Anne Raith: Das geplante Abkommen soll das Recht auf geistiges Eigentum wirksamer schützen und gegen Produktpiraterie vorgehen. Klingt eigentlich nach einer guten Sache, zumindest, wenn man der EU-Kommission Glauben schenkt. Und doch läuft die Netzgemeinde Sturm gegen ACTA.
Und in den kommenden Minuten wollen wir die kritischen Punkte vertiefen. Am Telefon ist jetzt Markus Beckedahl, er ist Gründer des Blogs netzpolitik.org und Vorsitzender des Vereins Digitale Gesellschaft. Guten Morgen!
Markus Beckedahl: Guten Morgen!
Raith: Herr Beckedahl, wie kann der bessere Schutz geistigen Eigentums eigentlich schaden, wie kann der zu Zensur und Überwachung führen? Vielleicht können Sie mir das mal an einem ganz praktischen Beispiel erklären.
Beckedahl: Ja, wir haben in den letzten Jahren auch durch den Geist der ACTA-Verhandlungen im benachbarten Ausland, wie in Frankreich und in Großbritannien, einige Maßnahmen gesehen, die in die Grundrechte der Nutzer eingreifen. Also in Frankreich hat man eine Überwachungsbehörde namens Hadopi geschaffen, die Tauschbörsennutzer verwaltet, und die dann dafür sorgen sollen, dass nach dem dritten Mal erwischt werden bis zu einem Jahr Familien, Menschen das Internet einfach weggenommen wird, also der Zugang zu Informationen, zu Kultur, zu Kommunikation versperrt wird. In Großbritannien hat man das Ganze ohne Überwachungsbehörde realisiert, durch eine Privatisierung der Rechtsdurchsetzung. Dort arbeiten freiwillig Provider mit Rechteinhabern zusammen. Das führt dazu, dass halt einzelne Provider dort schon in Echtzeit den Datenverkehr ihrer Kunden auf Urheberrechtsverletzung überwachen. Das ist aus unserer Sicht ein massiver Eingriff in das Fernmeldegeheimnis.
Raith: Aber steht das tatsächlich so auch in ACTA? Ist das nur eine Befürchtung oder steht da explizit, es werden Internetprovider verpflichtet, die Nutzer zu überwachen?
Beckedahl: Nein, ACTA ist kein Gesetz. ACTA muss man als Richtungsentscheidung sehen, und man muss den Geist von ACTA politisch lesen oder den Text von ACTA politisch lesen. Dort steht drin, dass Mitgliedsstaaten eine freiwillige Kooperation zwischen Rechteinhabern und Providern fördern sollen. Wozu das führt, habe ich gerade schon mal an zwei Beispielen ausgeführt, und was das Problem an ACTA ist, sehr viele Begriffe werden dort verwendet, die bisher noch nicht so wirklich definiert sind. Diese sind in Zusatzprotokollen definiert, und diese Zusatzprotokolle sind noch nicht offengelegt. Und was wir so mitbekommen an sogenannten geleakten, also irgendwo im Internet aufgetauchten Zusatzprotokollen, da steht halt drin, dass eine solche Maßnahme sein könnte, Menschen das Internet wegzunehmen.
Raith: Jetzt sagen Befürworter, aber auch Juristen, das fixiert einfach nur Standards, die eigentlich in der EU und in Deutschland auch schon längst gelten.
Beckedahl: Nein, das sehen wir nicht so. Also natürlich steht da ein großer Teil drin, den wir in Deutschland schon umgesetzt haben, allerdings ist halt einer unserer großen Kritikpunkte diese geplante Förderung der Zusammenarbeit zwischen Rechteinhabern und Providern. Das würde halt dazu führen, dass wir eine Privatisierung der Rechtsdurchsetzung bekommen, dass der Rechtsweg ausgeschlossen ist, dass sich dann auf einmal Internetnutzer wehren müssen, wenn sie auf einmal Warnungen bekommen, obwohl sie überhaupt gar nichts getan haben, und wir sagen ganz klar, das Urheberrecht sollte reformiert werden und nicht zementiert werden, wie mit ACTA auf Jahre hinaus. Das Problem ist ja, dass wir hier einen internationalen Vertrag haben, der zwar sagt, er möchte den Schutz von geistigen Monopolrechten stärken, aber geistige Monopolrechte sind ja nicht nur ein Recht von Rechteinhabern, sondern es ist eine komplizierte Ausbalance zwischen den Rechten der Urheber auf der einen Seite und den Rechten der Allgemeinheit auf der andern Seite. Und die Rechte der Allgemeinheit kommen in diesem Abkommen nicht wirklich vor, weil die Zivilgesellschaft saß zum Beispiel nicht mit am Tisch.
Raith: Sie sprechen einen weiteren Kritikpunkt an, die sogenannten Geheimverhandlungen. Jetzt hat die Bundesregierung ja schon reagiert, will vorerst nicht unterzeichnen – ist das Problem damit schon halbwegs gelöst für Sie?
Beckedahl: Na ja, wir haben zumindest ein bisschen Zeit gewonnen, aber uns wäre natürlich lieber gewesen, die Bundesregierung hätte erkannt, dass die ACTA gar nicht unterzeichnen möchte, der nächste Showdown wird jetzt dann im Sommer sein. Das EU-Parlament muss im Sommer vermutlich zwischen Mai, Juni, vor der Sommerpause oder im September nach der Sommerpause über ACTA abstimmen, und die Bundesregierung hat jetzt eigentlich so den Schwarzen Peter ein bisschen Richtung EU-Parlament abgeschoben und gesagt, na ja, die müssen erst mal da entscheiden, und wir unterschreiben danach oder müssen vielleicht gar nicht mehr unterschreiben.
Raith: Sind Sie denn eigentlich mit EU-Parlamentariern im Gespräch?
Beckedahl: Wir sind schon ziemlich lange mit EU-Parlamentariern im Gespräch, wir verfolgen das Thema auch schon recht lange und waren so ein bisschen überrascht, dass das einmal jetzt vor allen Dingen durch die Proteste in Polen, auf einmal eine massenmediale Begeisterung und auch im Netz auf einmal eine große Aufmerksamkeit auf das Thema gelenkt wurde. Wir haben auf unserer Seite digitalegesellschaft.de auch viele Informationen, an wen man sich im Europaparlament wenden kann, mit welchen Argumenten, und davon machen schon genug Menschen Gebrauch. Wir hören immer wieder von Europaabgeordneten, die gegen ACTA sind, zum Beispiel, dass sie sich freuen, dass so viele Menschen bei so einem komplizierten Thema sich an ihre gewählten Volksvertreter wenden. Auf der anderen Seite gibt es natürlich welche, die sind davon genervt, aber das ist ihr Job als gewählte Volksvertreter, dass sie sich auch mal Bürgerwillen anhören müssen.
Raith: Aber dennoch hat man den Eindruck, kommt die Debatte ja relativ spät, zumindest die öffentliche Debatte, wenn man überlegt, dass schon seit 2008 verhandelt wird.
Beckedahl: Ja, es wurde sogar seit 2006 schon verhandelt. Das Problem war, dass man eine Zeit lang noch nicht mal transparent gemacht hat, dass man das Ganze verhandelt. Die Zwischenstände, die hat man dann auf Wikileaks gelesen, inklusive einer ganzen Menge Horrorforderungen, die da teilweise drin standen, wie eine verpflichtende Einführung von Netzsperren und so weiter – und erst auf Druck der Öffentlichkeit, erst auf Druck der EU-Parlamentarier hat dann die EU-Kommission zum Schluss überhaupt erst mal den Vertrag veröffentlicht, allerdings ohne diese ganzen Zusatzprotokolle. Und das führt dann teilweise zu leicht unwürdigen Situationen im EU-Parlament, wenn zum Beispiel dort gewählte Abgeordnete über eine juristische Studie des Juristischen Dienstes des EU-Parlaments diskutieren mussten, aber hinter verschlossenen Türen, damit die Öffentlichkeit bloß daran nicht teilnehmen kann.
Raith: Umso lauter auf der anderen Seite sind ja im Moment die Gegner. Haben Sie das Gefühl, das handle sich noch um eine sachliche Debatte? Auch Sie haben eben von Showdown gesprochen, von Zensur, von Überwachung ist da die Rede.
Beckedahl: Was heißt sachliche Debatte, also ich glaube, an ACTA sehen wir gerade das Unbehagen vor allen Dingen einer jungen Generation mit einem anderen Mediennutzungsverhalten mit diesem alten, verkrusteten Urheberrecht. Jeder, der im Netz aktiv soziale Medien nutzt, begeht eigentlich die ganze Zeit Urheberrechtsverletzung, ob wissentlich oder unwissentlich, und dabei geht es noch nicht mal darum, dass man irgendwie Musik herunterlädt, sondern dass man einfach nur Medienkompetenz zeigt und kreativ zum Sender wird. Darauf ist das Urheberrecht nicht eingestellt, und seit zehn Jahren erleben wir eine Debatte nach der anderen, dass halt einseitig die Rechte der Allgemeinheit hier genommen werden zugunsten der Rechteinhaber, dass immer radikalere Maßnahmen durchgesetzt werden sollen, und bei ACTA ist auf einmal der Moment da, wo eine europäische Zivilgesellschaft sagt, jetzt reicht es, wir wollen über eine Form des Urheberrechts reden und nicht eine weitere Zementierung des Status quo.
Raith: Aber haben Sie das Gefühl, all die Tausenden, die gerade auf die Straße strömen, strömen deswegen auf die Straße, weil sie eine Reform des Urheberrechts wollen – wie Sie es jetzt formulieren –, oder weil sie einfach eben auf diese Wörter anspringen, also auf Zensur, auf Überwachung, auf die Gefahr der Freiheit für das Internet?
Beckedahl: Ja, das wird wahrscheinlich Hälfte-Hälfte sein, ich kann es nicht genau sagen. Ich werde mir das heute erst um 13:00 Uhr in Berlin anschauen, heute sind ja über 60 Demonstrationen allein in Deutschland, aber im Endeffekt hat es ja einen positiven Effekt. Ich meine, wann sind schon mal so viele junge Menschen, die bisher teilweise noch gar nichts mit Politik zu tun hatten, politisiert worden? Und wann haben sich schon mal in letzter Zeit so viele Menschen um Werte wie Freiheit und gegen Überwachung engagiert? Also ich finde das aus demokratischer Sicht sehr positiv. Und natürlich wäre es halt toll, wenn man eine sachlichere Debatte hinbekommen würde, aber wenn die – quasi, nennen wir sie mal – Gegenseite so intransparent spielt und dann halt diesen ganzen Prozess eigentlich ja gar nicht kommuniziert hat, dann muss sie sich auch nicht darüber wundern, dass auf einmal die Menschen, die keine Ahnung von Jura haben, die einfach nur Werte vertreten, Werte wie Freiheit, Demokratie, Partizipation, auf die Straße gehen und Nein sagen.
Raith: Glauben Sie denn eigentlich, dass Gegner und Befürworter in Sachen ACTA irgendwie noch zusammenkommen können?
Beckedahl: Also bei ACTA glaube ich nicht mehr, dass man da noch zusammenkommen kann, weil der Verhandlungsprozess ist abgeschlossen, jetzt geht es nur darum, ACTA zuzustimmen oder nein zu sagen. Und wir sagen ganz klar, jetzt Nein sagen, man kann dann gerne einen neuen Prozess starten, der offener gestaltet ist, der auf internationaler Ebene vielleicht noch einen Multi-Stakeholder-Prozess irgendwie nach eingeführten Ritualen wie bei der WIPO gestaltet ist. Aber dieses aktuelle Abkommen, dem können wir nicht zustimmen, und da hilft jetzt auch kein Dialog in den nächsten Monaten.
Raith: Sagt Markus Beckedahl, Gründer des Blogs netzpolitik.org und Vorsitzender des Vereins Digitale Gesellschaft. Haben Sie herzlichen Dank für das Gespräch!
Beckedahl: Vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Und in den kommenden Minuten wollen wir die kritischen Punkte vertiefen. Am Telefon ist jetzt Markus Beckedahl, er ist Gründer des Blogs netzpolitik.org und Vorsitzender des Vereins Digitale Gesellschaft. Guten Morgen!
Markus Beckedahl: Guten Morgen!
Raith: Herr Beckedahl, wie kann der bessere Schutz geistigen Eigentums eigentlich schaden, wie kann der zu Zensur und Überwachung führen? Vielleicht können Sie mir das mal an einem ganz praktischen Beispiel erklären.
Beckedahl: Ja, wir haben in den letzten Jahren auch durch den Geist der ACTA-Verhandlungen im benachbarten Ausland, wie in Frankreich und in Großbritannien, einige Maßnahmen gesehen, die in die Grundrechte der Nutzer eingreifen. Also in Frankreich hat man eine Überwachungsbehörde namens Hadopi geschaffen, die Tauschbörsennutzer verwaltet, und die dann dafür sorgen sollen, dass nach dem dritten Mal erwischt werden bis zu einem Jahr Familien, Menschen das Internet einfach weggenommen wird, also der Zugang zu Informationen, zu Kultur, zu Kommunikation versperrt wird. In Großbritannien hat man das Ganze ohne Überwachungsbehörde realisiert, durch eine Privatisierung der Rechtsdurchsetzung. Dort arbeiten freiwillig Provider mit Rechteinhabern zusammen. Das führt dazu, dass halt einzelne Provider dort schon in Echtzeit den Datenverkehr ihrer Kunden auf Urheberrechtsverletzung überwachen. Das ist aus unserer Sicht ein massiver Eingriff in das Fernmeldegeheimnis.
Raith: Aber steht das tatsächlich so auch in ACTA? Ist das nur eine Befürchtung oder steht da explizit, es werden Internetprovider verpflichtet, die Nutzer zu überwachen?
Beckedahl: Nein, ACTA ist kein Gesetz. ACTA muss man als Richtungsentscheidung sehen, und man muss den Geist von ACTA politisch lesen oder den Text von ACTA politisch lesen. Dort steht drin, dass Mitgliedsstaaten eine freiwillige Kooperation zwischen Rechteinhabern und Providern fördern sollen. Wozu das führt, habe ich gerade schon mal an zwei Beispielen ausgeführt, und was das Problem an ACTA ist, sehr viele Begriffe werden dort verwendet, die bisher noch nicht so wirklich definiert sind. Diese sind in Zusatzprotokollen definiert, und diese Zusatzprotokolle sind noch nicht offengelegt. Und was wir so mitbekommen an sogenannten geleakten, also irgendwo im Internet aufgetauchten Zusatzprotokollen, da steht halt drin, dass eine solche Maßnahme sein könnte, Menschen das Internet wegzunehmen.
Raith: Jetzt sagen Befürworter, aber auch Juristen, das fixiert einfach nur Standards, die eigentlich in der EU und in Deutschland auch schon längst gelten.
Beckedahl: Nein, das sehen wir nicht so. Also natürlich steht da ein großer Teil drin, den wir in Deutschland schon umgesetzt haben, allerdings ist halt einer unserer großen Kritikpunkte diese geplante Förderung der Zusammenarbeit zwischen Rechteinhabern und Providern. Das würde halt dazu führen, dass wir eine Privatisierung der Rechtsdurchsetzung bekommen, dass der Rechtsweg ausgeschlossen ist, dass sich dann auf einmal Internetnutzer wehren müssen, wenn sie auf einmal Warnungen bekommen, obwohl sie überhaupt gar nichts getan haben, und wir sagen ganz klar, das Urheberrecht sollte reformiert werden und nicht zementiert werden, wie mit ACTA auf Jahre hinaus. Das Problem ist ja, dass wir hier einen internationalen Vertrag haben, der zwar sagt, er möchte den Schutz von geistigen Monopolrechten stärken, aber geistige Monopolrechte sind ja nicht nur ein Recht von Rechteinhabern, sondern es ist eine komplizierte Ausbalance zwischen den Rechten der Urheber auf der einen Seite und den Rechten der Allgemeinheit auf der andern Seite. Und die Rechte der Allgemeinheit kommen in diesem Abkommen nicht wirklich vor, weil die Zivilgesellschaft saß zum Beispiel nicht mit am Tisch.
Raith: Sie sprechen einen weiteren Kritikpunkt an, die sogenannten Geheimverhandlungen. Jetzt hat die Bundesregierung ja schon reagiert, will vorerst nicht unterzeichnen – ist das Problem damit schon halbwegs gelöst für Sie?
Beckedahl: Na ja, wir haben zumindest ein bisschen Zeit gewonnen, aber uns wäre natürlich lieber gewesen, die Bundesregierung hätte erkannt, dass die ACTA gar nicht unterzeichnen möchte, der nächste Showdown wird jetzt dann im Sommer sein. Das EU-Parlament muss im Sommer vermutlich zwischen Mai, Juni, vor der Sommerpause oder im September nach der Sommerpause über ACTA abstimmen, und die Bundesregierung hat jetzt eigentlich so den Schwarzen Peter ein bisschen Richtung EU-Parlament abgeschoben und gesagt, na ja, die müssen erst mal da entscheiden, und wir unterschreiben danach oder müssen vielleicht gar nicht mehr unterschreiben.
Raith: Sind Sie denn eigentlich mit EU-Parlamentariern im Gespräch?
Beckedahl: Wir sind schon ziemlich lange mit EU-Parlamentariern im Gespräch, wir verfolgen das Thema auch schon recht lange und waren so ein bisschen überrascht, dass das einmal jetzt vor allen Dingen durch die Proteste in Polen, auf einmal eine massenmediale Begeisterung und auch im Netz auf einmal eine große Aufmerksamkeit auf das Thema gelenkt wurde. Wir haben auf unserer Seite digitalegesellschaft.de auch viele Informationen, an wen man sich im Europaparlament wenden kann, mit welchen Argumenten, und davon machen schon genug Menschen Gebrauch. Wir hören immer wieder von Europaabgeordneten, die gegen ACTA sind, zum Beispiel, dass sie sich freuen, dass so viele Menschen bei so einem komplizierten Thema sich an ihre gewählten Volksvertreter wenden. Auf der anderen Seite gibt es natürlich welche, die sind davon genervt, aber das ist ihr Job als gewählte Volksvertreter, dass sie sich auch mal Bürgerwillen anhören müssen.
Raith: Aber dennoch hat man den Eindruck, kommt die Debatte ja relativ spät, zumindest die öffentliche Debatte, wenn man überlegt, dass schon seit 2008 verhandelt wird.
Beckedahl: Ja, es wurde sogar seit 2006 schon verhandelt. Das Problem war, dass man eine Zeit lang noch nicht mal transparent gemacht hat, dass man das Ganze verhandelt. Die Zwischenstände, die hat man dann auf Wikileaks gelesen, inklusive einer ganzen Menge Horrorforderungen, die da teilweise drin standen, wie eine verpflichtende Einführung von Netzsperren und so weiter – und erst auf Druck der Öffentlichkeit, erst auf Druck der EU-Parlamentarier hat dann die EU-Kommission zum Schluss überhaupt erst mal den Vertrag veröffentlicht, allerdings ohne diese ganzen Zusatzprotokolle. Und das führt dann teilweise zu leicht unwürdigen Situationen im EU-Parlament, wenn zum Beispiel dort gewählte Abgeordnete über eine juristische Studie des Juristischen Dienstes des EU-Parlaments diskutieren mussten, aber hinter verschlossenen Türen, damit die Öffentlichkeit bloß daran nicht teilnehmen kann.
Raith: Umso lauter auf der anderen Seite sind ja im Moment die Gegner. Haben Sie das Gefühl, das handle sich noch um eine sachliche Debatte? Auch Sie haben eben von Showdown gesprochen, von Zensur, von Überwachung ist da die Rede.
Beckedahl: Was heißt sachliche Debatte, also ich glaube, an ACTA sehen wir gerade das Unbehagen vor allen Dingen einer jungen Generation mit einem anderen Mediennutzungsverhalten mit diesem alten, verkrusteten Urheberrecht. Jeder, der im Netz aktiv soziale Medien nutzt, begeht eigentlich die ganze Zeit Urheberrechtsverletzung, ob wissentlich oder unwissentlich, und dabei geht es noch nicht mal darum, dass man irgendwie Musik herunterlädt, sondern dass man einfach nur Medienkompetenz zeigt und kreativ zum Sender wird. Darauf ist das Urheberrecht nicht eingestellt, und seit zehn Jahren erleben wir eine Debatte nach der anderen, dass halt einseitig die Rechte der Allgemeinheit hier genommen werden zugunsten der Rechteinhaber, dass immer radikalere Maßnahmen durchgesetzt werden sollen, und bei ACTA ist auf einmal der Moment da, wo eine europäische Zivilgesellschaft sagt, jetzt reicht es, wir wollen über eine Form des Urheberrechts reden und nicht eine weitere Zementierung des Status quo.
Raith: Aber haben Sie das Gefühl, all die Tausenden, die gerade auf die Straße strömen, strömen deswegen auf die Straße, weil sie eine Reform des Urheberrechts wollen – wie Sie es jetzt formulieren –, oder weil sie einfach eben auf diese Wörter anspringen, also auf Zensur, auf Überwachung, auf die Gefahr der Freiheit für das Internet?
Beckedahl: Ja, das wird wahrscheinlich Hälfte-Hälfte sein, ich kann es nicht genau sagen. Ich werde mir das heute erst um 13:00 Uhr in Berlin anschauen, heute sind ja über 60 Demonstrationen allein in Deutschland, aber im Endeffekt hat es ja einen positiven Effekt. Ich meine, wann sind schon mal so viele junge Menschen, die bisher teilweise noch gar nichts mit Politik zu tun hatten, politisiert worden? Und wann haben sich schon mal in letzter Zeit so viele Menschen um Werte wie Freiheit und gegen Überwachung engagiert? Also ich finde das aus demokratischer Sicht sehr positiv. Und natürlich wäre es halt toll, wenn man eine sachlichere Debatte hinbekommen würde, aber wenn die – quasi, nennen wir sie mal – Gegenseite so intransparent spielt und dann halt diesen ganzen Prozess eigentlich ja gar nicht kommuniziert hat, dann muss sie sich auch nicht darüber wundern, dass auf einmal die Menschen, die keine Ahnung von Jura haben, die einfach nur Werte vertreten, Werte wie Freiheit, Demokratie, Partizipation, auf die Straße gehen und Nein sagen.
Raith: Glauben Sie denn eigentlich, dass Gegner und Befürworter in Sachen ACTA irgendwie noch zusammenkommen können?
Beckedahl: Also bei ACTA glaube ich nicht mehr, dass man da noch zusammenkommen kann, weil der Verhandlungsprozess ist abgeschlossen, jetzt geht es nur darum, ACTA zuzustimmen oder nein zu sagen. Und wir sagen ganz klar, jetzt Nein sagen, man kann dann gerne einen neuen Prozess starten, der offener gestaltet ist, der auf internationaler Ebene vielleicht noch einen Multi-Stakeholder-Prozess irgendwie nach eingeführten Ritualen wie bei der WIPO gestaltet ist. Aber dieses aktuelle Abkommen, dem können wir nicht zustimmen, und da hilft jetzt auch kein Dialog in den nächsten Monaten.
Raith: Sagt Markus Beckedahl, Gründer des Blogs netzpolitik.org und Vorsitzender des Vereins Digitale Gesellschaft. Haben Sie herzlichen Dank für das Gespräch!
Beckedahl: Vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.