Jasper Barenberg: Es war ein Etappensieg für die mehreren zehntausend meist jungen Leute, die am vergangenen Wochenende überall in Deutschland protestiert haben und auch in Europa. Die Bundesregierung wird das ausgehandelte internationale Abkommen zum Schutz von Urheberrechten erst einmal nicht unterzeichnen. ACTA verpflichtet die Staaten dazu, Regeln gegen Markenpiraten und Raubkopierer zu erlassen - nicht nur, aber auch im Internet. Die Netzgemeinde sieht dadurch Bürgerrechte in Gefahr, fürchtet eine Art Zensur im Internet. Das bestreitet die Regierung und doch sehen sich inzwischen Politiker aller Parteien genötigt, auf die Kritiker zuzugehen. Über diese Kehrtwende geärgert hat sich der Bundesverband der deutschen Industrie, dort beschäftigt sich Holger Lösch in der Hauptgeschäftsführung mit dem Thema, er ist jetzt am Telefon. Schönen guten Morgen!
Holger Lösch: Guten Morgen, Herr Barenberg.
Barenberg: Herr Lösch, an dem Ziel, geistiges Eigentum wirksam zu schützen, hält die Bundesregierung ausdrücklich fest, bezeichnet auch das ACTA-Abkommen weiter für notwendig und für richtig. Die Bundesregierung will nur sicherstellen, dass damit nicht Informationsfreiheiten von uns allen im Netz eingeschränkt werden. Was ist an dieser Haltung falsch?
Lösch: Das Problem ist, dass dieser Vertrag über Jahre ausgehandelt wurde. Es handelt sich um ein völkerrechtliches Abkommen und bislang haben 22 EU-Staaten unterzeichnet und die EU selbst auch, und übrig geblieben sind jetzt Polen, Tschechien, Lettland und die Slowakei und eben Deutschland. Und da es bei diesem Abkommen ja darum geht zu demonstrieren, wie wichtig Innovation und der Schutz von Innovation und der Schutz von geistigem Eigentum ist - ein Thema, was für Deutschland immens wichtig ist in seiner Rolle als vielfacher Weltmarktführer -, da befinden wir uns in einer schwierigen Gesellschaft und dieses deutsche Vorgehen ist kein gutes Signal für das eigentliche Ziel, nämlich genau dieses zu schützen, geistiges Eigentum und eben auch Innovationen.
Barenberg: Aber wenn, wie Sie selber sagen, es ja eine ganze Reihe von Staaten gibt, wo sich Bedenken inzwischen angesammelt haben, Vorbehalte gegen dieses Projekt, muss man dann nicht einfach noch mal den Reset-Knopf drücken und neu anfangen?
Lösch: Dieses Gesetz ist in fast fünf Jahren verhandelt worden, es gab elf Verhandlungsrunden, es waren zwei deutsche Ministerien beteiligt, die bei zehn von diesen elf Verhandlungsrunden dabei waren, es wurde der Bundestagsunterausschuss Europarecht damit befasst - also es ist ja nicht so, dass hier ein geheimes Abkommen entstanden ist und dieses geheime Abkommen nun plötzlich das Licht der Welt erblickt hat. Das ist ein ganz intensiver Verhandlungsprozess gewesen. Das Problem, das wir als Industrie haben, die in hohem Maße von Produktpiraterie betroffen ist - wir reden hier über Schäden von geschätzten 500 Milliarden Euro, die jährlich entstehen, nicht nur in Deutschland, aber generell durch Produktpiraterie: Wir können eigentlich nicht verstehen, warum ein so lange verhandeltes Abkommen nun plötzlich - und ich will das nicht unterstellen, aber angesichts einiger tausend Demonstranten - nicht mehr sorgfältig verhandelt gewesen sein soll.
Barenberg: Nun gibt es ja offenbar innerhalb der Bundesregierung und auch, was die Demonstranten auf der Straße angeht, keine Einwände dort, wo es um gefälschte Produkte geht, also um Medikamente, Spielzeug, Elektronik und einiges andere mehr. Wohl aber, wenn es um die Rechte, die Gewohnheiten, die Freiheitsmöglichkeiten im Netz geht. Da ist die Kritik massiv. Muss man nicht gerade in diesem Punkt dann auf solche berechtigten Vorbehalte eingehen?
Lösch: Es ist sicher richtig, dass wir eine in den letzten Monaten und vielleicht auch Jahren verstärkte Debatte über die Frage, wie funktioniert Urheberrecht im Netz, wie funktionieren Geschäftsmodelle in der neuen digitalen Welt, haben. Ich sehe da allerdings ein Problem, wenn in dieser Debatte eine für uns völlig klare rote Linie verwischt wird, und das ist die rote Linie von Kriminalität. Die Frage von meins und deins kann durch noch so viel Netzromantik nicht neu gestellt werden.
Barenberg: Wo wird die verwischt, diese rote Linie?
Lösch: Wenn Sie sich die Äußerungen und Kommentare anschauen, da wird doch sehr, sehr lax mit der Frage umgegangen, was ist denn nun ein Eigentumsrecht, was ist denn nun Urheberrecht. Es gibt Debatten, die dahin gehen, dass eigentlich Urheberrecht der Bremser für Kreativität im Netz ist. Das sind natürlich Dinge, die ein Land wie Deutschland - und wir haben in diesem Land allein in der Industrie 1500 Unternehmen, klein und groß, die in irgendeinem Gebiet Weltmarktführer sind. Diese Unternehmen geben enorm viel Geld und sehr viel Mühe wenden sie auf, um diese Position, ihre Innovation, ihre Patente, ihre Urheberrechte zu schützen. Und da kann man nicht sagen, das Urheberrecht behindert so ein bisschen die Kreativität im Netz.
Barenberg: Der Standpunkt der Kritiker ist ja, Informationen und Daten sollten im Netz frei ausgetauscht werden können, jedenfalls solange die Nutzer damit keine kommerziellen Ziele verfolgen. Ist das ein richtiger Grundsatz?
Lösch: Das ist ja auch von ACTA überhaupt nicht berührt. Man muss vielleicht ganz klar sagen: Die deutsche Urheberrechtsgesetzgebung ist bei weitem rigider, das angewandte Recht, als das, was in ACTA nun niedergeschrieben ist. Wozu ist ACTA da? ACTA ist dazu da, um auf völkerrechtlicher Ebene, ich will es mal flapsig formulieren, den moralischen Grundwasserspiegel für das Thema Urheberrechte und Produktpiraterie zu heben. Ursprünglich wollte man China und auch Indien und andere Länder in dieses Abkommen mit reinnehmen, Länder, wo wir wissen, dass es ein enormes Produktfälschungs- und Piraterieproblem gibt. Die haben dann nicht mitgemacht. Aber es ist aus unserer Sicht ein Fortschritt, dass inzwischen nun 39 Länder sich quasi gewissen Mindeststandards für die Frage, wie gehen wir mit Produktpiraterie um, anschließen wollen, und diese Chance wird aus unserer Sicht mit der Rolle rückwärts der Bundesregierung nun natürlich zumindest verzögert, aber auch in der Diskussion natürlich in hohem Maße in Frage gestellt.
Barenberg: Um es mal auf den Punkt zu bringen, oder den Versuch zu machen, das praktisch zu machen: Internet-Provider sollen dazu gebracht werden, die Online-Nutzung ihrer Kunden zu überwachen, zum Beispiel auf Urheberrechtsverletzungen. Sind Sie dafür?
Lösch: Internet-Provider sind heute an der Stelle; sie haben Haftungsbeschränkungen. Das heißt, sie sind nicht - weder heute, noch mit ACTA; ACTA schafft da kein neues Recht in Deutschland - verpflichtet, allgemeine Überwachungspflichten zu machen, sondern sie müssen erst, wenn sie Kenntnis erlangen von rechtswidrigen Inhalten, von Vertrieb von gefälschten Produkten etc., Maßnahmen gegen Nutzer vornehmen. Das ist heute gelebte Praxis. Und ACTA ist an dieser Stelle wesentlich unspezifischer, auch eben aus diesem Grund, weil es zwischen so vielen Ländern verhandelt wurde, dass ist an manchen Stellen dann wirklich schwammig. Das deutsche Recht ist da wesentlich spezifischer. Aber es ist an keiner Stelle in ACTA zu lesen, dass nun die Internet-Provider Hilfssheriffs werden müssen. Ich frage mich allerdings auch: Eine Bank muss auch sich mit der Frage befassen, was ist denn nun, ist hier möglicherweise ein Geldwäschevorgang im Gange. Es gibt auch für andere Branchen, Dienstleister, klare Regeln, wie sie mit Verdächten und mit Ansatzpunkten für kriminelle Handlungen umgehen müssen, und nur hierum geht es. Und alles, was privat ist, die private Kopie, das private Nutzen von Internet, ist von all diesen Gesetzen im Rahmen unseres Urheberrechts überhaupt nicht berührt. Es geht schlicht und ergreifend um Kriminalität und um quasi gewerblichen Missbrauch von bestehenden Eigentumsrechten.
Barenberg: Aagt Holger Lösch, in der Hauptgeschäftsführung beim Bundesverband der deutschen Industrie zuständig unter anderem für das Thema ACTA. Vielen Dank für das Gespräch.
Lösch: Vielen Dank.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Holger Lösch: Guten Morgen, Herr Barenberg.
Barenberg: Herr Lösch, an dem Ziel, geistiges Eigentum wirksam zu schützen, hält die Bundesregierung ausdrücklich fest, bezeichnet auch das ACTA-Abkommen weiter für notwendig und für richtig. Die Bundesregierung will nur sicherstellen, dass damit nicht Informationsfreiheiten von uns allen im Netz eingeschränkt werden. Was ist an dieser Haltung falsch?
Lösch: Das Problem ist, dass dieser Vertrag über Jahre ausgehandelt wurde. Es handelt sich um ein völkerrechtliches Abkommen und bislang haben 22 EU-Staaten unterzeichnet und die EU selbst auch, und übrig geblieben sind jetzt Polen, Tschechien, Lettland und die Slowakei und eben Deutschland. Und da es bei diesem Abkommen ja darum geht zu demonstrieren, wie wichtig Innovation und der Schutz von Innovation und der Schutz von geistigem Eigentum ist - ein Thema, was für Deutschland immens wichtig ist in seiner Rolle als vielfacher Weltmarktführer -, da befinden wir uns in einer schwierigen Gesellschaft und dieses deutsche Vorgehen ist kein gutes Signal für das eigentliche Ziel, nämlich genau dieses zu schützen, geistiges Eigentum und eben auch Innovationen.
Barenberg: Aber wenn, wie Sie selber sagen, es ja eine ganze Reihe von Staaten gibt, wo sich Bedenken inzwischen angesammelt haben, Vorbehalte gegen dieses Projekt, muss man dann nicht einfach noch mal den Reset-Knopf drücken und neu anfangen?
Lösch: Dieses Gesetz ist in fast fünf Jahren verhandelt worden, es gab elf Verhandlungsrunden, es waren zwei deutsche Ministerien beteiligt, die bei zehn von diesen elf Verhandlungsrunden dabei waren, es wurde der Bundestagsunterausschuss Europarecht damit befasst - also es ist ja nicht so, dass hier ein geheimes Abkommen entstanden ist und dieses geheime Abkommen nun plötzlich das Licht der Welt erblickt hat. Das ist ein ganz intensiver Verhandlungsprozess gewesen. Das Problem, das wir als Industrie haben, die in hohem Maße von Produktpiraterie betroffen ist - wir reden hier über Schäden von geschätzten 500 Milliarden Euro, die jährlich entstehen, nicht nur in Deutschland, aber generell durch Produktpiraterie: Wir können eigentlich nicht verstehen, warum ein so lange verhandeltes Abkommen nun plötzlich - und ich will das nicht unterstellen, aber angesichts einiger tausend Demonstranten - nicht mehr sorgfältig verhandelt gewesen sein soll.
Barenberg: Nun gibt es ja offenbar innerhalb der Bundesregierung und auch, was die Demonstranten auf der Straße angeht, keine Einwände dort, wo es um gefälschte Produkte geht, also um Medikamente, Spielzeug, Elektronik und einiges andere mehr. Wohl aber, wenn es um die Rechte, die Gewohnheiten, die Freiheitsmöglichkeiten im Netz geht. Da ist die Kritik massiv. Muss man nicht gerade in diesem Punkt dann auf solche berechtigten Vorbehalte eingehen?
Lösch: Es ist sicher richtig, dass wir eine in den letzten Monaten und vielleicht auch Jahren verstärkte Debatte über die Frage, wie funktioniert Urheberrecht im Netz, wie funktionieren Geschäftsmodelle in der neuen digitalen Welt, haben. Ich sehe da allerdings ein Problem, wenn in dieser Debatte eine für uns völlig klare rote Linie verwischt wird, und das ist die rote Linie von Kriminalität. Die Frage von meins und deins kann durch noch so viel Netzromantik nicht neu gestellt werden.
Barenberg: Wo wird die verwischt, diese rote Linie?
Lösch: Wenn Sie sich die Äußerungen und Kommentare anschauen, da wird doch sehr, sehr lax mit der Frage umgegangen, was ist denn nun ein Eigentumsrecht, was ist denn nun Urheberrecht. Es gibt Debatten, die dahin gehen, dass eigentlich Urheberrecht der Bremser für Kreativität im Netz ist. Das sind natürlich Dinge, die ein Land wie Deutschland - und wir haben in diesem Land allein in der Industrie 1500 Unternehmen, klein und groß, die in irgendeinem Gebiet Weltmarktführer sind. Diese Unternehmen geben enorm viel Geld und sehr viel Mühe wenden sie auf, um diese Position, ihre Innovation, ihre Patente, ihre Urheberrechte zu schützen. Und da kann man nicht sagen, das Urheberrecht behindert so ein bisschen die Kreativität im Netz.
Barenberg: Der Standpunkt der Kritiker ist ja, Informationen und Daten sollten im Netz frei ausgetauscht werden können, jedenfalls solange die Nutzer damit keine kommerziellen Ziele verfolgen. Ist das ein richtiger Grundsatz?
Lösch: Das ist ja auch von ACTA überhaupt nicht berührt. Man muss vielleicht ganz klar sagen: Die deutsche Urheberrechtsgesetzgebung ist bei weitem rigider, das angewandte Recht, als das, was in ACTA nun niedergeschrieben ist. Wozu ist ACTA da? ACTA ist dazu da, um auf völkerrechtlicher Ebene, ich will es mal flapsig formulieren, den moralischen Grundwasserspiegel für das Thema Urheberrechte und Produktpiraterie zu heben. Ursprünglich wollte man China und auch Indien und andere Länder in dieses Abkommen mit reinnehmen, Länder, wo wir wissen, dass es ein enormes Produktfälschungs- und Piraterieproblem gibt. Die haben dann nicht mitgemacht. Aber es ist aus unserer Sicht ein Fortschritt, dass inzwischen nun 39 Länder sich quasi gewissen Mindeststandards für die Frage, wie gehen wir mit Produktpiraterie um, anschließen wollen, und diese Chance wird aus unserer Sicht mit der Rolle rückwärts der Bundesregierung nun natürlich zumindest verzögert, aber auch in der Diskussion natürlich in hohem Maße in Frage gestellt.
Barenberg: Um es mal auf den Punkt zu bringen, oder den Versuch zu machen, das praktisch zu machen: Internet-Provider sollen dazu gebracht werden, die Online-Nutzung ihrer Kunden zu überwachen, zum Beispiel auf Urheberrechtsverletzungen. Sind Sie dafür?
Lösch: Internet-Provider sind heute an der Stelle; sie haben Haftungsbeschränkungen. Das heißt, sie sind nicht - weder heute, noch mit ACTA; ACTA schafft da kein neues Recht in Deutschland - verpflichtet, allgemeine Überwachungspflichten zu machen, sondern sie müssen erst, wenn sie Kenntnis erlangen von rechtswidrigen Inhalten, von Vertrieb von gefälschten Produkten etc., Maßnahmen gegen Nutzer vornehmen. Das ist heute gelebte Praxis. Und ACTA ist an dieser Stelle wesentlich unspezifischer, auch eben aus diesem Grund, weil es zwischen so vielen Ländern verhandelt wurde, dass ist an manchen Stellen dann wirklich schwammig. Das deutsche Recht ist da wesentlich spezifischer. Aber es ist an keiner Stelle in ACTA zu lesen, dass nun die Internet-Provider Hilfssheriffs werden müssen. Ich frage mich allerdings auch: Eine Bank muss auch sich mit der Frage befassen, was ist denn nun, ist hier möglicherweise ein Geldwäschevorgang im Gange. Es gibt auch für andere Branchen, Dienstleister, klare Regeln, wie sie mit Verdächten und mit Ansatzpunkten für kriminelle Handlungen umgehen müssen, und nur hierum geht es. Und alles, was privat ist, die private Kopie, das private Nutzen von Internet, ist von all diesen Gesetzen im Rahmen unseres Urheberrechts überhaupt nicht berührt. Es geht schlicht und ergreifend um Kriminalität und um quasi gewerblichen Missbrauch von bestehenden Eigentumsrechten.
Barenberg: Aagt Holger Lösch, in der Hauptgeschäftsführung beim Bundesverband der deutschen Industrie zuständig unter anderem für das Thema ACTA. Vielen Dank für das Gespräch.
Lösch: Vielen Dank.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.