Erinnert sich hier noch irgendjemand an Georg Danzer, Liedermacher, aus Wien, gestorben vor vier Jahren? "Aufsteh'n" hieß einer seiner größten Erfolge Anfang der 80er-Jahre, er hatte ihn sich von der niederländischen Agit-Pop-Gruppe "BOTS" ausgeliehen, und der Text forderte das Publikum auf ebenso einfache wie direkte Art auf, Flagge zu zeigen, Haltung zu bekennen – eben aufzustehen, wenn es (zum Beispiel) "gegen Atomkraftwerke" oder so war. Das war immer ein bisschen peinlich, aber ein starker, sehr theatralischer Moment im Konzert – in Jette Steckels sehr aktuell und zeitgenössisch gedachter Beschwörung der "Kleinbürger" von Maxim Gorki gibt es genau diesen Moment. Den großen "Jetzt wird alles anders, weil alles anders werden muss!"-Monolog von Nil, dem Stiefsohn im kleinst- und spießbürgerlichen Haus Bessemjonow, lässt die Regisseurin herüber driften in eine große Kampfansage der Unzufriedenen von heute gegenüber allem, was offenkundig schief läuft in der Welt, wie sie ist; erzwahr und grundnaiv ist das, wie noch zu allen Zeiten Junge gegen Alte aufbegehrt haben. Und dann kommt der Danzer-Effekt: Steht auf, wenn Ihr wie wir dagegen seid! Sogar ein kleiner Umsturztext soll möglichst mitgesprochen werden, im Chor oder allein.
Natürlich funktioniert so etwas nicht in Premieren, aber in späteren Vorstellungen sollte es genug Zuschauer geben, die Steckels (und Gorkis) Furor beim Wort nehmen.
Das ist das Aufregendste an der jungen Regisseurin Jette Steckel: Sie meint es ernst! Sie hat ein Thema, fast immer auf dem überaus schnellen, überaus erfolgreichen Weg seit dem Regiediplom an der Theaterakademie in Hamburg. Immer wieder ist sie diesem elend tragischen, ebenso himmelsstürmerischen wie hoffnungslosen Kampf des Rechts gegen das Unrecht auf der Spur; bei Camus, bei Schiller, jetzt bei Gorki. Aber zugleich ist sie noch lange nicht so routiniert, dass sie das Thema, das sie umtreibt, mit immer wieder der gleichen Methodik auf die Bühne zwingt. Jede Steckel-Arbeit ist (bislang) grundsätzlich anders – auch das macht es so interessant, ihren Weg aufmerksam zu verfolgen.
Gorkis "Kleinbürgern" stellt sie auf der Bühne von Rufus Didwiszus ein rabiates Bild voran: Lenin persönlich, als Denkmal in der bekannten Pose mit dem ausgestreckten Arm, der in die Zukunft weist. Aus dem Fundament des Denkmals klettern Bessemjonow und die Seinen immer wieder heraus – aus der kleinen Welt, die nach Gorki genau so eng und würgend unfrei blieb wie vor Gorki. So geht Steckel aller Zuordnung auf die alten Konflikte aus dem Weg. So kann sie Profile von heute kreieren für die Figuren von damals – sie alle sind unerhört von heute, die Eltern wie die Kinder, die Untermieter wie Nachbarn, die glücklich Liebenden wie die einsam Verzweifelnden; und diese Wirkung erreicht die Aufführung ohne allzu viel modernistisches Brimborium: Wo früher beim Selbstmordversuch Gift geschluckt wurde, ist es jetzt halt blaue Kühlflüssigkeit für den Automotor.
Diese Gegenwärtigkeit wird durch kleine Videosequenzen aus dem Alltag des Ensembles verstärkt – Katrin Wichmann, wie sie in eigenen Tagebüchern blättert, glucksend vor Lachen über den Blödsinn der eigenen Jugend: Barbara Schnitzler, wie sie sich freisingt beim Karaoke im Ostberliner Mauerpark; Helmut Mooshammer, wie er allein zu Hause in der Küche die Waschmaschine befüllt und vom Wunsch des eigenen Vaters erzählt, der ihn sicher lieber als Schuldirektor in der österreichischen Provinz gesehen hätte und nicht als Schauspieler in Berlin ... Da kann jeder und jede von uns, kann die eigene Erinnerung, die eigene Vision beisteuern vom ungelebten Leben.
Denk- und nachvollziehbar ist in dieser Aufführung jede der Auseinandersetzungen zwischen den Generationen und den gesellschaftlichen Schichten; sie werden in großer Schärfe und Lautstärke geführt, immer wieder angetrieben von der unbeantwortbaren Frage, wie "Leben" geht in Zeiten der Unwahrheit. Wirklich unrecht hat ja keiner – selbst Bessemjonow, der Patriarch, der keine mögliche Wahrheit neben der eigenen zu dulden versteht, kann beinahe Mitleid, wie er den Ereignissen hinterher schreit, auf die er keinerlei Einfluss mehr nehmen kann. Ein Verlorener, Unglücklicher ist ja auch er – und es bleibt (bei Gorki und überhaupt) das Vorrecht der Jugend, aus- und aufzubrechen, allein, zu zweit.
Starkes Stück, starker Abend – und im übrigen zu großen Teilen bestritten von jenen Schauspielkräften, die vor drei Jahren mit dem neuen Intendanten Ulrich Khuon aus Hamburg und von sonst woher nach Berlin gekommen waren und auf die schnöseligen Berliner zunächst so von oben herab geblickt hatten. Sie zeigen derzeit (und besonders hier mit Jette Steckel) das kraftvollste Theater, das die Hauptstadt derzeit zu bieten hat.
Natürlich funktioniert so etwas nicht in Premieren, aber in späteren Vorstellungen sollte es genug Zuschauer geben, die Steckels (und Gorkis) Furor beim Wort nehmen.
Das ist das Aufregendste an der jungen Regisseurin Jette Steckel: Sie meint es ernst! Sie hat ein Thema, fast immer auf dem überaus schnellen, überaus erfolgreichen Weg seit dem Regiediplom an der Theaterakademie in Hamburg. Immer wieder ist sie diesem elend tragischen, ebenso himmelsstürmerischen wie hoffnungslosen Kampf des Rechts gegen das Unrecht auf der Spur; bei Camus, bei Schiller, jetzt bei Gorki. Aber zugleich ist sie noch lange nicht so routiniert, dass sie das Thema, das sie umtreibt, mit immer wieder der gleichen Methodik auf die Bühne zwingt. Jede Steckel-Arbeit ist (bislang) grundsätzlich anders – auch das macht es so interessant, ihren Weg aufmerksam zu verfolgen.
Gorkis "Kleinbürgern" stellt sie auf der Bühne von Rufus Didwiszus ein rabiates Bild voran: Lenin persönlich, als Denkmal in der bekannten Pose mit dem ausgestreckten Arm, der in die Zukunft weist. Aus dem Fundament des Denkmals klettern Bessemjonow und die Seinen immer wieder heraus – aus der kleinen Welt, die nach Gorki genau so eng und würgend unfrei blieb wie vor Gorki. So geht Steckel aller Zuordnung auf die alten Konflikte aus dem Weg. So kann sie Profile von heute kreieren für die Figuren von damals – sie alle sind unerhört von heute, die Eltern wie die Kinder, die Untermieter wie Nachbarn, die glücklich Liebenden wie die einsam Verzweifelnden; und diese Wirkung erreicht die Aufführung ohne allzu viel modernistisches Brimborium: Wo früher beim Selbstmordversuch Gift geschluckt wurde, ist es jetzt halt blaue Kühlflüssigkeit für den Automotor.
Diese Gegenwärtigkeit wird durch kleine Videosequenzen aus dem Alltag des Ensembles verstärkt – Katrin Wichmann, wie sie in eigenen Tagebüchern blättert, glucksend vor Lachen über den Blödsinn der eigenen Jugend: Barbara Schnitzler, wie sie sich freisingt beim Karaoke im Ostberliner Mauerpark; Helmut Mooshammer, wie er allein zu Hause in der Küche die Waschmaschine befüllt und vom Wunsch des eigenen Vaters erzählt, der ihn sicher lieber als Schuldirektor in der österreichischen Provinz gesehen hätte und nicht als Schauspieler in Berlin ... Da kann jeder und jede von uns, kann die eigene Erinnerung, die eigene Vision beisteuern vom ungelebten Leben.
Denk- und nachvollziehbar ist in dieser Aufführung jede der Auseinandersetzungen zwischen den Generationen und den gesellschaftlichen Schichten; sie werden in großer Schärfe und Lautstärke geführt, immer wieder angetrieben von der unbeantwortbaren Frage, wie "Leben" geht in Zeiten der Unwahrheit. Wirklich unrecht hat ja keiner – selbst Bessemjonow, der Patriarch, der keine mögliche Wahrheit neben der eigenen zu dulden versteht, kann beinahe Mitleid, wie er den Ereignissen hinterher schreit, auf die er keinerlei Einfluss mehr nehmen kann. Ein Verlorener, Unglücklicher ist ja auch er – und es bleibt (bei Gorki und überhaupt) das Vorrecht der Jugend, aus- und aufzubrechen, allein, zu zweit.
Starkes Stück, starker Abend – und im übrigen zu großen Teilen bestritten von jenen Schauspielkräften, die vor drei Jahren mit dem neuen Intendanten Ulrich Khuon aus Hamburg und von sonst woher nach Berlin gekommen waren und auf die schnöseligen Berliner zunächst so von oben herab geblickt hatten. Sie zeigen derzeit (und besonders hier mit Jette Steckel) das kraftvollste Theater, das die Hauptstadt derzeit zu bieten hat.