Schweres Gerät, immer dicker gepanzerte Fahrzeuge, ein immer größerer technischer Aufwand, um Sprengfallen und Hinterhalte zu erkennen. Schützen müssen nicht einmal mehr ihre Köpfe aus dem Ausguck stecken, sondern verfolgen die karge afghanische Landschaft, durch die sie fahren, aus dem Wageninneren auf Monitoren in Echtzeit mit.
Doch der Schein trügt. Die neue Strategie der Bundeswehr lässt sich nur umsetzen, wenn die Soldaten die schützende Panzerung verlassen und aussteigen.
In Nawabad, einem Paschtunendorf, mehrere Fahrstunden von Kundus entfernt, geht ein deutscher Bataillonskommandeur auf einen weißbärtigen Dorfältesten zu - tippt sich an den Helm und deutet eine Verbeugung an.
"Wir freuen uns, dass offensichtlich die letzten Taliban weg sind und hoffen, dass sie wegbleiben. Was hält er davon, wenn man hier in der Stadt ein Combat Outpost baut, mit der Polizei."
Trotz modernster Ausrüstung: Vieles ist hier wieder so, wie auch ein Militäreinsatz im 19. Jahrhundert ausgesehen hätte. Man geht zu Fuß, sichert nach vorne und hinten. Späht vorsichtig um Ecken. Der persönliche Kontakt zu den Menschen vor Ort entscheidet. Eine winzige Geste, eine Handbewegung, ein Lächeln kann über Erfolg und Misserfolg entscheiden. Sitten und Gebräuche, wenn möglich auch die Sprache des Einsatzgebiets zu kennen, gehöre mittlerweile ebenso zur Grundausstattung wie die Kenntnis über Waffensysteme, unterstreicht ein Oberstleutnant, der in Camp Mike Spann, unweit des Feldlagers von Mazar-e Sharif, die Zusammenarbeit von Bundeswehr und afghanischer Armee koordiniert:
"Da hat sich ja viel auch entwickelt. Sie wissen, dass wir einen sogenannten Counterinsurgency-Ansatz fahren, der aus verschiedenen Phasen besteht. Es geht darum, wie man mit Menschen eines gewissen Kulturkreises umgeht."
Ein wesentlicher Teil dieser von US-General Petraeus in die NATO eingebrachten Counterinsurgency, zu Deutsch Aufstandsbekämpfung, besteht darin, nicht Panzerschlachten zu gewinnen, sondern Herzen und Köpfe; zivilen Aufbau zu leisten; der Bevölkerung zu zeigen: Ihr habt von der Regierung mehr zu erwarten als von den Aufständischen.
Doch wie die Erfolge schützen, gewährleisten, dass eine befriedete und gut entwickelte Region das auch auf Dauer bleibt? Aus Sicht der US-Armee heißt Nachhaltigkeit oft, lokale Autoritäten, die Chefs der unterschiedlichen Ethnien, Stammesführer in den Kampf mit einzubeziehen, ihre Gefolgsleute zu bewaffnen, sodass sie Milizen aufstellen können, um ihre neu gewonnene Infrastruktur zu schützen. Ein Thema, das der Bundeswehr allerdings sichtlich unangenehm ist: Der Oberstleutnant windet sich.
"Angewiesen auf Milizen sind wir nicht. Wenn sie im Raum sind, sind sie im Raum, wir können sie ja nicht wegdiskutieren, das funktioniert nicht. Dass es Hilfskonstrukte gibt, die auch durch die Afghanen selber initiiert, auch unterstützt werden von der internationalen Gemeinschaft zum Teil, das soll langfristig aber nur dazu führen, Personal von Aufständischen weg zur Regierung hin zu bewegen, sodass diese Milizen in ihrer Ausprägung als Zwischenschritt zu werten sind. Wir haben mit denen hier gar nichts zu tun."
So sehen es die Deutschen. In Mazar-i-Sharif. Aber Deutschland ist schließlich nur einer der vielen ISAF-Partner. Dominiert wird die Afghanistan-Schutztruppe von den USA; sie geben vor, die anderen folgen entweder oder werden durch die Macht der Vorgaben ganz einfach mitgerissen.
Wie die Bundeswehr in Kundus. Dort halfen deutsche Offiziere dabei, das amerikanische Milizenprogramm umzusetzen. Unausgebildete Kämpfer, oft befehligt von ihren alten Kommandeuren aus dem Bürgerkrieg, sogenannten Arbaki, sind seitdem als Hilfssheriffs unterwegs. Ein System, das die traditionell verfeindeten ethnischen Gruppierungen nicht selten dazu nutzen, alte Rechnungen zu begleichen. Da die Taliban meistens Paschtunen sind, treten zu ihrer Bekämpfung am liebsten ihre Erbfeinde an: Usbeken und Tadschiken. Angehörige der paschtunischen Minderheit behandeln sie manchmal wie Freiwild, erzählt ein Deutsch-Afghane, der aus einem der Dörfer rund um Kundus stammt. Und berichtet vom neuen Chef der örtlichen Hilfspolizei: Der habe sich eigens einen Kriegsnamen zugelegt.
"Der Kommandant, der in Schardarâh wohnt, heißt Padarkusch. Padarkusch bedeutet. Wenn man den eigenen Vater umbringt. – Killer. Jetzt überlegen Sie: Wenn einer so einen Familiennamen sich wünscht, man kann nichts erwarten von ihm."
Und so richten die Dorfbewohner vor allem ein Anliegen an den deutschen Bataillonschef: Wenn ihr Polizisten hier stationieren wollt, sagen sie dem Dolmetscher, dann bitte reguläre Polizeikräfte und nicht diese Arbaki-Milizen. Die Deutschen können das nur zur Kenntnis nehmen. Aber sie sind nicht der stärkste Partner in der Allianz. Welche Art Polizei im Dorf stationiert wird, hängt letztlich von der US-Armee ab.
So uneins die Partner auch teilweise über die richtige Strategie im Land sein mögen - das Ziel immerhin steht fest: Bis Ende 2014 sollen alle internationalen Kampftruppen der NATO-Mitgliedsstaaten aus Afghanistan abziehen – auch die Bundeswehr. Derzeit sind am Hindukusch noch über 60.000 ausländische Soldatinnen und Soldaten stationiert, darunter 4400 aus Deutschland. Für die Zeit nach dem ISAF-Mandat hat Bundesverteidigungsminister Thomas de Maiziere bisher nur eine vage Vorstellung.
"Gemeinsam rein, gemeinsam raus war die Devise. Und diese zwei Jahre müssen militärisch, aber auch politisch genutzt werden, damit all das, was aufgebaut worden ist, auch nachhaltig in den Folgejahren gesichert werden kann."
Der Verantwortungsbereich der Deutschen liegt im Norden Afghanistans, in der Umgebung der Städte Mazar-i-Sharif, Kundus und Faisabad. Zwei Wiederaufbauteams in dieser Region werden vom Auswärtigen Amt in Berlin geführt. Hier, wie auch in anderen Landesteilen wird die Verantwortung schon bald komplett in Händen der afghanischen Polizei und Armee liegen:
"Die afghanischen Sicherheitskräfte tragen bereits heute die Verantwortung für 75 Prozent der Bevölkerung. Mitte 2013 wird ganz Afghanistan in der sogenannten Transition sein, also in Übergabe sich befinden. Afghanistan kann mehr und mehr für die eigene Sicherheit sorgen. Die Übergabe der Verantwortung in Verantwortung läuft."
Außenminister Guido Westerwelle warb Mitte Dezember letzten Jahres mit seiner Rede im Deutschen Bundestag um Unterstützung für die Verlängerung des Afghanistan-Mandats. Morgen wird das Parlament zum 12. Mal über den weiteren Truppeneinsatz am Hindukusch abstimmen, der schon bald nach den Terroranschlägen vom 9. September 2001 in den USA begann. Zu Beginn ihres Einsatzes sicherte die Bundeswehr die Hauptstadt Kabul und einzelne Wiederaufbauprojekte. Im Jahr 2006 übernahm die Truppe ihr eigenes Einsatzgebiet im Norden.
"Die Angehörigen der Bundeswehr in Afghanistan sind keine Besatzungssoldaten, sondern sind Helfer in Uniform",
… betonte seinerzeit der Verteidigungsminister der damaligen rot-grünen Bundesregierung, Peter Struck. Doch seitdem ist die Zustimmung in der Bevölkerung zum Afghanistan-Einsatz mehr und mehr geschwunden. Das Sozialwissenschaftliche Institut der Bundeswehr veröffentlichte vor Kurzem eine Studie, die zeigt, dass diese nur noch knapp ein Drittel beträgt, das bedeutet: Fast zwei Drittel aller Deutschen lehnen den Einsatz inzwischen ab. Vor fünf Jahren war das Verhältnis noch umgekehrt. Mitverantwortlich für den Stimmungsumschwung in der Bevölkerung dürften neben zahlreichen toten und verletzten Soldaten auch die finanziellen Belastungen sein: Über zehn Milliarden Euro hat der Einsatz den Steuerzahler bislang gekostet.
Im Bundestag jedoch gab es bei den bisherigen Abstimmungen jeweils deutliche Mehrheiten für das Afghanistan-Mandat. Und auch diesmal wird neben den Abgeordneten der Regierungskoalition wohl auch ein großer Teil der Opposition für eine Verlängerung stimmen. Die SPD-Fraktion hat bereits ihre Zustimmung signalisiert. Auch Omid Nouripour, verteidigungspolitischer Sprecher der Grünen, rechnet bei der morgigen Bundestagsabstimmung über das Mandat mit nur wenigen Gegenstimmen aus seiner Fraktion. Dennoch:
"Wir reden über eine Frage über Leben und Tod, und da ist die Gewissensfreiheit deutlich wichtiger als der Fraktionszwang."
Nur die Fraktion der Linken hat den Bundeswehreinsatz am Hindukusch von Anfang an kategorisch und geschlossen abgelehnt und bleibt auch weiter bei dieser Haltung.
Erstmals seit Beginn des Afghanistan-Einsatzes hatte die Bundeswehr während des gesamten letzten Jahres keine Gefallenen zu beklagen. Außenminister Westerwelle sieht darin eine Bestätigung der umsichtigen Arbeit der Bundeswehr, des guten Schutzes der Aufbauhelfer und wichtiges Resultat der Aussöhnung der Afghanen.
"Es ist mit Sicherheit zu früh, von einer Entwarnung sprechen zu können. Wir müssen uns noch auch auf schwierige Nachrichten aus Afghanistan einstellen. Das heißt, wir müssen den Prozess der Übergabe der Verantwortung auch weiterhin so verantwortungsvoll gestalten, wie das in diesen letzten drei Jahren der Fall gewesen ist."
Nach gegenwärtiger Schätzung wird die 13-monatige Mandatsverlängerung rund 1,1 Milliarden Euro kosten. In dem Zeitraum bis Ende Februar 2014 wird ein Viertel der Soldaten abgezogen. Das Kontingent schrumpft von 4400 auf 3300. Ende 2014 sollen dann auch die letzten Kampfeinheiten abziehen, verkündet die Bundesregierung immer wieder. Diese Darstellung sei aber irreführend, kritisiert Rainer Arnold, verteidigungspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion.
"Es geht um die Veränderung des Auftrages. Bisher hat man einen Auftrag, draußen in den Dörfern, in den Städten und den Straßen durch militärische Präsenz Staatlichkeit zu erzeugen, notfalls auch durchzusetzen. Der Auftrag nach dem Jahr 2014 wird lauten, nur noch auszubilden und die Afghanen beraten. Kampftruppen werden trotzdem, ein Stück weit wenigstens, notwendig sein, um die Ausbilder selbst zu schützen."
Doch über die Stärke der benötigten Kampfreserve herrscht bislang Unklarheit. Da momentan schon Einheiten abgezogen würden, so Omid Nouripour von den Grünen, sollte schon heute und nicht erst 2014 ein Plan für die Zeit danach entwickelt werden:
"Diese Bundesregierung aber versteckt sich hinter den Amerikanern und sagt nicht, was sie tut, sondern sie sagt, wir werden schauen, was die Amerikaner machen und dann schauen wir mal. Das ist aber verschenkte Zeit, in der vielleicht auch ein Szenario geplant werden kann."
Auch der stellvertretende Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, André Wüstner, beklagt das fehlende Konzept für den Abzug und die dann noch verbleibenden Soldaten.
"Aktuell ist ganz klar, dass es ein neues Mandat geben wird. Was die Reduzierung betrifft, ist man aktuell schon in einem Übergang zur Beratung und Ausbildung. Wir haben die Rückverlegung selbst, also eine enorme Herausforderung für die Streitkräfte, und es ist eben wichtig, dass man das Ziel für nach 2014 schnellstmöglichst klar beschreibt seitens der politischen Verantwortlichen, weil darauf müssen wir Militärs, muss sich die Bundeswehr eben einstellen. Wir warten darauf."
Bisher habe die Bundesregierung nur bruchstückhafte Pläne, wie die Aufbauhilfe für die afghanische Polizei, die Schulung und Ausstattung für die Armee und die entwicklungspolitische Zusammenarbeit aussehen sollen:
"Was die Ressort übergreifende Zusammenarbeit hier in Deutschland betrifft, hört man recht wenig davon. Das ist recht schade. Ich glaube, es ist richtig, wenn einzelne Politiker, aber auch Soldaten kritisieren, dass man im Comprehensive Approach noch viel Luft nach oben hat."
Beim Abzug selbst ist die Logistik das militärisch Komplizierteste überhaupt. Die Bundeswehr musste eine derartig umfangreiche Aufgabe bisher noch nie erbringen, sagt der grüne Verteidigungsexperte Nouripour.
"In anderen Ländern ist das so, dass es da klare Strukturen gibt für den Abzug, auch im militärischen Bereich. Die Amerikaner, die Italiener, die Kanadier beispielsweise haben eine eigene Task Force gegründet, zweieinhalb Jahre vor geplantem Abzug, und haben sie dann auch relativ bald nach Afghanistan selbst verlegt. Bei den Deutschen gibt es eine Sonderstruktur, eine Task Force für den Abzug überhaupt nicht. Und das macht mir natürlich große Sorge."
Weder Regierung noch Opposition, noch die Bundeswehr selbst haben bislang eine genaue Vorstellung davon, was an Material und Waffen nach Deutschland zurückgeholt werden soll. Gleiches gilt für die militärische Ausrüstung, die das Restkontingent der deutschen Soldaten benötigt. Dies lässt sich zum Beispiel auch an der Diskussion über bewaffnete Drohnen erkennen, mit denen Verteidigungsminister de Maiziere seine Soldaten gern ausstatten will.
"Ich bleibe dabei, dass ein Flugzeug mit Pilot und ein Flugzeug ohne Pilot ethisch neutral sind. Denn in jedem Fall haben sie einen Menschen, der eine Waffe auslöst. Und es macht ethisch gesehen keinen Unterschied, ob der in der Luft ist oder ob der auf dem Boden ist. Das Gleiche gilt für ein Gewehr oder ein Torpedo eine Rakete."
Während sich der Verteidigungsminister klar für den Einsatz bewaffneter Drohnen ausspricht, sehen viele Liberale, Sozialdemokraten und Grüne noch Klärungsbedarf. Ebenfalls ein heikler Punkt ist, welche Waffen am Hindukusch bleiben und der afghanischen Armee überlassen werden sollen. SPD-Verteidigungsexperte Arnold:
"Es macht ja Sinn, wenn man die Afghanen ausbilden, wenn sie mit den Problemen in ihrem Land fertig werden sollen, dann ist es notwendig, dass sie auch eine notwendige Ausstattung haben. Auf dem Boden kämpfen und schießen – meistens können sie das ja schon. Aber sie brauchen natürlich auch Kommunikationsmittel, sie brauchen auch bessere sie brauchen vielleicht Beobachtungschancen aus der Luft, sie brauchen Fahrzeuge, die geschützt sind. In all diesen Bereichen können wir ihnen auch mit Gerätschaften helfen."
International verabredet ist zumindest, dass Deutschland den Aufbau der afghanischen Sicherheitskräfte mit 150 Millionen Euro pro Jahr fördern wird. Für den zivilen Aufbau zahlt Deutschland jährlich sogar 430 Millionen. Für gut 1500 afghanische Mitarbeiter der Bundeswehr und ihr Familienangehörigen könnte der Abzug der Truppe zum Problem werden. Sie gelten als gefährdet, werden immer wieder zur Zielscheibe von Racheakten. Es hat bereits mehrere Fälle von Kindesentführungen gegeben. Deutschland sollte diese Menschen großzügig aufnehmen, so wie das auch die Amerikaner tun, und sich nicht hinter Einzelfallregelungen verschanzen, meint der grüne Bundestagsabgeordnete Nouripour.
"Sie haben Ihr Leben riskiert für die Bundeswehr und sie haben es verdient, dass wir solidarisch sind mit ihnen. Es gibt immer wieder das Argument - wir reden ja über Dolmetscher zum Beispiel, das sind sehr flexible Leute, die auch gut ausgebildet sind -, man sollte sie dem Land nicht entziehen. Das ist ein grundsätzlich sehr richtiger Gedanke, aber ein Intellektueller, der bald nicht mehr am Leben sein könnte, hilft seinem Land auch nicht."
Unabhängig von allen zivilgesellschaftlichen Regelungen und Abzugsszenarien aus Afghanistan stellt Verteidigungsminister de Maiziere klar, dass auch mit Ende des ISAF-Mandats das Engagement der NATO-Staaten weitergehen wird.
"2014 wird sich die internationale Völkergemeinschaft nicht aus Afghanistan verabschieden. So ist auch die Beschlusslage der Staats- und Regierungschefs und dies auch mit Zustimmung des afghanischen Präsidenten."
Bleibt vor Ort die Sorge, dass nach dem Abzug der ISAF-Truppen die alten ethnischen Konflikte wieder mit voller Wucht ausbrechen. Doch könnte sich nicht durch den gemeinsamen Alltag, den täglichen Erfahrungsaustausch zwischen deutschen Mentoren und afghanischen Soldaten etwas ganz Neues entwickeln? Immerhin: Viele der afghanischen Rekruten, die derzeit auch unter deutscher Führung ausgebildet werden, gehören einer neuen Generation der 20-Jährigen an, die von der Vergangenheit unbelastet sind.
Es geht darum, aus ehemaligen Feinden ein und dieselbe Armee zu machen, aus Menschen, die sich nicht nur ideologisch bekämpft, sondern in ganz realen Gefechten einander gegenübergestanden und beschossen haben. Heute dienen in der afghanischen Nordarmee, paschtunische Kämpfer der Hizb Islami und Tadschiken der Jamiat Islami Seite an Seite.
Kein Problem, meint ein afghanischer Feldwebel, der mit den deutschen Ausbildern eng zusammenarbeitet. Er sei Paschtune, sein Stellvertreter Tadschike – dennoch habe man einen gemeinsamen Feind und werde es nicht zulassen, dass jemand diese Mission störe.
Der afghanische Dolmetscher, der diese Worte übersetzt, ist sichtlich entnervt von Lippenbekenntnissen dieser Art, die er tagtäglich hört. Auf dem Weg zur Kantine spricht er Klartext: Von Zusammenwachsen könne keine Rede sein.
"Der General, der dieses Armeekorps führt, stammt aus der Familie von Präsident Karzai. Weil das so ist, muss sein Stellvertreter ein Tadschike sein. Das ist das System, nicht nur in der Armee, sondern überall, auch im Innenministerium. Und der Stellvertreter wird immer alles daran setzen, seinen Chef abzulösen und an seine Stelle zu treten. Sie sagen Ihnen öffentlich, dass es keine Diskriminierungen gibt, aber sie lügen. Es geht ihnen immer nur darum, in der Armee die Macht ihrer eigenen jeweiligen Partei zu stärken."
Teile und herrsche, die NATO-Doktrin der Aufstandsbekämpfung, hat die alten Gräben aus Bürgerkriegszeiten wieder aufgerissen. Ethnisch und historisch bedingte Rückschläge beim Aufbau einer Nationalarmee seien in Afghanistan normal, meint der Oberstleutnant, der das Mentorenprogramm betreut. Ausbilder könnten heute nicht mehr bloß Ausbilder, sie müssten zugleich Psychologen, Ethnologen, Diplomaten sein.
"Coach, teach and mentor – da ist alles mit drin. Man darf sich in Teilen auch mal als Lehrer betrachten, aber in einer Partnerschaft, in der es gerade darauf ankommt, hier nicht oberlehrerhaft zu wirken. Dann wird gerne Lawrence von Arabien zitiert, der ja sehr empathisch an die Sache herangegangen ist. Tatsache ist, dass das, was da teilweise beschrieben wird, dass das Gültigkeit hat. Der einfache Ausspruch: Es ist besser, sie tun es unvollständig und nicht perfekt, als wir es für sie tun."
Eine Erkenntnis, die der an den Erfahrungen gewachsenen Truppe in Zukunft durchaus nützen könnte. An möglichen neuen Einsatzorten der Bundeswehr, wie zum Beispiel in Mali – oder in anderen Krisenregionen dieser Welt.
Doch der Schein trügt. Die neue Strategie der Bundeswehr lässt sich nur umsetzen, wenn die Soldaten die schützende Panzerung verlassen und aussteigen.
In Nawabad, einem Paschtunendorf, mehrere Fahrstunden von Kundus entfernt, geht ein deutscher Bataillonskommandeur auf einen weißbärtigen Dorfältesten zu - tippt sich an den Helm und deutet eine Verbeugung an.
"Wir freuen uns, dass offensichtlich die letzten Taliban weg sind und hoffen, dass sie wegbleiben. Was hält er davon, wenn man hier in der Stadt ein Combat Outpost baut, mit der Polizei."
Trotz modernster Ausrüstung: Vieles ist hier wieder so, wie auch ein Militäreinsatz im 19. Jahrhundert ausgesehen hätte. Man geht zu Fuß, sichert nach vorne und hinten. Späht vorsichtig um Ecken. Der persönliche Kontakt zu den Menschen vor Ort entscheidet. Eine winzige Geste, eine Handbewegung, ein Lächeln kann über Erfolg und Misserfolg entscheiden. Sitten und Gebräuche, wenn möglich auch die Sprache des Einsatzgebiets zu kennen, gehöre mittlerweile ebenso zur Grundausstattung wie die Kenntnis über Waffensysteme, unterstreicht ein Oberstleutnant, der in Camp Mike Spann, unweit des Feldlagers von Mazar-e Sharif, die Zusammenarbeit von Bundeswehr und afghanischer Armee koordiniert:
"Da hat sich ja viel auch entwickelt. Sie wissen, dass wir einen sogenannten Counterinsurgency-Ansatz fahren, der aus verschiedenen Phasen besteht. Es geht darum, wie man mit Menschen eines gewissen Kulturkreises umgeht."
Ein wesentlicher Teil dieser von US-General Petraeus in die NATO eingebrachten Counterinsurgency, zu Deutsch Aufstandsbekämpfung, besteht darin, nicht Panzerschlachten zu gewinnen, sondern Herzen und Köpfe; zivilen Aufbau zu leisten; der Bevölkerung zu zeigen: Ihr habt von der Regierung mehr zu erwarten als von den Aufständischen.
Doch wie die Erfolge schützen, gewährleisten, dass eine befriedete und gut entwickelte Region das auch auf Dauer bleibt? Aus Sicht der US-Armee heißt Nachhaltigkeit oft, lokale Autoritäten, die Chefs der unterschiedlichen Ethnien, Stammesführer in den Kampf mit einzubeziehen, ihre Gefolgsleute zu bewaffnen, sodass sie Milizen aufstellen können, um ihre neu gewonnene Infrastruktur zu schützen. Ein Thema, das der Bundeswehr allerdings sichtlich unangenehm ist: Der Oberstleutnant windet sich.
"Angewiesen auf Milizen sind wir nicht. Wenn sie im Raum sind, sind sie im Raum, wir können sie ja nicht wegdiskutieren, das funktioniert nicht. Dass es Hilfskonstrukte gibt, die auch durch die Afghanen selber initiiert, auch unterstützt werden von der internationalen Gemeinschaft zum Teil, das soll langfristig aber nur dazu führen, Personal von Aufständischen weg zur Regierung hin zu bewegen, sodass diese Milizen in ihrer Ausprägung als Zwischenschritt zu werten sind. Wir haben mit denen hier gar nichts zu tun."
So sehen es die Deutschen. In Mazar-i-Sharif. Aber Deutschland ist schließlich nur einer der vielen ISAF-Partner. Dominiert wird die Afghanistan-Schutztruppe von den USA; sie geben vor, die anderen folgen entweder oder werden durch die Macht der Vorgaben ganz einfach mitgerissen.
Wie die Bundeswehr in Kundus. Dort halfen deutsche Offiziere dabei, das amerikanische Milizenprogramm umzusetzen. Unausgebildete Kämpfer, oft befehligt von ihren alten Kommandeuren aus dem Bürgerkrieg, sogenannten Arbaki, sind seitdem als Hilfssheriffs unterwegs. Ein System, das die traditionell verfeindeten ethnischen Gruppierungen nicht selten dazu nutzen, alte Rechnungen zu begleichen. Da die Taliban meistens Paschtunen sind, treten zu ihrer Bekämpfung am liebsten ihre Erbfeinde an: Usbeken und Tadschiken. Angehörige der paschtunischen Minderheit behandeln sie manchmal wie Freiwild, erzählt ein Deutsch-Afghane, der aus einem der Dörfer rund um Kundus stammt. Und berichtet vom neuen Chef der örtlichen Hilfspolizei: Der habe sich eigens einen Kriegsnamen zugelegt.
"Der Kommandant, der in Schardarâh wohnt, heißt Padarkusch. Padarkusch bedeutet. Wenn man den eigenen Vater umbringt. – Killer. Jetzt überlegen Sie: Wenn einer so einen Familiennamen sich wünscht, man kann nichts erwarten von ihm."
Und so richten die Dorfbewohner vor allem ein Anliegen an den deutschen Bataillonschef: Wenn ihr Polizisten hier stationieren wollt, sagen sie dem Dolmetscher, dann bitte reguläre Polizeikräfte und nicht diese Arbaki-Milizen. Die Deutschen können das nur zur Kenntnis nehmen. Aber sie sind nicht der stärkste Partner in der Allianz. Welche Art Polizei im Dorf stationiert wird, hängt letztlich von der US-Armee ab.
So uneins die Partner auch teilweise über die richtige Strategie im Land sein mögen - das Ziel immerhin steht fest: Bis Ende 2014 sollen alle internationalen Kampftruppen der NATO-Mitgliedsstaaten aus Afghanistan abziehen – auch die Bundeswehr. Derzeit sind am Hindukusch noch über 60.000 ausländische Soldatinnen und Soldaten stationiert, darunter 4400 aus Deutschland. Für die Zeit nach dem ISAF-Mandat hat Bundesverteidigungsminister Thomas de Maiziere bisher nur eine vage Vorstellung.
"Gemeinsam rein, gemeinsam raus war die Devise. Und diese zwei Jahre müssen militärisch, aber auch politisch genutzt werden, damit all das, was aufgebaut worden ist, auch nachhaltig in den Folgejahren gesichert werden kann."
Der Verantwortungsbereich der Deutschen liegt im Norden Afghanistans, in der Umgebung der Städte Mazar-i-Sharif, Kundus und Faisabad. Zwei Wiederaufbauteams in dieser Region werden vom Auswärtigen Amt in Berlin geführt. Hier, wie auch in anderen Landesteilen wird die Verantwortung schon bald komplett in Händen der afghanischen Polizei und Armee liegen:
"Die afghanischen Sicherheitskräfte tragen bereits heute die Verantwortung für 75 Prozent der Bevölkerung. Mitte 2013 wird ganz Afghanistan in der sogenannten Transition sein, also in Übergabe sich befinden. Afghanistan kann mehr und mehr für die eigene Sicherheit sorgen. Die Übergabe der Verantwortung in Verantwortung läuft."
Außenminister Guido Westerwelle warb Mitte Dezember letzten Jahres mit seiner Rede im Deutschen Bundestag um Unterstützung für die Verlängerung des Afghanistan-Mandats. Morgen wird das Parlament zum 12. Mal über den weiteren Truppeneinsatz am Hindukusch abstimmen, der schon bald nach den Terroranschlägen vom 9. September 2001 in den USA begann. Zu Beginn ihres Einsatzes sicherte die Bundeswehr die Hauptstadt Kabul und einzelne Wiederaufbauprojekte. Im Jahr 2006 übernahm die Truppe ihr eigenes Einsatzgebiet im Norden.
"Die Angehörigen der Bundeswehr in Afghanistan sind keine Besatzungssoldaten, sondern sind Helfer in Uniform",
… betonte seinerzeit der Verteidigungsminister der damaligen rot-grünen Bundesregierung, Peter Struck. Doch seitdem ist die Zustimmung in der Bevölkerung zum Afghanistan-Einsatz mehr und mehr geschwunden. Das Sozialwissenschaftliche Institut der Bundeswehr veröffentlichte vor Kurzem eine Studie, die zeigt, dass diese nur noch knapp ein Drittel beträgt, das bedeutet: Fast zwei Drittel aller Deutschen lehnen den Einsatz inzwischen ab. Vor fünf Jahren war das Verhältnis noch umgekehrt. Mitverantwortlich für den Stimmungsumschwung in der Bevölkerung dürften neben zahlreichen toten und verletzten Soldaten auch die finanziellen Belastungen sein: Über zehn Milliarden Euro hat der Einsatz den Steuerzahler bislang gekostet.
Im Bundestag jedoch gab es bei den bisherigen Abstimmungen jeweils deutliche Mehrheiten für das Afghanistan-Mandat. Und auch diesmal wird neben den Abgeordneten der Regierungskoalition wohl auch ein großer Teil der Opposition für eine Verlängerung stimmen. Die SPD-Fraktion hat bereits ihre Zustimmung signalisiert. Auch Omid Nouripour, verteidigungspolitischer Sprecher der Grünen, rechnet bei der morgigen Bundestagsabstimmung über das Mandat mit nur wenigen Gegenstimmen aus seiner Fraktion. Dennoch:
"Wir reden über eine Frage über Leben und Tod, und da ist die Gewissensfreiheit deutlich wichtiger als der Fraktionszwang."
Nur die Fraktion der Linken hat den Bundeswehreinsatz am Hindukusch von Anfang an kategorisch und geschlossen abgelehnt und bleibt auch weiter bei dieser Haltung.
Erstmals seit Beginn des Afghanistan-Einsatzes hatte die Bundeswehr während des gesamten letzten Jahres keine Gefallenen zu beklagen. Außenminister Westerwelle sieht darin eine Bestätigung der umsichtigen Arbeit der Bundeswehr, des guten Schutzes der Aufbauhelfer und wichtiges Resultat der Aussöhnung der Afghanen.
"Es ist mit Sicherheit zu früh, von einer Entwarnung sprechen zu können. Wir müssen uns noch auch auf schwierige Nachrichten aus Afghanistan einstellen. Das heißt, wir müssen den Prozess der Übergabe der Verantwortung auch weiterhin so verantwortungsvoll gestalten, wie das in diesen letzten drei Jahren der Fall gewesen ist."
Nach gegenwärtiger Schätzung wird die 13-monatige Mandatsverlängerung rund 1,1 Milliarden Euro kosten. In dem Zeitraum bis Ende Februar 2014 wird ein Viertel der Soldaten abgezogen. Das Kontingent schrumpft von 4400 auf 3300. Ende 2014 sollen dann auch die letzten Kampfeinheiten abziehen, verkündet die Bundesregierung immer wieder. Diese Darstellung sei aber irreführend, kritisiert Rainer Arnold, verteidigungspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion.
"Es geht um die Veränderung des Auftrages. Bisher hat man einen Auftrag, draußen in den Dörfern, in den Städten und den Straßen durch militärische Präsenz Staatlichkeit zu erzeugen, notfalls auch durchzusetzen. Der Auftrag nach dem Jahr 2014 wird lauten, nur noch auszubilden und die Afghanen beraten. Kampftruppen werden trotzdem, ein Stück weit wenigstens, notwendig sein, um die Ausbilder selbst zu schützen."
Doch über die Stärke der benötigten Kampfreserve herrscht bislang Unklarheit. Da momentan schon Einheiten abgezogen würden, so Omid Nouripour von den Grünen, sollte schon heute und nicht erst 2014 ein Plan für die Zeit danach entwickelt werden:
"Diese Bundesregierung aber versteckt sich hinter den Amerikanern und sagt nicht, was sie tut, sondern sie sagt, wir werden schauen, was die Amerikaner machen und dann schauen wir mal. Das ist aber verschenkte Zeit, in der vielleicht auch ein Szenario geplant werden kann."
Auch der stellvertretende Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, André Wüstner, beklagt das fehlende Konzept für den Abzug und die dann noch verbleibenden Soldaten.
"Aktuell ist ganz klar, dass es ein neues Mandat geben wird. Was die Reduzierung betrifft, ist man aktuell schon in einem Übergang zur Beratung und Ausbildung. Wir haben die Rückverlegung selbst, also eine enorme Herausforderung für die Streitkräfte, und es ist eben wichtig, dass man das Ziel für nach 2014 schnellstmöglichst klar beschreibt seitens der politischen Verantwortlichen, weil darauf müssen wir Militärs, muss sich die Bundeswehr eben einstellen. Wir warten darauf."
Bisher habe die Bundesregierung nur bruchstückhafte Pläne, wie die Aufbauhilfe für die afghanische Polizei, die Schulung und Ausstattung für die Armee und die entwicklungspolitische Zusammenarbeit aussehen sollen:
"Was die Ressort übergreifende Zusammenarbeit hier in Deutschland betrifft, hört man recht wenig davon. Das ist recht schade. Ich glaube, es ist richtig, wenn einzelne Politiker, aber auch Soldaten kritisieren, dass man im Comprehensive Approach noch viel Luft nach oben hat."
Beim Abzug selbst ist die Logistik das militärisch Komplizierteste überhaupt. Die Bundeswehr musste eine derartig umfangreiche Aufgabe bisher noch nie erbringen, sagt der grüne Verteidigungsexperte Nouripour.
"In anderen Ländern ist das so, dass es da klare Strukturen gibt für den Abzug, auch im militärischen Bereich. Die Amerikaner, die Italiener, die Kanadier beispielsweise haben eine eigene Task Force gegründet, zweieinhalb Jahre vor geplantem Abzug, und haben sie dann auch relativ bald nach Afghanistan selbst verlegt. Bei den Deutschen gibt es eine Sonderstruktur, eine Task Force für den Abzug überhaupt nicht. Und das macht mir natürlich große Sorge."
Weder Regierung noch Opposition, noch die Bundeswehr selbst haben bislang eine genaue Vorstellung davon, was an Material und Waffen nach Deutschland zurückgeholt werden soll. Gleiches gilt für die militärische Ausrüstung, die das Restkontingent der deutschen Soldaten benötigt. Dies lässt sich zum Beispiel auch an der Diskussion über bewaffnete Drohnen erkennen, mit denen Verteidigungsminister de Maiziere seine Soldaten gern ausstatten will.
"Ich bleibe dabei, dass ein Flugzeug mit Pilot und ein Flugzeug ohne Pilot ethisch neutral sind. Denn in jedem Fall haben sie einen Menschen, der eine Waffe auslöst. Und es macht ethisch gesehen keinen Unterschied, ob der in der Luft ist oder ob der auf dem Boden ist. Das Gleiche gilt für ein Gewehr oder ein Torpedo eine Rakete."
Während sich der Verteidigungsminister klar für den Einsatz bewaffneter Drohnen ausspricht, sehen viele Liberale, Sozialdemokraten und Grüne noch Klärungsbedarf. Ebenfalls ein heikler Punkt ist, welche Waffen am Hindukusch bleiben und der afghanischen Armee überlassen werden sollen. SPD-Verteidigungsexperte Arnold:
"Es macht ja Sinn, wenn man die Afghanen ausbilden, wenn sie mit den Problemen in ihrem Land fertig werden sollen, dann ist es notwendig, dass sie auch eine notwendige Ausstattung haben. Auf dem Boden kämpfen und schießen – meistens können sie das ja schon. Aber sie brauchen natürlich auch Kommunikationsmittel, sie brauchen auch bessere sie brauchen vielleicht Beobachtungschancen aus der Luft, sie brauchen Fahrzeuge, die geschützt sind. In all diesen Bereichen können wir ihnen auch mit Gerätschaften helfen."
International verabredet ist zumindest, dass Deutschland den Aufbau der afghanischen Sicherheitskräfte mit 150 Millionen Euro pro Jahr fördern wird. Für den zivilen Aufbau zahlt Deutschland jährlich sogar 430 Millionen. Für gut 1500 afghanische Mitarbeiter der Bundeswehr und ihr Familienangehörigen könnte der Abzug der Truppe zum Problem werden. Sie gelten als gefährdet, werden immer wieder zur Zielscheibe von Racheakten. Es hat bereits mehrere Fälle von Kindesentführungen gegeben. Deutschland sollte diese Menschen großzügig aufnehmen, so wie das auch die Amerikaner tun, und sich nicht hinter Einzelfallregelungen verschanzen, meint der grüne Bundestagsabgeordnete Nouripour.
"Sie haben Ihr Leben riskiert für die Bundeswehr und sie haben es verdient, dass wir solidarisch sind mit ihnen. Es gibt immer wieder das Argument - wir reden ja über Dolmetscher zum Beispiel, das sind sehr flexible Leute, die auch gut ausgebildet sind -, man sollte sie dem Land nicht entziehen. Das ist ein grundsätzlich sehr richtiger Gedanke, aber ein Intellektueller, der bald nicht mehr am Leben sein könnte, hilft seinem Land auch nicht."
Unabhängig von allen zivilgesellschaftlichen Regelungen und Abzugsszenarien aus Afghanistan stellt Verteidigungsminister de Maiziere klar, dass auch mit Ende des ISAF-Mandats das Engagement der NATO-Staaten weitergehen wird.
"2014 wird sich die internationale Völkergemeinschaft nicht aus Afghanistan verabschieden. So ist auch die Beschlusslage der Staats- und Regierungschefs und dies auch mit Zustimmung des afghanischen Präsidenten."
Bleibt vor Ort die Sorge, dass nach dem Abzug der ISAF-Truppen die alten ethnischen Konflikte wieder mit voller Wucht ausbrechen. Doch könnte sich nicht durch den gemeinsamen Alltag, den täglichen Erfahrungsaustausch zwischen deutschen Mentoren und afghanischen Soldaten etwas ganz Neues entwickeln? Immerhin: Viele der afghanischen Rekruten, die derzeit auch unter deutscher Führung ausgebildet werden, gehören einer neuen Generation der 20-Jährigen an, die von der Vergangenheit unbelastet sind.
Es geht darum, aus ehemaligen Feinden ein und dieselbe Armee zu machen, aus Menschen, die sich nicht nur ideologisch bekämpft, sondern in ganz realen Gefechten einander gegenübergestanden und beschossen haben. Heute dienen in der afghanischen Nordarmee, paschtunische Kämpfer der Hizb Islami und Tadschiken der Jamiat Islami Seite an Seite.
Kein Problem, meint ein afghanischer Feldwebel, der mit den deutschen Ausbildern eng zusammenarbeitet. Er sei Paschtune, sein Stellvertreter Tadschike – dennoch habe man einen gemeinsamen Feind und werde es nicht zulassen, dass jemand diese Mission störe.
Der afghanische Dolmetscher, der diese Worte übersetzt, ist sichtlich entnervt von Lippenbekenntnissen dieser Art, die er tagtäglich hört. Auf dem Weg zur Kantine spricht er Klartext: Von Zusammenwachsen könne keine Rede sein.
"Der General, der dieses Armeekorps führt, stammt aus der Familie von Präsident Karzai. Weil das so ist, muss sein Stellvertreter ein Tadschike sein. Das ist das System, nicht nur in der Armee, sondern überall, auch im Innenministerium. Und der Stellvertreter wird immer alles daran setzen, seinen Chef abzulösen und an seine Stelle zu treten. Sie sagen Ihnen öffentlich, dass es keine Diskriminierungen gibt, aber sie lügen. Es geht ihnen immer nur darum, in der Armee die Macht ihrer eigenen jeweiligen Partei zu stärken."
Teile und herrsche, die NATO-Doktrin der Aufstandsbekämpfung, hat die alten Gräben aus Bürgerkriegszeiten wieder aufgerissen. Ethnisch und historisch bedingte Rückschläge beim Aufbau einer Nationalarmee seien in Afghanistan normal, meint der Oberstleutnant, der das Mentorenprogramm betreut. Ausbilder könnten heute nicht mehr bloß Ausbilder, sie müssten zugleich Psychologen, Ethnologen, Diplomaten sein.
"Coach, teach and mentor – da ist alles mit drin. Man darf sich in Teilen auch mal als Lehrer betrachten, aber in einer Partnerschaft, in der es gerade darauf ankommt, hier nicht oberlehrerhaft zu wirken. Dann wird gerne Lawrence von Arabien zitiert, der ja sehr empathisch an die Sache herangegangen ist. Tatsache ist, dass das, was da teilweise beschrieben wird, dass das Gültigkeit hat. Der einfache Ausspruch: Es ist besser, sie tun es unvollständig und nicht perfekt, als wir es für sie tun."
Eine Erkenntnis, die der an den Erfahrungen gewachsenen Truppe in Zukunft durchaus nützen könnte. An möglichen neuen Einsatzorten der Bundeswehr, wie zum Beispiel in Mali – oder in anderen Krisenregionen dieser Welt.