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Achtzehn von zwanzig Büchern werden nicht gedruckt

Die 19. Teheraner Buchmesse im Mai wird vom iranischen Kulturministerium veranstaltet, und das Ministerium für "Kultur und islamische Führung" entscheidet über jede einzelne Buchveröffentlichung im Iran - was in den letzten Jahren unter Reformpräsident Khatami allerdings gemäßigt gehandhabt wurde. Unter Präsident Ahmadinedschad hat sich die Situation dramatisch verschlechtert.

Von Dorothea Marcus | 11.03.2006
    Die Teheraner Buchmesse ist die weltweit größte Publikumsmesse: Jedes Jahr kommen zwischen 2,2 und 4 Millionen Besucher, darunter Scharen von Schülern und Studenten, Intellektuelle ebenso wie iranische Familien aus ländlichen Gebieten - denn der Eintritt ist frei. Elf Tage lang im Mai ist Teheran das Zentrum der Literaturwelt im Mittleren Osten. Zum Vergleich: bei der Frankfurter Buchmesse kommen nur etwa 250 000 Besucher. Ein gigantisches Unternehmen und für die iranische Bevölkerung die wichtigste Möglichkeit, sich mit Büchern einzudecken: rund 250 000 Titel von 3000 Ausstellern werden dort jedes Jahr präsentiert, 1200 davon sind ausländische. Harry Potter findet man in Teheran ebenso wie europäische Klassiker und iranische Gegenwartsromane oder die neuesten Koranausgaben. Seit dem Machtwechsel im Iran hat sich im iranischen Literaturleben jedoch einiges geändert. Ein Journalist, der seinen Namen nicht nennen will, erzählte vor zwei Monaten:

    Die neue Regierung verändert die kulturellen Werte, und in der Literatur schlägt es sich am meisten nieder. Es ist nicht unbedingt so, dass man das Veröffentlichen verbieten will. Sondern man will die bisher erschienenen Bücher mit religiösen und traditionellen Werken ersetzen. Letztens hat ein Mitglied des Parlaments eine Statistik veröffentlicht, dass unter 750 Büchern, die im letzten Jahr erschienen sind, nur 150 Bücher gute Bücher gemäß der Regierung wären - die anderen würden angeblich nicht zu unserer Religion und Tradition gehören.

    Die 62jährige Shahla Lahiji leitet in Teheran den einzigen iranischen Frauenverlag "Roshangaran", übersetzt heißt das "Aufklärung". Ein Verlag, der Bücher zur Geschichte der Frauenbewegung ebenso verlegt wie Frauenromane. Er machte Milan Kundera oder Schriftsteller wie Toni Morrison und Pirandello im Iran bekannt. Shahlah Lahiji ist eine enge Freundin der Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi und eine wichtige säkulare Oppositionelle im Iran - so gehörte sie z. B. zu den Intellektuellen, die nach der deutschen Heinrich-Böll-Konferenz im Jahr 2000 verhaftet wurden. Vor einem Jahr, kurz vor dem Internationalen Frauentag am 8. März, wurde ihr Büro in Teheran in Brand gesteckt, der Täter bis heute nicht gefunden. Seit Präsident Ahmadinedschad an der Macht ist, hat sich die Situation der iranischen Verlage katastrophal verschlechtert, erzählt Shahla Lahiji in Teheran an ihrem - wie sie vermutet - staatlich überwachten Telefon:

    " Alle Möglichkeiten, zu publizieren, sind extrem reduziert. Mit meinem Verlag habe ich beantragt, über 20 Bücher auf die Buchmesse zu bringen. Zwei von ihnen wurden verboten, und für die anderen gab es einfach keine Antwort. Und so sitzen wir im Büro und können nichts tun. Doch wir müssen jetzt arbeiten, um die Bücher im Mai fertig zu haben. Die Buchmesse ist für uns die wichtigste Zeit, wo wir fast den ganzen Jahresumsatz machen - wenn wir nicht präsent sein können, gehen wir ökonomisch kaputt. So verhindert die Regierung unsere Arbeit, ohne unsere Verlage offiziell zu verbieten. Denn das würde dann ja in der Welt bekannt werden. "

    80 Prozent der Bücher werden nicht mehr durch die Zensur gelassen, schätzt Lahiji - selbst solche, die bereits mehrere Male aufgelegt wurden. Unliebsame Verleger werden durch eine Verzögerungstaktik und Verbote an ihrer Arbeit gehindert und haben kaum genug Material, um sich auf der Teheraner Buchmesse zu präsentieren - für sie eine finanzielles Desaster. Im Gegensatz zu Deutschland ist die Teheraner Buchmesse vom iranischen Kulturministerium organisiert. Doch wäre eine deutsche Teilnahme wirklich eine Ermutigung des Regimes und ein "Schlag ins Gesicht" der Oppositionellen, wie die deutsch-israelische Gesellschaft in ihrem Brief an die Frankfurter Buchmesse vermutet? Was für Auswirkungen hätte ein Boykott? Shahla Lahiji:

    " Boykott ist die einfachste, aber auch die schlechteste Art zu reagieren. Als die Frankfurter Buchmesse uns vor einigen Jahren boykottiert wegen Salman Rushdie, hat das nur den Verlegern geschadet, die Regierung hat es gar nicht betroffen. Internationale Verbindungen stören sie doch eher. Nur die Verleger werden doppelt leiden, denn man nimmt ihnen auch noch die letzte Möglichkeit, Bücher zu verkaufen und Kontakte zu machen. Ich denke, deutsche Verleger sollten kommen, um hier auf positive, konstruktive Weise zu kritisieren. Zum Beispiel öffentlich sagen: wenn die iranische Regierung so mit den iranischen Verlagen umspringt, dann darf sie nicht zur Frankfurter Buchmesse kommen. Oder vielleicht sollte ein Mitglied des deutschen PEN-Clubs kommen, um die Situation des iranischen Buchmarkts anzusprechen. Es ist wichtig, dass das in der Welt dokumentiert wird. "

    Es scheint, als kann es zum kritischen Kulturaustausch keine Alternative geben - denn ein Boykott würde die nach ausländischen Kontakten hungernden Iranern und den iranischen Oppositionellen vollends in die Isolation treiben.