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Abtauchen im Dienste der Wissenschaft

Der Bodensee versorgt über vier Millionen Menschen mit Trinkwasser und muss vor größeren Verunreinigungen besonders geschützt werden. Im Uferbereich lagern außerdem viele Tausend Sprengkörper aus dem Zweiten Weltkrieg. Unterstützung bekommen Behörden und Wasserschutzpolizei seit Neuem von einem neuen Unterwasser-Roboter.

Von Thomas Wagner |
    Etwas unruhig schwappt das 70 Zentimeter hohe Ungetüm, das einer großen riesigen Bierkiste ähnelt, auf den Wellen des Bodensees. Dann plötzlich taucht der Kasten ab, hinterlässt einen kleinen Strudel. Werner Engesser hält auf einem Schiff der Wasserschutzpolizei eine Fernsteuerung in der Hand.

    Wie von Zauberhand bewegt, erscheint die Kiste wieder an der Wasseroberfläche. An einer Seite: ein stählerner Greifarm. Er umklammert die Attrappe einer Sprenggranate mit seinen drei metallischen Fingern.

    "Der Greifarm oder Manipulator ist eine Art Wagenheber mit einer Spindel drin. Es kann ein Gerät greifen, mit drei Fingern, kann zudrehen und bis zu 500 Kilogramm festhalten", "

    erklärt Günter Jasper, technischer Beauftragter der Wasserschutzpolizei Überlingen. Er kennt den neuen Unterwasser-Roboter "V 8 Sii" des schwedischen Herstellers Ocean Modules wie kein Zweiter am Bodensee - ein unbemanntes Mini-U-Boot im Bierkisten-Design. Ein genauer Blick auf das Gehäuse zeigt gleich acht kleine Propeller, die jeweils von einem Elektromotor bewegt werden - ein komplizierter Antrieb, der Bewegungen in alle nur denkbaren Richtungen zulässt.

    " "Das Gerät ist ausgelegt wie ein Würfel und kann in allen Lagen fahren, also im dreidimensionalen Raum. Dazu brauche ich acht Propeller, um es entsprechend steuern zu können."

    Das heißt: Die acht Propeller strömen das Wasser in jeweils unterschiedlichen Winkeln an. Die Kombinationsmöglichkeiten der Propeller mit ihren unterschiedlichen Strömungswinkeln ermöglichen ein Abtauchen in alle Richtungen - oben, unten, seitwärts, schräg nach unten oder permanent über einem bestimmten Punkt am Seegrund schwebend. Dass der Unterwasser-Roboter solchen Anforderungen nachkommt, ist überaus wichtig. Schließlich wird er zum Aufspüren von Sprengkörpern aus dem Zweiten Weltkrieg eingesetzt, von denen es im Bodensee immer noch viele Tausende gibt. Darüber hinaus taucht der Roboter im Auftrag der Wissenschaft ab. Beispiel: die Neozoen-Forschung. Neozoen sind Lebewesen, die ursprünglich aus einem anderen Gewässer stammen und beispielsweise durch das Entleeren eines Aquariums in den Bodensee gelangt sind. Hier stellt sich die Frage: Wie beeinflussen solche Neozoen das biologische Gleichgewicht im Wasser? Der neue Roboter soll dies am Beispiel der aus dem Schwarzen Meer stammenden Schwebgarnelen erforschen, die sich im Bodensee immer mehr breitmachen. Margareta Barth, Präsidentin der baden-württembergischen Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz:

    "Wir müssen jetzt untersuchen, was daraus entsteht, ob diese Schwebgarnelen beispielsweise Fischfutter sind, ob sie von Fischen gefressen werden und welche Einflüsse sie auf das Ökosystem Bodensee haben. Das ist wichtig, weil natürlich der Bodensee durch jede neu eingewanderte Art verändert wird. Zum Beispiel die Körbchenmuschel, die vor Jahrzehnten eingeschleppt wurde, bildet mittlerweile die Nahrungsgrundlage für viele Wasservögel. Die gäbe es in dieser Vielfalt heute gar nicht, wenn es nicht die Körbchenmuschel gebe."

    Um die Ausbreitung solcher Organismen zu beobachten, ist der neue Roboter gleich mit zwei elektronischen Kameras ausgestattet: Die eine ermöglicht allerdings nur Schwarz-Weiß-Aufnahmen, die andere dagegen filmt unter Wasser in Farbe. Günter Jasper erklärt den Sinn dieser Kombination.

    "Die Schwarz-Weiß-Kamera ist einfach zum Annähern an das Objekt. Das ist eine Weitwinkelkamera, die einfach dem Piloten den größeren Sektor zeigt unter Wasser. Sie ist eine Schwarz-Weiß-Kamera, die mit einem Restlicht-Aufheller arbeitet. Die braucht nur einen ganz kleinen Lichteinfall unter Wasser."

    Die Schwarz-Weiß-Kamera dient dem 'Piloten', der den Roboter vom Begleitschiff aus mit der Fernsteuerung lenkt, als Orientierungshilfe. Das Bild wird, elektronisch aufgehellt, auf einen kleinen Monitor neben der Fernsteuerung übertragen. Die Farbkamera dient dagegen der Dokumentation. Sie erfasst Schwebgarnelen, Körbchenmuscheln, Granaten, Schiffswracks, je nach Auftrag. Das Ganze funktioniert bis zu einer Tiefe von 300 Metern. Das ist für den Bodensee mehr als genug; der ist maximal 265 Meter tief - für Forschungstaucher mit üblicher Ausstattung aber dennoch unerreichbar. Deshalb erhoffen sich die Wissenschaftler durch den neuen Roboter gerade über solche Prozesse Aufschlüsse, die sich tief am Seegrund abspielen. Gerd Schröder vom Institut für Seenforschung Langenargen nennt dafür ein Beispiel.

    "Das sind diese Gasaustritte am Seegrund, wo also Methangas aus größeren Tiefen aufsteigt, an der Oberfläche auch zu sehen ist, kleine Trichter bildet. Momentan haben wir ein Forschungsprojekt zur Frage: Welche Mengen sind das überhaupt? Methangas ist ja klimarelevant. In welchen Bereichen tritt das besonders stark auf? Das ist ja auch derzeit ein Ziel der Forschung."

    Und zwar mithilfe des neuen Tauchroboters. Der ist parallel zu den Kameras auch mit einem Sonarsystem ausgestattet. Alle Bilder und Daten werden in Echtzeit an das Steuermodul auf dem Begleitschiff übertragen und von dort an einen Server an Land weitergeleitet, um Datenverluste während und nach einem Einsatz zu vermeiden. Dabei hält das Begleitschiff per Kabel Verbindung mit dem Tauchroboter. Im Zuge der nun anstehenden Einsätze erwarten die Experten nicht nur Erkenntnisse, die der Seenforschung zugutekommen. Vor allem die Kriminalisten erhoffen sich die Übermittlung von Spuren auf dem Seegrund, die nur über den neuen Tauchroboter zugänglich sind. Günter Jasper von der Wasserschutzpolizei in Überlingen:

    "Ich denke, dass wir auch noch jede Menge Leichen finden, die noch fehlen im Bodensee. Und, gut, auch andere Beweismittel, die unter Wasser sind oder Objekte, die unter Wasser verborgen sind. Im See ist einiges verborgen. Und es wird noch einiges ans Tageslicht treten, was wir nicht erwarten."