Doris Schäfer-Noske: Ein Buch, das es noch gar nicht gibt, sorgt zurzeit für heftige Diskussionen. "Der Kulturinfarkt" erscheint erst nächste Woche, aber die Thesen des Buchs haben bereits einen Aufschrei der Empörung hervorgerufen. Die vier Autoren haben nämlich drastische Sparvorschläge gemacht. Ihrer Meinung nach befindet sich die Kulturpolitik in einer selbst verschuldeten Lähmung, da sie sich verpflichtet sehe, bei schrumpfenden Haushalten eine bleibende oder sogar noch wachsende Zahl von Kultureinrichtungen zu erhalten. Kirchen würden geschlossen, Krankenhäuser zusammengelegt, Schulen aufgelöst, wenn sich die Bedingungen änderten oder wenn gespart werden müsse, nur bei der Kultur dürfe sich nichts ändern, schreiben die Autoren. Da heiße es gleich, die Kulturnation sei in Gefahr. - Frage an die Kulturpolitikerin und ehemalige Kuratorin des Hauptstadt-Kulturfonds, Adrienne Goehler: Frau Goehler, Sie gelten als jemand, der festgefahrene Strukturen hinterfragt und Verkrustungen aufbricht. Warum darf man denn nicht auch bei der Kulturförderung mal fragen: Was wollen wir eigentlich? Und wie können wir das Ganze verbessern?
Adrienne Goehler: Oh, das darf man natürlich fragen. Aber ich bin hoch misstrauisch, wenn vier hoch alimentierte Kulturfunktionäre Bashing betreiben und zum 50-prozentigen Kürzen auffordern. Die Diagnose, sagen wir mal, ist richtig: Es gibt eine Schieflage in der Verteilung. Aber alles, was ich jetzt sage, ist unter der Prämisse, solange die Kultur unter 2,5 Prozent überhaupt der Gesamtausgaben in allen Haushalten hat, solange denke ich nicht über Schließungen nach. Wohl denke ich schon sehr lange über Verflüssigungen nach, darüber, dass man Rein- und Raussysteme auch in der Administration von großen Häusern haben muss, also dass man nicht einfach die Leute durchbezahlt. Ich denke, es würde sehr viel zu verändern sein, wenn wir so eine Durchlässigkeit herstellen, dass auch freie Gruppen in den großen Häusern spielen können, und ich finde an ihrer Analyse so schlecht, dass sie überhaupt nicht sehen, wie viel gesellschaftliche Relevanz mittlerweile das Tun von den Künsten hat. Mehr und mehr weitet sich das künstlerische Tun in das Soziale, in die Bildungslandschaft hinein, in den öffentlichen Raum. Es ist überhaupt die einzige Möglichkeit, um in der Migrationsfrage weiterzukommen, aber das ist dann nicht Laienkultur, wie diese Herren polemisch von sich geben. Also ich will überhaupt nicht Besitzstand wahren, ich sage nur, man kommt mit solchem Unternehmensberatungsjargon, den auch noch die Haushaltspolitiker dreschen, einfach nicht weiter.
Schäfer-Noske: Es hat ja in den vergangenen zwei Tagen auch schon einen großen Aufschrei in der Kultur gegeben. Ist denn da diese Forderung, indem man provoziert, so gefährlich?
Goehler: Nein, es ist so ärgerlich, weil, es wirkt narkotisierend. Verstehen Sie? Wenn ich sage, es muss 50 Prozent gekürzt werden, in der Hoffnung, dass dann eine Diskussion kommt, dann, glaube ich, wird es nur zur Gegenwehr führen. Und vor allen Dingen: Vier lebenslang durchsubventionierte Herren des Kulturfunktionärtums hat auch ein bisschen ein Glaubwürdigkeitsproblem, würde ich sagen. Und das Entscheidende ist: Würden wir um 50 Prozent kürzen, würde es nicht Berlin, München und Hamburg treffen vermutlich, sondern dann würden wir eine Tendenz, die besorgniserregend in diesem Land ist, nämlich aus kleinen Städten zu flüchten, die würden wir damit verstärken. Weil was wir ja haben ist, dass in ganz vielen Landstrichen das Jugendtheater geschlossen wurde, die Bibliothek geschlossen wurde. Also so einen absurden Vorschlag wie, Bibliotheken um die Hälfte zu kürzen, das kann ich mir gar nicht vorstellen.
Ich bin für komplett andere Förderstrukturen. Wir brauchen neue Gefäße, und Pius Knüsel, der einer sehr reichen Stiftung vorsteht, hätte da wunderbar schon neue Felder aufmachen können, was er aber nicht getan hat. Und wenn man radikal sein will, ohne populistisch zu werden, dann, finde ich, denkt man doch eher in Richtung Grundeinkommen, weil dann ließen sich die gesellschaftlichen Verantwortlichkeiten ganz anders denken und erhandeln.
Schäfer-Noske: Es geht ja da auch immer um diese Beziehung zwischen Kultur und Markt, die ja eine schwierige ist, und hier argumentieren die Autoren, indem sie auf einen Widerspruch verweisen, ein demokratischer Staat mute jedem Bürger eine Mündigkeit im Urteilen zu, die ihm die Kulturpolitik dann immer wieder abspreche, weil sie ihn kulturell erziehen wolle.
Goehler: Ich halte das einfach für falsch! Ich sehe zum Beispiel mit großer Sorge, wenn Ministerpräsidenten, Staatskanzleien und Regierende Bürgermeister Kultur im Nebenfach mitmachen. Dann bleibt es im Glänzen und in der Schaufensterkultur stecken. Aber in Berlin, merken sie gerade, ist innerhalb der Kulturpolitik sehr viel los, weil sich eine Koalition aller Freien gebildet hat, die eine Umverteilung fordern – gar keine Frage -, die aber auch sagen, man muss verstehen, dass Kultur immer wichtiger wird. Nur das kann man nicht kostenlos machen.
Schäfer-Noske: Nur das Geld ist ja beschränkt, und wenn Sie sagen, da fordert jemand und der hat eigentlich auch ein Recht auf Förderung, dann müssen Sie es ja irgendjemandem wegnehmen.
Goehler: Ich glaube, dass man nicht nur zwischen den Institutionen und den freien Gruppen verflüssigen muss, sondern auch zwischen den Ressorts. Ich denke, dass wir auch viel stärker in Bildung und ins Soziale und in die Integrationsressorts hinein müssen, weil da die Kultur eine ungeheuer wichtige Aufgabe hat. Ich finde eine Diskussion ungeheuer gut, und das ist nicht damit getan, dass man so oberflächliches Bashing betreibt.
Schäfer-Noske: Das war die Kulturpolitikerin Adrienne Goehler über die Thesen des Buchs "Der Kulturinfarkt".
Adrienne Goehler: Oh, das darf man natürlich fragen. Aber ich bin hoch misstrauisch, wenn vier hoch alimentierte Kulturfunktionäre Bashing betreiben und zum 50-prozentigen Kürzen auffordern. Die Diagnose, sagen wir mal, ist richtig: Es gibt eine Schieflage in der Verteilung. Aber alles, was ich jetzt sage, ist unter der Prämisse, solange die Kultur unter 2,5 Prozent überhaupt der Gesamtausgaben in allen Haushalten hat, solange denke ich nicht über Schließungen nach. Wohl denke ich schon sehr lange über Verflüssigungen nach, darüber, dass man Rein- und Raussysteme auch in der Administration von großen Häusern haben muss, also dass man nicht einfach die Leute durchbezahlt. Ich denke, es würde sehr viel zu verändern sein, wenn wir so eine Durchlässigkeit herstellen, dass auch freie Gruppen in den großen Häusern spielen können, und ich finde an ihrer Analyse so schlecht, dass sie überhaupt nicht sehen, wie viel gesellschaftliche Relevanz mittlerweile das Tun von den Künsten hat. Mehr und mehr weitet sich das künstlerische Tun in das Soziale, in die Bildungslandschaft hinein, in den öffentlichen Raum. Es ist überhaupt die einzige Möglichkeit, um in der Migrationsfrage weiterzukommen, aber das ist dann nicht Laienkultur, wie diese Herren polemisch von sich geben. Also ich will überhaupt nicht Besitzstand wahren, ich sage nur, man kommt mit solchem Unternehmensberatungsjargon, den auch noch die Haushaltspolitiker dreschen, einfach nicht weiter.
Schäfer-Noske: Es hat ja in den vergangenen zwei Tagen auch schon einen großen Aufschrei in der Kultur gegeben. Ist denn da diese Forderung, indem man provoziert, so gefährlich?
Goehler: Nein, es ist so ärgerlich, weil, es wirkt narkotisierend. Verstehen Sie? Wenn ich sage, es muss 50 Prozent gekürzt werden, in der Hoffnung, dass dann eine Diskussion kommt, dann, glaube ich, wird es nur zur Gegenwehr führen. Und vor allen Dingen: Vier lebenslang durchsubventionierte Herren des Kulturfunktionärtums hat auch ein bisschen ein Glaubwürdigkeitsproblem, würde ich sagen. Und das Entscheidende ist: Würden wir um 50 Prozent kürzen, würde es nicht Berlin, München und Hamburg treffen vermutlich, sondern dann würden wir eine Tendenz, die besorgniserregend in diesem Land ist, nämlich aus kleinen Städten zu flüchten, die würden wir damit verstärken. Weil was wir ja haben ist, dass in ganz vielen Landstrichen das Jugendtheater geschlossen wurde, die Bibliothek geschlossen wurde. Also so einen absurden Vorschlag wie, Bibliotheken um die Hälfte zu kürzen, das kann ich mir gar nicht vorstellen.
Ich bin für komplett andere Förderstrukturen. Wir brauchen neue Gefäße, und Pius Knüsel, der einer sehr reichen Stiftung vorsteht, hätte da wunderbar schon neue Felder aufmachen können, was er aber nicht getan hat. Und wenn man radikal sein will, ohne populistisch zu werden, dann, finde ich, denkt man doch eher in Richtung Grundeinkommen, weil dann ließen sich die gesellschaftlichen Verantwortlichkeiten ganz anders denken und erhandeln.
Schäfer-Noske: Es geht ja da auch immer um diese Beziehung zwischen Kultur und Markt, die ja eine schwierige ist, und hier argumentieren die Autoren, indem sie auf einen Widerspruch verweisen, ein demokratischer Staat mute jedem Bürger eine Mündigkeit im Urteilen zu, die ihm die Kulturpolitik dann immer wieder abspreche, weil sie ihn kulturell erziehen wolle.
Goehler: Ich halte das einfach für falsch! Ich sehe zum Beispiel mit großer Sorge, wenn Ministerpräsidenten, Staatskanzleien und Regierende Bürgermeister Kultur im Nebenfach mitmachen. Dann bleibt es im Glänzen und in der Schaufensterkultur stecken. Aber in Berlin, merken sie gerade, ist innerhalb der Kulturpolitik sehr viel los, weil sich eine Koalition aller Freien gebildet hat, die eine Umverteilung fordern – gar keine Frage -, die aber auch sagen, man muss verstehen, dass Kultur immer wichtiger wird. Nur das kann man nicht kostenlos machen.
Schäfer-Noske: Nur das Geld ist ja beschränkt, und wenn Sie sagen, da fordert jemand und der hat eigentlich auch ein Recht auf Förderung, dann müssen Sie es ja irgendjemandem wegnehmen.
Goehler: Ich glaube, dass man nicht nur zwischen den Institutionen und den freien Gruppen verflüssigen muss, sondern auch zwischen den Ressorts. Ich denke, dass wir auch viel stärker in Bildung und ins Soziale und in die Integrationsressorts hinein müssen, weil da die Kultur eine ungeheuer wichtige Aufgabe hat. Ich finde eine Diskussion ungeheuer gut, und das ist nicht damit getan, dass man so oberflächliches Bashing betreibt.
Schäfer-Noske: Das war die Kulturpolitikerin Adrienne Goehler über die Thesen des Buchs "Der Kulturinfarkt".