Archiv

Absturz der Raumsonde Rosetta
Nulllinie um 13:19 Uhr

Die Bauphase der Rosetta begann bereits in den 90er-Jahren. Nun ist die Sonde nach über zwölf Jahren im All kontrolliert auf den Kometen Tschuri gestürzt. Die Mission der Raumsonde ist jetzt zu Ende. Doch die Auswertung des riesigen Datenvolumens, dass Rosetta zu ihrem Heimatplanten gesendet hat, wird Forscher für weitere Jahrzehnte beschäftigen.

Dirk Lorenzen im Gespräch mit Uli Blumenthal |
    Drei ESA-Mitarbeiter beobachten in Darmstadt die Monitore, auf denen Daten des Mini-Labors Philae angezeigt werden.
    Das ESA-Kontrollzentrum in Darmstadt. Dirk Lorenzen ist für den DLF vor Ort (picture alliance / ESA / J. Mai)
    Uli Blumenthal: Wie ist die Stimmung jetzt?
    Dirk Lorenzen: Mischung aus Erleichterung und Leere. Rosetta hat es der Tochtersonde Philae gleich getan und befindet sich nun auf dem Kometen. Philae war als Landesonde konzipiert, Rosetta ist kontrolliert abgestürzt. Viele aus dem Rosetta-Team realisieren erst allmählich, dass die Flugphase der Mission nun vorbei ist. Manche sind seit den 90er Jahren dabei und haben die Vorbereitungen, Bau, Start und den langen Flug begleitet. Da flossen heute auch manche Tränen.
    Blumenthal: Ist es gelungen, während des Sturzfluges noch Daten aufzunehmen?
    Lorenzen: Rosetta hat offenbar bis zur letzten Sekunde Bilder und Daten geliefert. Die Forscher haben nun einen Querschnitt durch die Gashülle des Kometen: Rosetta hat von außen bis zur Oberfläche den Druck gemessen, also wie viel Gas dort vorkommt, welche Staubteilchen es dort gibt. Und die Forscher haben gezielt eine Grube aufgenommen, ein charakteristisches "Loch" auf der Kometenoberfläche. In der Wand ist recht frisches Kometenmaterial zu sehen. Diese letzten, besonders scharfen Bilder werden sehr wichtig sein, um die Entstehungsgeschichte der Kometen zu enträtseln. Es sind jetzt all die kleinen Stücke zu sehen, aus denen sich Tschuri vor gut vier Milliarden Jahren verklumpt hat.
    Blumenthal: Gibt es Bilder der Einschlagstelle?
    Lorenzen: Nein. Rosetta hat sich im Moment des Kontakts mit dem Kometen ausgeschaltet. Es wäre dann ohnehin kein Funkkontakt möglich gewesen, weil die Antenne sicher nicht mehr zur Erde gezeigt hat. Es ist unklar, ob Rosetta vielleicht noch zwei-, dreimal zurückgeprallt ist, so ist es ja seinerzeit der Landesonde Philae ergangen. Was genau mit Rosetta beim Aufsetzen passiert ist, werden wir nie erfahren.
    Die meisten hochauflösenden Bilder werden zurückgehalten
    Blumenthal: Welche Rolle spielte die hochauflösende Kamera, für die das Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung in Göttingen verantwortlich ist?
    Lorenzen: OSIRIS heißt diese Kamera und einer der Wissenschaftler sagte gestern, man habe über 80.000 Fotos gemacht. Dieses Instrument hat viel schärfere Bilder aufgenommen als die Navigationskamera an Bord, die mehr technische Fotos gemacht hat, die zum Steuern der Raumsonde gebraucht wurden. Mit dieser fantastischen Kometenkamera führt das Max-Planck-Institut seine große Tradition im Kamerabau fort: Schon die Raumsonde Giotto zum Kometen Halley in den 80er Jahren hatte eine Kamera dieses Instituts an Bord - wie aktuell auch die NASA-Sonde Dawn zu zwei Asteroiden.
    Für einigen Ärger sorgte allerdings die Veröffentlichungspolitik: Wir haben bisher nur einen verschwindend kleinen Teil der Bilder gesehen. Fast alle Tschuri-Bilder, die die ESA uns gezeigt hat, stammen von der Navigationskamera. Selbst der damalige ESA-Chef Dordain hat darüber mal öffentlich sein Missfallen geäußert. Aber so ist die Regel in Europa: Wer ein Instrument baut, dem gehören auch die Daten - und die Forscher entscheiden, wer, wann, was zu sehen bekommt.
    Eines der letzten Bilder, welches Rosetta zur Erde gefunkt hat, Sekunden vor dem Aufprall auf dem Kometen Tschurjumow-Gerassimenko
    Eines der letzten Bilder, welches Rosetta zur Erde gefunkt hat, Sekunden vor dem Aufprall auf dem Kometen Tschurjumow-Gerassimenko (EPA/ESA/dpa picture alliance)
    "Sie hatten sicher auch manchmal das Glück des Tüchtigen"
    Blumenthal: Sie haben Rosetta von der Bauphase in den 90er Jahren bis jetzt zum Absturz intensiv verfolgt. Wie fällt Ihr Fazit der Mission aus?
    Lorenzen: Als ich zum ersten Mal davon gehört habe, hielt ich das für völlig verrückt. Man fliegt zehn Jahre lang durchs All, davon ist die Sonde zweieinhalb Jahre im Winterschlaf ohne jeden Kontakt zur Erde. Nach der Ankunft soll dann eine Landesonde gezielt niedergehen. Das war ein sehr gewagtes Projekt. Die Forscher haben es geschafft - sie hatten sicher auch manchmal das Glück des Tüchtigen.
    Blumenthal: Es gab immer wieder Vergleiche mit den Apollo-Missionen - zu Recht?
    Lorenzen: Vergleiche sind immer schwierig. Klar ist, dass Rosetta technisch und wissenschaftlich völliges Neuland war. Europa hat gezeigt, dass es solche Missionen durchführen kann - und sich zugleich wissenschaftlich großen Fragen widmet. Insofern kann man schon sagen, dass dies die Mondlandung für Europa war.
    Die "Hieroglyphen" über die Entstehung des Lebens konnten nicht entschlüsselt werden - noch nicht
    Blumenthal: Hat Rosetta die hoch gesteckten wissenschaftlichen Ziele erreicht?
    Lorenzen: Ja und nein. Die Mission hat eine unübersehbare Datenmenge angehäuft. Es hat sich gezeigt, dass die Anfänge des Sonnensystems offenbar doch komplizierter waren als bisher angenommen. Unser Wasser kommt wohl überwiegend nicht aus Kometen. Dafür hat Rosetta viele organische Stoffe auf dem Kometen nachgewiesen, die die Rohstoffe für Leben sind, etwa die Aminosäure Glycin.
    Die Rosetta-Mission wurde nach dem Rosetta-Stein benannt, mit dem sich einst die Hieroglyphen entschlüsseln ließen. Die Entstehung des Lebens hat Rosetta nun doch nicht enträtselt - vielleicht aber auch nur noch nicht.
    Denn heute ist nur der Flug der Raumsonden zu Ende gegangen. Die Daten werden noch Jahre und Jahrzehnte eine große Rolle spielen und sicher auch noch für die eine oder andere Überraschung sorgen.