Am Mikrophon ist heute abend Karin Beindorff, herzlich willkommen. Aus zwei ganz unterschiedlichen Perspektiven soll es hier zunächst um die Geschichte des Kongo gehen. Der belgische Kolonialismus wird untersucht, außerdem die Versuche des kubanischen Revolutionärs Ernesto Guevara, die Revolution nach Afrika zu tragen. Dann beschäftigen wir uns mit deutscher Geschichtsforschung in der Emigration und dem Fernsehen des Filmemachers Alexander Kluge. Zuletzt stellen wir zwei Bücher zum gerade heiß umstrittenen Thema einer neuen Rechtsform für homosexuelle Paare vor.
Wenn von den großen Verbrechen der jüngeren Geschichte die Rede ist, fällt den meisten die Massenvernichtung durch den Nationalsozialismus ein, die Toten des Sowjetregimes, vielleicht noch die Massenmorde der Roten Khmer. Gänzlich verdrängt werden die Verbrechen des europäischen Kolonialismus vor allem in Afrika. So ist es wohl auch kein Zufall, dass mit Adam Hochschildt ein us-amerikanischer Journalist nun in einer ebenso bedrückenden wie beeindruckenden Studie die Terrorherrschaft des belgischen Königs Leopold II im Kongo ans Licht der Öffentlichkeit gebracht hat. "Schatten über dem Kongo" ist ein Buch, das an den Wurzeln des europäischen Selbstverständnisses nagt. Diese Geschichte eines der großen, fast vergessenen Menschheitsverbrechen hat für uns Mekonnen Mesghena besprochen.
Die Europäer sind gewöhnlich recht fleißig, wenn es darum geht, die eigene Geschichte zu pflegen. Brüssel, die prunkvolle Hauptstadt des Kontinents, ist ein lebendiger Beweis dieses historischen Bewußtseins. Andere europäische Städte stehen dem in nichts nach. Doch Europa verschweigt bei der Pflege der Vergangenheit konstant einen entscheidenden Abschnitt seiner eigenen und der Weltgeschichte: den Kolonialismus. Belgische Beamte verbrannten zum Beispiel massenweise Dokumente, damit belastendes Material über die belgische Schreckensherrschaft im Kongo-Staat nicht entdeckt werden konnte. Selbst die eigenen Staatsbediensteten hatten bis vor etwa 20 Jahren keinerlei Zugang zu den Archiven des belgischen Außenministeriums.
Adam Hochschilds Buch "Schatten über dem Kongo" verfolgt nun erstmals die blutigen Spuren des europäischen, in diesem Fall belgischen Kolonialismus in Afrika bis in alle verfügbaren Einzelheiten; Spuren, die tief in die Grundfesten Europas reichen. Hochschildts Blick auf die Ereignisse enthüllt schnell die Erklärung für das beharrliche Totschweigen. Im 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert war Afrika für Europäer nichts weiter als ein unbewohntes Stück Land, über das der Eigentümer nach Gutdünken verfügen konnte. Henry Morton Stanly, heute noch als Entdeckungsreisender gefeiert, beschrieb Afrika als "unbevölkertes Land" - nicht etwa, weil er dort keine Menschen gesehen hätte, sondern weil es sich "nur" um Eingeborene handelte. Stanley, selbst ein Deserteur der US-Marine, schrieb:
Wenn Schlamm und Nässe den zur Faulheit Neigenden die Kraft geraubt hatte, tat eine Hundepeitsche ihrem Rücken gut und ließ sie eine gesunde, manchmal sogar eine außerordentliche Tatkraft zurückgewinnen.
Anhand Hochschilds vielseitiger Betrachtung der politischen Verhältnisse und Allianzen der damaligen Zeit lässt sich aber auch präzise erkennen, dass sich die Methoden, des Reichtums anderer habhaft zu werden, bis heute kaum grundlegend geändert haben: Vortäuschung humanitärer Ziele, Lobbyismus, Korruption, Manipulation.
Der König der Belgier, Leopold II., beherrschte diese Ränkespiele perfekt. Er war ein Meister der Ablenkung und des Täuschens und besaß nicht die geringsten Skrupel, Urkunden zu fälschen oder zu manipulieren, um seiner Gier nach kolonialem Besitz und dadurch bedingter Macht zuhause näher zu kommen. Dank seiner Propaganda-Winkelzüge und politischer Inszenierungen gelang es Leopold schließlich, sich seinen Traum zu erfüllen. Unter dem Vorwand, Zivilisation zu verbreiten, begann das große Abschlachten.
Die Berliner Afrika-Konferenz 1884/85 war für Leopolds Strategie ein entscheidender historischer Moment, in dem das Schicksal des eroberten Kontinents am Konferenztisch besiegelt wurde. Dort erhielt der belgische Herrscher sein Stück vom Kuchen - den Kongo-Staat. Er wurde Kaiser, privater Eigentümer des Kongo ohne jede Einschränkung. Sein neuer Privatbesitz war 76-mal größer als Belgien selbst. Während die schwarzen Bewohner des Kongo nun Gefangene und Sklaven des weißen Mannes wurden, nahmen sich die fremden Europäer die Freiheit, ungehemmt zu stehlen und zu töten. Ein junger Offizier schrieb nach Hause: "Hier ist man alles: Krieger, Diplomat, Händler!"
Wer zu schwach war oder es gar wagte, die Arbeit zu verweigern, wurde kaltblütig abgeknallt. Ganze Dörfer wurden gefangen genommen, die Frauen vergewaltigt. In Belgien selbst erregten die sexuellen Eskapaden des Königs weit mehr Empörung als die Grausamkeiten, die seine Handlanger in Afrika verübten. Die meisten Europäer wollten es nicht wahr haben, dass Belgier, Angehörige eines "kultivierten" Volkes, derlei Greueltaten begangen haben könnten. Anderen wiederum waren die Brutalitäten ziemlich egal, da es sich bei den Opfern ja lediglich um Schwarze handelte.
Die Erfindung des Gummischlauchs durch den irischen Tierarzt John Dunlop um 1890 sollte eine dramatische Auswirkung auf die Menschen der gesamten zentralafrikanischen Region haben. Denn fast die Hälfte von Leopolds Kongo-Staat war bedeckt von wildem Kautschuk, dessen Ranken sich meterhoch in die Bäume schlängelten. Diese Pflanzen machten den Kongo damals zur profitabelsten Kolonie ganz Afrikas. Und damit begann der Kautschuk-Terror. Menschen wurden brutal gejagt und ganze Dörfer gezwungen, Rohkautschuk aus einer Höhe von bis zu 35 Meter und mehr anzuzapfen. Der Geistliche John Harris hat zu Papier gebracht, was geschah, wenn die Kautschuk-Körbe nicht das geforderte Gewicht erreichten:
"Der Befehl ist unmenschlich knapp und scharf... Rasch und ohne Unterlass sauste die Peitsche herunter, und ihre scharfen, gerippten Enden schneiden tief ins Fleisch ein, an Rücken, Schultern und Gesäß spritzt das Blut aus einem Dutzend Wunden... Hundert Hiebe für jeden, und zurück bleiben ... leblose Körper mit blutenden Wunden und bebenden Leibern auf dem glitzernden Sand der Kautschuksammelstationen."
Adam Hochschild zeichnet mit Hilfe vieler Detailbeobachtungen die Charakterzüge von Menschen nach, die fern der christlichen Heimat zu derartiger Barbarei fähig waren. Die Forscher, Militärs und Abenteurer, die Afrika für Europa in Besitz nahmen, waren ruhelose, oft glücklose Menschen, auf der Flucht vor ihrer Vergangenheit oder vor sich selbst. Der Offizier René de Permentier zählte zu diesen Gestalten, die ihre bürgerlich-christliche Moral problemlos in Europa zurücklassen konnten. Um sein Haus herum ließ er sämtliche Büsche und Bäume ausreißen, um Passanten als Zielscheibe aufs Korn zu nehmen. Fand er in seinem Hof ein einziges Blatt, köpfte er ein Dutzend der Frauen, die für ihn fegen mußten. Meinte er, ein Weg durch den Wald sei nicht gut in Ordnung gehalten, ließ er ein Kind töten. Andere Kolonialherren ließen Menschen an den Füßen aufhängen und Feuer unter ihnen entzünden, damit sie zu Tode geröstet wurden.
Es gab nur wenige - viel zu wenige -, die ihre Stimme gegen die brutale Herrschaft König Leopolds erhoben. Die US-Amerikaner George Washington Williams und William Sheppard waren die ersten mutigen Männer, die der Welt die Augen über die belgischen Verbrechen im Kongo zu öffnen versuchten und damit Kopf und Kragen riskierten. In den Berichten von anderen Forschungsreisenden wurden ihre Schilderungen nicht erwähnt: Williams und Sheppard waren beide schwarz.
Zwei andere Kritiker stammten aus dem britischen Empire. Edmund Dene Morel und John Casement lehrten den König der Belgier - auch "König der Bestien" genannt - zum ersten Mal das Fürchten. Morel bewegte vom Erzbischof von Canterbury, über Anatol France bis hin zum us-amerikanischen Präsidenten Theodore Roosevelt viele Menschen dazu, vor dem mörderischen Treiben in Afrika nicht die Augen zu verschließen. Es bleibt von historischer Bedeutung, wie es Morel und Casement mit der ersten internationalen Menschenrechtsorganisation "Congo Reform Association" gelang, ein Jahrzehnt lang die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf das so weit entfernte afrikanische Land zu richten - eine politische Kampagne, die heute fast vergessen ist.
Der Kautschukboom ab Mitte der neunziger Jahre des 19. Jahrhunderts verursachte den Höhepunkt des Massenmordes im Kongo. Die tatsächliche Opferzahl kann nur geschätzt werden, denn nur ganz wenige Regierungsbeamte führten Statistiken über etwas so Unwesentliches wie afrikanische Menschenleben. In einem stimmen wissenschaftliche Schätzungen indes überein: Zwischen 1880 und 1920 wurde die Bevölkerung Kongos um mindestens die Hälfte reduziert. In absoluten Zahlen bedeutet das: Leopolds Terrorherrschaft kostete zwischen acht und zehn Millionen Menschen das Leben.
Hochschild geht an die Zeit des belgischen Kolonialismus im Kongo nicht mit dem Gestus des Allwissenden heran, was seiner Untersuchung sehr zugute kommt. Der Autor kann nicht allzuviel offiziell zugängliches Material aufweisen. Hochschild durchstöberte zahlreiche Bibliotheken, Archive von Missionaren und Historikern. Er nutzte alle verfügbaren Berichte, Briefe und Tagebücher damaliger Zeitgenossen, die nun zum ersten Mal ein Gesamtbild möglich machen. Aus diesen akribischen Recherchen entstand ein ebenso erschütterndes wie beeindruckendes Werk über die Epoche und ihre Zeitgenossen. In Hochschilds Buch fehlen jedoch vergleichbar viele afrikanische Augenzeugenberichte. Aufgrund der Quellenlage ist die gesamte Perspektive eurozentristisch. Hochschild ist sich dieses Mangels bewusst und spricht ihn deutlich an.
Mit der längst überfälligen Aufklärung über die kolonialen Verbrechen ist die Geschichte der Greuel aber noch nicht zuende erzählt: Despotismus und Terrorherrschaft blieben in vielen Ländern Afrikas Alltag - auch nach dem Ende der Kolonialära. In die Fußstapfen der belgischen Herrschaft im Kongo trat Joseph Désiré Mobutu, an dessen Händen als Ex-Unteroffizier der alten kolonialen Force Publique ebenfalls schon Blut klebte. Er begann seine Laufbahn als vom Westen gehätschelter Diktator mit einer historischen Großtat: der Ermordung des ersten und visionären Premierministers des Kongo, Patrice Lumumba - im Auftrag der us-amerikanischen CIA.
Mobutus Angewohnheit, einfach Geld zu drucken, wenn er es brauchte, erinnert an nichts so sehr, wie an Leopolds neu gedruckte Kongo-Obligationen. Nach 32 Jahren Herrschaft über Zaire wurde das persönliche Vermögen Mobutus immerhin auf vier Milliarden Dollar geschätzt.
Mekonnen Mesghena besprach "Schatten über dem Kongo. Die Geschichte eines großen, fast vergessenen Menschheitsverbrechens" von Adam Hochschild, erschienen im Verlag Klett Cotta. Das Buch hat 494 Seiten und kostet 49,80 DM.
Wenn von den großen Verbrechen der jüngeren Geschichte die Rede ist, fällt den meisten die Massenvernichtung durch den Nationalsozialismus ein, die Toten des Sowjetregimes, vielleicht noch die Massenmorde der Roten Khmer. Gänzlich verdrängt werden die Verbrechen des europäischen Kolonialismus vor allem in Afrika. So ist es wohl auch kein Zufall, dass mit Adam Hochschildt ein us-amerikanischer Journalist nun in einer ebenso bedrückenden wie beeindruckenden Studie die Terrorherrschaft des belgischen Königs Leopold II im Kongo ans Licht der Öffentlichkeit gebracht hat. "Schatten über dem Kongo" ist ein Buch, das an den Wurzeln des europäischen Selbstverständnisses nagt. Diese Geschichte eines der großen, fast vergessenen Menschheitsverbrechen hat für uns Mekonnen Mesghena besprochen.
Die Europäer sind gewöhnlich recht fleißig, wenn es darum geht, die eigene Geschichte zu pflegen. Brüssel, die prunkvolle Hauptstadt des Kontinents, ist ein lebendiger Beweis dieses historischen Bewußtseins. Andere europäische Städte stehen dem in nichts nach. Doch Europa verschweigt bei der Pflege der Vergangenheit konstant einen entscheidenden Abschnitt seiner eigenen und der Weltgeschichte: den Kolonialismus. Belgische Beamte verbrannten zum Beispiel massenweise Dokumente, damit belastendes Material über die belgische Schreckensherrschaft im Kongo-Staat nicht entdeckt werden konnte. Selbst die eigenen Staatsbediensteten hatten bis vor etwa 20 Jahren keinerlei Zugang zu den Archiven des belgischen Außenministeriums.
Adam Hochschilds Buch "Schatten über dem Kongo" verfolgt nun erstmals die blutigen Spuren des europäischen, in diesem Fall belgischen Kolonialismus in Afrika bis in alle verfügbaren Einzelheiten; Spuren, die tief in die Grundfesten Europas reichen. Hochschildts Blick auf die Ereignisse enthüllt schnell die Erklärung für das beharrliche Totschweigen. Im 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert war Afrika für Europäer nichts weiter als ein unbewohntes Stück Land, über das der Eigentümer nach Gutdünken verfügen konnte. Henry Morton Stanly, heute noch als Entdeckungsreisender gefeiert, beschrieb Afrika als "unbevölkertes Land" - nicht etwa, weil er dort keine Menschen gesehen hätte, sondern weil es sich "nur" um Eingeborene handelte. Stanley, selbst ein Deserteur der US-Marine, schrieb:
Wenn Schlamm und Nässe den zur Faulheit Neigenden die Kraft geraubt hatte, tat eine Hundepeitsche ihrem Rücken gut und ließ sie eine gesunde, manchmal sogar eine außerordentliche Tatkraft zurückgewinnen.
Anhand Hochschilds vielseitiger Betrachtung der politischen Verhältnisse und Allianzen der damaligen Zeit lässt sich aber auch präzise erkennen, dass sich die Methoden, des Reichtums anderer habhaft zu werden, bis heute kaum grundlegend geändert haben: Vortäuschung humanitärer Ziele, Lobbyismus, Korruption, Manipulation.
Der König der Belgier, Leopold II., beherrschte diese Ränkespiele perfekt. Er war ein Meister der Ablenkung und des Täuschens und besaß nicht die geringsten Skrupel, Urkunden zu fälschen oder zu manipulieren, um seiner Gier nach kolonialem Besitz und dadurch bedingter Macht zuhause näher zu kommen. Dank seiner Propaganda-Winkelzüge und politischer Inszenierungen gelang es Leopold schließlich, sich seinen Traum zu erfüllen. Unter dem Vorwand, Zivilisation zu verbreiten, begann das große Abschlachten.
Die Berliner Afrika-Konferenz 1884/85 war für Leopolds Strategie ein entscheidender historischer Moment, in dem das Schicksal des eroberten Kontinents am Konferenztisch besiegelt wurde. Dort erhielt der belgische Herrscher sein Stück vom Kuchen - den Kongo-Staat. Er wurde Kaiser, privater Eigentümer des Kongo ohne jede Einschränkung. Sein neuer Privatbesitz war 76-mal größer als Belgien selbst. Während die schwarzen Bewohner des Kongo nun Gefangene und Sklaven des weißen Mannes wurden, nahmen sich die fremden Europäer die Freiheit, ungehemmt zu stehlen und zu töten. Ein junger Offizier schrieb nach Hause: "Hier ist man alles: Krieger, Diplomat, Händler!"
Wer zu schwach war oder es gar wagte, die Arbeit zu verweigern, wurde kaltblütig abgeknallt. Ganze Dörfer wurden gefangen genommen, die Frauen vergewaltigt. In Belgien selbst erregten die sexuellen Eskapaden des Königs weit mehr Empörung als die Grausamkeiten, die seine Handlanger in Afrika verübten. Die meisten Europäer wollten es nicht wahr haben, dass Belgier, Angehörige eines "kultivierten" Volkes, derlei Greueltaten begangen haben könnten. Anderen wiederum waren die Brutalitäten ziemlich egal, da es sich bei den Opfern ja lediglich um Schwarze handelte.
Die Erfindung des Gummischlauchs durch den irischen Tierarzt John Dunlop um 1890 sollte eine dramatische Auswirkung auf die Menschen der gesamten zentralafrikanischen Region haben. Denn fast die Hälfte von Leopolds Kongo-Staat war bedeckt von wildem Kautschuk, dessen Ranken sich meterhoch in die Bäume schlängelten. Diese Pflanzen machten den Kongo damals zur profitabelsten Kolonie ganz Afrikas. Und damit begann der Kautschuk-Terror. Menschen wurden brutal gejagt und ganze Dörfer gezwungen, Rohkautschuk aus einer Höhe von bis zu 35 Meter und mehr anzuzapfen. Der Geistliche John Harris hat zu Papier gebracht, was geschah, wenn die Kautschuk-Körbe nicht das geforderte Gewicht erreichten:
"Der Befehl ist unmenschlich knapp und scharf... Rasch und ohne Unterlass sauste die Peitsche herunter, und ihre scharfen, gerippten Enden schneiden tief ins Fleisch ein, an Rücken, Schultern und Gesäß spritzt das Blut aus einem Dutzend Wunden... Hundert Hiebe für jeden, und zurück bleiben ... leblose Körper mit blutenden Wunden und bebenden Leibern auf dem glitzernden Sand der Kautschuksammelstationen."
Adam Hochschild zeichnet mit Hilfe vieler Detailbeobachtungen die Charakterzüge von Menschen nach, die fern der christlichen Heimat zu derartiger Barbarei fähig waren. Die Forscher, Militärs und Abenteurer, die Afrika für Europa in Besitz nahmen, waren ruhelose, oft glücklose Menschen, auf der Flucht vor ihrer Vergangenheit oder vor sich selbst. Der Offizier René de Permentier zählte zu diesen Gestalten, die ihre bürgerlich-christliche Moral problemlos in Europa zurücklassen konnten. Um sein Haus herum ließ er sämtliche Büsche und Bäume ausreißen, um Passanten als Zielscheibe aufs Korn zu nehmen. Fand er in seinem Hof ein einziges Blatt, köpfte er ein Dutzend der Frauen, die für ihn fegen mußten. Meinte er, ein Weg durch den Wald sei nicht gut in Ordnung gehalten, ließ er ein Kind töten. Andere Kolonialherren ließen Menschen an den Füßen aufhängen und Feuer unter ihnen entzünden, damit sie zu Tode geröstet wurden.
Es gab nur wenige - viel zu wenige -, die ihre Stimme gegen die brutale Herrschaft König Leopolds erhoben. Die US-Amerikaner George Washington Williams und William Sheppard waren die ersten mutigen Männer, die der Welt die Augen über die belgischen Verbrechen im Kongo zu öffnen versuchten und damit Kopf und Kragen riskierten. In den Berichten von anderen Forschungsreisenden wurden ihre Schilderungen nicht erwähnt: Williams und Sheppard waren beide schwarz.
Zwei andere Kritiker stammten aus dem britischen Empire. Edmund Dene Morel und John Casement lehrten den König der Belgier - auch "König der Bestien" genannt - zum ersten Mal das Fürchten. Morel bewegte vom Erzbischof von Canterbury, über Anatol France bis hin zum us-amerikanischen Präsidenten Theodore Roosevelt viele Menschen dazu, vor dem mörderischen Treiben in Afrika nicht die Augen zu verschließen. Es bleibt von historischer Bedeutung, wie es Morel und Casement mit der ersten internationalen Menschenrechtsorganisation "Congo Reform Association" gelang, ein Jahrzehnt lang die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf das so weit entfernte afrikanische Land zu richten - eine politische Kampagne, die heute fast vergessen ist.
Der Kautschukboom ab Mitte der neunziger Jahre des 19. Jahrhunderts verursachte den Höhepunkt des Massenmordes im Kongo. Die tatsächliche Opferzahl kann nur geschätzt werden, denn nur ganz wenige Regierungsbeamte führten Statistiken über etwas so Unwesentliches wie afrikanische Menschenleben. In einem stimmen wissenschaftliche Schätzungen indes überein: Zwischen 1880 und 1920 wurde die Bevölkerung Kongos um mindestens die Hälfte reduziert. In absoluten Zahlen bedeutet das: Leopolds Terrorherrschaft kostete zwischen acht und zehn Millionen Menschen das Leben.
Hochschild geht an die Zeit des belgischen Kolonialismus im Kongo nicht mit dem Gestus des Allwissenden heran, was seiner Untersuchung sehr zugute kommt. Der Autor kann nicht allzuviel offiziell zugängliches Material aufweisen. Hochschild durchstöberte zahlreiche Bibliotheken, Archive von Missionaren und Historikern. Er nutzte alle verfügbaren Berichte, Briefe und Tagebücher damaliger Zeitgenossen, die nun zum ersten Mal ein Gesamtbild möglich machen. Aus diesen akribischen Recherchen entstand ein ebenso erschütterndes wie beeindruckendes Werk über die Epoche und ihre Zeitgenossen. In Hochschilds Buch fehlen jedoch vergleichbar viele afrikanische Augenzeugenberichte. Aufgrund der Quellenlage ist die gesamte Perspektive eurozentristisch. Hochschild ist sich dieses Mangels bewusst und spricht ihn deutlich an.
Mit der längst überfälligen Aufklärung über die kolonialen Verbrechen ist die Geschichte der Greuel aber noch nicht zuende erzählt: Despotismus und Terrorherrschaft blieben in vielen Ländern Afrikas Alltag - auch nach dem Ende der Kolonialära. In die Fußstapfen der belgischen Herrschaft im Kongo trat Joseph Désiré Mobutu, an dessen Händen als Ex-Unteroffizier der alten kolonialen Force Publique ebenfalls schon Blut klebte. Er begann seine Laufbahn als vom Westen gehätschelter Diktator mit einer historischen Großtat: der Ermordung des ersten und visionären Premierministers des Kongo, Patrice Lumumba - im Auftrag der us-amerikanischen CIA.
Mobutus Angewohnheit, einfach Geld zu drucken, wenn er es brauchte, erinnert an nichts so sehr, wie an Leopolds neu gedruckte Kongo-Obligationen. Nach 32 Jahren Herrschaft über Zaire wurde das persönliche Vermögen Mobutus immerhin auf vier Milliarden Dollar geschätzt.
Mekonnen Mesghena besprach "Schatten über dem Kongo. Die Geschichte eines großen, fast vergessenen Menschheitsverbrechens" von Adam Hochschild, erschienen im Verlag Klett Cotta. Das Buch hat 494 Seiten und kostet 49,80 DM.