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Adorno über faschistische Bewegungen
Beschwichtigungspolitik reicht nicht

"Aspekte des neuen Rechtsradikalismus" heißt ein Essay-Band des Philosophen Theodor W. Adorno, der gerade neu zum Bestseller wird. Die zwei Vorlesungen, die Adorno 1967 in Wien gehalten hat, sind aktuell wie nie. Eine Podiums-Diskussion in Frankfurt am Main hat nun mehr Abgrenzung nach Rechtsaußen gefordert.

Von Ludger Fittkau |
Adorno steht in seinem Büro am Schreibtisch - ein Foto aus dem Jahr 1958
Die Analysen von Theodor W. Adorno zum Rechtsradikalismus sind auch heute hoch aktuell (picture alliance / IMAGNO / Franz Hubmann)
"Die gesellschaftlichen Voraussetzungen des Faschismus dauern fort". Mit einem etwas verkürzten Adorno-Zitat hatten die drei Veranstalter - das Kulturdezernat der Stadt Frankfurt am Main, das Uni-Exzellenzcluster "Die Herausbildung normativer Ordnungen" sowie hr2-kultur - die Veranstaltung überschrieben. Der Originalton Adorno von 1967 klingt so:
"Ich möchte also davon ausgehen, meine Damen und Herren, dass die Voraussetzungen faschistischer Bewegungen trotz des Zusammenbruchs gesellschaftlich - wenn auch nicht unmittelbar politisch - nach wie vor fortbestehen."
Bange machen gilt also nicht! Auch mit dem am Ende nur knapp verfehlten Einzug der NPD in den Bundestag Ende der 1960er-Jahre wäre für Adorno nicht "unmittelbar" der Faschismus in Westdeutschland ausgebrochen.
Dennoch führten die Wahlergebnisse der Rechtsradikalen in den 1960er Jahren dazu, dass Adorno damals in Wien nicht über den österreichischen Komponisten Gustav Mahler philosophierte. Das hätte er wohl lieber getan, betonte einer der Diskussionsteilnehmer gestern Abend. Doch der über den Aufstieg der NPD besorgte Adorno sprach stattdessen über die Propagandatechniken und Themenschwerpunkte der Rechtsextremen. Die redeten bereits 1967 von der "Überfremdung" oder von Straftaten der damaligen Gastarbeiter, um ihren Wahlkampf auf Kosten von Minderheiten zu führen. Das kommt einem in der Tat bekannt vor.
Adornos klare Botschaft
Der große Gewinn der Lektüre des Suhrkamp-Bändchens "Aspekte des neuen Rechtsradikalismus" liegt für die Frankfurter Politikwissenschaftlerin Nicole Deitelhoff im klaren Appell Adornos, nicht zu glauben, das Thema "Rechtsextremismus" erledige sich durch bloßes Aussitzen. Der Musiktheoretiker Adorno benutzt das bekannte Schlaflied "Hush, little Baby" als Metapher um zu zeigen, dass Beschwichtigungs-Politik gegen aufkommende faschistische Bewegungen nicht ausreicht:
"Von wegen wir ignorieren es, wir schweigen es tot und der Sturm wird vorüber gehen. Wir können uns nicht in unser Biedermeier, in unsere Wohnzimmer zurückziehen und warten, bis das alles ausgestanden ist und irgendwann werden auch die im Osten gesehen haben, dass alles nicht so toll ist und dann haben wir wieder unsere normalen Wahlergebnisse. Sondern dass wir rausgehen müssen und uns dieser Auseinandersetzung stellen."
Martin Saar ist Professor für Sozialphilosophie an der Goethe-Universität Frankfurt am Main.
Martin Saar (Philosoph) "Starkes Charisma und einnehmende Intellektualität"
Moralische Autorität, politische Integrität, vorführendes Denken und gelungene Performance: Theodor W. Adorno habe die Menschen in seinen Bann gezogen, sagte der Philosoph Martin Saar im Dlf. Und viele Denkansätze der von ihm vertretenen Kritischen Theorie seien auch heute aktuell.
Doch ist die politische Lage zu Zeiten der Adorno-Vorlesung vor einen halben Jahrhundert mit heute tatsächlich vergleichbar? Nein, sagte der Publizist Michel Friedman, die Lage sei in gewisser Weise schlimmer geworden. Ende der 60er Jahre sei ein Geschichtsrevisionismus, wie ihn die AfD betreibe, zumindest in der Mitte der Gesellschaft nicht möglich gewesen. Auschwitz lag noch nicht lange zurück, so Friedman. Heute könnten führende Leute der größten Oppositionspartei im Bundestag von Auschwitz als einem "Vogelschiss der Geschichte" sprechen:
"Und die AfD gehört zum Establishment. Ihre Repräsentanten sitzen in vielen Gremien, Stiftungen, Räten. Und man muss sich das doch vorstellen: Wir alle sagen, Demokratie muss das ertragen. Diejenigen, die Opfer dieser AfD sind, die müssen etwas ganz anderes ertragen. Und die Frage ist auch jetzt wieder: Wo sind Grenzen? Das strengt uns, glaube ich, besonders an. Wo wären und sind Grenzen zu setzen, jetzt nicht im juristischen Sinne, sondern in der Haltung, in politischen Debatten. Bei sich zuhause, im Verein. Wo wir ja auch täglich konfrontiert werden, das ist kein theoretisches Thema."
Klare Grenzen ziehen
Wo sind die Grenzen nach Rechtsaußen in den vergangenen Jahrzehnten nicht klar genug gezogen worden? Auch das war ein wichtiges Thema auf dem Podium. Die Frankfurter Kulturdezernentin Ina Hartwig erinnerte noch einmal an zwei Schlüsselereignisse, bei denen Politik und Justiz versagt hätten. Helmut Kohl sei kurz nach dem Mauerfall nicht nach Rostock-Lichtenhagen gefahren…
"Als dort Wohnunterkünfte von vietnamesischen Migranten der DDR pogromartig angegriffen worden sind."
Und: Bei der NSU-Mordserie hätten vor allem Polizei und Justiz versagt. Beides hat nicht zum Faschismus geführt. Doch rassistische Gewalt und Rechtsterrorismus gehören längst zu dieser Gesellschaft. Das müssen wir mit Adorno und über Adorno hinaus heute nüchtern feststellen. Und handeln. Das war die Botschaft der gestrigen Veranstaltung.