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Adorno-Preis für Margarethe von Trotta
"Endgültig keine Fremde mehr"

Die Filmemacherin Margarethe von Trotta ist mit dem Adorno-Preis ausgezeichnet worden. In einer bewegenden Rede in der Frankfurter Paulskirche erzählte sie von ihrem Leben als Staatenlose. "Ich war heimatlos", so die Regisseurin. Durch den Preis fühle sie sich nun endlich nicht mehr fremd.

Von Ludger Fittkau |
    Die Regisseurin Margarethe von Trotta bei der Premiere ihres Filmes "Forget about Nick" am 28.11.2017 in Essen.
    Die Regisseurin Margarethe von Trotta (Caroline Seidel/dpa)
    Eine Szene wie aus einem Spielfilm über Flüchtlingsschicksale. Doch es ist keine Fiktion, die Adorno-Preisträgerin Margarethe von Trotta gestern Abend in ihrer Dankesrede entfaltet. Es ist eine bittere Momentaufnahme aus ihrem Leben.
    "Ich fühlte mich im doppelten Sinne allein. Nicht nur ahnungslos, ich war heimatlos."
    Ende einer Reise
    Ein belgischer Grenzbahnhof zu Beginn der 1960er-Jahre. Die kaum zwanzigjährige Studentin will von Paris, wo sie seit ein paar Monaten lebt, mit dem Zug nach Düsseldorf fahren, wo ihre Mutter sie erwartet. Doch an der belgischen Grenze wird sie aus dem Zug geholt. Weil sie keinen deutschen Pass hat, sondern den grauen Pass einer Staatenlosen. Für die Reise von Paris nach Deutschland hätte sie deshalb ein Visum gebraucht - anders als Reisende mit deutschem Pass. Dieses Visum hat sie nicht - die Reise in das Land ihrer Muttersprache ist für die Staatenlose, deren Familie aus Osteuropa stammt, an diesem belgischen Grenzbahnhof zu Ende. Das war nicht die einzige bittere Erfahrung, die Margarethe von Trotta als staatenlose, historisch noch weitgehend ungebildete Studentin machte, erzählte sie gestern Abend unter Tränen in der Frankfurter Paulskirche:
    In der Welt zu Hause
    "Alle zwei Jahre stand ich in einer Schlange von Menschen auf dem Ausländeramt in Düsseldorf, um meine Aufenthaltserlaubnis verlängern zu lassen und dafür zu bezahlen, dass ich eine Fremde war. In Frankreich hätte ich fünf Jahre lang wohnen müssen, um Französin zu werden. In Deutschland musste ich auf einen Mann warten. Ich will verstehen, sagt Hannah Arendt."
    Der Philosophin widmete Margarethe von Trotta später einen unerwartet erfolgreichen Film, so der Filmproduzent Günter Rohrbach, der die Laudatio hielt:
    "Margarethe von Trotta, eine deutsche Filmregisseurin, in Europa sozialisiert und in der Welt zuhause. Ich denke, mindestens das hätte auch Adorno gefallen."
    Doch eigentlich mochte Adorno das Kino nicht. Darauf wiesen sowohl Rohrbach als auch die Frankfurter Kulturdezernentin Ina Hartwig in ihren Reden hin:
    Zeitlose Meisterwerke
    "Adorno, das wissen wir hier in Frankfurt, pflegte ein eher distanziertes Verhältnis zum Film. Nicht zuletzt unter dem Eindruck von Hollywood-Produktionen der 40er-Jahre titulierte er ihn als das drastische Medium der Kulturindustrie. Während der medientheoretisch avancierte Walter Benjamin ein Gleichgewicht von genießender und kritischer Haltung beim Publikum wahrnahm, meinte Adorno, dass der Film die denkende Aktivität des Betrachters geradezu verbiete."
    Da habe sich nun der Frankfurter Großdenker schlichtweg geirrt, so Hartwig, darüber seien sich heute selbst eingefleischte Adorniten einig. Der beste Beweis für diesen Irrtum seien eben die Filme der diesjährigen Adorno-Preisträgerin Margarethe von Trotta:
    Wie alterslos ihre wunderbaren Kinoarbeiten sind, zeigt etwa das Meisterwerk " Die bleierne Zeit", das den Spuren einer RAF-Terroristin folgt und überaus verdient mit dem Goldenen Löwen der Filmfestspiele Venedig ausgezeichnet wurde. Die Zeitstimmung einzufangen, auch das gehört zu den großen Meisterleistungen Margarethe von Trottas.
    Laudator Günter Rohrbach warb noch einmal speziell für die Wiederentdeckung des Trotta-Films "Heller Wahn" aus dem Jahr 1982. Der Film sei damals bei den seinerzeit meist männlichen Filmkritikern wohl vor allem deswegen durchgefallen, weil sie sich damals in dem kritischen Männerbild der Regisseurin nicht gespiegelt sahen, so Rohrbach.
    Unwürdiger Zustand
    Der Kameramann Michael Ballhaus hatte den Film in eine gläserne Kühle getaucht und die Figuren damit in eine gewisse Distanz gerückt, was durch eine exquisite Ausstattung und zum Teil sehr strenge Kostüme noch verstärkt wurde. Es ist der von allen Filmen Trottas noch der Hermetischste, aber auch vielleicht der stilistisch Stärkste.
    Stilistisch konventioneller aber politisch eindrucksvoll: Trottas "Rosa Luxemburg". Die Auseinandersetzung mit ihr geht auf die 68er-Bewegung zurück, zu der die Regisseurin vor 50 Jahren gehörte:
    "Bei den Demonstrationen der 68er fiel mir auf, dass nur ein einziges Bild einer Frau durch die Straßen getragen wurde. Neben Ho Chi Min, Marx, Lenin, das Porträt von Rosa Luxemburg. Sie sah darauf eher melancholisch aus und gar nicht so kämpferisch, wie ich das von einer Revolutionärin erwartet hätte. Dieser Widerspruch machte mich neugierig. Ihre und Karls Liebknechts Ermordung wurden für mich zu Vorboten der Gewalt im 20. Jahrhundert."
    Eine Gewalt, deren Schockwellen sie eben auch selbst erfasst, in dem sie zur Staatenlosen wird. Ein unwürdiger Zustand, den Margarethe von Trotta überraschenderweise erst gestern in der Paulskirche für endgültig überwunden erklärte - mit Adorno:
    "Dass ich heute Abend von der Stadt Frankfurt einen Preis entgegennehmen darf, der mit seinem Namen verbunden ist, macht mich zu einer Person, die in ihrem Land nun endgültig keine Fremde mehr sein muss. Dafür danke ich der Jury."