschieden wird und von denen natürlich jüngere Menschen doch stärker betroffen sind als ältere, grundsätzlich für richtig.
Schon vor der Volljährigkeit geht was
Schulz: Aber müsste das dann nicht auch im gesamten Recht stimmig gelöst werden? Wir haben jetzt die Situation, dass einem 17jährigen von unserem Bürgerlichen Gesetzbuch nicht zugetraut wird, ohne Zustimmung der Eltern ein Fahrrad zu kaufen. Aber wählen können, das soll möglich sein? Oder soll dann auch tatsächlich Geschäftsfähigkeit und Volljährigkeit auch abgesenkt werden?
Polenz: Wir haben ja keine Situation, wo vor der Volljährigkeit gar nichts geht, und in dem Moment, wo man volljährig ist, darf man dann auf einen Schlag alles. Schon mit zwölf Jahren darf man nicht mehr zu einem religiösen Bekenntnis gezwungen werden und ab 14 Jahren darf man seine Konfession ganz alleine bestimmen. Man darf ganz alleine über seine Religion bestimmen. Mit 16 Jahren darf man Bier und Wein trinken und mit 17 Jahren darf man in Begleitung Erwachsener ein Auto fahren. Wir haben in vielen Punkten oder in anderen Punkten auch abweichend von der Volljährigkeit durchaus weitgehende Erlaubnisse für junge Menschen.
Wenn ich mir jetzt anschaue – das ist gerade ja noch mal gesagt worden -, dass wir in einigen Ländern mit 16 bei der Kommunalwahl dabei sein dürfen oder auch bei der Landtagswahl, dann ist ja auch dort deutlich geworden, dass es keine so prinzipielle Frage ist, die in Stein gehauen wäre. Und mir hat nie eingeleuchtet, dass Kommunalwahlen oder Landtagswahlen weniger wert wären, um das mal so auszudrücken, als Bundestagswahlen.
In Jugendparlamenten diskutieren nur junge Menschen
Schulz: Aber brauchen die 16 bis 18jährigen denn für politisches Engagement überhaupt dieses Wahlrecht bei den Bundestagswahlen? Es gibt doch da auch andere Möglichkeiten des Engagements.
Polenz: Ja, sicher gibt es andere Möglichkeiten. Es gibt Jugendparlamente. Aber da diskutieren junge Menschen eher unter ihres gleichen und richten dann die Forderung der "Jugend" an die Politik in den Rathäusern. Ich finde, es ist auch eine große Chance, wenn man mit 16 wählen darf, für den Politikunterricht in den Schulen. Es ist ein Unterschied, ob ich Schülerinnen und Schüler als Schülerin und Schüler auf eine erste Wahlteilnahme vorbereiten kann im Politikunterricht, oder ob ich das mache und sage, wenn ihr dann 18 seid, viele von euch sind dann auch schon aus der Schule, dann dürft ihr auch wählen, oder ob ich sage, im nächsten Jahr ist Wahl, dann seid ihr 16, und jetzt nehmen wir mal durch, was die Parteien so alles erzählen und so weiter und so weiter.
Schulz: Ich konfrontiere Sie da jetzt natürlich auch mit den Argumenten, die aus Ihrer eigenen Partei kommen. Der CDU-Generalsekretär Ziemiak dreht das Argument um. Der sagt, man soll in der Tat lieber daran, dass sich die jungen Menschen auch politisch engagieren, dass man vor Ort die Möglichkeit hat, in der Schule, in der Kirche, in der Nachbarschaft aktiv mitzuarbeiten. Diese Debatte um das Wahlrecht, ist das dann eine Stellvertreterdebatte?
Polenz: Nein, das schließt sich ja nicht aus. Im Gegenteil! Das würde sich vielleicht auch gegenseitig verstärken. Natürlich geht es ja bei der Frage, können junge Menschen ab 16 wählen, auch um die Frage, interessieren sie sich überhaupt für die Politik, interessieren sie sich überhaupt für etwas anderes außer ihren eigenen Hobbys und der Schule, und selbstverständlich hat Herr Ziemiak recht, dass alle diese Maßnahmen unterstützen sollen ein Engagement junger Menschen in der Gesellschaft. Aber mit dem Wahlrecht, finde ich inzwischen – ich habe es damals auch anders gesehen, aber ich finde,: Nehmen wir mal das Klimathema. Ich sage zwar auch immer, selbstverständlich geht mir das als 74jährigen auch nahe, weil ich habe Kinder und Enkel. Aber meine Kinder und Enkel sind natürlich persönlich von einem Klimawandel in 10, 20, 30, 40 Jahren viel stärker betroffen als ich, der das dann nicht mehr erlebt. Diese Existenzfragen – und es gibt auch noch andere – sprechen, finde ich, dafür, dass man mit 16 wählen können sollte. Ich finde, es wäre gut, wenn meine Partei darüber auch offen mitdiskutierte und nicht von vornherein sagen würde, kommt gar nicht in Frage, denn natürlich braucht man für eine Wahlrechtssenkung eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament wie vor 50 Jahren auch.
Bisher nicht groß auf der Tagesordnung
Schulz: Suchen Sie denn da aktiv auch das Gespräch?
Polenz: Bisher war das Thema ja noch nicht so groß auf der Tagesordnung. Ich habe vor einiger Zeit mal mit einer Vertreterin der Jungen Union, die auch gegen die Senkung des Wahlalters war, darüber diskutiert. Aber natürlich würde ich mich auch an einer solchen Diskussion beteiligen, mache das ja jetzt hier in diesem Interview auch, und wir werden sehen, wie es diesmal ausgeht. Nur noch mal: Es ist kein qualitativer Unterschied zwischen einer Bundestagswahl und einer Landtagswahl und einer Kommunalwahl im Hinblick auf die Bedeutung dieser Wahl, auch nicht im Hinblick auf die Schwierigkeit, politische Prozesse zu durchschauen in der Kommune oder im Land oder im Bund und dann als Wählerin oder Wähler die richtige Entscheidung zu treffen.
Schulz: Wenn Sie jetzt auf dieses demographische Thema hinweisen – das war ja Ihr Eingangsargument -, müsste man dann nicht den Schritt weitergehen und sagen, dass auch minderjährige Kinder, die unter 16 sind, denen mehrheitlich jetzt vielleicht nicht zugetraut wird, selbst zu wählen, dass deren Stimme dann durch die Eltern wahrgenommen werden müsste?
Polenz: Es gibt eine solche Diskussion über Kinderwahlrecht, was dann stellvertretend durch die Eltern wahrgenommen wird. Ich habe die Positionen mir auch angeguckt. Ich finde sie deshalb nicht überzeugend, weil bestimmte Konflikte, wenn die Eltern beispielsweise unterschiedlich abstimmen wollen nach ihrer persönlichen Überzeugung, es ist ein Kind da, wer gibt dann für das Kind die Stimme mit ab. Es gibt eine ganze Reihe praktischer Fragen, die damit zusammenhängen. Ich sehe auch nicht, dass es in absehbarer Zeit in diese Richtung eine Mehrheit geben könnte. Deshalb glaube ich, dass mit 16 eine vernünftige Grenze gezogen ist, wo dann auch jeder selber entscheiden kann und nicht es eine Art Stellvertreterwahl gibt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.