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Achim Steiner zum Agrarsektor
"Ich mache mir enorme Sorgen um die Zukunft der Landwirtschaft"

Jedes Jahr verbleibe weltweit wegen der Auslaugung der Böden nur noch eine kleinere landwirtschaftliche Nutzfläche als im Vorjahr, sagte Achim Steiner, Chef des UN-Umweltprogramms UNEP. Daher müsse Landwirten eine andere Art der Produktion ermöglicht werden.

Achim Steiner im Gespräch mit Jule Reimer |
    Achim Steiner, Chef des Umweltprogramms der Vereinten Nationen UNEP (18.01.2014).
    Achim Steiner, scheidender Chef des Umweltprogramms der Vereinten Nationen UNEP (dpa / picture-alliance / Roland Popp)
    Jule Reimer: Mitgehört hat neben mir Achim Steiner. Herzlich willkommen. Bei der Woche der Umwelt auf Schloss Bellevue senden wir "Umwelt und Verbraucher" in Berlin.
    Zehn Jahre steht der 55jährige Deutsch-Brasilianer an der Spitze des UN-Umweltprogramms UNEP und wird das Amt am 14. Juni an den Norweger Erik Solheim weitergeben.
    Ihnen begegnen in Ihrer Arbeit Energiewende-Konzepte aus der ganzen Welt. Was sagen Sie denn zu der jetzt vorgelegten Reform des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes der Bundesregierung?
    Achim Steiner: Nun ist es ja gerade erst heute vom Kabinett beschlossen worden, von daher etwas früh, im Detail darauf einzugehen. Aber dass zum einen Deutschland sich überlegt, wie geht es mit der Energiewende weiter, ist nachvollziehbar, denn es ist ja inzwischen über ein Jahrzehnt an enormem Fortschritt und auch an Leistung gebracht worden.
    Das Zweite ist: Was letztlich ausschlaggebend ist, ob Deutschland den Weg und den Übergang hin zu Erneuerbaren weiter voranschreitet, oder ob es sich wirklich verlangsamt. Und ich glaube, vor dem Hintergrund des Pariser Abkommens, aber auch der Zunahme an Kohlestrom muss sich Deutschland immer wieder fragen, was ist das effizienteste Modell, und damit ist die Energiewende 2.0 oder 3.0 vielleicht sicherlich angesagt. Und verschiedene Instrumente müssen auch getestet werden, denn auf dem Weltmarkt werden heute Auktionen und ähnliche Instrumente inzwischen so weit umgesetzt, dass sie sogar bessere Preise erzielen als Kohlekraftwerke, zum Beispiel in den Vereinigten Arabischen Emiraten.
    Das heißt, die Kosten haben sich enorm reduziert. Die Mitnahme-Effekte müssen reduziert werden, damit Deutschland auch weiter ausbauen kann. Nur die Frage ist, wird es Ausbau sein, oder wird es letztlich eine Bremse sein, und das ist natürlich jetzt der große Test, den die Bundesregierung auch der Öffentlichkeit darstellen muss.
    Reimer: Wenn Sie es im internationalen Vergleich sehen, Sie haben das ja schon angedeutet, wo würden Sie die Deutschen einordnen? Die waren ja der Vorreiter bei der Energiewende.
    Steiner: Deutschland war eindeutig Vorreiter, ist in vieler Hinsicht noch Vorreiter. Aber das sagte ich auch gestern bei der Veranstaltung hier: Vorsicht Deutschland! Wir schaffen es heute, ein Drittel unserer Stromproduktion mit Erneuerbaren einzuspeisen. Das ist eine erstaunliche Zahl. Aber es gibt inzwischen viele Länder, die liegen bei über 30, 40, zum Teil 50 Prozent. Und vor allem der wirtschaftliche Impuls ist ja auch sehr wichtig, Arbeitsplätze, neue Technologien, und da überholen uns viele Länder heute mit Investitionen, die zum Teil doppelt und dreifach so hoch sind.
    "Arbeitsplätze stehen nicht im Gegensatz zu den Erneuerbaren"
    Reimer: Aber wenn Braunkohle wegfällt, dann fallen ebenfalls Arbeitsplätze weg und zum Beispiel finden Sie in der neu gegründeten Alternative für Deutschland - und so neu ist sie mittlerweile gar nicht - ziemlich viele Klimaskeptiker, da finden Sie auch die Berufung auf die heimische Energieversorgung, auf Energiesicherheit. Was halten Sie denen entgegen?
    Steiner: Das Erste ist, dass man sich nicht auf dieses Argument einlassen sollte, dass Arbeitsplätze, Gewerkschaften in einem Gegensatz zum Übergang zu den Erneuerbaren stehen. Die große Herausforderung ist, wie helfen wir den Menschen, die heute vom Kohlebergbau abhängig sind, den Übergang zu schaffen. Aber auch hier sind die Gewerkschaften gefordert, denn es gibt heute bereits mehr Arbeitsplätze in den Sektoren, die mit den Erneuerbaren zusammenhängen, als in vielen anderen Industriesektoren, einschließlich des Kohlebergbaus. Das heißt, wie können wir den Übergang für die Betroffenen erleichtern. Aber es ist kein Argument, die gesamte Energiepolitik Deutschlands nun abzubremsen mit dem Argument, es gehen Arbeitsplätze verloren. Das wäre auch aus der Vergangenheit heraus nach unserer eigenen Erfahrung unserer Geschichte letztlich kein sehr überzeugendes Argument. Aber Arbeitsplätze gehen verloren, neue Existenzen müssen aufgebaut werden. Ohne das gibt es natürlich dieses Konfliktargument.
    Reimer: Gucken wir mal ein bisschen mehr in die Welt. Mit dem Klimaabkommen von Paris wird es für Unternehmen und Staaten interessanter, Anleihen auszugeben. Sie erwähnten es auch bereits. Wertpapiere, mit denen Gläubiger praktisch feste Rückzahlungen plus Zinsen versprochen bekommen, mit denen dann Klimaschutz finanziert wird. Aber da kann man ja alles Mögliche ausgeben. Wie weit ist man da bei Mindeststandards, wenn ich mir so ein Papier besorge? Da war UNEP ja auch in einer führenden Rolle.
    Steiner: In der Tat! Wir haben uns in den letzten Jahren das Weltfinanzsystem angeschaut und uns überlegt, was bringt es, wenn Regierungen, die ja meistens im volkswirtschaftlichen Sinne vielleicht zehn bis 15 Prozent eines Bruttoinlandsproduktes ausmachen mit öffentlichen Ausgaben und der Rest des Finanzsystems investiert in die andere Richtung. Von daher: Anreizsysteme müssen geschaffen werden und wir müssen es schaffen, das Weltfinanzsystem dafür zu interessieren, in diese Übergänge zu investieren. Denn das Pariser Klimaabkommen, die nachhaltigen Entwicklungsziele, die in New York verabschiedet wurden, das sind Milliarden-Investitionen, wo der Finanz- und Kapitalmarkt im Augenblick noch nicht anbeißt. Und das ist letztlich ein großes Problem, denn wir können nicht gegen den Strom des Weltfinanzsystems schwimmen. Daher ist gerade die Arbeitsgruppe, die ja unter Chinas Präsidentschaft in der G20 im Augenblick über Green Finance vorangetrieben wird, überraschend erstaunlich und ich glaube wird wegweisend sein für eine Diskussion gerade unter den großen Volkswirtschaften der Welt, mit Zentralbanken, Finanzregulierungsbehörden die Anreize für Investoren anders auszurichten. Damit ermöglichen wir letztlich die Investitionen in den Größenordnungen, die heute angefragt sind.
    Rentenfonds haben sich aus fossilen Brennstoffen verabschiedet
    Reimer: Haben sich die großen Fonds, zum Beispiel der Norwegische Pensionsfonds, vorher bei Ihnen gemeldet, bevor die den Ausstieg angekündigt haben aus Kohle-Investitionen, zumindest den Teilausstieg?
    Steiner: Es geht sogar weiter. Wir haben ja seit 20 Jahren in UNEP eine UNEP Finance Initiative. Die bringt die großen Finanzinstitutionen der Welt zusammen. Und mit denen haben wir, gemeinsam mit Pensionskassen und Rentenfonds, dieses Programm entwickelt, das vor Paris das Ziel hatte, vielleicht 20 Milliarden Ausstieg aus kohlenstoffintensiven Industrien zu erreichen. Bis Paris wurden es 600 Milliarden und inzwischen geht es wahrscheinlich auf 1.000 Milliarden, also eine Billion zu. Der Trend nimmt sehr schnell zu. Gerade vorgestern in Washington hat sich der Rentenfonds völlig aus den fossilen Brennstoffen verabschiedet. Das Weltfinanzsystem beginnt, und wenn es nur unter Risikoperspektive ist, sich in eine andere Richtung zu bewegen und in die Zukunft zu investieren und nicht mehr in die Industrie der Vergangenheit.
    Staat hat keine Kontrolle im Niger-Delta
    Reimer: Das ist ganz interessant auch in Ihrer Geschichte. Die "taz" hat Ihnen irgendwann mal eine Art Heiligenschein verliehen, weil Sie immer ganz geduldig argumentieren. Sie haben gute Beziehungen, Sie sind geachtet bei den Umweltorganisationen. Aber Sie haben auch gute Beziehungen zu den Multis. Ein Beispiel: Vor fünf Jahren hat UNEP eine Studie im nigerianischen Ogoni-Land gemacht über die Folgen von 50 Jahren Ölförderung durch Shell und die nigerianische staatliche Ölgesellschaft. Dabei kam heraus, dass die Ölförderung für Bevölkerung und Ökosystem - das ist eine Region im Süden Nigerias mit ganz viel Sümpfen und Bächen - weitaus schlimmere Folgen gehabt hat als man dachte. Wie haben Sie Shell als Mitverursacher dazu gekriegt, diese Studie zuzulassen und zu finanzieren?
    Steiner: Zum ersten war es die Einladung des damaligen nigerianischen Präsidenten Obasanjo, der sagte, wir können in unserem eigenen Land nicht mehr in dem Niger-Delta arbeiten. Die Reaktion der Bevölkerung ist so intensiv und hat zu Konflikten geführt, dass weder Ölfirmen dort bohren können, noch die Regierung die Sicherheit bereitstellen kann. Damit wurde das Umweltprogramm der Vereinten Nationen als internationale und unabhängige Instanz eingeladen, erst einmal einen Sachstandsbericht zu erstellen, wo sich an einem Runden Tisch dann alle einigen können, was ist geschehen, was muss jetzt geschehen. Das Erstaunliche ist, dass in diesem Niger-Delta vier Jahrzehnte der Ölförderung eine Katastrophe herbeigeführt haben, die fast ohne gleichen ist. Ganze Küstenzonen, Feuchtgebiete, Flusseinzugsgebiete sind völlig mit Öl verpestet, das Ganze noch durch den Konflikt der letzten Jahre verschlimmert, illegale Raffinerien. Es ist eine Katastrophe, die wird wahrscheinlich über ein viertel Jahrhundert brauchen, um überhaupt wieder an einen Punkt zu kommen, wo das natürliche Ökosystem lebensfähig ist.
    Das Erstaunliche war, dass, ich glaube, Shell wie die Regierung auch eingesehen haben, dass dies ein Problem ist, das sie immer weiter verfolgen wird, bis es gelöst wird. Schwierig war zu dem Zeitpunkt meine Auffassung, die ich sehr prinzipiell vertreten habe. Es ist der Ölfirma zuzuschreiben, diese Studie zu finanzieren. Viele der Nichtregierungsorganisationen haben damals bezweifelt, dass unsere Unabhängigkeit dadurch sichergestellt wurde. Heute haben wir das Ogoni-Volk, die NGOs wie auch die Regierung und die Ölfirmen alle an einen Tisch bekommen und vor vier Tagen hatte ich wirklich ein sehr persönliches Erlebnis, in Ogoni-Land mit Zehntausenden der Ogoni-Bevölkerung dort die Umsetzung dieses Berichtes nun anzufangen.
    Reimer: Entschuldigung! Ganz kurz muss ich mal unterbrechen. Obwohl wir eigentlich gerade in den letzten Wochen wieder Berichte haben über kämpferische Auseinandersetzungen gerade in diesem Bereich Südnigerias, der ja auch bekannt ist wegen des schrecklichen Biafra-Krieges vor 50 Jahren.(*)
    Steiner: Das ganze Gebiet im Niger-Delta ist ein Gebiet, in dem seit vielen Jahren der Staat im Grunde keine Sicherheitskontrolle mehr hat. Er ist politisiert, er wird auch von kriminellen Gruppen genutzt, die dort illegal Ölraffinerien betreiben, kleine Raffinerien, das Öl verkaufen. Das heißt, die Voraussetzung, überhaupt wieder Recht und Ordnung herzustellen, hängt direkt auch mit diesem Restaurierungsprogramm zusammen. Deswegen war es auch so wichtig, hier nicht mit ein paar kleinen Projekten heranzugehen, sondern eine Milliarde Dollar ist von den Ölfirmen jetzt in einem Konto vorhanden, um die erste Phase dieser Umsetzung einzuleiten.
    Man sollte sich auch noch einmal daran erinnern: Viele Menschen haben ihr Leben in diesem Kampf verloren. Vielleicht für einige Ihrer Hörer noch bekannt: Ken Saro-Wiwa wurde damals vom Militärregime exekutiert wegen dem Widerstand und dieser Problematik Ölpest Niger-Delta.
    Reimer: Im Mai hat Ihr Umweltprogramm, das UN-Umweltprogramm eine Art Generalangriff gegen die konventionelle Intensivlandwirtschaft und die Nahrungsmittelproduktion mit dem "Global Environment Outlook" gefahren. Da wurde unter anderem vor steigendem Konsum von Fleisch- und Milchprodukten gewarnt. Nun ermuntert unsere Bundesregierung die Landwirte, immer mehr zu produzieren, neue Märkte zu erobern. Sie waren ja hier gestern in Schloss Bellevue auf der Bühne in dem Hauptforum über planetare Leitplanken. Da saßen Sie aber mit Bundesumweltministerin Barbara Hendricks. Hätten Sie mal besser auf dem Forum mit Bundeslandwirtschaftsminister Schmidt diskutiert?
    Steiner: Hätte ich gerne und ich glaube, wir wären uns wahrscheinlich gar nicht so uneins. Denn schauen wir uns doch mal die Situation der deutschen Bauern heute an bei der Milchproduktion. Es ist weder für den Markt, noch für den Verbraucher, noch für den Landwirt nachvollziehbar, wie eine landwirtschaftliche bäuerliche Wirtschaft in Zukunft funktionieren soll, die sich in diesem Preisgefüge bewegt. Von daher ist es ja auch nicht ein Appell des Landwirtschaftsministers, noch mehr Milch zu produzieren, sondern eher der Appell, die Märkte müssen sich besser orientieren.
    Unser Hauptausgangspunkt ist: Ich mache mir enorme Sorgen über die Zukunft der Landwirtschaft, weil die Landwirtschaft ist heute bereits ein Sektor, der selber seine Ressourcen aufbraucht. Jedes Jahr verbleibt eine kleinere Fläche an landwirtschaftlicher Nutzfläche in der Welt als noch im Jahr zuvor, weil wir einfach Böden auslaugen. 70 Prozent des Wasserverbrauchs in der Welt Landwirtschaft, 70 Prozent der Antibiotika in der Welt Landwirtschaft. Wir müssen der Landwirtschaft und vor allem Landwirten ermöglichen eine andere Art von Produktion in der Zukunft zu leisten. Das wird auch der Zukunft der Landwirtschaft guttun.
    "Sorge machen mir die Weltmeere"
    Reimer: Blicken wir doch noch mal zurück in Ihre zehn Jahre Amtszeit. Gibt es was, wo Sie sagen, da hätte ich energischer sein müssen? Als UN-Vertreter sind Sie immer zur Diplomatie verpflichtet und Sie dürfen kein Land zu sehr kritisieren. Aber gibt es einen Punkt, wo Sie sagen, Mist, da hätte ich mal stärker reinhauen sollen?
    Steiner: Sicherlich bei vielen Punkten. Es ist immer ein Abwägen und letztlich ist der Auftrag ja, Konsens herbeizuführen, der Kernauftrag der Vereinten Nationen. Deswegen betrachte ich auch nicht die unendliche Langsamkeit, die man manchmal erlebt in diesen Prozessen, als ein Widerspruch zu dem Gedanken der Vereinten Nationen. Wir versuchen, sieben Milliarden Menschen auf gemeinsame Ziele zu verpflichten, gemeinsam Probleme anzuerkennen.
    Aber sicherlich ein Bereich, der mir heute große Sorgen macht und wo wir wirklich nicht weitergekommen sind, sind die Weltmeere. Das Leben in den Ozeanen und auch das Verhältnis Mensch zum Meer ist letztlich in einer Situation heute, die uns alle sehr große Sorgen machen sollte, und es ist einfach nicht auf unserem Radar und da haben wir auch in UNEP nicht genug getan.
    Reimer: In Ihrem neuen Job werden Sie das alles auf dem Radar haben: Martin School an der Universität Oxford. Ein Satz, was ist das für eine Schule?
    Steiner: Interdisziplinäre Forschung zu den großen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts, Nahrungsmittelsicherheit, Gesundheit, Pandemien, künstliche Intelligenz, das sind die großen technologischen und wissenschaftlichen Veränderungen, die unsere Zukunft gestalten werden, und das wird Kernauftrag unserer Oxford Martin School sein.
    Reimer: Achim Steiner, scheidender Direktor des UN-Umweltprogramms, vielen Dank für das Gespräch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

    (*) Korrekturhinweis: In der Sendung wurden an dieser Stelle irrtümlich 40 Jahre genannt, der Biafra-Krieg begann aber 1967, also vor fast 50 Jahren.