Abtreibungsrecht in Europa
Wie sich die Debatte um Schwangerschaftsabbrüche entwickelt hat

Bei der Debatte über Abtreibungen ist grundsätzlich ein Trend zur Liberalisierung zu erkennen – doch die Rückschritte in den USA haben auch in Europa Spuren hinterlassen. Über die Geschichte und Gegenwart des Abtreibungsrechts.

Von Katharina Peetz |
    Abtreibungsbefürworter in Polen am 23. Juli 2024 vor dem polnischen Parlament. Eine junge Frau mit Gesichtbemalung.
    Polen hat sein frauenfeindliches Abtreibungsgesetz auch unter dem liberalen Premier Donald Tusk noch nicht reformiert. Deshalb protestieren Frauen. (NurPhoto via Getty Images)
    Seit zwei Jahren wird in Europa wieder verstärkt über das Abtreibungsrecht diskutiert. Denn in den USA war 2022 das landesweite Recht auf Abtreibung gekippt worden. Als Reaktion darauf hat Frankreich die Freiheit zur Abtreibung in die Verfassung aufgenommen, um sie besser zu schützen. Auch das EU-Parlament hat für die Aufnahme des Rechts auf Abtreibung in die EU-Grundrechtecharta gestimmt.
    Allerdings ist die Entwicklung nicht geradlinig, es gibt auch Gegenbewegungen. Historisch gesehen hat sich das Recht auf Abtreibung in europäischen Ländern abhängig vom Einfluss der Kirche und konservativen Kräften auf der einen und liberalen Stimmen und der Frauenrechtsbewegung auf der anderen Seite entwickelt. Ein Blick auf Polen, Frankreich und Deutschland.

    Inhalt

    Wie sind Abtreibungen in Europa derzeit geregelt?

    Der Schwangerschaftsabbruch ist in Europa sehr unterschiedlich geregelt. Grundsätzlich gibt es eine wachsende Zustimmung zu liberalen Abtreibungsregeln, weil auch der Einfluss der Kirchen abnimmt, von einigen Ausnahmen abgesehen.
    So gilt in Polen seit den 1990er-Jahren ein strenges Abtreibungsrecht, das 2020 noch einmal verschärft worden ist. Derzeit sind Abtreibungen nur im Fall von Vergewaltigung, Inzest oder wenn das Leben der Schwangeren in Gefahr ist, in Polen erlaubt. In Ungarn müssen sich Frauen vor einer Abtreibung seit 2022 erst die Herztöne des Embryos anhören.
    In Frankreich hingegen wurde die Freiheit zur Abtreibung im Frühjahr 2024 sogar in die Verfassung aufgenommen – bis zur 14. Woche darf dort abgetrieben werden.
    In Deutschland ist Abtreibung grundsätzlich eine Straftat, die unter bestimmten Voraussetzungen straffrei bleibt. Nämlich, wenn der Abbruch innerhalb der ersten zwölf Wochen nach Empfängnis und nach einer vorherigen Beratung erfolgt. Ausnahmen gelten bei Abtreibungen in Folge von Vergewaltigungen und aus medizinischen Gründen.

    Wieso wird verstärkt über das Abtreibungsrecht diskutiert?

    Die Debatte in Europa ist maßgeblich von den USA beeinflusst. Dort kippte der Supreme Court im Juni 2022 das landesweite Recht auf Abtreibung, das seit 1973 grundsätzlich den Zugang zu Abtreibungen ermöglicht hatte. Aktuell regeln die US-Bundesstaaten Abtreibung unterschiedlich, teilweise ist sie fast komplett verboten.
    Um solchen Änderungen vorzubeugen, hat Frankreich im Frühjahr 2024 die Freiheit zur Abtreibung verfassungsmäßig abgesichert. Auch das EU-Parlament hat auf die Entwicklung in den USA reagiert: Im April hat eine Mehrheit der Abgeordneten dafür gestimmt, das Recht auf Abtreibung in die EU-Grundrechtecharta aufzunehmen. Das ist allerdings nur ein symbolisches Zeichen. Für die tatsächliche Aufnahme in die Grundrechtecharta bräuchte es die Zustimmung der Mitgliedstaaten.

    Wie hat sich das Abtreibungsrecht in Europa historisch entwickelt?

    Schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts forderten Frauenrechtsbewegungen in Deutschland legale Abtreibungen. Im Nationalsozialismus wurden die Regeln für Schwangerschaftsabbrüche einerseits verschärft, andererseits wurden bestimmte Frauen der rassistischen Ideologie folgend zu Abtreibungen gezwungen.
    Vor diesem Hintergrund warnte in der jungen Bundesrepublik unter anderem die katholische Kirche vor einem liberalen Abtreibungsrecht. In der DDR hingegen waren Schwangerschaftsabbrüche ab 1972 erlaubt. Eine ähnliche Regelung in der BRD scheiterte 1974 am Bundesverfassungsgericht unter Verweis auf den Schutz des ungeborenen Lebens. Nach der Wiedervereinigung kippte das Bundesverfassungsgericht 1993 eine gesamtdeutsche Fristenregelung, die Abtreibung bis zur 12. Woche nach vorheriger Beratung erlaubte, erneut.
    Den Schutz des ungeborenen Lebens stellte vor allem die katholische Kirche immer wieder in den Fokus. In Polen ist das ein wichtiger Grund, warum Abtreibung so streng reguliert ist. Im sozialistischen Polen galt noch ein liberales Abtreibungsrecht. Aber nach dem Zerfall des Ostblocks nahm der Einfluss der katholischen Kirche in moralischen Fragen zu. Seit den 1990er-Jahren gilt in Polen deshalb ein strenges Abtreibungsrecht, das 2020 unter der nationalkonservativen PiS-Partei noch einmal verschärft worden ist.
    In Frankreich ist Abtreibung seit 1975 erlaubt. Die Gesetzesänderung damals ist maßgeblich auf eine der ersten Frauen im Ministeramt zurückzuführen, die französische Gesundheitsministerin Simone Veil. 1971 sorgte bereits ein Zeitungsmanifest von mehr als 300 teils prominenten Frauen für Aufsehen, die öffentlich erklären, dass sie abgetrieben haben. Ein weiterer wichtiger Meilenstein in Frankreich war der Prozess von Bobigny 1972: Eine Minderjährige, die nach einer Vergewaltigung abgetrieben hatte, wurde freigesprochen. Später wurde das Abtreibungsrecht mehrfach reformiert, mittlerweile sind Abtreibungen bis zur 14. Woche erlaubt.

    Welche Rolle spielen "Lebensschützer" in Europa?

    Die sogenannte Lebensschutzbewegung, die sich gegen Abtreibungen einsetzt, ist international gut vernetzt und auch in Europa aktiv. Dazu gehören Organisationen wie der World Congress of Families, Ordo Iuris, Citizen Go oder Agenda Europe. Unterstützt werden sie häufig von US-amerikanischen Evangelikalen oder auch der russisch-orthodoxen Kirche. Politisch versuchen sie Einfluss zu nehmen, um das Abtreibungsrecht auch in Europa zu verschärfen.

    Wie stehen politische Parteien in Europa zu Abtreibung?

    Auch das hängt ein Stück weit vom jeweiligen Land ab. In Frankreich haben auch Abgeordnete aus dem extrem rechten Le Pen-Lager für die Aufnahme der Freiheit zur Abtreibung in die Verfassung gestimmt.
    In Deutschland schreibt die AfD in ihrem Europa-Wahlprogramm, Abtreibung müsse die absolute Ausnahme werden. Die Union unterstützt die aktuelle Kompromisslösung, nach der Abtreibung eine Straftat ist, die unter bestimmten Voraussetzungen straffrei bleibt.
    In Polen hatte die liberale Partei von Ministerpräsident Donald Tusk bei den Wahlen im Herbst 2023 versprochen, das Recht auf Abtreibung zu liberalisieren. Bei einer ersten Abstimmung scheiterte eine Reform aber unter anderem an den fehlenden Stimmen des christlich-konservativen Parteienbündnisses „Dritter Weg“. Ende August stellte das polnische Gesundheitsministerium neue Leitlinien vor, die den Zugang zu einem Abbruch aus gesundheitlichen Gründen erleichtern sollen.