Für Jeuliton ist der Ausnahmezustand nach wie vor Normalität. Er lebt in dem Armenviertel La Saline in der Nähe des Hafens von Port-au-Prince:
"Es gibt keine richtigen Toiletten, keine Schulen. Wenn es regnet wird alles überschwemmt. Das ist doch kein Leben hier."
Nirgends in der Stadt kommt regelmäßig eine Müllabfuhr
Sämtlicher Abfall landet auf den Straßen. Mülleimer gibt es nicht, geschweige denn eine Müllabfuhr, die regelmäßig vorbeikommt – nirgends in der Stadt. Am Rande des Slums türmen sich stinkende Berge, aufgeweicht von den Regengüssen. Schwarze Schweine wühlen darin, Kinder spielen in diesem Sumpf aus Unrat. Und das, was da verrottet, sinkt in das Grundwasser. Eine Lösung für dieses drängende Problem hat der neue Präsident Jovenel Moïse offenbar nicht parat. Aber er will mit gutem Beispiel voran gehen, sagt er:
"Es ist alles eine Frage der Erziehung. Ich werde mit meiner Frau am Wochenende am Strand Müll aufsammeln."
Das klingt zynisch in einem Land, das im Abfall versinkt.
Präsident Moïses will die landwirtschaftliche Produktivität steigern
Moïses Priorität ist die Landwirtschaft. Und so tourt er mit der "Karawane für den Wechsel" durch das ganze Land:
"In den nächsten Jahren soll die landwirtschaftliche Produktivität gesteigert werden. Wir müssen uns unabhängiger machen von Importen. Bis zum Ende des Jahres soll die Ernte allein in der Region Artibonite verdoppelt werden."
Die Provinz Artibonite gilt eigentlich als Haitis Kornkammer. Die Bauern konnten bislang jedoch nicht mit den billigen US-Importen konkurrieren. Der Präsident will die Bauern mit moderner Technik und Bewässerungssystemen versorgen. Für den Politologen Auguste D'Meza ist das nur eine medienwirksame Werbekampagne:
"Der Präsident muss sich endlich mit den unterschiedlichen Ministerien zusammensetzen. Es fehlt ein richtiger Entwicklungsplan – für den Gesundheitssektor, die Arbeit, die Landwirtschaft, Bildung. Moïse plant derzeit eine Autobahn zum Meer. Das Projekt soll 500 Millionen Dollar kosten. Die 80 Prozent der Haitianer, die in Armut leben: Sie sollten jetzt Priorität haben."
Minustah-Chefin Honoré: Polizei ist in der Lage, für Sicherheit zu sorgen
In wenigen Monaten wird die UNO-Mission Minustah, die in Haiti für Sicherheit sorgen sollte, nach 13 Jahren das Land verlassen. Die Mission hatte einiges zu bewältigen: politische Krisen und nicht zuletzt das Erdbeben 2010, bei dem auch rund 100 UNO-Mitarbeiter ums Leben gekommen sind. Und von dem sich Haiti bis heute nicht erholt hat. Auf dem Gelände des Hauptquartiers erinnert eine Gedenktafel an die Opfer.
Seit vier Jahren leitet Sandra Honoré die UNO-Mission. Nicht alle gesetzten Ziele konnte die Minustah erreichen. Das Justizsystem bleibe ein großes Problem. Laut offiziellen Zahlen bleiben 90 Prozent aller Straftaten ungesühnt. Dennoch verlasse sie das Land optimistisch:
"Die Kriminalität ist zurückgegangen und die Arbeit der Polizei hat sich verbessert. Sie ist mittlerweile in der Lage, für Sicherheit zu sorgen."
UNO-Mission Minustah mit durchwachsener Bilanz
Doch am Ende ist die Bilanz der Minustah eher durchwachsen. Ihr wurden einige Skandale angelastet. UNO-Kräfte werden des sexuellen Missbrauchs beschuldigt. Zudem haben Blauhelm-Soldaten aus Nepal die Cholera eingeschleppt, wie eine Untersuchung ergab. Rund 10.000 Menschen hat die Epidemie das Leben gekostet. Die alleinerziehende Mutter Astrid Edouarde war hochschwanger als sie erkrankte. Sie fordert eine Entschädigung:
"Die Probleme der Betroffenen sind sehr unterschiedlich. Einige haben Familienmitglieder verloren, die für das Einkommen verantwortlich waren. Andere können nicht mehr so arbeiten wie früher, so wie ich, haben keinen Job mehr. Wir brauchen Unterstützung, dann können wir uns wieder etwas aufbauen. Die Minustah muss Verantwortung übernehmen."
Ob und in welcher Form es eine Entschädigung für die Opfer geben wird - mit einer Antwort tut sich die Leiterin der Minustah Sandra Honoré auch kurz vor dem Ende der UNO-Mission schwer:
"Das Thema Entschädigung ist eine sehr komplexe rechtliche Frage. Wir verfolgen derzeit einen neuen Ansatz – wir wollen die betroffenen Gemeinden finanziell unterstützen. Darüber werden wir mit den Menschen vor Ort beraten. Diesen Ansatz versuchen wir gerade weiter auszuarbeiten."
Gebildete Haitianer verlassen das Land
Mitte Oktober werden die Blauhelmsoldaten der Minustah das Land verlassen. Doch eine kleinere Mission der Vereinten Nationen mit rund 1.300 Polizeikräften wird folgen. Für Präsident Jovenel Moïse ist das Land bereit, für die eigene Sicherheit zu sorgen:
"Als die Minustha hier ankam, hatten wir nur 2.000 Polizisten, jetzt haben wir mittlerweile 14.000 ausgebildete Polizisten. Das Land ist stabil."
Viele Haitianer haben da so ihren Zweifel. Hört man sich auf der Straße um, gibt es diejenigen, die befürchten, dass die Gewalt im Land nach dem Abzug der UNO-Mission wieder zunimmt. Andere sind froh, weil sie ohnehin nichts gebracht habe, viel zu teuer war.
Ob Präsident Jovenel Moïse Haiti aus der Dauerkrise führen kann, wird sich zeigen. Gerade die junge Generation will nicht warten. Rund 80 Prozent der gebildeten Haitianer verlassen das Land.