Sprache ist dynamisch – sowohl was neue Wörter als auch Wortbedeutungen angeht. Bewegungen wie #metoo oder #blacklivesmatter haben in den letzten Jahren deutliche Spuren in der Sprache hinterlassen. Vielfach wird der Gebrauch von Neuschöpfungen damit begründet, dass diskriminierende Muster oder koloniale Gewalt mit bestimmten Begriffen einhergehen.
Sollen die Öffentlich-Rechtlichen gendergerecht sprechen?
Anne Will und Claus Kleber tun es, andere halten es schlicht für verrückt: das Gendern im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Wie sinnvoll ist es? Darüber streiten Judith Sevinç Basad und Anatol Stefanowitsch.
Anne Will und Claus Kleber tun es, andere halten es schlicht für verrückt: das Gendern im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Wie sinnvoll ist es? Darüber streiten Judith Sevinç Basad und Anatol Stefanowitsch.
Aber: Ist jeder nicht achtsame Gebrauch der Sprache gleichzusetzen mit Rassismus oder Sexismus?
Sicher sei, dass sich der Umgang mit Sprache in diesem Zusammenhang verändert habe, beobachtet die Philosophin Maria-Sibylla Lotter von der Ruhr-Universität Bochum.
Die Entwicklung könne man auch vor dem Hintergrund sehen, dass es eine starke Tendenz gebe, dass Konflikte, die früher "einfach als Interessenskonflikte verstanden wurden" nun als moralische Konflikte gesehen würden – und zwar zwischen Gruppen, die sich als Opfer verstehen und Gruppen, die denen gegenüber als privilegiert oder als Täter beschrieben werden. Dadurch entstehe ein "Risikogebiet", in dem jeder möglichst versuche, "einen Kommentar zu vermeiden, um dann nicht ins Visier einer moralischen Anklage zu geraten."
Ganz neue moralische Codes
Alles, was mit Ungleichheit, Ungerechtigkeit, Diskriminierung, Benachteiligung in der Gesellschaft zu tun habe, sei früher als Interessenskonflikt verstanden worden.
In den letzten Jahrzehnten habe sich hingegen zunehmend eine Einstellung verbreitet, dass soziale Ungleichheiten, kulturelle Ungleichgewichte, Privilegien und die Nachwirkungen vergangenen Unrechts sowie Diskriminierung – "dass das nicht zu akzeptieren ist, auch nicht als Interessenkonflikt zu verstehen ist, sondern als Unrecht, das unbedingt wieder gut gemacht werden muss", so Lotter.
Dadurch hätten sich auch ganz neue moralische Codes ergeben. Neue Begrifflichkeiten würden zudem dazu führen, dass die Realität anders wahrgenommen werde.
Warnung vor entleerter Sprache
Lotter sieht beim Sprachgebrauch allerdings auch die Gefahr, dass bestimmte Begrifflichkeiten ihre Wirkung verlieren. Im Zusammenhang mit Opfern von Unrecht und Diskriminierung sei in den letzten Jahrzehnten beispielsweise sehr oft der Traumabegriff bemüht worden. Das sei problematisch, "weil das nichts mehr mit der eigentlichen Bedeutung von Trauma, der Bedeutung unserer ganzen Begriffe für Verletztheiten, nichts mehr zu tun hat."
Mitglieder von Gruppen würden nicht auf gleiche Weise traumatisiert. Aus der Psychologie sei bekannt, wie unterschiedlich Individuen darauf reagierten.
"Wenn Ausdrücke, die man eigentlich nur zur Diagnose der Verfassung einzelner Individuen einsetzen kann, quasi auf Gruppen verallgemeinert werden, dann werden die Begriffe natürlich so entleert, dass sie immer weniger aussagen. Das schwächt die Kommunikation ungeheuer", kritisiert Lotter.
Bei den Rezipienten sinke dadurch die Aufmerksamkeit. "Man nimmt die Aussagen nur noch durch Signale wahr, dass man bestimmte moralische Botschaften senden will, aber nicht mehr als interessante Beschreibung der Wirklichkeit, von denen man etwas lernen könnte."