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Ächtung einer unmenschlichen Waffe

Als einen Meilenstein im Kampf um das humanitäre Völkerrecht hat Rudolf Seiters, Präsident des Deutschen Roten Kreuzes, das Internationale Streubomben-Verbot bezeichnet. Er hoffe, dass auch Staaten wie die USA, Russland, China und Israel dem Abkommen beiträten.

Rudolf Seiters im Gespräch mit Tobias Armbrüster |
    Tobias Armbrüster: Gestern, der 1. August 2010, war ein Tag, den Menschenrechtsorganisationen und Rüstungsgegner in aller Welt gefeiert haben. Gestern ist nämlich die internationale Konvention gegen Streubomben in Kraft getreten. Diese Bomben – so kann man es wahrscheinlich sagen – zählen zu den heimtückischsten Waffen, die die Rüstungsindustrie jemals hergestellt hat. Ein Land, in dem noch immer viele Streubomben unentdeckt herumliegen, ist der Libanon. Der UNO-Minenexperte Chris Clark über die Lage dort:

    Chris Clark: Diese Bomben sehen harmlos aus, vor allem für Kinder, die ja neugierig und unerfahren sind. Es sind kleine Dinger, die zwischen Trümmern oder im Schutt versteckt herumliegen. Kinder wissen nicht, was das ist, und heben die Streubomben auf.

    Der UNO-Minenexperte Chris Clark. Das Prinzip der Streubomben ist immer das gleiche: Nach dem Abwurf öffnet sich eine Streubombe und setzt dann Hunderte kleinerer Bomben frei, die sich oft über riesige Gebiete verteilen. Jetzt ist also nach jahrelanger Vorarbeit die internationale Konvention gegen Streubomben in Kraft getreten. Maßgeblich beteiligt waren am Zustandekommen dieser Konvention Nichtregierungsorganisationen wie zum Beispiel das Rote Kreuz. Am Telefon bin ich jetzt verbunden mit dem Präsidenten des Deutschen Roten Kreuzes, mit Rudolf Seiters. Schönen guten Morgen, Herr Seiters!

    Rudolf Seiters: Schönen guten Morgen!

    Armbrüster: Wie wichtig, Herr Seiters, ist diese Konvention?

    Seiters: Ja, sie ist unglaublich wichtig, man kann sagen, es ist ein Meilenstein im Kampf um humanitäres Völkerrecht. Streubomben verursachen unverhältnismäßige Leiden – das ist ja vorhin auch dargestellt worden –, treffen in erster Linie Zivilpersonen, Kinder, Bauern, Familien, insbesondere nicht detonierte Submunition vernichtet langfristig wichtige Erwerbsquellen, zum Beispiel in der Landwirtschaft, zerstören diese, und im Übrigen macht diese Submunition auch die Leistung humanitärer Hilfe und den Wiederaufbau einer Gesellschaft nach bewaffneten Konflikten zunichte. Ich will neben dem Libanon auch ein anderes Beispiel nennen: Wir wissen ja, dass in mehr als 20 Ländern und Regionen Streubomben abgeworfen wurden, von Vietnam bis in die Westsahara, von Tschetschenien bis Libanon, allein in Laos ist 40 Prozent seiner Gesamtfläche ist von diesen Minen verseucht, und die Regierung hat nicht das Geld, um die Dinge aufzuspüren.

    Armbrüster: Nun haben einige große Herstellerländer, manche sagen die wichtigsten Herstellerländer, diese Konvention noch nicht mal unterzeichnet, darunter auch die USA, Russland und China. Wie erklären Sie sich das?

    Seiters: Ja, das ist auch aus unserer Sicht schwer erklärbar. Man ist offensichtlich unterschiedlicher Meinung über den militärischen Nutzen, aber aus der Sicht des Internationalen Roten Kreuzes ist die Sache so, dass der militärische Nutzen überhaupt nicht in Einklang zu bringen ist mit den schrecklichen Verletzungen, die hier entstehen. Es sind die drei von Ihnen genannten Staaten, nicht dabei sind im Augenblick auch noch nicht Israel, Indien, Pakistan und Brasilien. Wir haben aber die Hoffnung, dass nachdem jetzt das Osloer Abkommen in Kraft getreten ist, von 106 Staaten unterzeichnet, von 34 inzwischen ratifiziert, dass im Laufe der kommenden Monate und Jahre doch noch weitere Staaten dazukommen. Die Staaten, die unterzeichnet haben, sollen ja auch jährlich über den Stand der Umsetzung der Konvention berichten, und im November wird in Laos ein erstes Treffen der Vertragsstaaten stattfinden, um einen Aktionsplan zur Umsetzung und Überwachung der Einhaltung der Konvention festzulegen. Jedenfalls werden nicht nur das Internationale Rote Kreuz und die nationalen Rot-Kreuz-Gesellschaften, sondern auch viele andere humanitäre Organisationen bei ihrer nachdrücklichen Forderung bleiben, dass auch die im Augenblick noch abseits stehenden Länder dieses Abkommen unterzeichnen und ratifizieren.

    Armbrüster: Worauf gründet sich denn Ihre Hoffnung, dass die tatsächlich noch mit dazustoßen?

    Seiters: Nun, ich glaube, es gibt jetzt eine internationale größere Diskussion nach diesem Abkommen von Oslo, wie wir ja in der Berichterstattung aus Deutschland wissen, aber auch in anderen Ländern. Niemand hat eine Garantie, dass hier ein Umdenken stattfindet, aber der Druck aus der internationalen Welt und aus der UNO ist doch schon sehr.

    Armbrüster: Ich meine, haben wir es hier nicht mit einem zentralen Dilemma der Rüstungspolitik zu tun, mit Waffen und auch mit Munition wird nun mal international viel Geld verdient – auch die Bundesrepublik, das sollte man hier vielleicht auch mal erwähnen, zählt ja zu den größten Exporteuren von Rüstungsgütern, wenn auch nicht von Streubomben. Ist das, sozusagen das Verlangen, Geld zu verdienen, da nicht einfach zu groß, um eine solche Konvention zu unterzeichnen?

    Seiters: Ich hoffe nicht, dass das so ist. Was Deutschland anbetrifft, so sind wir ja einer der ersten Länder gewesen, die für das Verbot von Oslo eingetreten sind, und die Bundesregierung hat ja auch zugesagt, dass bis zum Jahre 2013 alle vorliegenden Bestände vernichtet werden. Der Appell, den wir aussprechen, ist völlig eindeutig, denn die Opfer sind fast ausschließlich bei diesen Streubomben Zivilisten, Kinder beim Spielen, Bauern bei der Feldarbeit, Frauen auf dem Weg zum Markt. Und dies deutlich zu machen und humanitär in Anspruch zu nehmen, ist, glaube ich, eine ganz wichtige Aufgabe der unterzeichnenden Staaten, der Kirchen, der gesellschaftlichen Organisationen.

    Armbrüster: Viele Kritiker weisen jetzt darauf hin, dass sich auch die Bundesrepublik noch ein kleines Schlupfloch offengelassen hat, dass nämlich ganz bestimmte Typen von Streubomben auch in Deutschland nach wie vor erlaubt sind zu produzieren, das sind die sogenannten Smart Bombs, diese Kleinbomben, die verstreut werden, die sich sozusagen selbst vernichten, wenn sie aufschlagen. Halten Sie das für ein Schlupfloch, das man schließen muss, auch solche Bomben zu verbieten?

    Seiters: Ja, das ist schon meine Meinung und die Meinung des Roten Kreuzes. Smart Bombs, das sollen ja angeblich schlaue Bomben sein. Ihr angeblicher Intelligenzquotient reicht aber nicht aus, um zwischen militärischen und zivilen Zielen zu unterscheiden, das gilt auch noch lange nach dem Ende eines kriegerischen Konfliktes, und deswegen ist auch dieser Teil der Streubomben Ziel unserer Forderung.

    Armbrüster: Nun ist diese Konvention in Kraft getreten vor allen Dingen auf Druck von Nichtregierungsorganisationen wie auch des Rotes Kreuzes, nicht so sehr auf politischen Druck aus den einzelnen Ländern. Woran liegt das? Interessieren sich Länder, interessieren sich Innenpolitiker, Rüstungspolitiker nicht mehr für solche Belange wie Streubomben?

    Seiters: Nun, es geht natürlich bei diesen Dingen auch in der Tat, wie Sie ja gesagt haben, was die Rüstungsindustrie angeht, auch um materielle Fragen, aber es muss abgewogen werden zwischen den militärischen Zielen, dem Nutzen von militärischen Zielen, und dem Einsatz von Waffen und dem Ergebnis, das dabei herauskommt. Und alle diese Staaten haben das humanitäre Völkerrecht, haben die Genfer Konventionen unterschrieben, und das anzumahnen, ist unverzichtbar. Und deswegen werden wir das auch in der Zukunft tun.

    Armbrüster: Diese Konvention wurde jetzt über Jahre vorbereitet, auch gegen viele Widerstände, sehen Sie hier ein Vorbild vielleicht auch für andere Abrüstungsprojekte?

    Seiters: Nun, dies ist zunächst einmal jetzt vorrangig und darüber freuen wir uns, dass dieser erste Schritt vollzogen wurde gegen sehr viele Widerstände in der Vergangenheit, und natürlich bleibt auch in anderen Bereichen das Thema humanitäres Völkerrecht auf der Tagesordnung. Wir haben ja bei kriegerischen Auseinandersetzungen, auch zuletzt im Libanon bei den Kämpfen zwischen der Hisbollah und Israel festgestellt, dass hier nicht immer die Regeln des humanitären Völkerrechts eingehalten worden sind. Und deswegen gilt unsere Aufmerksamkeit natürlich auch diesen Problemen.

    Armbrüster: Gestern, am 1. August, ist die internationale Konvention gegen Streubomben in Kraft getreten. Über die Folgen, Auswirkungen und auch über Hintergründe haben wir gesprochen mit Rudolf Seiters, dem Präsidenten des Deutschen Roten Kreuzes. Ich danke Ihnen vielmals, Herr Seiters, für das Gespräch!

    Seiters: Danke auch!