Johannes Eckert ist Abt von Sankt Bonifaz in München und Andechs. Geboren ist er 1969 in Mosbach im Norden Baden-Württembergs. Er ist seit fast 20 Jahren Abt in München und Andechs. Nicht zuletzt wegen der Brauerei und der Landwirtschaft von Andechs kann Abt Johannes Eckert auch umstrittene Fragen angehen - vor allem aber wegen der Unabhängigkeit von katholischen Bistümern. Benediktineräbte sind keinem Bischof unterstellt, sondern ihnen letztlich gleichrangig und dem Papst verantwortlich.
Einige Benediktiner nutzen diesen Freiraum. Wobei Abt Johannes Eckert nicht kirchenpolitisch argumentiert. In seinen theologischen Meditationen, die im Verlag Herder erscheinen, argumentiert er geistig-geistlich. Seine Erkenntnisse ergeben sich für ihn aus der Reflexion der Evangelien. Seine jüngsten Bücher haben Titel, die andeuten, worum es ihm geht: "Was sucht ihr? Frag-würdige Einsichten ins Johannesevangelium". Und davor: "Steht auf! Frauen im Markusevangelium als Provokation für heute". Auch im Gespräch mit Andreas Main wird Johannes Eckert deutlich. Auf die Frage, ob Priester künftig auch verheiratet sein könnten, sagt er eindeutig: "Ja!" Auf die Frage, ob Frauen zu Priestern geweiht werden sollten, ebenso eindeutig: "Absolut wünschenswert!"
Andreas Main: Herr Eckert oder Abt Johannes, Sie sind ausgesprochen schlank. Ich tippe: bei einer Größe von 1,80 Meter auf 65 Kilo. Wie wichtig sind Ihnen Bier und Fleischgerichte hier in Andechs?
Johannes Eckert: Ich trinke schon gern unsere Biere - alles zu seiner Zeit. Und es soll ja auch im Maßen getrunken werden, wie es der heilige Benedikt wünscht. Ich esse gerne auch einen Schweinsbraten und auch die Haxen, die wir haben. Vielleicht nicht jeden Tag. Aber wir bieten das gerne an und dürfen das auch genießen.
Main: Andechs - hier draußen - ist von Sankt Bonifaz in München rund 45 Autokilometer entfernt, ungefähr eine Stunde mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Wie oft halten Sie sich hier auf?
Eckert: Ja, in der Regel bin ich ein-, zweimal die Woche hier draußen. Dann gibt es wieder Zeiten, wo ich mehr in Andechs bin und weniger in München. Jetzt zum Beispiel im August oder in der Hauptwallfahrtszeit im Mai um Christi Himmelfahrt oder eben auch in den beiden Fastenzeiten, also im Advent oder vor Ostern – das sind Zeiten, wo ich hier draußen bin - wie es halt gebraucht wird. Das ist ja das Gute, dass es nicht so weit auseinander ist, dass man auch mal sagen kann: Okay, die nächsten drei Tage bin ich in Andechs - oder jetzt fahre ich wieder rein in die Stadt.
"In München versorgen wir bis zu 250 Obdachlose täglich"
Main: Wie wichtig ist Ihnen der Wirtschaftsbetrieb Andechs?
Eckert: Für uns als Kloster ist der Wirtschaftsbetrieb entscheidend. Wir bekommen ja als Kloster keine Kirchensteuer. Wir leben von dem, was wir erwirtschaften. Alles, was wir hier durch die Brauerei, durch die Gastronomie oder auch durch die Landwirtschaft erwirtschaften, dient unseren beiden Klöstern - bis hin zur Obdachlosenarbeit in Sankt Bonifaz. Es kommen ja tagtäglich zu uns in unserer Stadtkloster 200 bis 250 Personen, die versorgt werden mit Essen, mit Kleidung, die duschen können. Wir haben eine eigene Arztpraxis. Das muss ja alles finanziert werden. Und das erhalten wir auch eben durch unsere Wirtschaftsbetriebe.
Main: Wie machen Sie das? Lassen Sie sich auch Zahlen vorlegen? Kennen Sie Umsatzrückgänge oder -steigerungen? Einnahmen, Ausgaben, Nettogewinn et cetera?
Eckert: Die Zahlen kenne ich schon, sie werden auch immer wieder besprochen. Ich bin aber sehr dankbar, dass ich nicht im operativen Geschäft, dem Alltagsgeschäft so drin bin. Das will auch der heilige Benedikt nicht. Der will, dass der Abt und der Cellerar unterschiedliche Personen sind. Der Cellerar ist der wirtschaftliche Leiter: ein Mitbruder, Frater Leonhard, der die Wirtschaftsbetriebe führt, mit dem ich immer im Kontakt stehe oder wenn ich hier draußen bin, gehen wir natürlich die Zahlen durch.
Main: Sie sagen ja selbst: Sie bekommen keine Kirchensteuer, sie unterhalten sich selbst. Andechs ist doch wahrscheinlich eines der berühmtesten Klöster in Deutschland und womöglich auch im Vergleich zu anderen eines der reichsten?
Eckert: Ja, also Letzteres täuscht etwas. Wenn Sie allein den Gebäudekomplex hier betrachten oder auch den Gebäudekomplex in Sankt Bonifaz. Man muss ja beides auch erhalten. Wir haben hier in beiden Klöster circa 200 bis 250 Mitarbeiter. Da braucht es Löhne und Gehälter. Wir müssen natürlich auch in die Wirtschaftsbetriebe reinvestieren. Auch der Biermarkt ist hart umkämpft. Da muss man schauen, wie man immer wieder auch die Produktqualität sicherstellt. Da sind wir ja sehr dankbar, dass unsere Kunden sehr treu sind. Sprich: Es hängt auch viel dran.
"Propheten waren nie angenehm"
Main: Abt Johannes, so viel ist klargeworden: Sie sind wirtschaftlich nicht abhängig. Sie sind aber auch keinem Bischof unterstellt als Abt, sondern letztendlich dem Papst. Können sollen, müssten Klöster, Äbte, Ordensleute diese Freiheiten, die sich daraus ergeben, noch offensiver nutzen?
Eckert: Es ist eben der prophetische Dienst, den die Ordensgemeinschaften wahrnehmen in der Kirche. Propheten waren in der Geschichte Israels oder auch in der Geschichte der Kirche, wenn man an die Johannes-Apokalypse denkt, nie, nie angenehm, sondern haben immer wieder auch auf Missstände hingewiesen.
Und ja, es ist eine Aufgabe der Orden, immer wieder auch zu fragen: Was sind die Zeichen der Zeit? Gerade auch im Blick auf Zeichen der Zeit: Der Abt kommt durch Wahl in sein Amt. Der Abt wird nicht von einem Bischof oder vom Papst eingesetzt, sondern die Klostergemeinschaft wählt ihren Abt. Jeder hat eine Stimme. Darüber hinaus ist der Abt nach seiner Wahl in allen seinen Entscheidungen an den Rat der Gemeinschaft gebunden. Ich kann jetzt nicht einfach festlegen: Wir brauchen eine neue Brauerei, oder wir stehen von morgen an um 4 Uhr in der Frühe auf…
Main: Wann stehen Sie auf?
Eckert: Wir fangen mit dem gemeinsamen Gebet um 6 Uhr an. Ich stehe momentan kurz nach 4 Uhr auf. Das ist so meinen Rhythmus.
Main: Aber sie können so etwas nicht einfach anordnen…
Eckert: … sondern es geht in den Rat der Brüder. Dann wird darüber diskutiert. Und dann wird auch alles abgestimmt, also als auch im wahrsten Sinn des Wortes, dass jeder eine Stimme hat. Und das sind natürlich andere Strukturen von Kirche, die man sich ja auch überlegen könnte, für andere Dienste. Etwa: Wie findet eine Diözese ihren Bischof? Es gibt da bestimmt auch andere Modelle. Man sieht es ja auch an der Papstwahl, dass es andere Modelle gibt – und nicht nur das Modell, dass Rom ernennt.
Main: Nennen wir es doch mal synodalere Strukturen…
Eckert: Ganz genau. Oder die Rolle der Frau: Wir haben in unseren Klöstern selbstverständlich Äbtissinnen, die der Gemeinschaft vorstehen. Sie tragen genauso wie der Abt das Brustkreuz, sie tragen den Ring am Finger und tragen auch den Stab. Der Stab ist ja Ausdruck, dass die Äbtissin die Hirtin ist.
"Jesus macht keinen Unterschied bei den Geschlechtern"
Main: Und diese Äbtissin muss warten, bis ein Mann vorbeikommt und mit dieser Gemeinschaft die Messe feiert. Sie kann es nicht.
Eckert: Ganz genau, und das ist natürlich jetzt eine konkrete Frage, und es wird ja auch von vielen Ordensgemeinschaften eingebracht, warum nicht auch qualifizierte Frauen die Priesterinnenweihe, also die Weihe zum Priester, empfangen können oder eben als Diakoninnen wirken können. Zumal, wenn wir ins Evangelium schauen: Wenn Jesus Menschen in seinen Dienst beruft, macht Jesus eben da keinen Unterschied der Geschlechter.
Das wird ja auch diskutiert in den Orden und darüber hinaus. Das ist auch ein wichtiger prophetischer Dienst, dass die Orden diese Diskussion in die Kirche einbringen. Es gibt genug Themen, wo dieser prophetische Dienst wahrgenommen werden kann.
Eucharistiefeier: "Warum kann das nicht in gleicher Weise eine Frau wie ein Mann tun?"
Main: Bleiben wir dann aber doch einfach mal bei den Frauen - wir beiden Männer -und bleiben bei ihrer "Provokation", so ja auch der Untertitel Ihres Buches. Ihr Ansatz, wenn ich das richtig lese, ist kein rein kirchenpolitischer. Das ist eher aus der Lektüre des Markus-Evangeliums gewonnene geistig-geistliche Einsicht. Was ist am Ende Ihre Einsicht mit Blick auf Frauen in der Kirche?
Eckert: Ich bin dankbar, dass Sie das ansprechen. Mir ist es wichtig, dass wir diese Fragen geistlich reflektieren, also vom Evangelium her. Das ist unsere Urkunde sozusagen. Und da ist das Markus-Evangelium das älteste. Da wird deutlich: Im Markus-Evangelium ist einer der zentralen Begriffe ‚dienen‘. Im Markus-Evangelium gelingt das Dienen nur den Frauen und Engeln, während die Männer es eigentlich nicht verstehen und es von Jesus lernen müssen.
Wenn wir von den Diensten in der Kirche sprechen, dann müsste uns doch das eigentlich Anlass sein zu sagen: Wir müssen da etwas geistlich reflektieren, wenn es heißt im katholischen Bereich, der Priester müsse ‚in persona Christi‘ handeln, also er handelt für Christus, und Christus war Mann.
Dagegen würde ich sagen: Er ist zunächst einmal Mensch geworden. ‚In persona Christi‘ handeln, meint weniger das Geschlecht, ob ich Mann oder Frau bin, sondern ob ich seiner Gesinnung nachfolge, ob es mir, wenn ich meinetwegen der Eucharistie vorstehe, darum geht, der Gemeinde, den anwesenden Gläubigen zu dienen. Und warum kann das nicht in gleicher Weise eine Frau wie ein Mann? Ums Dienen - darum ging es Jesus im Evangelium.
Main: "Steht auf!" So heißt Ihr Buch. Da höre ich raus: Aufstand. Jetzt kann jede oder jeder in einer demokratischen Gesellschaft den Aufstand ausrufen. Wäre ich allerdings Leiter der Glaubenskongregation im Vatikan und ein Abt würde zum Aufstand aufrufen, würde ich nervös.
Eckert: Das dürfen Sie gerne werden. Das sollten wir immer wieder werden, weil wir an einen glauben, der aufgestanden ist, der von den Strukturen des Todes aufgestanden ist und auferstanden ist, aufgeweckt wurde. Damit hat auch die Botschaft von Ostern immer etwas Provozierendes und etwas, was wachrütteln will.
Das ist ganz wichtig, dass wir das nicht vergessen - also, dass wir Ostern nicht verniedlichen. Ostern soll auch jetzt schon geschehen. Das ist ja eigentlich der einzige neuere theologische Ansatz nach dem Konzil gewesen: die Befreiungstheologie, wo Menschen gegen Strukturen des Todes aufgestanden sind aus der österlichen Botschaft heraus.
"Wir müssen die Kirche anders sehen"
Main: Dennoch ist doch zu beobachten, dass solche Themen in katholischen Milieu durchaus das Potenzial haben, Risse zu vertiefen, zu spalten. Wie kann man denn verhindern, dass solche Themen Spaltpilz-Charakter bekommen?
Eckert: Wir müssen die Kirche anders sehen. Nicht in einer Einheitlichkeit, sondern in einer großen Buntheit und Pluriformität. Das müssen wir neu lernen. Das können wir übrigens vom Apostel Paulus lernen. Wenn ich seine unterschiedlichen Gemeinden anschaue, die er hatte, dann hat er eine große Vielfalt zugelassen.
Das müssen wir neu lernen, dass dieser Geist Gottes in Vielfalt wirkt und dass es nicht geht um Spaltung, sondern um Entfaltung - um Entfaltung eines Glaubens, der unterschiedliche Ausdrucksformen findet. Und da braucht es dann - ganz wichtig – auch einen Geist, der das zulassen kann, diese Weite zu lernen.
Der derzeitige Papst nimmt das sehr ernst, wenn er jetzt einen großen Prozess auch der Synode angestoßen hat, wenn er sagt, wir sollen hineinhören in die ganz unterschiedlichen Ortskirchen. Vielfalt einzubringen - da war ja eigentlich die katholische Kirche immer sehr stark - sozusagen als Global Player, als Weltkirche. Vielfalt - das wird die Zukunft sein auch des christlichen Glaubens. So hat es ja auch begonnen, dass dieser Apostel Paulus diesen Glauben hineingetragen hat in seine hellenistische Umwelt, in seine griechische und römische Umwelt, und damit konfrontiert hat.
"Priesterinnenweihe absolut wünschenswert"
Main: Bleiben wir noch einmal kurz beim Aspekt Frauen, Priester, Weihe. Ihr Mitbruder Martin Werlen, langjähriger Abt des Benediktinerklosters Einsiedeln in der Schweiz, hat schon vor knapp zehn Jahren eine Schrift vorgelegt, in der er unter anderem die Zulassung von Frauen zum Priesteramt gefordert hat. Er ist nach wie vor Benediktiner, hat auch nach wie vor nicht allzu langer Zeit ein Buch mit dem Titel vorgelegt: "Zu spät. Eine Provokation für die Kirche. Hoffnung für alle". Also Ihr Benediktiner habt schon ein ganz schönes Provokationspotenzial.
Eckert: Es gibt solche und solche Benediktiner. Das ist ja auch das Schöne. Sie haben ja vorhin auch von der Spaltung geredet. Es gibt auch Benediktinerklöster, etwa in Frankreich, die sehr streng die Regel leben, die auch die Liturgie in nochmal ganz anderen Formen pflegen, die wir vielleicht als konservativ bezeichnen würden; das meine ich jetzt nicht wertend, sondern ‚bewahrend‘.
Im Benediktinischen erlebt man diese Vielfalt, von der wir vorhin gesprochen haben. Ich würde auch nie jemandem in einem vielleicht strengeren Kloster das Benediktinische absprechen, sondern das ist wie in einer großen Familie, in der auch diese Vielfalt gelebt wird. Aber es gibt natürlich auch Benediktiner und Gemeinschaften, die auch stärker die Konfrontation oder besser gesagt, die Aufnahme dessen, was uns heute beschäftigt, stärker vorantreiben.
Main: Halten Sie - wie Martin Werlen - eine Priesterweihe für Frauen für möglich in näherer Zukunft?
Eckert: Ich halte nichts für unmöglich.
Main: Halten Sie es auch für wünschenswert?
Eckert: Also, für wünschenswert halte ich es absolut. Absolut! Und ich halte es deswegen nicht für unmöglich - auch vielleicht in näherer Zeit, denn wir sollten auch dem Geist Gottes - das weist uns auch die Kirchengeschichte - keine Grenzen setzen. Manchmal gibt es schneller Veränderungen, als wir gedacht haben.
Main: Abt Johannes, Sie wurden im Juni 2000 zum Priester geweiht. Sie leben jetzt schon ziemlich lange zölibatär. Als Journalisten sind wir nun mal auch an den Reizthemen interessiert. Würden Sie denken, dass der Pflichtzölibat für all die Priester dort draußen, die in Gemeinden dienen und arbeiten, dass er für die auch sinnvoll ist?
Eckert: Für den Einen kann es sinnvoll sein, für den Anderen nicht. Erstens hat es den Pflichtzölibat, also den verpflichtenden Zölibat, erst seit dem Mittelalter gegeben. Also es ging vorher auch gut, auch mit allen Schwierigkeiten. Zweitens mit Blick auf die Kirchen der Orthodoxie oder mit Blick auf die Kirchen, die mit Rom verbunden sind aus den orthodoxen Kirchen, die dem Papst unterstehen, wo selbstverständlich auch die Pfarrer heiraten - da funktioniert es ja auch, dass man eine Vielfalt lebt. Warum sollte es nicht auch im ganzen Raum der katholischen Kirche so sein?
Abschaffung des Pflichtzölibats? - "Ja!"
Main: Also, die nachrichtliche Fassung aus dieser Antwort wäre: Sie wären durchaus für eine Abschaffung des Pflichtzölibats?
Eckert: Ja. Es ist gar keine Frage, dass zölibatär lebende Menschen ein Schatz sind für die Kirche. Aber genauso: in Ehe lebende Menschen sind auch ein großer Schatz, auch wenn die auch priesterliche Funktionen dann wahrnehmen.
Main: Sie argumentieren in diesen Fragen ausgesprochen ruhig und gelassen. Sie lächeln viel. Fühlen Sie sich von den zunehmend schrillen Tönen in Ihrer Kirche, die es ja auch gibt, genervt? Oder dominiert da bei Ihnen eher das Verständnis für die Ungeduld?
Eckert: Ich habe großes Verständnis für die Ungeduld. Dass manche sagen, die sich Veränderungen schon seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil erwarten, die Generation unserer Eltern, dass die sagen, wie lange sollen wir noch warten, das verstehe ich ganz, ganz gut.
Ich verstehe auch gut, dass durch solche Erneuerungsdebatten auch manche sehr, sehr verunsichert werden, die vielleicht eher das Bild haben: Ich brauche eine feste Tradition, die mich hält und mich stärkt.
Das bilden ja unsere Klöster durchaus ab: Wir leben mitten in der Stadt. Damit kommen alle unterschiedlichen Menschen zu uns in Sankt Bonifaz in München. Oder hier in Andechs kommen traditionsreiche Wallfahrtsgruppen zu uns - vom Land. Diese Vielfalt gibt es auch auszuhalten und zuzulassen. Das ist Aufgabe von Kirche.
Main: Vielleicht auch, sich zu lösen von Rechts-Links-Schemata?
Eckert: Auf jeden Fall. Ich mag nicht die Ausdrücke konservativ und liberal oder konservativ und progressiv oder rechts oder links. Jeder, der sich für Erneuerungen einsetzt, ist konservativ. Der Ansatz aus dem Evangelium heraus - aus dem Markusevangelium, Erneuerungsmöglichkeiten zu suchen, ist ein sehr bewahrender, weil es vom Evangelium ausgeht. Das ist ein sehr konservativer Ansatz, und deswegen mag ich diese Schemata nicht.
Main: Also, wenn ich Sie als den linken, liberalen Abt bezeichnen würde, würden sich bei Ihnen nicht nur die Fußnägel hochrollen?
Eckert: Das dürfen Sie gerne machen.
Main: Aber tue ich ja nicht.
Eckert: Aber aus welcher Position heraus ist man links oder rechts? Das ist ja auch wieder etwas sehr relatives. Oder was ist liberal? Ist der Apostel Paulus liberal, weil er sagt: Wir sind zur Freiheit befreit? Das wäre ja eigentlich ein Wahlprogramm der FDP.
"Achtsam mit der Schöpfung umgehen"
Main: Abt Johannes, in München und auch in Andechs hat es in diesem Sommer über die Maßen geregnet, auch wenn es hier wohl keine Katastrophen gegeben hat wie in anderen Teilen des Landes. Dazu die Pandemie, dazu für viele ein Urlaub, der sprichwörtlich ins Wasser fällt. Erleben Sie bei sich, in ihrer Umgebung, bei Zeitgenossen eine gewisse Gereiztheit und Verunsicherung?
Eckert: Die Verunsicherung ist da. Ich glaube, die Verunsicherung spüren wir ja schon länger: zum einen eben durch den Klimawandel, zum anderen 2015 spätestens, als Menschen aus Afghanistan, Syrien oder Nigeria auf einmal vor unserer Haustür standen und angeklopft haben, also durch die sogenannte Flüchtlingskrise. Oder durch die Wirtschaftskrise.
Wir spüren, dass sich etwas verändert, dass unsere Welt nicht in dieser Ordnung bleibt, von der wir gedacht haben: es bleibt so. Das sind Zeichen der Zeit, die uns aufwecken wollen: Kehrt um! Es muss eine Umkehr geben. Das, was wir betrieben haben, die Menschheit betrieben hat in den letzten 100 Jahren, kann nicht so weitergehen.
Wir sprechen ja auch vom Zeitalter, das als Anthropozän bezeichnet wird, also das Zeitalter des Menschen, der in seine Umwelt so eingreift, dass man fast gar nicht mehr zurück kann - bis dahin, dass die Menschheit vernichtet wird, wenn man jetzt an Hiroshima und Nagasaki denkt oder was wir momentan jetzt mit der Erderwärmung erleben und diesen furchtbaren Katastrophen.
Da ist wirklich die Frage: Wie können wir achtsam mit der Schöpfung umgehen? Oder wie können wir neu entdecken, dass wir nicht Herren der Schöpfung sind, sondern Bruder und Schwester in dieser Schöpfung und damit aber von Gott eine Verantwortung übertragen bekommen haben, diesen Garten zu hüten und zu pflegen? Und da glaube ich, ist wirklich auch ein Prozess des Umdenkens im Gang, wo es auch diese prophetischen Stimmen braucht.
"Weg vom kurzatmigen, kurzfristigen Denken"
Main: Auch Menschen, die Kirchen oder auch vor allem auch der katholischen Kirche womöglich fernstehen, denken vermutlich, dass ein Mönch, der so anders lebt wie sie selbst, in Situationen wie diesen, die wir gerade durchleben, also diese Verunsicherung, dass der womöglich helfen kann. Was könnte eine Anregung sein? Was könnten wir in Zeiten der Verunsicherung lernen von klösterlichem Leben?
Eckert: Wir haben hier einen Wald. Oder: relativ viel Wald. Die Bäume, die wir heute pflanzen, wird unsere Mönchsgeneration nicht mehr ernten. Das ist für mich ein ganz starkes Bild der Nachhaltigkeit. Oder: Wie gehen wir mit unseren Böden um? Wir haben schon in den 1990er-Jahren auf ökologischen Landbau hier umgestellt, damit sich auch die Böden anders regenerieren können. Oder wie gehen wir mit dem Wirtschaftsbetrieb um? Dass man von diesem kurzatmigen, kurzfristigen Denken wegkommt, weg von schnellem Konsum hin zu einer Nachhaltigkeit, dass ich achtsam mit den Gütern der Schöpfung umgehe.
Main: Und jemandem, der nicht Ordensmann oder Ordensfrau und womöglich auch nicht religiös ist - welche Art zu leben, fördert - neudeutsch - Resilienz?
Eckert: Immer wenn ich mir Ziele setze - und das nicht nur Ziele für mich sind. Dass ich aus einer reinen Selbstbezogenheit raustrete und mein Umfeld sehe. Es freut mich immer wieder, welch hohen Stellenwert die Familie in Deutschland hat. Das ist schon mal eine Wert. Da beginnt jemand, nicht nur an sich selbst zu denken, sondern in einer größeren Einheit als das Individuum zu denken.
In diesen Bereichen, sich erreichbare Ziele zu setzen, das stärkt, weil man dann spürt: Ich kann diese Werte leben und diese Werte geben mir Kraft. Das kann dann auch im sozialen Bereich sein, dass ich achtsam bleibe, was meine Nachbarschaft angeht, was mein Umfeld angeht, und ich schaue, dass es nicht nur mir gut geht, sondern auch anderen.
Main: Johannes Eckert, Abt von Sankt Bonifaz in München und Andechs, danke für Ihre Zeit. Schön, dass ich hier im Kloster Andechs vorbeikommen durfte und nochmals danke, Abt Johannes.
Eckert: Sehr gern. Ihnen auch alles Gute!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Literaturhinweise
Johannes Eckert: Was sucht ihr? Frag-würdige Einsichten ins Johannesevangelium, Herder Verlag, 208 Seiten, 20 €
Johannes Eckert: Steht auf! Frauen im Markus-Evangelium als Provokation für heute, Herder Verlag, 144 Seiten, 16 €
Johannes Eckert: Was sucht ihr? Frag-würdige Einsichten ins Johannesevangelium, Herder Verlag, 208 Seiten, 20 €
Johannes Eckert: Steht auf! Frauen im Markus-Evangelium als Provokation für heute, Herder Verlag, 144 Seiten, 16 €