Es war der letzte Versuch, einen bislang einmaligen politischen Vorgang doch noch zu verhindern. Und dieser Versuch ist gescheitert: Auf seiner Türkei-Reise kündigte Außenminister Sigmar Gabriel gestern an, dass die 260 Bundeswehrsoldaten den Stützpunkt in Incirlik im Süden des Landes demnächst verlassen werden.
Zum ersten Mal zieht damit ein NATO-Mitglied seine Soldaten wegen eines bilateralen Streits vom Stützpunkt eines anderen NATO-Staates ab. Seit mehreren Monaten verweigert die türkische Regierung deutschen Bundestagsabgeordneten den Besuch der Bundeswehrsoldaten in Incirlik. Gabriels Gespräch mit seinem Kollegen Mevlüt Cavusoglu hat daran nichts geändert. Speziell die Opposition hatte einen Abzug aus Incirlik schon seit Wochen gefordert. Gabriel rechtfertigte im Deutschlandfunk die Entscheidung, den Gesprächsfaden bislang nicht abreißen zu lassen:
"Wir wollten einfach jede Möglichkeit noch nutzen. Man kann immer sagen: ‚Mach schnell, und Ende mit Schrecken‘. Ich glaube, dass Reden immer sinnvoll ist. Und wir wollten vor allen Dingen diesen Abzug so organisieren, dass er nicht gleich wieder zu so einer Megaphon-Diplomatie führt, und wir uns dann wieder gegenseitig beschimpfen. Das, glaube ich, ist gelungen. Wir trennen uns da anständig."
Offiziell beschlossen ist diese Trennung noch nicht. Morgen dürfte es aber so weit sein – dann beschäftigt sich das Kabinett mit dem Thema, so Gabriel weiter:
"Wir haben uns sehr schnell darauf verständigt, dass wir jetzt Mittwoch den Beschluss im Kabinett fassen wollen. Und ich glaube, dass das Verteidigungsministerium auch längst schon an den Abzugsplänen gearbeitet hat."
Der bevorstehende Abzug aus Incirlik illustriert das miserable Verhältnis der Bundesrepublik zur Türkei. Ankara hatte das Besuchsverbot unter anderem damit begründet, dass Deutschland geflüchteten türkischen Generälen und Diplomaten politisches Asyl gewährt habe. In der Türkei drohen ihnen drakonische Strafen, weil sie an dem gescheiterten Putschversuch vom Juli 2016 beteiligt gewesen sein sollen.
Auseinanderklaffende Vorstellungen von Demokratie
Gabriel machte gegenüber Cavusoglu gestern deutlich, dass es in der Bundesrepublik Sache der Gerichte sei, über Asylanträge zu entscheiden, nicht der Regierung. Auch das ein Aspekt, der belegt, wie weit die Vorstellungen beider Länder in Sachen Demokratie und Rechtsstaatlichkeit auseinanderklaffen. Grünen-Chef Cem Özdemir forderte in der ARD, es jetzt nicht bloß bei einem Abzug der Soldaten aus Incirlik zu belassen:
"Ich will, wenn ein deutscher Außenminister in die Türkei oder irgendwo hin reist, dass man merkt: Da reist jemand, für den die Menschenrechte wichtig sind, für den die Werte des Grundgesetzes wichtig sind. Und es nicht nur darum geht, dass man Rüstungslieferungen in die Türkei macht. Die einzig mögliche Antwort muss jetzt sein, dass man deutlich macht: Wir ziehen die Soldaten wirklich zurück. Ich glaube das dieser Bundesregierung erst, wenn sie weg sind. Keine Unterstützung für Incirlik mehr, und sofortiger Stopp der Rüstungslieferungen an die Türkei."
Zu einem kompletten Bruch dürfe es aber nicht geben, machte Sigmar Gabriel klar. Schließlich hätten weder Berlin noch die gesamte NATO ein Interesse daran, dass sich die Türkei künftig Richtung Moskau orientiere. Und so gab sich der Außenminister optimistisch, dass im deutsch-türkischen Verhältnis auch wieder bessere Zeiten kommen werden.
Wann das der Fall sein wird, ist momentan nicht abzusehen. Konkreter sind die Pläne der Bundesregierung, die Bundeswehrsoldaten aus Incirlik nach Jordanien zu verlegen. Beschlossene Sache, so CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen im Deutschlandfunk, sei das aber noch nicht. Außerdem sprach er sich dafür aus, den Bundestag in den Umzug der Soldaten einzubeziehen.
"Hier muss eine durch das Bundesverteidigungsministerium, durch die Bundesregierung vorgenommene sicherheitspolitische Bewertung stattfinden. Und auf der Grundlage dieser tatsächlichen Bewertung muss dann der Bundestag neu entscheiden."
Die Abstimmung darüber dürfte in etwa zwei Wochen stattfinden. Dann kommt das Parlament zu seinen letzten Sitzungswochen vor der Sommerpause zusammen.