"Ich bin einmalig. Und unersetzlich." - "Kein Gesetz konnte unterbinden, dass ich geboren wurde." - "Niemand könnte an meiner Stelle leben."
Stimmen von 'Survivants', 'Überlebenden'. So nennen sich die Mitglieder einer Bewegung, die vor zwei Jahren entstand. In Videoclips im Internet werben sie für ihr Anliegen: sie wollen das Gesetz kippen, das in Frankreich seit 42 Jahren den Schwangerschaftsabbruch freigibt.
"Wir sind die Generation, die die Dinge ändern wird."
Chef der Bewegung ist Emile Duport. Dem heute 36-Jährigen widmete die katholische Tageszeitung La Croix vor einigen Jahren ein Kurzporträt. Als einem von zehn jungen Leuten, die die Kirche in Frankreich auf Trab brächten. Da hatte sich Duport schon einen Namen gemacht. Er möchte, wie viele Gleichgesinnte, nicht Abtreibungsgegner genannt werden, sondern Lebensschützer. Nun postet er 'Survivants'-Clips. Emile Duport:
"Wissen Sie, in Frankreich stürzen die Abtreibungen viele Leute ins Leid. Die Frauen, aber auch die Männer, Familien, die gesamte Gesellschaft. Frankreich zählt jährlich 800.000 Geburten und 200.000 Abbrüche. Wenn Sie nach 1975 geboren worden sind, stand ihre Chance eins zu fünf, nicht auf die Welt zu kommen. Mancher unter uns hat Bruder oder Schwester, die abgetrieben wurden und uns nun fehlen. Und uns treibt alle derselbe Gedanke um: warum traf es den oder die und nicht mich? Es ist an der Zeit, dass die junge Generation sich erhebt und eine Alternative zum Schwangerschaftssabbruch einfordert."
Losgelöst von religiösen Motiven
Auf Agitprop-Aktionen setzt Survivants-Chef Emile Duport, auf Flashmobs. Neulich warb der Abtreibungsgegner in Lyon für seine Bewegung, vor Studenten, jungen Erwachsenen aus gutbürgerlichen und sehr katholischen Kreisen. Das bot der jungen Reporterin Marion Guégan Gelegenheit, für ihre TV-Dokumentation in das Milieu einzutauchen. Sie sagt:
"Anders als Abtreibungsgegner früher beziehen sich die Mitglieder der Survivants-Bewegung in ihrer Argumentation nicht auf die Religion. Dabei sind die meisten dieser Aktivisten praktizierende Katholiken."
Jahrzehntelang waren bei Protestaktionen gegen Schwangerschaftssabbruch Gebete und Kirchenlieder angestimmt worden. Zu Beginn der 1990er Jahre ketteten sich die Lebensschützer im Operationssaal an, entsterilisierten OP-Besteck, um Abtreibungen zu vereiteln. Bis ein neues Gesetz den Krankenhäusern mehr Handhabe gegen solche Störmanöver gab, sagt Danielle Gaudry. Die Expertin gehört zum "Mouvement français du Planning familial", Vorbild der deutschen ProFamilia-Bewegung:
"Das Gesetz ermöglicht es, die Eindringlinge zu verklagen. Und die Abtreibungsgegner haben einfach jeden Prozess verloren, selbst in der letzten Instanz."
"Blechen für das unverantwortliche Handeln mancher Frau"
Mittlerweile knieen die Abtreibungsgegner nicht mehr betend vor den Familienplanungs-Anlaufstellen, sagt Danielle Gaudry.
"Nun sind die Aktivitäten ins Internet verlegt. Da wurden Webplattformen mit Telefon-Hotline eingerichtet, die Frauen, die ungewollt schwanger wurden, angeblich objektive Information und Beratung bieten. Vielfach redet man den Frauen da massive Schuldgefühle ein und sie erhalten wissenschaftlich falsche Angaben."
Dagegen hat die Regierung vor kurzem ein neues Gesetz durchgebracht. Frauen, die sich von angeblich unabhängigen Beratern hintergangen fühlen, können klagen, verspricht Frauenrechtsministerin Laurence Rossignol.
"Jeder darf publik machen, gegen Schwangerschaftsabbruch zu sein. Das gehört zur Meinungsfreiheit. Doch dies beinhaltet nicht das Recht, Lügen zu verbreiten. Genau darum aber handelt es sich bei manchem vorgeblich objektiven Beratungsdienst im Internet."
Zur großen Mehrheit stand und steht die französische Gesellschaft zum gesetzlich verbrieften Recht auf Schwangerschaftsabbruch. Heute jedoch ergreifen die Gegner immer unverhohlener das Wort. Wie Marion Maréchal Le Pen. Sie ist die Nichte der Parteichefin des Front National, Marine Le Pen und selbst Abgeordnete der rechtsextremen Partei. In einem Interview erklärte Marion Maréchal Le Pen vor kurzem, manche Frau würde aus reiner Bequemlichkeit abtreiben. Sie fordert, die staatliche Krankenversicherung solle nicht mehr in jedem Fall alle Kosten für einen Abbruch übernehmen.
Maréchal Le Pen: "Heutzutage hat jede Frau Zugang zu verlässlichen Verhütungsmitteln, selbst Minderjährige ohne Erlaubnis ihrer Eltern. Da muss man sich fragen, warum die Zahl der Abtreibungen nicht sinkt. Ich bin dafür, dass der französische Steuerzahler nicht systematisch für das unverantwortliche Handeln mancher Frau blechen soll."
"Rückbesinnung auf die traditionelle Familie"
Mit Sorge beobachten Feministinnen wie Danielle Gaudry vom Familienberatungsverband, dass eine reaktionäre Bewegung im Land erstarkt. Danielle Gaudry:
"Sie setzt sich ein für die Rückbesinnung auf die traditionelle Familie, dafür, dass Mann und Frau in ihren sozialen Rollen komplementär seien, sie glorifiziert die Mutterschaft und kinderreiche Familien, sie ist gegen Homo-Elternschaft. All das hat die Bewegung Manif pour tous bekannt gemacht, die Anti-Abtreibungsbewegung schreibt sich ein in ein voll traditionalistisches Gesellschaftsprojekt."
Im Rahmen des Präsidentschaftswahlkampfs verspricht Marine Le Pen, genau wie auch François Fillon, glückloser Kandidat der bürgerlichen Rechten, das neue Gesetz gegen die Aktionen von Abtreibungsgegnern im Internet zu kippen. Mehr noch fordert das sogenannte Institut Civitas, der politische Arm der französischen Piusbruderschaft, der traditionalistische Katholiken angehören. Civitas-Chef Alain Escada hat auf seiner Wunschliste an die Präsidentschaftskandidaten als dritte Massnahme notiert:
"Die Abschaffung des Gesetzes, das den Schwangerschaftsabbruch frei gibt."
Das liegt auch der Action Française am Herzen. Ihre Anhänger stammen aus dem royalistischen und streng katholischen Umfeld. Eine rechtsextreme Splittergruppe, die unter Jugendlichen vehement Zulauf findet. Mitstreiter der Action Française hat Marion Guégan zufällig ausfindig gemacht, als sie das Treffen der Anti-Abtreibungsaktivisten Survivants filmte. Die junge Reporterin resümiert:
"Selbst unter den Abtreibungsgegnern ist die Survivants-Bewegung eine absolute Minderheit. In Paris zählt sie an die 20 Mitglieder, in ganz Frankreich vielleicht 50. Aber sie macht sehr viel Krach."
Und sie entwickelt sich zur Speerspitze. Les Survivants hat die diesjährige Ausgabe des 'Marschs für das Leben' organisiert, Ende Januar in Paris. Am Ende der Kundgebung der Abtreibungsgegner zeigte sich Survivants-Chef Emile Duport euphorisch:
"45.000 Teilnehmer - noch nie kamen so viele Leute beim Marsch für das Leben zusammen! Das zeigt uns: wir haben Recht und wir stehen nicht allein dar. Das regt uns an, täglich mit unseren Mitteln für unser Anliegen zu kämpfen."
Und auch vom künftigen Staatsoberhaupt zu fordern, Abtreibungen in Frankreich zu verbieten.