Zur vorzeitigen Kündigung ist es fast schon zu spät. Denn es zeichnet sich ein Fristenkonflikt ab: Wer jetzt noch seine Lebensversicherung kündigt, um in größerem Umfang an den Bewertungsreserven teilzuhaben, könnte zwischen alle Stühle fallen. Darauf macht Elke Weidenbach aufmerksam, die Referentin für den Bereich Versicherungen bei der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. Denn das Gesetz, das die Teilhabe der Versicherten an den Bewertungsreserven der Lebensversicherung schmälert, müsse ja noch im Bundesgesetzblatt veröffentlicht werden, bevor es in Kraft trete:
"Das wird in diesem Monat auf jeden Fall wahrscheinlich noch erfolgen. Und die Kunden haben ja auch Kündigungsfristen. Das heißt: Einen Monat müssen sie schon dem Versicherer Zeit geben, die Kündigung auszulösen. Und bis der Kunde dann diese Kündigung ausgesprochen hat, ist dieses Gesetz schon in Kraft getreten und würde dann eben auch halt die Bewertungsreserven für den Vertrag kappen."
Kündigung sofort wäre riskant
Das wäre sozusagen der Kündigungs-GAU: Wenn die Kündigung zu spät kommt, die Versicherung die alte, höhere Teilhabe an den Bewertungsreserven nicht gelten lassen muss, aber zugleich - wegen der vorzeitigen Kündigung - den Schlussgewinnanteil streicht. Die Kundschaft scheint das mitbekommen zu haben. Und die Versicherungsbranche atmet auf. Denn die Kündigungswellen der vergangenen zwei Jahre haben vielen Anbieten zugesetzt. Jetzt scheint Zahl der stornierten Verträge zu sinken. Alexander Erdland, der Präsident des Gesamtverbandes der Versicherungswirtschaft, sagt, nur eine kleine Gruppe, etwa fünf Prozent der Versicherten, die mit schon lange laufenden Verträgen, die kurz vor der Erfüllung stehen, nur diese kleine Gruppe könnte eventuell einen Vorteil haben von der alten Regelung und von einer vorzeitigen Kündigung profitieren:
"Wir spüren im Markt, dass keine Aufregung da ist, sondern dass diese kleinere Gruppe an Kunden, deren Lebensversicherungen jetzt bald zur Auszahlung kommen, sich erkundigen danach, was besser ist, und sehr besonnen damit umgehen."
Das mag auch daran liegen, dass viele Versicherer ihren Kunden nicht über Gebühr Grund zur Klage gegen haben, sie zumindest nicht provoziert haben, die Auszahlung der Bewertungsreserven durch vorzeitige Kündigung zu erzwingen. Natürlich lassen alle Versicherungen ihre Kunden das niedrige Zinsniveau spüren. Aber eine Gesetzesänderung brauchte nur der schwächere Teil der Anbieter. Der Ludwigshafener Versicherungswissenschaftler Hermann Weinmann zur alten Rechtslage:
"Ich muss aber auch feststellen, dass die großen, guten Lebensversicherer, dass die mit der aktuellen Bewertungsreservenregelung zurechtkommen. Schwache Lebensversicherer - die haben vielleicht Schwierigkeiten, damit zurechtzukommen."
Keine Teilhabe an den Bewertungsreserven
In deren Interesse wurde nun also die Teilhabe an den Bewertungsreserven gekappt. Was der Gesetzgeber zur Kompensation angeboten hat, eine Teilhabe an den sogenannten Risikogewinnen, Gewinne, die sich dann ergeben, wenn etwa Rentenversicherte früher sterben als kalkuliert, diese Kompensation stellt sich erst später ein. Verbraucherberaterin Weidenbach mutmaßt: Wer jetzt auf höhere Anteile an der Bewertungsreserve verzichten muss, bekomme von den Risikogewinnen kaum was ab:
"Die Verträge, die jetzt gerade in der nächsten Zeit auslaufen, die haben natürlich das Riesenproblem, dass die Bewertungsreserven wegfallen, und dass die Risikogewinnbeteiligung wahrscheinlich noch nicht so große Auswirkungen hat."
Wegen der Risikogewinne muss die ältere Versichertengeneration also nicht dabeibleiben. Die vorzeitige Kündigung des Vertrags ist aber nicht unbedingt die empfehlenswerte Alternative.