Eine klassische Filmszene, fast so häufig wie der finale Sonnenuntergang: Nach durchzechter Nacht hat der Held einen Kater und lässt angewidert zwei weiße Tabletten ins Glas plumpsen, es beginnt zu sprudeln - und bald löst sich auch der Schmerz auf.
Was da den Brummschädel beseitigen soll, ist "ASS", Acetylsalicylsäure - selbst ein Klassiker. Schon vor mehr als 2.000 Jahren verordneten antike Ärzte gegen Schmerzen "Salizin", einen Stoff aus der Weidenrinde. Matthias Melzig, Professor für pharmazeutische Biologie an der FU Berlin:
"Die Weidenrinde selbst enthält Vorläufer der Salicylsäure, und diese Vorläufer werden, wenn man diese Stoffe aufnimmt, als gepulverte Rinde oder in einem Extrakt, im Organismus, in der Leber umgebaut zur Salicylsäure, und diese hat eine schmerzlindernde, analgetische Wirkung, fiebersenkend, und zusätzlich auch eine entzündungshemmende, eine antiinflammatorische Wirkung."
Vor über 150 Jahren gelang es dann Chemikern, Salicylsäure synthetisch herzustellen, nicht nur aus der Weidenrinde, sondern auch aus einer weiteren Pflanze, die der Acetylsalicylsäure den heute weltbekannten Markennamen gab.
"In dem Namen Aspirin steckt ‚Spira' drin, die Spierstaude enthält Salicylsäurederivate, die Ende des 19. Jahrhunderts isoliert worden sind, und dann als Salicylsäure auch schon eingesetzt wurden, aber die schmeckt schlecht, die ist schwer verträglich, sodass man sich beizeiten bemüht hatte darum, verträglichere Stoffe daraus herzustellen, und eine Möglichkeit war eben, sie zu acytilieren, einen Essigsäure-Rest anzuknüpfen, und daraus ist das Aspirin geworden, mit dem dann ja die Firma Bayer weltweit aktiv geworden ist, obwohl die Erfindung in einer Firma in Radebeul bei Dresden als erstes gelungen war."
Inzwischen gibt es ASS unter Dutzenden von Handelsnamen, fast jeder hat es in der Hausapotheke. Professor Christoph Stein, Leiter der Klinik unter anderem für Schmerztherapie an der Charité Berlin:
"Es gehört zu den eher leichteren Schmerzmitteln, wird häufig eingenommen; wir setzen das auch in der Klinik ein für leichtere Gelenkschmerzen zum Beispiel, Entzündungsschmerz, für stärkere Schmerzen nach Operationen setzen wir das nicht ein."
Studien: Acetylsalicylsäure kann gegen Krebs helfen
Der Hauptwirkungsmechanismus: Acetylsalicylsäure hemmt ein Enzym, das für die Produktion von sogenannten Prostaglandinen wichtig ist. Diese körpereigenen Botenstoffe sind wesentlich für Schmerzempfindung und die Entstehung von Entzündungen. Aber ASS kann noch mehr: Es macht bei Bedarf das Blut flüssiger. Das hat ebenfalls mit dem Enzym zu tun, das durch die Acetylsalicylsäure blockiert wird, wie der Pharmazeut Matthias Melzig erläutert.
"Das hängt damit zusammen, dass auf den Blutplättchen, die ja wichtig sind für die Auslösung der Blutgerinnung, eben auch dieses Enzym sitzt, Cyclooxigenase, und wenn dieses Enzym blockiert ist, können die Blutplättchen sich nicht aggregieren, und damit ist die erste Phase der Blutgerinnung unterbunden."
Schon 1985 wurde ASS in den USA als Notfallmedikament bei Herzinfarkt eingesetzt, ein paar Jahre später dann weltweit - in geringer Dosierung täglich - zur Infarkt-Vorbeugung empfohlen. Allerdings sollte man es nicht generell einnehmen. Es ist nur für Menschen geeignet, die bereits bestimmte Herzerkrankungen aufweisen beziehungsweise eine Bypass-Operation oder Stent-Implantation hinter sich haben. Denn Acetylsalicylsäure erhöht die Blutungsneigung. Immer wieder sagen auch Mediziner, man solle das Mittel grundsätzlich vor chirurgischen Eingriffen absetzen. In Wirklichkeit muss der Arzt jeweils zwischen der Verhinderung eines Gefäßverschlusses und dem Risiko einer Blutung, etwa im Gehirn, abwägen - beides kann lebensgefährlich sein. Der Intensivmediziner und Anästhesist Christoph Stein:
"Da muss nicht unbedingt abgesetzt werden, wir sind immer dann vorsichtig, wenn wir Operationen vor uns haben mit einer hohen Blutungsneigung, und wir sind dann vorsichtig, wenn wir Regionalanästhesie-Verfahren, vor allen Dingen rückenmarksnahe Anästhesien wie Spinalanästhesie oder Periduralanästhesie planen, dann sind wir sehr vorsichtig mit gerinnungsaktiven Medikamenten, aber auch dafür muss ASS 100 nicht unbedingt abgesetzt werden."
Seit einiger Zeit weisen wissenschaftliche Studien darauf hin, dass Acetylsalicylsäure nicht nur Infarkten vorbeugen, sondern auch gegen bestimmte Krebskrankheiten helfen könnte.
"Es gibt schon experimentelle Befunde, dass solche Medikamente - nicht nur ASS, sondern auch Verwandte davon - möglicherweise Anti-Tumor-Effekte haben, das wird aber in der Klinik nicht routinemäßig dafür eingesetzt."
Nebenwirkung "Aspirin-Asthma"
ASS wurde als Jahrhundert-Medikament bezeichnet, und es ist durchaus möglich, dass sich noch weitere Anwendungsgebiete auftun. Die Weltgesundheitsorganisation hat die Substanz auf die Liste der unentbehrlichen Arzneimittel gesetzt. Doch die Nebenwirkungen sind nicht ohne. Einige Fachleute halten es für problematisch, dass Aspirin und ähnliche Präparate ohne Rezept verkauft werden, und viele Patienten denken, es handele sich um ein harmloses Mittel. Für Kinder zum Beispiel ist der Stoff gar nicht geeignet, unter anderem, weil er bei ihnen eine seltene, dann aber fatale Hirnschädigung auslösen kann.
ASS kann in jedem Alter durchaus schwere Schäden anrichten, vor allem im Magen-Darm-Trakt, wo es unter Umständen zu Entzündungen und Blutungen kommt. Professor Christoph Stein:
"Das ist eine häufige Nebenwirkung, die durchaus ernst zu nehmen ist, Blutungsneigung gehört auch dazu, es gibt angeborene Blutungsneigungen, aber das sind eher seltene Erkrankungen, das Häufigere sind Patienten, die schon vorbestehende Magen-Darm-Komplikationen haben, und gerade die älteren Patienten haben immer mehr Probleme damit, das sind die gastrointestinalen Blutungen hauptsächlich, es gibt auch mal Nierenschädigungen, und es gibt tatsächlich auch viele Todesfälle."
Eine weitere, nicht so seltene Nebenwirkung wird "Aspirin-Asthma" genannt. ASS kann zu einer Art Atemwegsverkrampfung führen, insbesondere bei Menschen, die schon vor der Einnahme entsprechende Probleme hatten.
In manchen Fällen könnte das alte Salicin aus der Weidenrinde womöglich eine Alternative zur synthetischen Acetylsalicylsäure sein. Es wird erst im Körper zu Salicylsäure umgewandelt. Solche pflanzlichen Präparate sind im Handel erhältlich. Tatsächlich haben sie wohl weniger Nebenwirkungen als ASS, sagt der Professor für Pharmazeutische Biologie, Matthias Melzig.
In manchen Fällen könnte das alte Salicin aus der Weidenrinde womöglich eine Alternative zur synthetischen Acetylsalicylsäure sein. Es wird erst im Körper zu Salicylsäure umgewandelt. Solche pflanzlichen Präparate sind im Handel erhältlich. Tatsächlich haben sie wohl weniger Nebenwirkungen als ASS, sagt der Professor für Pharmazeutische Biologie, Matthias Melzig.
"Eine Wirkung hat die Salicylsäure, die im Organismus entstanden ist, nicht: Sie wirkt nicht so stark reizend auf die Magenschleimhaut, auch hat diese Salicylsäure keine direkte Wirkung auf die Blutplättchen-Aggregation, weil der Wirkungsmechanismus mit dieser Acetylgruppe zusammenhängt, den die Weidenrinde nicht aufweist."
Aber wie weit das "Natur-Aspirin" tatsächlich den Magen weniger angreift und Blutungsneigungen weniger fördert, ist noch nicht endgültig erforscht.