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Abzweigung in drei Kilometern Tiefe

Fördertechnik. - Als Ölstaat gilt Deutschland ja nicht gerade. Dennoch gibt es bei uns eine echte Bohrinsel, und zwar in der Nordsee mitten im Wattenmeer. Mittelplate, so heißt sie, und die Betreiber lassen sich immer neue Tricks einfallen, um noch mehr Öl aus dem Boden holen zu können. Erstmals in Deutschland haben sie nun eine besondere Bohrtechnik eingesetzt.

Von Frank Grotelüschen |
    Mühsam kämpft die "Sara Maatje" gegen die Wellen an. Vor anderthalb Stunden war das Boot aus Cuxhaven ausgelaufen. Nun versucht der Kapitän, an einem stählernen Monstrum mitten in der Nordsee anzulegen – Mittelplate, Deutschlands einzige Bohrinsel. Dann, nach mehreren Anläufen, ist das Manöver geschafft. Betriebsleiter Thomas Kainer stapft den Anleger hoch. Der Österreicher arbeitet bei RWE Dea, dem Betreiber von Mittelplate.

    "Die ist ungefähr 90 mal 70 Meter groß, also ungefähr Fußballfeld-Größe. Bis zu 90 Menschen können hier übernachten. Wir haben hier eine Bohranlage stehen und unsere Fördereinrichtungen."

    1985 begann der Bau der Bohrinsel, zwei Jahre später floss das erste Öl. Und das mitten im Nationalpark Wattenmeer, einem Weltnaturerbe der Unesco. Kainer und seine Leute müssen akribisch darauf achten, dass kein Öl von ihrer Bohrinsel ins Meer gelangt.
    "Wir haben hier eine Stahlbeton-Wanne, die fest mit dem Wattboden verankert ist. Drumherum haben wir eine Spundwand. Die ist elf Meter hoch, um uns gegen die Nordsee zu schützen."

    "Das Bohrloch geht gerade runter. Dann haben wir abgelenkt in circa 2800 Meter und haben das Loch 6000 Meter lang gebohrt."

    Direkt am Bohrturm steht Bernd Kummert, der Bohrmeister. Seine Leute arbeiten unter Hochdruck. Gerade zieht der Kran das Bohrgestänge hoch – fünf Kilometer lang, bestehend aus 200 Stangen. Alle 30 Meter stoppt der Kran, die Arbeiter setzen einen wuchtigen Hydraulikschraubenzieher an. Er schraubt die Stange ab, ein Greifer packt sie und legt sie auf einen Stapel. So geht es immer weiter, Stange für Stange. Ein Geduldsakt. Kummert:

    "Das dauert zehn bis zwölf Stunden, einmal ausgebaut, und dann sind wir damit fertig."

    Ist der neue Bohrkopf eingesetzt, läuft die ganze Prozedur rückwärts. Stück für Stück wird das Bohrgestänge wieder zusammengeschraubt und ins Bohrloch geschoben. Das Öl liegt 2800 Meter tief, in einer Trägerschicht, die nur ein paar Meter dick ist. Um ans Öl ranzukommen, bohren die Experten zuerst senkrecht in den Grund. Dann lassen sie ihren Bohrer schräg abbiegen, um ihn in 2800 Metern Tiefe waagerecht durchs Gestein zu führen – mitten durch die Trägerschicht. Kummert:

    "Wenn wir senkrecht durch irgendwelche Formationen gehen, und da sind die Träger eingeschlossen, haben wir vielleicht eine Mächtigkeit von fünf bis sechs Metern. Und wenn wir horizontal durch den Träger durchbohren, haben wir eine Förderstrecke, wo wir auf 1000 Metern Länge Öl fördern können."

    Horizontalbohren, so nennen die Experten das Verfahren. Nun sind sie noch einen Schritt weitergegangen. Erstmals in Deutschland haben Thomas Kainer und seine Leute eine Bohrung tief im Untergrund verzweigt, haben – um noch mehr Öl zu fördern – einen zweiten Ast gebohrt. Multilateral-Bohrung, so heißt die Methode. Kainer:

    "Ungefähr sind wir hier bei 2800 Metern Tiefe. Die Bohrung an sich ist aber, weil sie stark geneigt und horizontal ist, 6000 Meter lang. Und wir haben bei ungefähr 4000 Meter diese Multilateral-Abzweigung. Von dort aus geht der zweite Ast 1000 Meter raus."

    Zunächst haben die Experten das erste, sechs Kilometer lange Loch gebohrt, das Mutterloch. Die Abzweigung, Junction genannt, war bei Kilometer 4 vorgesehen. Kainer:

    "Von da an wird an dem Punkt, wo die Junction geplant ist, ein Fenster gefräst. Dieses Fenster ist sechs Meter lang. Von dort aus bohren Sie den zweiten Ast bis zum Ende, stecken dann die Rohre rein und verriegeln das mechanisch. Im Prinzip ist es dann der entscheidende Punkt, dass Sie diese Abdichtung hinbekommen."

    Gummipfropfen dichten die Abzweigung so gut ab, dass sie einen Druck von 500 bar aushält. Das ist nötig, weil die Experten später Wasser in die Lagerstätte pressen wollen, um möglichst viel Öl aus dem Boden zu holen. Kainer:

    "Der Hauptvorteil der Multilateral-Bohrung liegt darin, dass Sie die Strecke bis zum Reservoir, das sind hier ungefähr 4100 Meter, nur einmal bohren müssen. Damit haben Sie natürlich einen enormen Kosten- und Zeitvorteil."

    Auf konventionelle Art hätten die Experten 14 Kilometer weit bohren müssen. Mit der Verzweigung waren es nur gute sieben Kilometer. Seit Oktober 2010 sprudelt Öl aus dem verzweigten Bohrloch. Und da sich das neue Verfahren bewährt hat, soll es nun regelmäßig zum Einsatz kommen, sagt Thomas Kainer.

    "Die Multilateral-Technik ist die zukünftige Technik auf der Mittelplate. Wir haben noch mehrere Ziele, die wir mit einzelnen Bohrungen nicht erreichen können."