Christine Heuer: Am Telefon ist Norbert Röttgen, Christdemokrat, Vorsitzender im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages. Guten Morgen, Herr Röttgen.
Norbert Röttgen: Guten Morgen, Frau Heuer.
Heuer: Sie waren lange gegen den Abzug der deutschen Soldaten aus Incirlik, jetzt nicht mehr. Warum genau?
Röttgen: Ich weiß nicht, wen Sie mit "Sie" meinen. Mich persönlich?
Heuer: Ja, Sie persönlich.
Röttgen: Nein. Ich habe immer gesagt, dass es eine Abwägung ist zwischen den sicherheits- und außenpolitischen Interessen, die wir mit der Stationierung dort vertreten. Wir sind ja nicht wegen der Türkei dort, sondern wir sind wegen eines außenpolitischen Auftrages dort und unserem Selbstverständnis, dass Abgeordnete auch die Einheiten im Ausland, Truppen im Ausland besuchen können dürfen. Das war immer unsere Position und es ist auch seit Wochen klar, wenn das weiter verweigert wird durch die Türkei, dass es dann zu diesem Abzug kommt. Insofern war meine Meinung immer die gleiche und sie hat sich jetzt leider in der einen Richtung entwickelt, weil die Türkei bei ihrer Auffassung einer diskriminierenden Behandlung geblieben ist.
"Man muss sich ja fragen, was ist der Grund der Entscheidung von Außenminister Gabriel"
Heuer: Herr Röttgen, ich zitiere Sie mal aus der "Rheinischen Post" vom 30. August letzten Jahres. Da haben Sie gesagt, es sei sinnlos, einen türkischen mit einem deutschen Fehler zu beantworten, und da haben Sie den Abzug der Soldaten aus Incirlik gemeint. Wann genau haben Sie Ihre Meinung denn geändert?
Röttgen: August ist ja eine ganze Weile her.
Heuer: Das ist ein Weilchen her.
Röttgen: Jetzt haben wir Juni 2017. Das waren übrigens auch immer wieder Einzelfälle. Danach, wenn ich es recht erinnere, hat es auch immer wieder Besuche gegeben. Es hat sich nun seit einigen Monaten zu der Linie der Türkei entwickelt, in Incirlik generell Besuche von deutschen Parlamentariern zu verweigern. Seitdem das die Linie ist, die auch dann nicht mehr verändert wurde – ich würde mal sagen, es sind vielleicht drei Monate, so geschätzt -, seither war dann auch klar, jetzt auch seit dem Besuch des Außenministers - der hat ja auch stattgefunden, um wirklich noch mal Klarheit zu haben, bleibt es bei dieser Linie, nachdem die Kanzlerin mit Erdogan gesprochen hatte, und das ist nun klar, und darum, glaube ich, sollte auch unsere Konsequenz daraus klar sein.
Heuer: Herr Röttgen, kann es sein, weil dieser Eindruck drängt sich ja auf, dass die SPD die Union da so ein bisschen vor sich hergetrieben hat, weil die Sozialdemokraten ja schon länger und auch geschlossener klar gesagt haben, wir wollen, dass unsere Bundeswehrsoldaten aus Incirlik abgezogen werden?
Röttgen: Wenn die SPD einen getrieben hat, dann hätte sie ja wahrscheinlich zu allererst ihren eigenen Parteifreund, den Außenminister getrieben. Man muss sich ja fragen, was ist der Grund der Entscheidung von Außenminister Gabriel, dass er am Pfingstmontag noch mal diesen Versuch unternommen hat.
Heuer: Welche Antwort geben Sie darauf?
Röttgen: Die Antwort ist, dass er definitive Klarheit haben wollte und keine spekulative Grundlage und übrigens auch keine innerdeutsche Wahlkampfmotivation bei diesem Thema, sondern er wollte klipp und klar wissen, bleibt es nun dabei, um dann auch zu signalisieren, dann können wir nicht bleiben. Es ist von unserer Seite alles versucht worden, um hier zu einer Lösung zu kommen, die unserem Selbstverständnis, aber auch der NATO-Situation und den NATO-Verpflichtungen gerecht wird. Es war auch richtig, dass man das bis zum Letzten versucht hat. Nun ist es klar und dann müssen auch Konsequenzen gezogen werden. Insofern haben wir hier auf der Seite des Bundesaußenministers, glaube ich, eine richtige, auch sachorientierte Politik verlangt. Jede Form von Hektik und auch innerparteilicher und innenpolitischer Profilierung ist bei dem Thema deshalb falsch, weil wir, um es noch mal zu sagen, ja nicht wegen irgendwem anders, sondern aus sicherheits- und außenpolitischen Gründen in unserem Interesse diese Stationierung vorgenommen haben.
Heuer: Ist es, Herr Röttgen, im Interesse der Bundeswehrsoldaten, wenn die jetzt nach Jordanien verlegt werden, ein Land, in dem die Sicherheit deutlich weniger nach allem, was man hört, gewährleistet werden kann als in der Türkei?
Gabriel: Das ist aus meiner Sicht die entscheidende Frage. Die Bundesregierung muss nun, nachdem die Situation in der Türkei am Standort Incirlik so ist, dem Bundestag, der ja entscheiden muss über die Entsendung, mitteilen, dass auch von einem anderen Standort – Sie sprechen Jordanien an – der sicherheitspolitische Auftrag ohne Einschränkungen, auch ohne Einschränkungen der Sicherheit für die Soldaten vorgenommen werden kann. Diese sicherheitspolitische Entscheidung muss nun die Bundesregierung vornehmen und dem Bundestag als die Entscheidungsgrundlage des Bundestages mitteilen.
"Wir haben miteinander im Konflikt stehende Interessen"
Heuer: Aber Sie halten Jordanien für geeignet?
Röttgen: Ich sagte ja gerade: Es macht ja keinen Sinn, wenn ich sage, die Bundesregierung muss das prüfend mitteilen, wenn ich das sozusagen aus dem Blauen heraus tue, sondern es ist ganz entscheidend, …
Heuer: Sie sind Außenpolitiker und Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses. Sie dürften dazu eine Meinung äußern.
Röttgen: Es geht vor allen Dingen um Fakten. Man muss wissen, wie ist die Faktenlage in Jordanien. Wir haben uns ja offensichtlich auch bei der Faktenlage geirrt oder sie hat sich geändert in Incirlik. Hier muss eine, durch das Bundesverteidigungsministerium, durch die Bundesregierung vorgenommene sicherheitspolitische Bewertung stattfinden und auf der Grundlage dieser tatsächlichen Bewertung muss dann der Bundestag nach meiner Einschätzung neu entscheiden.
Heuer: Herr Röttgen, es gibt in der Türkei mit Konya einen NATO-Standort. Den schließen Sie aber von vornherein aus für die Bundeswehrsoldaten, die aus Incirlik weg müssen?
Röttgen: Nicht von vornherein, sondern im Hinblick auf die Würdigung der Unterschiede. Wie gesagt: Meine Position, ich glaube, auch die sachliche Position ist, es handelt sich um eine Interessenabwägung. Wir haben miteinander im Konflikt stehende Interessen, sicherheitspolitische, darum stationieren wir, aber auch ein Selbstverständnis als parlamentarische Demokratie, dass die Abgeordneten, die entscheiden, auch besuchen können. Bei Konya ist die Situation insofern eine andere, als es ein NATO-Stützpunkt ist, und wenn wir die deutschen Truppen dort abziehen würden, würde es zu einer Funktionsunfähigkeit oder Beeinträchtigung erheblicher Art dieses NATO-Stützpunktes und der NATO-Fähigkeiten dort kommen. Das ist ein gewichtiger Gesichtspunkt in der sicherheits- und außenpolitischen Abwägung, die in der Koalition dazu führt, dass man sagt, dass dort eine andere Situation vorliegt. Und im Hinblick darauf, weil es ein NATO-Stützpunkt ist, hat ja auch die Türkei zugesagt, sind die Abgeordnetenbesuche grundsätzlich erlaubt. Das heißt, ein doppelter Unterschied, sowohl Besuchsrecht wie NATO-Verbindung unserer Truppen dort.
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